ZWEITE BEILAGE
FREITAG, 4. NOV. 1932
(Copyright Saturn-Verlag.)
Der Lärm der Maschinen tat ihm wohl. er sprach mit den Arbeitern, Werk- führern, technischen Gehilfen, überprüfte Roh- Materialien und Fertigprodukte, schimpfte mit den Sortiererinnen und ging siegesgewiß mit Hanau wieder in sein Kontor Die Zeich- ner arbeiteten noch immer mit Zirkel und Linealen, noch immer saß Susi vor ihrer Maschine und klapperte, und der Prokurist Lechner legte eben wieder neue Briefmappen auf den Tisch des Chefs. „Es geht vorwärts, Lechner", sagte Welt- lin und blätterte in den Mappen. „Unser Auftragsbestand ist zu groß, wir können nicht alles machen", sagte Lechner und kritzelte Zahlen auf ein Blatt Papier . „Wir werden alles machen, beruhigen Sie sich", lächelte Weltlin und Hanau rief mit heller Stimme: „Wir können das doppelte Quantum leisten. Keiner kann uns nahe kommen!" Um elf Uhr erschien Crusius, angestaunt und viel bewundert. Im Augenblick war das Zimmer von allen Mitarbeitern frei. Als letzte verließ Susi den Raum. Crusius nickte ihr zu und Susi nahm mit Aerger wahr, daß Röte in ihre Wangen getreten war, doch das konnte man wohl gar nicht mehr gesehen haben. „Ich danke dir sehr, daß du gekommen bist", sagte Weltlin.„Die Herren vom Trust haben sich angesagt, es war mein dringender Wunsch, daß du dieser Unterredung bei- wohnst, sie werden wohl in einer dringenden Sache kommen und ich vermute, daß es sich darum handelt..." „Wir wollen keine Vermutungen anstellen, wir werden ja in wenigen Minuten hören, was die Herren wollen. Ich weiß nur nicht, warum du Wert auf meine Anwesenheit legst, ich verstehe nichts von geschäftlichen Dingen." „Es stärkt meine Position, wenn man weiß, daß du hinter mir stehst und ich habe Grund zu der Annahme, daß dieser Besuch mehr dir gilt als mir." Die beiden Herren, die kurze Zeit darauf das Zimmer betraten, waren Generaldirektor A�ler und der Syndikus des Trusts. Sie waren erstaunt, als sie Crusius vorgestellt wurden, und selbst der gewandte General- direktor war ein wenig befangen in des großen Mannes Nähe. „Wir find sehr glücklich, daß Herr Crusius dieser Unterredung beiwohnt", begann Ahler mit nicht ganz sicherer Stimme,„wir wer- den vielleicht rascher zum Ziele gelangen." Dann fuhr er fort:„Es handelt sich für uns in erster Linie darum, zu einer Verständi- gung zu kommen. Wenn ich mir gestatte, die Lage unserer Industrie zu präzisieren, möchte ich zunächst feststellen, daß sie heute für alle beteiligten Kreise, mit der einzigen Aus- nähme des Weltlinschen Werkes, eine lata- strophale geworden ist. Ich bin nicht hierher gekommen, um Diplomatie zu betreiben, und ich begebe mich vielleicht aller meiner Waffen, aber ich möchte die Dinge bei ihrem Namen nennen. Die Crufiussche Erfindung hat Ihren Fabrikaten, Herr Weltlin, eine Vormachtstellung eingeräumt, die nicht zu be- seitigen ist. Sie erzeugen heute um etwa dreißig Prozent billiger als wir. Wir kom- men nicht mit. Unsere Fabrikate sind un- rentabel geworden, mehr noch: Sie sind nicht mehr konkurrenzfähig und können es auch in nächster Zukunft nicht werden." Ahler schwieg. Er saß auf seinem Sessel wie ein Schüler, gerade und aufrecht. „Ich wüßte nicht, was ich dagegen tun könnte", meinte Weltlin und er entsann sich, daß er vor noch nicht allzulanger Zeit diesem Manne gegenübergesessen war— nur waren heute die Rollen vertauscht. „Wir haben die Lage eingehend beraten", sagte der Generaldirektor,„und sehen nur eine Lösung, die wir Ihnen vortragen wollen. Wenn es nicht zu einer Lahmlegung unserer gesamten Industrie kommen soll, müssen wir ein Preis- und Absatzkartell schließen." „Wenn Sie sich meinen Preisen fügen..." „Dann brauchen wir kein Kartell", warf rasch der Syndikus ein. „Immerhin bliebe noch die Möglichkeit des Produktionskartells. Ueber den Schlüssel könnte man sich gewiß leicht einigen." „Sehr liebenswürdig, daß Sie mir gewisse Vorteile in Aussicht stellen", erwiderte lächelnd Weltlin,„aber wir können ohne große Anstrengung den gesamten Bedarf decken." „Das heißt also offene Kriegserklärung, Herr Weltlin", warf der kleine, lebhafte Syndikus ein.
„Ich erkläre nicht Krieg, meine Herren, ich ziehe nur die Schlußfolgerungen", erwiderte ruhig der Fabrikant und blies Rauchringe von sich. „Haben Sie auch bedacht, Herr Geheim- rat", fragte Ahler und wandte sich mit leichter Verbeugung zu dem berühmten Mann,„daß durch Ihre Erfindung eine ganze Industrie vernichtet wird?" Crusius schwieg eine Weile und sagte dann:„Ich kann durchaus nicht sehen, daß
eine Industrie vernichtet wird. Dieselben Produkte werden doch nach wie vor erzeugt, nur von anderen Händen." „Das ist es eben. Zwanzig Fabriken werden ruiniert, damit eine leben kann." „Also nicht die Industrie wird durch meine Erfindung ruiniert, sondern nur einige Industrielle." „Nicht einige— sondern alle, bis auf einen!" rief der Syndikus, stand auf, ging ein paarmal erregt durchs Zimmer, sagte dann:„Verzeihung, meine Herren", trank ein wenig Wasser und nahm wieder Platz. „Haben Sie bedacht, meine Herren, welche Wirkung Ihre Weigerung auch in sozialer Hinsicht haben wird?" „Seit wann sprechen Sie von sozialen Wirkungen, Herr Generaldirektor?" fragte ein wenig sarkastisch Weltlin, aber Ahler fuhr fort:„Ich möchte Sie auch mit unseren Be- schlüssen vertraut machen für den Fall, daß unsere Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen sollten. Wir wären in diesem Falle
gezwungen, unsere Fabriken an einem Tage zu schließen." „Ja?" fragte Weltlin und er konnte es nicht verhindern, daß seine Stimme einen freudigen, triumphierenden Ton annahm. „Das würde heißen, daß die sechstausend Arbeiter, die wir im Verband vereinigten Firmen beschäftigen, brotlos würden." „Aber die gesamte Produktion fällt dann an mich", warf Weltlin rasch ein,„wir könnten dann neue Leute einstellen." „Unsere Berechnungen ergaben, daß Sie, Herr Weltlin, um den ganzen Bedarf zu decken, kaum tausend neue Arbeitskräfte be- nötigen würden, da Ihre neuen Maschinen die sechsfache Kapazität der unseren haben. Es blieben also noch immer fünftausend Fa- milien, die rettungslos dem nackten Elend preisgegeben wären." „Ihr sozialer Sinn ehrt Sie, Herr Ge- neraldirektor, aber glauben Sie nicht, daß Ihre Argumentation eher die eines Gewerk- schaftsführers ist? Sie �sprachen nicht im-
mer so!"
(Fortsetzung folgt.)
SBweimal arbeitslos dlleine Skisse aus dem£eben/ Von Wtargarethe dilapprolh
i. Vor einem Krankenhaus warten Arbeitslose. Es ist gegen Mittag. Sie stehen geduldig in einer langen Reihe, die Vordersten sind schon eine Stunde da. Es ist kalt, der Wind weht. Man bekommt hier warmes Essen. Eine Blechdose voll. Lieschen läuft'das Wasser im Mund zusammen. Wenn sie auch so eine Dose voll bekäme, aber es sind schon zuviel Leute vor ihr. Vornedran steht Fritz. Er winkt ihr ab.„Viel zu spät!" Sie nickt nur traurig.„Komm gerade vom Stempeln", sagt sie,„Hänschen ist krank und Mutter hat soviel zu tun." Sie ist blaß vom Frieren, könnte richtige Schuhe brauchen, ohne Löcher in den Sohlen, und eine warme Jacke oder sowas. Das sieht Fritz. Er weiß auch, daß sie nächste Woche Geburtstag hat. Sonst hat er ihr immer was geschenkt, sie ist doch seine Freundin. Aber jetzt langt es zu gar nichts mehr. Keine Arbeit. Er seit vorigem Herbst, sie seit Frühjahx. Keine Aus- ficht auf Besserung. Der Winter vor der Tur. Notverordnung. Abbau. Wovon, glauben die Herren, können die Arbeiter leben? Sollen sie verrecken? Er ist verbittert. Sieht gar nicht, wie nett Lieschen ihre Locken gedreht hat und wie sie ihn anlächelt. Aber als sie ihm die Hand drückt und gehen will, tätschelt er ihren Arm.„Bleib man. Mächen, langt ooch für beede", sagt er, und sie bleibt wartend bei ihm stehen. So kalt ist es und zu Hause ist kein Feuer. Wenn sich Hänschen bloß nicht aufdeckt! Eigentlich hat sie keine Zeit, hier zu warten, muß nach Hause, kochen, aufräumen. Das Zimmer vom Mieter ist auch noch nicht gemacht. Aber sie hat so schrecklich Hunger! Sie starrt auf die Tür, ob man noch nicht hin- eingelassen wird. Dabei spürt sie in der Tasche das Stempelgeld, hat einen harten Taler in der Hand. Da könnte sie sich mit Fritz tüchtig satt- essen. Aber Mutter würde sie verprügeln. Meint es ja nicht schlecht, die Arme. Muß die ganze Familie ernähren. Den arbeitslosen Vater und die kleinen Geschwister. Sie näht Mäntel für die Konfektion. Den ganzen Tag, die halbe Nacht. Aber sie hungern alle. Zum Glück konnten sie ein Zimmer vermieten, sonst lägen sie auf der Straße. Im anderen Zimmer wohnen sie, kochen, waschen. Mutter sitzt am Fenster. Unaufhörlich rattert die Nähmaschine. Man könnte gut das vermietete Zimmer brauchen, besonders das Bett. Früher schlief Karl darin, er liegt nun auf dem Sofa. Willi, der Vierzehn- jährige, muß bei Lieschen schlafen, und Mutter nimmt Hänschen zu sich. Wie soll es nun wer- den, wenn das Kleine kommt? Manchmal hat Lieschen Angst. Mutter ist so aufgeregt, schimpft und schlägt die Kinder ohne Grund. War immer so gut, aber sie weiß sich in ihren Sorgen keinen Rat mehr. Es war schreck- lich, als sie entdeckte, daß sie in Hoffnung ist. Sie schüttelte den Vater an den Schulter», daß er taumelte.„Du bist daran schuld", schrie sie,„soll ich ins Zuchthaus oder soll ich das elende Wurm lebendig verhungern lassen?" Ihr Gesicht war verzerrt und ihr« Augen glühten im Fieber. Sie warf sich in ihrer Verzweiflung auf das Bett und arbeitete nicht mehr. Am Ende der Woche bekam sie viel weniger Lohn als gewöhnlich. Da raffte sie sich auf, sprach kein Wort mehr über die Sache und arbeitete weiter. „So ein Hundeleben!" schimpft Fritz, und Lies- chen schrickt aus ihren Gedanken auf.„Da steht man und bettelt um einen Topf Essen . Hätte man doch nich nötig, wenn man Arbeit hätte. Und andere schmeißen das Geld für Dreck auf die Straße." Das Tor wird geöffnet. Man drängt hinein. Lieschen verliert Fritz aus dem Blick. Wartet.
Wie er zurückkommt, hat er eine Dose Reis. Der heiße Dunst steigt Lieschen in die Nase. Sie lächelt. Fritz strahlt.„Nu man los!" Abwechselnd schieben beide oen Löffel in den Mund. Das ist ein gutes Gefühl, wenn sich der Magen füllt. Warm wird einem dabei. Lieschen ist schon guter Dinge.„Weißt du", sagt sie,„es wird schon anders werden, wir sind noch jung, es geht doch vielen von uns so. Wenn wir erst wieder Arbeit haben..." Fritz winkt ab.„Verdirb mir nich'n Appetit." Sie essen schweigend zu Ende, kratzen mit dem Lössel die Schüssel aus. Lieschen wischt mit der Hand über den Mund.„War fein", sagt sie und sieht ihn zärtlich an. Ihre Hand streift über seinen Arm.„Muß rasch heim. Wiedersehn!" Draußen weht der Wind. Lieschen rennt die Straße lang. Ist froh, wie sie in den Torbogen biegt. Geht den Torweg entlang durch die Höfe. Im vierten wohnt sie. Es riecht muffig. Nach Küchendunst, Kerichteimern. Grau das holprige Pflaster, grau die alte Mietkaserne. Schmutzige Flecke, wo der Mörtel abbröckelt. An den Fenster- stricken Wäsche. Lieschen möchte auch mal in einem hellen. freundlichen Haus wohnen und von dort auf die Straße sehen können. Wenn sie denkt, wie elend ihr Fritz untergebracht ist in einem Raum beim Keller, ohne Fenster! Sie springt die enge Treppe hinauf, die Bretter knarren, es ist düster. Es stinkt nach gekochtem Kohl und nach Abort. Widerlich. Lieschen klinkt«ine der Türen auf. Die Mutter steht am Herd. „Wo bleibst du so lang?" fragt sie heftig. Aber ihr Blick ist voll Sorge und ihre Hand langt schon nach einem Teller, den sie mit Suppe füllt. Lieschen ist traurig, wie sie die hochschwangere Frau sieht mit dem blassen, abgehärmten Gesicht. Dort bei der Nähmaschine liegt ein neuer Stoff- ballen. Gleich wird Mutter wieder dort sitzen... II. Die Cafes am Kurfürstenoamm sind vollbesetzt. Man trinkt und nascht, liest Zeitung, raucht. flirtet, langweilt sich. Geschminkte Damen, platin- blond, grellrote Lippen, grellrote Fingernägel. Schmerbäuche mit protzigen Uhrketten. Blasierte Dandys mit tadellosen Bügelfalten, manikürten Händen. Studenten in Couleur, Schmisse im Ge- ficht. Die Kapelle im Frack spielt Militärmärsche. Was soll man tun? Die Sommerreisen sind vorbei. Für Autotouren ist es zu kalt. Zum Wassersport ebenfalls. Die Wintersaison hat zwar auch ihre Reize. Abendgesellschaften, Bälle. Man bereitet sich darauf vor, geht zum Schneider, be- sucht die Modesalons, läßt sich kostbare Toiletten vorführen. Beneidet gelegentlich die Mannequins um ihre schönen Figuren. Praktisch ist so ein Salon. Alles kann man dort haben. Raffinierte Nachthemden, elegante Pyjamas, Morgenkleider, Vor-, Nachmittagskleider, Tee- und Tagesend- kleider, kleine, große Abendkleioer. Dazu die passenden Mäntel, Hüte, die passenden Juwelen, all der entzückende, modische Kleinkram. Man braucht nur wählen und kaufen. Ein« Stunde später bringt es der Boy in die Wohnung.
Ach ja, aber ein bißchen langweilig ist es doch. Man liegt zu Haufe auf der Couch, liest Romane, knabbert Konfekt, raucht, erwartet Besuch. Oder man geht zum Fünfuhrtee. Dort trifft sich die elegante Welt, man sieht bekannte Ge- sichter. Tanzt dort mit einem Freund. Man ist ja noch jung, erst dreißig. Hochblondine. Sehr stolz darauf. Trägt mit Vorliebe Pastellblau und Moosgrün. Schwarz nur zum Reiten. Parfüm: narcisse noire. Der Mann bewundert einen, ja. hat aber keine Zeit. Börse, Konferenzen, Reisen, vielbeschäftigt. Vorige Woche hat er ihr einen neuen Wagen geschenkt. Benz. Schmissig« Form, aber die Farbe einfach unmöglich. Er hat nicht ihr helles Blond berücksichtigt. So sind die Männer! Sie seufzt und nippt von dem süßen Wein aus dem Spitzkelch.„Es ist doch langweilig, Lieber, wie?" flüstert sie. Er wirft einen Blick in den Spiegel auf sein peinlich frisiertes Haar:„Ich denke an St. Moritz : nach Weihnachten werden wir dorthin fahren." St. Moritz— ach!" Sie strahlt:„Dort hat man den ganzen Tag zu tun. Weißt du noch, das Bobrennen voriges Jahr? Und die Skitouren? Und abends Tanz. Man kommt nicht zu Atem!" Gnädige Frau versinkt in Nachdenken. St. Moritz. Teuer und schön. Nur beste Gesell- schast. Mitten im Winter Hochsommerwärme. Auf dem Eis wird serviert. Musik spielt. Kellner auf Schlittschuhen flitzen durch die Tischreihen. Ach, das Leben ist schön..... „Eine kleine Gabe, Herrschasten!" Sie schrickt aus ihren Gedanken auf. Neben dem Tisch steht ein Mann, dreht die Mütze in den Händen. Hat nicht>mal einen Kragen um. „Bin arbeitslos, bekomme keine Unterstützung." Gnädige Frau sieht hilflos ihren Freund an. Der betrachtet angelegentlich seine weißen, schmalen, manikürten Hände und räuspert sich nervös. Da kommt auch schon der Ober und führt den Eindringling weg. Die gnädige Frau seufzt.„Daß so ein In- dividuum hier überhaupt rein kann!" raisonniert der Herr. Die Musik spielt. Tanzende Paare in matter Beleuchtung. Parfüm und Zigarettendust. Gedämpftes Lachen. Gläserklingen. Gnädige Frau hat mitleidig« Züge im Gesicht und ein wenig feuchte Augen. Senkt langsam die gemalten Lider. Und weiß, daß sie so ihrem Freund besonders gefällt.
Alto fprach... Katharina von Medici (1519— 1589), Königin von Frankreich und von der Bartholo- mäusnacht her als Festarrangeurin weltberühmt, muß auch schon allerhand von Wirtschaftsankurbe- lung verstanden haben. Denn in einem Kreis gelehrter und staatskluger Männer äußerte sie einst:„Es bedarf nur einer guten oder bösen Nachricht, der man drei Tage Glauben schenkt, um ein ganzes Reich zu verderben oder zu retten."