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BEILAGE

Vorwärts

Demokratie und autokratie ergste hinter uns haben, und daß wir uns rapide

Die Lehren der Geschichte

Von Theodor Mommsen  

" Freilich soll die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die Lehrmeisterin des laufenden sein; aber nicht in dem gemeinen Sinne, als könne man die Konjunkturen der Gegenwart in den Be­richten über die Vergangenheit nur einfach wieder aufblättern und aus denselben der politischen Diagnose und Rezeptierkunst die Symptome und Specifica zusammenlesen, sondern sie ist lehrhaft einzig insofern, als die Beobachtung der älteren Kulturen die organischen Bedingungen der Zivili­sation überhaupt, die überall gleichen Grund­kräfte und die überall verschiedene Zusammen­setzung derselben offenbart und statt zum gedanken­losen Nachahmen vielmehr zum selbständigen Nach­schöpfen anleitet und begeistert.

In diesem Sinne ist die Geschichte Cäsars und des römischen Cäsarentums, bei aller unüber­troffenen Großheit des Werkmeisters, bei aller ge= schichtlichen Notwendigkeit des Werkes, wahrlich eine schärfere Kritik der modernen Autokratie, als eines Menschen Hand sie zu schreiben vermag. Nach dem gleichen Naturgesez, weshalb der geringste Dr= ganismus unendlich mehr ist als die kunstvollste Maschine, ist auch jede noch so mangelhafte Berfassung, die der freien Selbst bestimmung einer Mehrzahl von Bürgern Spielraum läßt, unendlich mehr, als der genialste und humanste Absolu­tismus; denn jene ist der Entwicklung fähig, also lebendig, dieser ist, was er ist, also tot. Dieses Naturgesetz hat auch an der römischen ab­soluten Militärmonarchie sich bewährt und nur um fo vollständiger sich bewährt, als sie, unter dem genialen Impuls ihres Schöpfers und bei der Ab­wesenheit aller wesentlichen Verwicklungen mit dem Ausland, sich reiner und freier als irgendein ähn­licher Staat gestaltet hat. Von Cäsar an hielt das römische Wesen nur noch äußerlich zusammen und ward nur mechanisch erweitert, während es innerlich eben mit ihm völlig vertrocknete und ab= starb. Wenn in den Anfängen der Autokratie und vor allem in Casars eigener Seele noch der hoffnungsreiche Traum einer Vereinigung freier Boltsentwicklung und absoluter Herrschaft waltet, so hat schon das Regiment der hochbegabten Kaiser des Julianischen Geschlechts in schrecklicher Weise gelehrt, inwiefern es möglich ist, Feuer und Wasser in dasselbe Gefäß zu faffen. Cäsars Werk war notwendig und heilsam, nicht weil es an sich Segen brachte oder auch nur bringen konnte, sondern weil, bei der antiken, auf Stlaventum gebauten, von der republikanisch- tonftitutionellen Vertretung völlig abgewandten Volksorganisation und gegenüber der legitimen, in der Entwicklung eines halben Jahrtausends zum oligarchischen Ab­jolutismus herangereiften Stadtverfassung, die ab= jolute Militärmonarchie der logisch notwendige Schlußstein und das geringste Uebel war. Wenn

zu neuer Höhe erheben werden. ( Präsident Ho ober.)

Juli 1930: Die meisten Amerikaner wären außerordentlich überrascht, wenn sie wüßten, wie ausgezeichnet die Geschäfte gerade jetzt gehen.

( Mr. Reynolds, Bankier in Chikago, im Jahre des Heils 1930, notabene! als in Amerika   26 355 Banken faillierten.)

September 1930: Im Frühling 1931, da wird alles wieder in Ordnung kommen!

( Mr. Simson, Bankier in New York  .) Ottober 1930: In drei Monaten wird die Depression zu Ende sein.

( Mr. Raskob, Finanzsachverständiger der Demo­fratischen Partei.)

März 1931: Es sind jetzt wirklich gute Zeiten, leider wissen es nur wenige.

( Mr. Henry Ford.)

Mai 1931: Ein guter Besuch der Pferde­rennen ist der beste Beweis, daß die Wirtschaft gesundet.

( Mr. Peabody, Präsident der Vereinigung der Rennstallbesitzer in Illinois  .)

Mai 1931: Von welcher Depression sprechen Sie? Ich weiß nichts davon.

( Mr. Morgan, Bankier, als man von ihm hören wollte, was er über die Krise denkt.)

Januar 1932: Wir befinden uns in einer sehr ernsten Lage. ( Mr. Mellon.)

Dokumente der

Frankreich   erwache!

Auch in Frankreich   werden Schriftstücke im Borheimer Stil in vielen Exemplaren abgezogen und verbreitet.

Ein solches Zirkular trägt als Briefkopf den vielversprechenden Firmentitel: Parolenausgabe der Nationalen Miliz", und es ist auch danach:

Sehr geehrter Herr und Kamerad!

Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß die nötigen organisatorischen Vorbereitungen zur Schaffung einer Nationalen Miliz nunmehr ab­geschlossen sind. Die Nationale Miliz wird eine zivile Miliz sein, die sich für den Dienst an der Nation bereitstellt. Es handelt sich dabei nicht um eine politische Partei, sondern um eine streng militärische Organisation, um eine wirkliche, wenn auch irreguläre bewaffnete Armee, neben der regulären Armee."

Im gleichen Ton geht es weiter, um durchaus stilgerecht zu schließen: Es lebe Frankreich  ! Es lebe der französische   Fascio! Unser Ziel ist die Diktatur!

Gezeichnet: Douarin, Oberbefehlshaber der Nationalen Miliz."

Profit!

Der Popolo d'Italia", das parteioffizielle Leib und Magenblatt Mussolinis, veröffentlicht folgende Notiz:

,, Bei den Versammlungen der Arditi d'Italia ( Bund ehemaliger Frontkämpfer) in Trento  , trinit man aus Gläsern, die einer menschlichen Hirnschale nachgebildet sind und die Schädel der Feinde des Vaterlandes symbolisieren sollen.

Diese Becher fanden bisher bei allen, die sie zu

einmal in Virginien   und den Carolinas die Alice Ekert Rothholz:

Stlavenhalteraristokratie es soweit gebracht haben wird wie ihre Wahlverwandten in dem Sullani­schen Rom, so wird dort auch der Cäsarismus vor dem Geist der Geschichte legitimiert sein; wo er unter anderen Entwicklungsverhältnissen auf­tritt, ist er zugleich eine Frage und eine Usurpation."

( Aus: Römische Geschichte", Dritter Band.)

Die Propheten von USA  .

Eine Typomontage

Von Mira von Hollander- Munkh

In USA  . ist der Wettlauf um die Präsidentschaft ins Endstadium ge­treten. Da ist es ganz nützlich, sich ein­mal an allerlei Vorhersagen, Prophetien und Orakeleien zu erinnern, wie sie weltberühmte amerikanische   Wirt­schaftsführer und Staatsmänner im Laufe der Krisenzeiten von sich ge­geben haben.

September 1928: Es liegt für uns keiner­lei Grund vor, uns zu beunruhigen. Die Welle der Prosperität wird weiter andauern.

( M. Mellon, damals Schazsekretär, heute Ge­sandter in London  .)

September 1929: Die Grundfesten unse­res ökonomischen Lebens ruhen auf einem festen und glückverheißenden Fundament.

( Präsident Hoover.)

November 1929: Es hat durchaus den Anschein, als ob unsere Industrie neue Arbeits­Präfte heranzuziehen genötigt wäre und also die alten unmöglich entlassen kann.

( Mr. Legge vom Aderbauministerium.) Dezember 1929: Die Situation stellt sich wesentlich günstiger dar als im vorigen Jahr. ( Mr. H. For d.)

Februar 1930: Noch im Laufe der nächsten 60 oder 90 Tage wird unser Land zu völlig nor­malen Zuständen und auf seine normalen Grund­lagen zurückfinden.

( Arbeitsministerium des Staatenbundes.)

März 1930: In zwei Monaten wird alles wieder völlig normal geworden sein. ( Mr. Lamont, damals Handelsminister.) Mai 1930: Ich bin überzeugt, daß wir das

Zeit

Gesicht bekamen, soviel Antlang und Beifall, daß man sich entschlossen hat, sie in den Handel zu bringen.

Wer diese hochoriginellen Trinkgefäße sein eigen nennen will, wende sich an die Trentiner   Seftion der Arditi."

Spigelei en gros. Folgendes Rundschreiben ist den Inhabern aller größeren Betriebe in Frankreich  auf den Tisch geflattert:

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Sehr geehrter Herr!

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Ich erlaube mir, Ihnen mitzuteilen, daß ich eventuell in der Lage wäre, genaueste Nach­forschungen über das Privatleben Ihres Personals anzustellen.

Diese Nachorschungen würden für Sie sicher von Nutzen sein und Ihnen Schutz gegen Taft­losigkeiten und Indiskretionen, deren sich viel­leicht auch einige Ihrer Angestellten schuldig machen, gewähren. Als Pauschalpreis für jede einzelne Recherche schlage ich Ihnen 30 Frank ( ungefähr 4,80 M.) vor.

Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie von meinem Anerbieten Gebrauch machten. Stets gerne zu Ihren Diensten.

In Frankreich  ( nur in Frankreich  ? Nein, nicht nur in Frankreich  !) entwickelt sich diese Art Spigelei zu einem immer besser ausgebildeten Zweig der privaten Auskunfteien.

Es war noch immer so: nur ein ganz fieiner Schritt trennt den Spizel vom Provokateur! Und wer wollte angesichts solcher Praktiken noch behaupten, daß dem Verkäufer der Ware Arbeits­kraft auch nur das kleinste Stückchen Privatleben unangetastet bleibe.

Die Parabel von den Redakteuren

Eine Zeitung vergab einen leitenden Posten.

Die Redakteure strömten von Westen und Osten..

Sie füllten das ganze Geschäftslokal.

( Die Zeitung persönlich war liberal.)

Die Verlagsgötter lächelten im Chor...

Dann trat der erste Bewerber hervor:

,, Meine Herren, was braucht eine Zeitung von Fleisch und Blut?

Sie braucht Mut.

Ich klebe allen die Faust in die feige Miene!

Ich bin ein Löwe mit Schreibmaschine!"

Der Obergott sprach: ,, Herr, wir brauchen keine Löwen in unserm Laden.

Erstens bin ich selber mutig-

Und zweitens kann Mut heutzutage nur schaden... Wir sind liberal, vastehnse?"

Da lachten die Herren im schaurigen Chor... Dann trat der zweite Bewerber vor:

,, Meine Herren, eine gute Zeitung braucht erstmal: Grütze.

Die Klugheit ist ihre mächtigste Stütze.

Ich schlage nicht blind und taub mit der Keule!

Ich bin weise... Ich bin eine Presse- Eule!"

Der Obergott sprach: ,, Herr, wir brauchen keine Eule in unserm Laden. Erstens bin ich selber allwissend

Und alles zu wissen kann heut nur schaden... Wir sind liberal, vastehnse?"

Da lachten die Herren im schaurigen Chor... Dann trat der dritte Bewerber vor:

Was braucht eine Zeitung täglich aufs Neue? Meine Herren, sie braucht: Treue.

Ich bin weder Löwe noch Eule... Meine Leitartikel glänzen nicht bunt. Aber ich diene dem Werke! Treu wie der Hund!"

Der Obergott sprach: ,, Herr, wir brauchen keinen Hund in unserm Laden. Ein Hund bin ich selber

Und Treue kann heut dem Geschäft bloß schaden... Wir sind liberal, vastehnse?"

Da lachten die Herren im schaurigen Chor... Dann trat der letzte Bewerber vor.

Er sprach nur vier Worte: Ich kann mich drehn...!"

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Der Mann durfte sofort an die Arbeit gehn.

DONNERSTAG, 3. NOV. 1932

Reaktion und Revolution

Don Macaulay

Die Revolution von 1688 war unsere letzte Revolution, und dies ist das größte Lob, das über sie ausgesprochen werden kann. Seit mehreren Menschenaltern hat kein meijer, patriotischer Eng­länder auf Widerstand gegen die bestehende Re­gierung gesonnen. Jeder ehrliche, denkende Mensch hegt die durch tägliche Erfahrung bestärkte Ueber­zeugung, daß die Mittel, alle von der Verfassung erheischten Reformen ins Werk zu sehen, in der Verfassung selbst zu finden sind.

Wir sollten jetzt mehr als je einsehen, wie be= deutungsvoll der Widerstand war, den unsere Vorfahren dem Hause Stuart leisteten. Rings um uns her wird die Welt von den Zuckungen großer Nationen erschüttert. Regierungen, die noch unlängst jahrhundertelang bestehen zu sollen schienen, sind plöglich erschüttert und gestürzt wor­den. Die stolzesten Hauptstädte des westlichen Europa   sind mit Bürgerblut bespritzt worden. Alle schlimmen Leidenschaften, Habgier und Rache­durst, Ständehaß und Rassenfeindschaft, haben sich der Gewalt göttlicher und menschlicher Ge= seze entrissen. Furcht und angstvolle Besorgnis erfüllen die Herzen von Millionen und sind auf ihren bekümmerten Gesichtern zu lesen. Der Ver­tehr ist gelähmt, die Industrie gehemmt. Die Reichen sind arm, und die Armen ärmer ge= worden. Lehren, die jeder Wissenschaft und Kunst, jedem Gewerbefleiß und häuslichem Glück feind= lich, Lehren, die, wenn sie zur Ausführung kämen, in dreißig Jahren alles, was dreißig Jahrhunderte für das Menschengeschlecht getan, zerstören und die schönsten Provinzen Frankreichs  und Deutschlands   in einen so rohen Zustand ver­setzen würden, wie Kongo   oder Patagonien, sind von der Rednerbühne verkündet und mit dem Schwerte   verteidigt worden. Europa   ist in Ge­fahr gewesen, von Barbaren   unterjocht zu werden, im Vergleich mit denen die Barbaren, welche einst unter Attila   und Alboin   herein­brachen, aufgeklärt und human waren. Die wahren Freunde des Volks haben mit tiefem Kummer gestanden, daß noch kostbarere Güter, als die politischen Rechte, in Gefahr waren, und daß die Notwendigkeit eintreten könne, sogar die Freiheit zu opfern, um die Zivilisation zu retten. Unterdessen ist auf unserer Insel der regelmäßige Gang der Regierung auch nicht einen Tag unter­brochen worden. Die wenigen ruchlosen Menschen, denen es nur um gesegloses Treiben und Plünde rung zu tun war, haben nicht den Mut gehabt, einer um den angestammten Thron dichtgescharten, starken, biedern Nation feindlich entgegenzutreten. Und wenn man uns fragt, woher dieser Unter­schied zwischen uns und anderen, so antworten wir, daß wir nie verloren haben, was andere ungestüm und blindlings wieder zu erringen suchen. Wir hatten im sieben­zehnten Jahrhundert eine erhaltende Revolution, und deshalb haben wir im neunzehnten feine zerstörende Revolution gehabt. Wir hatten die Freiheit mitten in der Knechtschaft, und deshalb haben wir die gesetz­liche Ordnung mitten in der Anarchie. ( Aus: Die Geschichte Englands.")

Betrogene Jugend

Von Josef Arndt

Albert Lamm  , der seit 1926 als Zeichen­lehrer in den Erwerbslosenkursen der Jugend in Neukölln wirkt, zeigt in seinem Buche Be= trogene Jugend"( Verlag Bruno Cassirer  , Berlin  ) die ersten Anfänge des Jugendamts, der rwerbslosen Jugend wenigstens für einige Stun den am Tage ernste Arbeit zu vermitteln.

Erst steht die Jugend diesem Beginnen ab= lehnend gegenüber, begreift aber später den hohen Wert der Beschäftigung. An Hand zahlreicher Bei­spiele schildert Lamm die Psyche der erwerbslosen Jugend und die materielle Not, die oft unbewußt zum Verbrechen führt. Nicht als ob das Eigentum nicht geachtet würde; im Gegenteil, überraschend viele bleiben trog Hunger dauernd von innerster Ehrlichkeit beherrscht. Aber menn ein Junge zu ihm sagt: Wat woll'n Se, Herr Lamm; meine Mutter sacht: bring Jeld nach Haus; wo det her= nimmst is ma ejal," so ist das der Aufschrei einer gequälten Jugend. Oder wenn ein Sechzehnjähriger, der einen Stiefvater hat, erzählt, daß er sich mit seinen paar Mart allein ernähren muß, und wenn das Geld alle ist, dann muß er am gedeckten Tisch mit hungrigem Magen zusehen, wie es den an= deren schmeckt, er aber bekommt nichts, dann sind das grauenhafte Zustände, die unsere Jugend demoralisieren müssen. Der Verfasser wendet sich dann mit Entschiedenheit gegen die jetzt vom Ar­beitsamt geförderten Kurse, die den Jugendlichen nur drei Monate die Teilnahme gestatten. Gerade die Jugend, die keine Unterſtügung bekommt, steht nach dieser Zeit erneut dem Hunger gegenüber. Hier muß ein Ausweg gefunden werden.

Wenn das Werf auch nur einen Ausschnitt aus der Arbeit des Jugendamts Neukölln gibt, dürfte es dennoch ein guter Ratgeber für jene sein, die das Los der erwerbslosen Jugend andern helfen wollen.

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