Abend- Ausgabe
Nr. 516 B 250 49. Jahrg.
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Sozialdemokraten
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
2
DIENSTAG
1. November 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß bes rebattionellen Teils
Die Kamarilla
Gremium um Gayl
Wer sich an die Jahre zurückerinnert, die dem Zusammenbruch des faiserlichen Regiments vorangingen, der weiß, welche Rolle die unverantwortlichen Ratgeber. des Monarchen gespielt haben. Die Enthüllung der Liebenberger Tafel runde" unter dem Fürsten Eulenburg durch Marimilian Harden war eine der größten Sensationen dieser Epoche. Damals erfuhr die staunende Welt die Tatsache, daß neben der offiziellen Staatsleitung ein Kreis unverantwortlicher, persönlicher Freunde des Kaisers, ein Kreis, der obendrein noch sehr merkwürdige Beranlagungen aufwies, in Wirklichkeit die Geschicke Deutsch lands bestimmte.
Die Oberschicht des alten Preußen steht jetzt an der Spize des Staates, und schon ist die Liebenbergerei wieder da. Im Falle des Kabinetts Papen wird die Liebenberger Tafelrunde ersetzt durch den Deut schen Herren flub, wobei mir den Bergleich nur auf den politischen Ehrgeiz beider Kreise, die Regierung zu lenken, nicht auf die sonstigen Nebenerscheinungen ausdehnen wollen. Inspirator des Herrenklubs ist befanntlich jener Heinrich von Gleichen , dessen Briefe über die politischen Hintergründe der Papen- Regierung schon mehrfach die Deffentlichkeit beschäftigt haben.( ,, Das neue Kabinetf wird von Hitler nicht nur geduldet, es genießt sogar seine positive Unterftügung.") Im Folgenden geben wir einen Brief des Herrn von Gleichen wieder, der
an
einen ost preußischen Großgrundbesitzer gerichtet ist und der einen deutlichen Einblick in das Treiben der Nebenregierung gibt. Der Brief lautet:
Heinrich von Gleichen
Herausgeber
ber Konfervativen Wochenschrift
Der Ring
Berlin W9. 12. Oftober 1932. Euer Erzellenz
hatten mir zulegt Mitteilung gemacht, daß mir im Oktober wieder die Freude haben würden, Sie bei uns zu begrüßen. Inzwischen hat Herr Schotte eingehende Aussprache mit Herrn v. Gayl ge habt gerade über die Reichsreformfrage und äußerte sich darüber optimistisch. Insbesondere soll bei Herrn v. Gayl die Absicht bestehen, ein kleines Gremium von höchstens 10 geeigneten Persönlichkeiten zu bilden, wodurch der von mir vorgeschlagene Plan eines größeren Gre= miums überholt erscheint. München scheint ja auch so weit gut zu laufen.
Nachdem übrigens die Tätigkeit des Herrn v. Alvensleben feine wirklichen Erfolge ge= bracht hat, wie wir ja auch erwartet haben, foll der Wehrminister sich wieder ganz von ihm distanziert haben. Dagegen scheint die Berbindung mit dem Stahlhelm eine recht positive geworden zu sein, was wir nur begrüßen.
Unerfreulich find dagegen die Schwierig. teiten wegen der amtlichen Handelspolitik und zwar weniger weil die Opposition aus dem agrarischen Lager fich meldet, als vielmehr wegen der Reaktion beim Wirtschaftsminister, worauf ich auch in der letzten Spitzglosse des Ringes Außenpolitische Pause" hingewiefen habe. Ueberraschenderweise taucht das Gerücht. Herr D. Knebel Döberitz als Nach folger Brauns auf. Wie es heißt, hat sich Warmbold an den Wehrminister gewandt.
Leider hat bisher der Oberst v. Hinden burg mich nicht wieder empfangen, mobei ich noch nicht weiß, ob das auf einen Einfluß zurückzuführen ist. Den Kanzler hoffe ich in den nächsten Tagen zu sprechen. Wann werden Euer Exzellenz nach Berlin tommen?
Mit dem Ausdrud meiner Verehrung Ihr aufrichtig ergebener gez. Gleichen.
Man sieht hier die Macher am Werte, die
In der überfüllten Frankfurter Festhalle sprach, von 22 000 Menschen mit Freiheitsrufen und endfosem Beifall stürmisch begrüßt, der preußische Innenminister Carl Severing . An die Adresse des Reichstanzlers von Papen gerichtet, fagte Severing : Mit Kanonen und Maschinengewehren kann man viel zerstören, aber nicht produzieren. Ich warne dringend, den Bogen allzu straff zu spannen, er fönnte springen. ( Stürmischer Beifall.) Herr von Papen sch müdt sich allzu sehr und allzu oft mit dem Namen des Herrn Reichspräsidenten . Ich bereue auch heute noch feineswegs, daß wir Hindenburg gewählt haben, denn ohne den 10. April hätten wir den 13. August nicht erlebt.
In der Reichsverfassung gibt es nicht nur den Reichspräsidenten , fondern auch den Reichstag. Mit dem Reichspräsidenten allein kann man fein Deutschland aufbauen. Der breite Rücken Hindenburgs kann nicht alle falschen Maßnahmen Papens decken.
Gegen die Bezeichnung Streifbrecher", die in einem fommunistischen Flugblatt gegen Severing gebracht wurde, erwiderte er: Ich war eher auf der schwarzen Liste ale ftreitender Metallarbeiter, ehe Thälmann politisch zu wirten begann. Hätten wir am 20. Juli zum Generalstreit aufgefordert, so wäre das Generalunsinn und Generalschuld gewesen. Herr von Papen hat am Sonnabend in Gegenwart des preußischen Ministerpräsidenten Braun erklärt, daß heute die Ordnung weniger gesichert sei, als am 20. Juli. Wenn ich bei dieser Unterredung dabei gewesen wäre, hätte ich dem Herrn Reichs präsidenten vorgefchlagen, fich nach einem Reichs
Miẞlungen
WIRTSCHAFT
,, Kiek mal: dem is beim Ankurbeln die Kurbel zurückgeschlagen!"
nach allen Richtungen ihre Fäden spinnen. Der zu Anfang des Briefes genannte Schotte ist ein sehr betriebsamer Herr, der während des Krieges eine Bewegung für die Naumannsche Idee eines Mittel europa " zu organisieren versuchte, der dann aber immer weiter nach rechts geriet. Der weiter genannte Herr von Alvensleben ist der offizielle Borsigende des Herrenklubs. Man gewinnt aus dem Brief ein anschauliches Bild, wie diese Leute bei den offiziellen Staatsleitern herumwispern und herumwiefeln, wie sie in die Ohren blasen und die eigenen Ohren spizen: Herr Schotte unterhält sich mit Herrn von Gaŋl, Herr Don Alvensleben sucht Fühlung mit dem Reichswehrminister, der rührige Herr von Gleichen selber sucht Verbindungen zum
oberkommissar umzusehen, der die Aufgabe hätte, mäßige Staatsministerium gehindert, von den Herrn von Papen abzusehen.
Als Reichsinnenminister hätte ich eine Reich s= reform und zwar viel systematischer durchgeführt, wenn ich nur ein Quäntchen der Bollmachten gehabt hätte, die der Reichspräsident Herrn von Papen zur Verfügung gestellt hat. Den Zeitpunkt der Abrechnung bestimmen nicht Papen oder Thälmann , den bestimmen mir. ( Stürmischer Beifall.) Wie unsere Leute mit Bismard und Buttkamer fertig geworden sind, so werden wir auch mit Herrn von Papen fertig werden.
Endscheidungskampf!
Schroffe Absage Bayerns an Papen
Eigener Bericht des Vorwärts" Stuttgart , 1. November.
Der bayerische Ministerpräsident Dr. Held richfete am Montag in Stuttgart auf einer Zentrumsverfammlung die denkbar schärfsten Angriffe gegen das kabinett Papen wegen feiner neuesten Anordnungen im Konflikt mit Preußen.
Das Kabinett Bapen glaube offenbar, die großen Fragen der Verfassungs- und Reichsreform mit Notverordnungen lösen zu können, obwohl er felbst versprochen habe, sie nur im Einverständnis mit den Ländern durchzuführen. Das von Herrn v. Gayl verkündete Reformprogramm sei das Gegenteil einer föderalistischen Politik, wie sie das Kabinett zugesichert habe. Wenn er, Dr. Held, sich in dem Konflitt Preußen Reich auf die Seite des Ministerpräsidenten Braun stelle, so unterstütze er damit nicht eine Person oder Partei, sondern er folge nur dem Gedanken des Rechts und der Wahrhaftigkeit.( Lebhafter Beifall.) Man molle jetzt alle Macht in die Hände eines kleinen Kreises spielen, um das Volk von der politischen Mitbestimmung im Staate auszuschließen.
Wer gegen das Parlament fämpft, fämpft, gegen das Bolt, das sich eine Entrechtung nicht bieten lassen wird.
Die geplante staatsrechtliche Reform lehnen wir unbedingt ab. Um sich zu schützen, hat Bayern den Staatsgerichtshof angerufen. Wir bestreiten grundsäglich, daß ein Staatsfommiffar zu mehr berechtigt ist als zu mur vorübergehenden Anordnungen für Sicherheit, Ruhe und Ord nung. Niemals habe er das Recht, Regie: rungsmitglieder abzusetzen. Aber statt das einzusehen, sucht man mit Formeln der Gewalt sein Ziel zu erreichen.
Wenn man Reichsminister ohne Portefeuille ernennt und zu preußischen Staatskommissaren macht, so widerspricht das der Verfassung sowie dem Urteil des Staatsgerichtshofes. Denn auf diesem Weg wird das verfassungs
zum
Sohne des Reichspräsidenten und Reichskanzler von Papen. Bei Herrn von Gayl bildet sich ein kleines Gremium" von unverantwortlichen etwa zehn
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Ratgebern zur Reichsreform, nachdem man den Plan eines größeren Gremiums fallen gelassen hat. Mit diesem verborgenen Zehnmännerfollegium berät Herr von Gayl, auf welchen Wegen sich wohl am einfachsten das gleiche Wahlrecht und die Rechte des Reichstags beseitigen lassen. Ueberall wispert das, überall intrigiert das, überall schmiedet das Blänchen, während derweilen die Vertretung des Volkes, der zur Beratung der Regierungsfragen wirklich berufene Reichs= tag, ausgeschaltet ist. Genau wie zu Wilhelms Zeiten, oder vielmehr- meit flimmer!
ihm zuerkannten Rechten überhaupt Gebrauch zu machen. Eine solche Handlungsweise ist eine glatte Absage an den Gedanken des Rechtsstaates, ja sie ist seine Ver= höhnung. Dazu zu schweigen märe Pflichtverlegung, wäre Verrat am eigenen Staat, und deshalb ist die Stellungnahme der bayerischen Regierung erfolgt. Wer Gewalt anwenden und das Recht verlegen wolle, der muß mit dem schärfsten Widerstand rechnen, ob er nun Papen heiße oder anders.
Die Lage sei heute so ernst wie selten seit 1918. Man habe in Preußen Anordnungen getroffen, durch die die Grundlagen unserer Verfassung geradezu umzukehren versucht werden. Er, Held, habe das Kabinett Papen bisher nicht aus Opposition angegriffen, aber jetzt sei er
genötigt, öffentlich zum Kampf gegen dessen Maßnahmen aufzufordern.
Was ist aus denen geworden, die sich bisher in Berlin konservativ nannten? Sie handeln revolutionär, wenn sie das Recht mißachten und es als Zwirnsfäden verächtlich machen wollen. Es wäre wäre Pflicht des Reichsjustizministers, gegen solche Aeußerungen einzuschreiten. Sie sind auf die Dauer nicht erträglich. Gerechtigkeit und gleichmäßige Anwendung des Rechts müssen die Grundlagen des Staates bleiben, sonst hat der Rechtsstaat aufge= hört zu bestehen.( Stürmischer Beifall.)
Dr. Held löste die lebhaftesten Zustimmungsfundgebungen aus, als er die Unaufrichtigkeit des jetzt gegen die politischen Parteien geführten Kampfes aufdeckte. Die Parteien waren doch nicht schuld am Krieg, Zusammen= bruch und Inflation. Sie haben vielmehr das große Verdienst, diese unglückliche Zeit überwunden zu haben. Damals, als es galt, nationale Gesinnung durch die Tat zu beweisen, waren viele nicht zu sehen, die sich heute als national ausgeben. Damals hat man bei der Sozialdemofratie mehr staatspolitisches Berständnis gefunden als bei Hugenberg.( Stürmischer Beifall.)
Held schloß mit einem Appell, das Ringen am 6. November als einen Entscheidungstampf um die Volksrechte zu betrachten und durchzuführen.
Papens Tage gezählt!
Otto Wels in Königsberg Eigener Bericht des Vorwärts" Königsberg , 1. November, Im riesigen Raum des Hauses der Technik, der bis auf den letzten Platz besetzt war, sprach am Montagabend vor mehr als zwölftausend Männern und Frauen des arbeitenden Volkes der Führer der deutschen Sozialdemokratie Otto Wels . Er beleuchtete zunächst die außenpolitischen Gefahren, in die uns die Politik der Regierung Papen gebracht hat, und die Berderblichkeit der Autarkiepläne. Die Kontingentierungspolitik habe es erreicht, daß die ausländischen Abnehmer deutscher Waren sich immer mehr von Deutschland abwenden, daß statt Ankurbelung der Wirtschaft eine Steigerung der Arbeitslosigkeit in Deutschland eintrete, und daß, selbst wenn die Weltwirtschaft sich wieder belebt, Deutschland keinen Anteil daran haben wird. Wenn mun Herr von Papen, so führte Otto Wels unter stürmischem Beifall aus, die Steuern für die kommenden Jahre bis 1938 vorwegnehme und sie in Form von Steuergutscheinen in Höhe von einer Milliarde Mark in diesem Jahre und zwei Milliarden Mark im kommenden Jahre in die Industrie schütte, dann schaffe er damit feine neue Kaufkraft, keine Belebung der Wirtschaft, dann stehe am Ende das Gespenst der Inflation, Unter der stürmischen Zu stimmung der Versammlung machte Wels energisch Front gegen die Haltung der Papen- Regierung in dem Konflikt mit Breußen. In der Unterredung mit Dito Braun beim Reichspräsidenten habe Herr von Papen mit feinem Bort erwähnt, daß feine Regierung bereits eine neue Berordnungin