BEILAGE
Vorwärts
DIENSTAG, 25. OKT. 1932
Weniger Verachtung, mehr menschliches Verständnis!
Eine Diskussion über den Roman Gilgi" ist aus ganz besonderen Gründen zu begrüßen. Es geht dabei nicht um eine Diskussion über Wert oder Unwert der Leistung der Verfasserin, aber auch nicht über den der ,, Heldin" des Romans ( einem lebendig gestalteten Romangeschöpf), sondern es geht hier um mehr! Es geht um die Frage, wie wir Sozialistinnen erreichen können, Frauen wie Gilgi zu uns heranzuziehen, fie für den Kampf um den Sieg unserer Idee zu be= geistern.
Im Gegensatz zu Hanna Herz, Dr. Else Möbus, Ella Rensky, Kaul und Langhans sehe ich immer wieder mit Bedauern, daß so viele ,, Gilgis", und wie sie sonst heißen mögen( und aus welchem Milieu fie auch kommen mögen), den Weg zu uns nicht finden können. Da ich vom Werten nichts halte, kann ich weder den Gilgis noch uns die Schuld daran zuschreiben. Wer aber überlegt und nach den Gründen dafür sucht, wird vielleicht Wege finden, die ungezählten Scharen von Frauen für uns zu gewinnen, die trotz ,, sozialistischer Sehnsucht" noch abseits von uns stehen.
Der Grundgedanke, den fast alle meine Vorschreiberinnen zum Ausdruck brachten ,,, Eine von uns kann nur werden, wer Eine von uns ist!" der ist es, gegen den ich mich mehre. Es muß immer wieder zur psychologischen Behandlung und Betrachtung derjenigen Schichten unserer Bevölferung angeregt werden, die aufwachsen resp. aufgewachsen sind, ohne schon von Jugend an sozialistisches Denken fennengelernt zu haben. Die Beschäftigung mit diesen Ideen ist gerade dem Spießbürgertum der Pflegeeltern Kron von Gilgi heute noch gerade so fremd wie früher. Sie gehören zu denen, die, solange sie gut leben können, nicht gern von der Not anderer hören, sie werden zum Sozialismus geführt, erst wenn eigene Verelendung sie schreckt. Sie sind es, die den Nationalsozialismus auf ihre Fahnen geschrieben haben, weil ihr zartes Gemüt dort nicht so oft vom ,, Proletarier" sprechen hört. Das gibt ihnen nämlich einen furchtbaren Stich ins Gemüt. Sie, die innerlich hol sind, legen den größten Wert auf Stellung" und gute Gesellschaft" gerade, weil sie oft erst die erste Generation find, die vom Proletarier unter der tapitalistischen Aera zu Spießbürgern" geworden find; sie sind zu Geld gekommen und setzen ihren Ehrgeiz darin, anderen vorzutäuschen, daß sie immer ,, Besitzende" gewesen sind.
Die Kinder, die in diesem Milieu aufwachsen, haben es sehr schwer, gerade wenn sie wahrheitsuchende Menschen sind wie Bilgi . Ihre Gefühlsmelt ist klein, sie werden ins Erwerbsleben gedrängt und haben keine Möglichkeit, sich mit sich und der Umwelt mehr als unbedingt nötig auseinanderzusetzen. Sie ahnen, daß sie durch ein Chaos schreiten, daß heute alle wie sie" sich nur sicher bewegen können, wenn sie sich nicht ge= statten, auch nur einen Blick in dies Chaos von Wirtschaftsnot, Verhegung, geistigem und fulturellem Durcheinander zu werfen! Für sie ist die Liebe noch das Wesentlichste, obgleich sie unterbewußt fühlen, daß sie sich dadurch dem Mann unterordnen. Dagegen lehnen sie sich auf und erkennen leider nicht, daß es ihnen hier geht mie den Arbeitern, die erstmalig zu sozialistischen Ideen kamen, auch weil sie Untergeordnete waren, Untergeordnete des Arbeitgebers, dem sie zur Ausbeutung ausgeliefert waren, die tun mußten nach feinem Willen und Gesetz und keine Freiheit für ihre eigene Person kannten. Aus ihrem ver= legten Stolz fam ihre revolutionäre Ge sinnung und sie wurden die ersten Sozialisten; sie begannen den Kampf für sich selbst! Aber bald genügte ihnen das nicht, sie erkannten, daß der Mensch zur inneren Ausgeglichenheit nur kommen kann, wenn er für alle seine Schicksalsgefährten auch Befreiung aus der ungerechten Ordnung der Welt erkämpft!
So ist es logisch, daß Gilgi und ihresgleichen, eben Frauen aller Schichten, heute beginnen, sich erst einmal mit sich selbst auseinanderzusetzen! ,, Sie, Gilgi , wird von den gleichen Gefühlen hinund hergezerrt wie das Bürgermädchen von ehedem", sagt Hanna Herz. Ja, glauben wir denn wirklich, daß Liebe bei Bürgern anders verläuft als bei uns Sozialisten? Ich glaube es nicht. Mensch bleibt Mensch, Frau bleibt Frau. Wer einer starken überwältigenden Liebe nicht fähig ist, der ist ein armseliger Mensch, ganz gleich wie er sich nennt. Ich mage sogar auszusprechen, daß es gelegentlich Sozialisten passiert sein soll, daß sie sich in Nichtfozialisten rückhaltlos verlieben mußten. Vielleicht hatten sie dann sogar vorübergehend nicht das gleiche Interesse für Parteiarbeit, hörten sie darum auf. Sozialisten zu sein? Reineswegs; ebenso wie es nicht ausgeschlossen sein soll, daß Bürgerliche( Erkelenz , Thomas Mann ?) zur Partei kommen und so gute Sozialisten sein fönnen wie eventuell Genossen, die Jahrzehnte eingeschriebenes Mitglied der Partei sind. Kommen prominente Männer und Frauen aus anderen
Parteien zu uns, so fonstatieren wir das mit großer Freude und es wird niemandem einfallen, nach unedlen Motiven für diesen Eintritt zu fuchen. So sollten wir es auch halten, wenn wir ,, Bilgis" unsere Gemeinschaft schüchtern suchen sehen. Wäre Pit ein aktiverer Sozialist, so hätte er Bilgi menschlich viel sein können, und ich meine, er hätte sie für uns leicht gewinnen können, wenn ihn ihre Puderdose, ihr Pelzmantel, furz gesagt ihre ,, damenhaften bürgerlichen Allüren" nicht zurückgehalten hätten, wenn er mit weniger Verachtung und mehr menschlichem Verständnis sie behandelt hätte, wie sie es leider auch häufig bei uns tun.
Wir sind von Kindesbeinen an Sozialisten, unsere Eltern und Verwandten sind es gewesen und doch haben wir tief innen noch immer nicht den wirklichen Sinn des Sozialismus erfaßt. Wir sehen ringsum nicht in unseren Mitmenschen den ,, Mitarbeiter", den Genossen, dem wir frei und herzlich entgegenkommen sollten, weil er Gemeinschaft sucht wie wir, ganz gleich, ob er mit oder ohne Kragen uns entgegenkommt.
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Wir verwechseln noch immer Klassenbewußtsein des Arbeiters mit Proletariersein und gebärden uns oft unehrlicherweise so, als wäre es unsere Sehnsucht, nur ja immer Proletarier" zu bleiben. Während jeder von uns danach streben sollte, und unsere Führer besonders danach gestrebt haben, freie Menschen aus uns zu machen, uns aus dem Elend zu retten, ganz gleich, welcher Arbeit wir nachzugehen haben. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sollten aufräumen mit Berlogenheit, Mißgunst und veralteten Bor= urteilen! Und doch stecken in uns selbst noch so viele unseren Mitmenschen gegenüber, deren einer heute gerade ,, Gilgi " heißt.
Es besteht in mir kein Zweifel darüber, daß sie zu uns gehört, sie wie Tausende und Millionen andere! Sie hat es nur noch nicht klar erkennen können. Jeder Mensch, der ringt nach Klarheit, wie Gilgi es auch tat, der sucht nach einem Ausweg, der das innere Bedürfnis hat sich hinzugeben, zu helfen, der gehört zu uns! Wir müssen ihm entgegengehen, soweit wir fönnen, wir müssen ihn gewinnen für uns, dann wird er mit
,, Frondeurin in
bauen helfen an unserer gerechteren sozialistischen Gesellschaftsordnung, die kommen wird! So fest wir daran glauben, so sest müssen wir auch an das ehrliche Mithelfenwollen der ,, Gilgis" glauben. Dieser Glaube allein verpflichtet und hält uns zusammen. Wir dürfen uns nicht anmaßen, bei den ersten Schritten, die Gilgis" in unserer Gemeinschaft gehen von sozialistischen Anwandlungen" zu sprechen und deren Echtheit" an= zweifeln. Hüten wir uns davor, daß wir pharisäisch sprechen: Herrgott, ich danke dir, daß ich nicht so bin wie jene!"
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Gerade weil, wie Bebel sagt, jeder Tag vom raschen Wachstum der immer gewaltiger werdenden Ausbreitung der sozialistischen Ideen neue Beispiele liefert, cnüssen wir die um uns scharen, die glauben, heute würde er wohl sagen, trot aller zeitweiligen Rückschläge, die wissen:
,, Dem Sozialismus gehört die Zukunft, das heißt in erster Linie dem Arbeiter und der Frau." Susi Bork.
menschlichen Bezirken
Wenn ein Roman mit dem Titel„ Gilgi, eine von uns " im„ Borwärts" erscheint, dann muß natürlich dieses ,, uns", bezogen auf die sozialisti schen Leserinnen, zu lautem Widerspruch herausfordern. Nein, die kleine Büroangestellte Gilgi ist in ihrer geistigen Haltung ganz und gar nicht eine bewußt mit ihrer Klasse verbundene sozialistische Arbeiterin, sondern weit eher ein Erempel für die ihrer Berufsschicht eigene individualistische Jdeo= logie. Trotzdem ist sie mit ihrer gradlinigen Natürlichkeit, ihrer Zielklarheit und ihrem ausgeprägten seelischen Reinlichkeitssinn eine Frondeurin in menschlichen Bezirken, auch da, wo sie ihren Refsentiments gegen gedankenlos, faules und verkitschtes Kleinbürgertum die Zügel schießen läßt.
Man kann übrigens überhaupt nicht an das Buch Gilgi die Maßstäbe eines sozialen Epos legen, wie an die Romane Zolas und Upton Sinclairs, die ihre Aufgabe in der Darstellung und Kritik sozialer Geschehnisse und tollettiven Schicksals sehen. Irmgard Keun streift die Arbeitswelt der Angestelltenschaft und das Spezifische der Büroatmoiphäre ja auch nur mit flüchtigen Strichen, sie will m. E. nicht vorwiegend die Angestellte in ihrer Umwelt schildern, sondern das Liebesschicksal einer jungen, berufstätigen Frau unserer Zeit gestalten. In der sehr plastischen und lebendigen Zeichnung ihrer Heldin und einiger Nebenfiguren gelingt es ihr, uns den sozialen Raum, in dem diese Menschen leben, sehen zu lassen und Wesentliches und Typisches über die Mentalität der weiblichen Angestellten auszusagen. O ja, Bilgi ist eine von den Hunderttausenden der Stenotypistinnen und weiblichen Handelsangestellten! Sie ist leberdurchschnitt in ihrer hellsichtigen Bielstrebigkeit, mit der sie erkennt, daß man im Erwerbsleben nur durch straffe Diszipliniertheit und Tüchtigkeit weiterfommt im Gegensatz zu vielen dumpfer Dahinlebenden, die nach dem be= fannten Filmmärchen wie heirate ich meinen Chef" auf ein Wunder hoffen. Aber sonst ist sie eine der ihren in vielen Gemeinsamkeiten: in der mangelhaften Berufsausbildung, mit der man mur Hilfskraft bleibt, in ihrem Streben, nicht nur durch Arbeitsleistung, sondern auch durch kluge Koketterie vorwärts zu kommen, in ihrer Sehnsucht nach Glanz und schönen Kleidern, in ihrer Illusionslosigkeit Männern gegenüber, mit denen man allzu oft unromantische Erfahrungen macht, in ihrem fühlen Sachlichkeitspanzer, den sie zur Schau trägt. Sind sie nicht alle wie Gilgi gern Dame in ihrer äußeren Erscheinung, opfern sie nicht alle, weil das Geld zum Fertigkaufen meist nicht reicht, einen guten Teil ihrer Freizeit zur Erzielung einer einigermaßen eleganten Fassade? O, man braucht das im Beruf, denn die Herren Bürogewaltigen urteilen und schätzen sehr nach dem Aussehen. Man braucht es aber auch zur eige= nen Selbstbestätigung, denn durch Kleider fann man vor sich selbst und seiner Umgebung avancieren oder deklassiert werden. Mag die Tätigkeit noch so mechanisiert, das Gehalt noch so proletarisch sein, man fühlt sich doch als Angestellte der besseren, der gebildeten, der geistigen Arbeit zugehörig, wenn man's in Wirklichkeit auch nur durch bloße Aeußerlichkeit ist. Ist man ja doch auch durch das persönliche Zusammenarbeiten mit dem Unternehmer einer sozial gehobenen Schicht von vornherein viel näher als die Fabrikarbeiterin und durch die unmittelbare Berührung ist die Verlodung dieser bürgerlichen Sphäre viel größer. Die Strebsamen nugen jede Chance, um so weit als möglich an fie beranzukommen, alle, Bemühungen um Erweiterung ihrer Bildung
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dienen dem Aufnehmen von Fachwissen. Und auch die Freizeit steht unter ihrem Einfluß. Man ist arm, aber pretentiös, und da einem die Unterhaltungen fultivierter Bürgerlichkeit nicht zugänglich sind, begnügt man sich mit Pseudo= erlebnissen, die man in einer Scheinwelt. hellerleuchteter Cafés und in Kinos findet, deren Schlagermelodien und deren Erotik am anderen Morgen in den Bürotag hineinklingen. Die großstädtische Vergnügungsindustrie beweist es, welch ungeheure Rolle solche Surrogate lebendiger Werte im Leben großer Massen spielen.
Aber Gilgi ist nicht nur Angestellte, sie ist im weiteren Sinne ,, eine von uns": Als Typus der Frauengeneration von heute, der noch manche Schladen der Frau von gestern an fich hat. Wie ,, weiblich" ist sie in ihrer politischen Indolenz! Man soll sie in Ruhe lassen mit Politik, sagt sie ihrem Freund Pit. Sie ist wie viele Frauen warmherzig und hilfsbereit lebendigen Einzelwesen gegenüber, deren Elend ihr persönlich nahegeht. Aber die Masse" ist ihr ein leerer Begriff. ,, Die hat doch kein Gesicht, ist doch tein Mensch, dem man helfen möchte."
Mädchengeneration von heute ist sie in der unsentimentalen Entschiedenheit, mit der sie das Band löst, das sie an ein ihre Entwicklung hemmendes Familienleben fettet. Sie empfindet sich selbst lieblos und undankbar, als sie den harten Schnitt tut, denn die Alten meinen es doch auf ihre Weise so gut". Wie viele, die das= felbe Notwendige getan haben, fühlten nicht dabei dieselben Strupel! Es ist schwer sich freizumachen von traditionellen und gefühlsmäßigen Bindungen. Das allerschwerste aber ist es und wie sehr
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ist sie da eine von uns die innere Freiheit und Unabhängigkeit in dem überwältigenden Erlebnis einer großen, alle hart erkämpfte Klarheit und Selbständigkeit hinwegschwemmenden Liebe zu behalten. Wie groß ist da die Versuchung für jede gefühlsstarke Frau, ganz ihrem Herzen zu folgen, nur der Liebe und dem geliebten Menschen zu gehören und alles andere aufzugeben! Im Zentralpunkt des Frauenlebens steht nun einmal die Liebe mit stärkerer Intensität als beim Manne, und nicht nur fleine Büroangestellte wie Gilgi haben einen ohnehin nicht sehr geliebten Beruf geopfert; an der Klippe Liebe und Ehe scheitert immer wieder manch schöne Karriere und viel weiblicher Berufsehrgeiz. Das ist das Neue und Zukunftweisende an diesem aufrechten Mädchen Gilgi , daß fie der großen Versuchung weibchen haften Sichaufgebens widersteht und ihre innere und äußere Unabhängigkeit unbedingt zurückge= winnen will. Sie liebt und bewundert Martin schrankenlos und sie liebt und bewundert seine weiträumige farbige Welt, aber sie will nicht sein Geschöpf sein, sie will ihren Persönlichkeitswert sich selbst gegenüber behalten. Und als sie erkennt, wie nah die Gefahr ist, sich in der Hingabe zu verlieren, fügt sie sich selbst den härtesten Schmerz zu, als sie sich von dem Geliebten zeitweilig trennt, um ihre menschliche Freiheit wiederzufinden.
Der Roman der Irmgard Keun hat insofern eine soziale Note, als er Einblicke in die Psyche der weiblichen Angestellten vermittelt. Sein Hauptwert aber liegt in einem sehr sympathischen und sehr erfrischenden menschlichen Frondeurtum. Margarete Hartig.
nie und nimmer"
Sehr geehrte Genossen!
Schon bevor im Abend- ,, Vorwärts"
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Dom
18. Oktober zur Diskussion über„ Gilgi eine von uns" aufgefordert wurde, find in den Kreisen unserer weiblichen Mitglieder Stimmen lebhafter Kritik laut geworden. Eine Versammlung unserer Funktionärinnen am 20. Oktober, an der 150 Kolleginnen teilnahmen, hat uns nunmehr beauftragt, Ihnen die Stellungnahme unserer weiblichen Mitglieder zur Kenntnis zu bringen.
,, Ist Gilgi wirklich eine von uns?" Diese Frage muß verneint werden. Durch ihre Lebensauffassung wie Lebenshaltung unterscheidet sich Gilgi so erheblich vom Durchschnittstypus der weiblichen Angestelltenschaft, daß wir Bilgi nie und nimmer als eine von uns weiblichen Ange= stellten ansehen können. Und noch weniger entspricht Gilgi dem Vortrupp, der sich entschiedener noch als die große Masse mit den Arbeits- und Lebensproblemen unserer Zeit auseinandersetzt.
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Erhebt ein Roman den Anspruch, mit seiner Heldin gleichzeitig das Schicksal einer bestimmten sozialen Schicht zu schildern im Falle ,, Gilgi " die weibliche Angestelltenschaft so muß der soziale Tatbestand des Romans mindestens in seinen alltäglichen Zügen der Wirklichkeit entsprechen.
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Daß ein Mädchen von 21 Jahren mit zuletzt 150 Mark Einkommen und feineswegs primitiven Lebensansprüchen nach nur 4 Jahren Berufstätigkeit 1200 Mart erspart haben soll, dürfte nicht gerade üblich sein. Sonstige Lebensgewohnheiten, nicht ganz billige Vergnügungen, Parfüms und elegant gestickte Schlafanzüge tun ihr Uebriges, um die Berzerrtheit des Gesamtbildes zu erweisen. und daß Gilgi ihre Arbeitslosenunterstützung zu
nichts Dringlicherem benötigt als zur Anschaffung von Puder und Lippenstiften, ist vollends ein Hohn auf die Not der Zeit. Es ist daher nur ver ständlich, daß auch die menschliche Haltung Gilgis, trotz ernster Bemühung, der Lebens- und Liebes schwierigkeiten Herr zu werden, rein bürgerlich individualistisch bestimmt ist und alles vermissen läßt, was Gilgi auch im feineren Sinne zu einer Vertreterin der arbeitenden Frau unserer Zeit machen könnte. Von einer Schicksals. gemeinschaft mit einundeinerhalben Million weiblicher Angestellten kann eine Gilgi ebensowenig wissen wie von sozialen Auseinandersetzungen und den Möglichkeiten gemeinsamer Kämpfe.
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Die Funktionärinnen des 3dA. bedauern es sehr, daß schon allein durch den Abdruck des Romans sowie durch das bekanntgegebene Preisausschreiben der Eindruck erweckt wurde, als würde mindestens die Redaktion des Vorwärts" Gilgi bereits als ,, eine von uns" betrachten. Die kitschigen und übelstes Filmklischée verratenden Paramount - Bilder tragen noch täglich zur Verstärkung dieses Eindruckes bei. Die in diesen Bildern gezeigte Gilgi entspricht vielleicht einem Wunschbild, wie es Magazine, Wahre Geschichten und schlechte Filme der großen Masse aufzudrängen suchen.
Mit der Lebens- und Arbeitsnot der weiblichen Angestellten, mit ihren Rämpfen um Klaffenerfenntnis und Klassensolidarität hat diese Gilgi nichts, aber auch gar nichts gemein."
Freiheit!
Gertrud Ellert.