Morgen- Ausgabe
Nr. 521 A 255 49. Jahrg.
Wählt Liste 2
Vorwärts
Sozialdemokraten
FREITAG
4. November 1932
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin
BERLINER
VOLKSBLATT
WERBE NUMMER
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Beutschlands
BVG.- Schiedsspruch verbindlich
Manteltarif unverändert verlängert- Lohnsenkung 2 Pfennig
Gestern abend 10 Uhr ist vom Schlichter Amtsgerichtsrat Dr. Heuer der vom Schlichtungsausschuß gefällte Schiedsspruch im Konflikt bei der BVG. für verbindlich erklärt worden.
Den Beratungen der Schlichtungskammer, die gestern nachmittag unter Vorsitz des Gewerberates Körner über den Konflikt bei der BVG. zu entscheiden hatte, gingen nur verhältnismäßig furze Vorverhandlungen zwischen den bisherigen Tarifparteien voraus.
Der Vertreter der Direktion der BVG. bean= tragte die Erhebung des Angebots, das die BVG.Belegschaft in ihrer Geheimabstimmung abgelehnt hat, zum Schiedsspruch. Von den Gemertschaftsvertretern wurde zunächst darauf hingewiesen, daß mit der Gleichstellung der Verkehrsarbeiter mit den städtischen Werksarbeitern im Stundenlohn noch keine Gleichstellung hinfichtlich der Wochenverdienste erfolgt sei, Da
bei der BBG. eine viel fürzere Arbeitszeit als bei den städtischen Werken
bestehe. Es müsse weiter berücksichtigt werden, daß die Verkehrsarbeiter einen viel höheren Beitrag zur Ruhegehaltstasse, ein Teil des Personals der Hoch- und Untergrundbahn sogar bis zu 9 Proz. des Einkom mens zu zahlen haben. Ein großer Unterschied zwischen dem von der Belegschaft abgelehnten Angebot der Direktion und der jüngsten Regelung der Entlohnung der städtischen Arbeiter sei auch der, daß das Lohnabkommen für die städtischen Arbeiter bis zum 28. Februar befristet sei, das Abkommen für die Verkehrsarbeiter jedoch von Monat zu Monat kündbar sein sollte. Die Gewerkschaften verlangen, daß
die alten Löhne bis zum 28. Februar weitergezahlt
werden und daß der Manteltarifvertrag, über den bisher noch keine Einigung zwischen den Parteien erzielt werden konnte, unverändert ein Jahr, also bis zum 30. September 1933 weiterläuft. Die Unterhändler der Gewerf. schaften betonten, daß die Erregung unter den Verkehrsarbeitern zum großen Teil auch darauf zurüdzuführen sei, daß bis jetzt infolge des Ver haltens der Direktion noch keine Klarheit über die zukünftige Regelung der im Manteltarifvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen geschaffen worden ist.
Den Argumenten der Gewerkschaftsvertreter wurde von der Direktion entgegengehalten, daß die BVG. infolge ihrer wirtschaftlichen Lage zu diesem Lohnabbau gezwungen sei.
Es müffe etappenweise die in der Notverordnung vorgeschriebene Angleichung der Löhne der Verkehrsarbeiter an die der Reichsarbeiter erfolgen!
Die BVG habe in diesem Jahr mit einem Fehlbetrag von 8 bis 9 Millionen Mark und im nächsten Jahr mit 15 bis 16 Millionen Mark(?!) zu rechnen Der Abbau der Löhne sei also im Interesse des Betriebes unbedingt notwendig.
Da eine Ueberbrückung der Gegensätze nicht zu erzielen war, trat die Schlichtungskammer zu ihren Beratungen zusammen. Nach zweieinhalbstündigen Verhandlungen fällte der Schlichtungsausschuß einen
Schiedsspruch
der im wesentlichen folgendes befagt: Der bisherige Manteltarif, über dessen Neuabschluß infolge der Verschlechterungsanträge der Direktion noch feine Berständigung erzielt werden fonnte, wird unverändert bis zum 31. März 1933 verlängert. Er läuft jeweils um ein Jahr weiter, wenn er nicht sechs Wochen vor seinem Ablauf gekündigt wird. Hinsichtlich der Neugestaltung der Löhne bestätigt der Schiedsspruch das Verhandlungsergebnis, über das den Verkehrsarbeitern abgestimmt worden ist. Es werden dem
Don
nach in allen Gruppen die Löhne um 2 Pf. gesenkt mit Ausnahme der Fahrkartenverkäuferinnen, deren Löhne bestehen bleiben. Das Lohnabkommen soll mit Monatsfrist fündbar sein.
Nach Verkündung dieses Schiedsspruches wur den die Tarifparteien zu 29 Uhr abends zum Schlichter für Groß- Berlin bestellt.
Die Vertreter der Gewerkschaften lehnten den Schiedsspruch ab. Sie erklärten von der angebotenen Erklärungsfrist feinen Gebrauch machen zu wollen, da sie jeden Schiedsspruch, der • einen Lohnabbau vorsieht, ablehnten.
Demgegenüber erklärten sich die BVG.- Vertreter zur Annahme bereit und verlangten die Berbindlichkeitserklärung des Schiedsspruches.
Schiedsspruch verbindlich
Die Nachverhandlungen über den Schiedsspruch des Schlichtungsausschusses im BVG.- Konflikt vor dem Schlichter für den Bezirk Brandenburg , Amtsgerichtsrat Dr. Heuer, mußten nach einstündiger Dauer
ergebnislos abge= brochen werden. Der Schlichter erklärte daraufhin um 10 Uhr den Schiedsspruch für verbindlich mit folgender Begründung: Der Schiedsspruch
schlägt den Parteien die Erneuerung des bis herigen Manteltarifvertrages mit unverändertem Inhalt und den Abschluß eines Lohntarifvertrages vor, dessen Lohnsäge denjenigen der bei der Stadt Berlin beschäftigten Arbeitern angeglichen werden. Die neuen Lohnsäge stehen zu den Löhnen an= derer vergleichbarer Gewerbe in einem ange= messenen Verhältnis. Die im Schiedsspruch vorgeschlagene Regelung entspricht daher bei ge= rechter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile der Billigkeit."
Auf Grund der Verbindlicherklärung des Schiedsspruches durch den Schlichter erläßt die Direktion der BVG. durch Säulenanschlag und Plakate an den Betriebsbahnhöfen die Auf= forderung an ihr streifendes Personal, die Arbeit bis heute, Freitag, 14 Uhr, wieder aufzunehmen. Sie fündigt in dem Aufruf allen Verkehrsarbeitern die fristlose Entlassung an, die sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht zur Wiederaufnahme der Arbeit gemeldet haben.
Die Funktionäre der freigewerkschaftlich organisierten Arbeiter nehmen heute vormittag, 10 Uhr, im Gewerkschaftshaus zu der durch den Schiedsspruch geschaffenen Situation Stellung.
Kontingente vertagt!
Aber Getreidepreisgeschenke für die Junker auf Kosten des Volkes
Die Reichsregierung hat der Tapferkeit besseres Teil erwählt und die Beschlußfassung über die Kontingente trotz des grundfäglich neuen Bekenntnisses für deren Notwendigfeit vertagt. Die Forderung des Landbundes, zur Stügung der Getreidepreise eine neue Magazinierungsaktion durchzuführen, wird anscheinend erfüllt. Amtlich wird über die Beschlüsse der Reichsregierung folgendes mitgeteilt. Die Reichsregierung befaßte sich in einer Kabinettssigung vom 2. und 3. November mit Agrarfragen. Sie ist der Auffassung, daß ein Abgleiten der Getreidepreise verhindert werden muß. Für die Landwirtschaft tragbare Getreidepreise sind nicht nur im Hinblick auf die gesamte wirtschaftliche Bedeutung und die Notwendigkeit der Erhaltung des Getreidebaues erforderlich, sondern auch um einen Zusammenbruch der Osthilfeaktion, die Gefährdung der bisher für den Often aufgewendeten Mittel und die dadurch bedingten unübersehbaren Folgen für alle Wirtschaftszweige des ganzen Reichsgebietes zu verhindern. Die Reichsregierung hält es für ebenso wirtschaftlich dringlich, andere ebenso gefährdete Zweige der deutschen Landwirtschaft zu schützen, um das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen landwirtschaftlichen Produktionszweigen zu er halten und eine ungesunde Ausweitung einzelner Zweige auf Roften anderer zu vermeiden.
auf
Sie hat demgemäß der kontingenfierung der Buttere infuhr Grund der mit mehreren Ländern getroffenen Abrede ihre Zustimmung erteilt.
Sie hat ferner den Bericht der Kommission im entgegengenommen, die in Brüssel , Haag, in Rom , Paris und Kopenhagen über die Kontingentierung weiterer land- und forstwirtschaftlicher und gärtnerischer Erzeugnisse, insbesondere der bäuerlichen Veredelungswirtschaft verhandelt hat. Die Reichsregierung veranlaßte, daß das besonders reichhaltige Material, das diese Berhandlungen ergeben haben, unverzüglich gesichtet und bearbeitet wird.
Nach Abschluß dieser Arbeit wird sie ihre Entscheidung im einzelnen treffen.
Someit die amtliche Mitteilung. Die Reichs regierung hat die autonomen Kontingente entgegen der bündigen Ankündigung der deutschnationalen Landtagsfraktion also doch nicht vor dem
6. November beschlossen. Freiherr v. Braun, der Reichsernährungsminister und Preisfechter der Junker und des Landbundes, wird des avouiert. Die innere Schwäche des Reichsfabinetts, das sich nach außen so stark gebärdet, wird durch die Tatsache, daß die Regierung es nicht wagte, zugunsten der Agrarier die Unternehmer vor den Kopf zu stoßen, eindeutig aufgezeigt. Die schon bisher latente, an der Kontingentsfrage entzündete Kabinettsfrise dürfte sich durch die Kabinettsbeschlüsse noch erheblich verschärfen.
Die positive Haltung des Reichskabinetts in der Frage der Getreidepreisstüßung tritt angesichts der Bertagung der Kontingentsfrage in ihrer Bedeutung zurück. Ob die Forderung des Reichslandbundes, mit 100 Millionen Reichsbankkrediten und 25 Millionen Ausfallgarantien des Reiches, Getreide zu magazinieren, sofort durchgeführt wird, bleibt in dem Kommunique der Reichsregierung noch zweifelhaft. Immerhin wird durch die grundsägliche Bereitschaft der Reichsregierung, die Getreidepreise durch eine Sonderaktion zu stüßen, wenigstens im Osten die Wahlstimmung für Papen und Hugenberg etwas verbessert, so daß wenigstens der Zweck dieser Uebung erreicht ist auf Kosten des Volkes!
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Rüftungsfeierjahr verlängert. Im Büro der Abrüstungstonferenz, das am Donnerstag seine Arbeiten wieder aufnahm, machte Präsident Henderson Mitteilung davon, daß 47 Staaten das Rüstungsfeierjahr auf vier Monate verlängert hätten.
3um Verkehrsstreit
Arbeiter, seht euch die Führer an!
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Die gewerkschaftlich organisierten und politisch aufgeklärten Arbeiter Berlins fühlen sich mit den Arbeitern der BVG. aufs stärkste verbunden. Mit desto größerem Mißtrauen aber blicken sie auf die faschistisch- bol= schemistische Gesellschaft, die sich jetzt als berufene Führerin der BVG.- Arbeiter aufspielt. Diese Leute einig wie immer im Kampf gegen die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie stellen die Dinge so dar, als ob sie allein Gegner von Lohnreduktionen wären und als ob sie allein das Mittel in der Hand hätten, die Arbeiter vor Lohnherabsehungen zu schützen. In Wirklichkeit besteht der Unterschied zwischen ihnen und uns in etwas ganz anderem, nämlich, darin, daß es ihnen sowohl an Erfahrung in der Führung von Lohnkämpfen wie auch an Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Geführten vollständig fehlt.
Eigentlich müßte ein Blick in die kommunistische und die nationalsozialistische Presse genügen, um jeden erkennen zu lassen, daß es jenen Herrschaften gar nicht um die sachliche Vertretung von Arbeiterinteressen geht, sondern nur um parteipolitische Manöver. Obwohl aus dem Direktorium der BVG. längst der letzte Sozialdemokrat herausgedrängt ist, ist man sich einig darüber, daß nur sozialdemokratische Niedertracht und Tücke an den drohenden Lohnherabsetzungen schuld hat. Reuter und Brolat müssen es gewesen sein, obwohl seit Jahr und Tag keiner von beiden mehr mit der Leitung der BVG. etwas zu tun hat! Die Gewerkschaften müssen es gewesen sein, weil sie ohne alle Demagogie rein sachlich die Interessen der BVG.- Arbeiter wahrnahmen, und der Vorwärts" muß es gewesen sein, weil er die Gewerkschaften darin unterſtützte!
Man hofft aus diesem unwahrhaftigen Treiben Gewinn für die Wahlen ziehen zu können. Aber der Schuß fann auch nach hinten losgehen.
Die Sache wird nämlich einigermaßen heiter, wenn man die deutsch nationale Presse betrachtet, die gleichfalls der Sozialdemokratie alle Schuld gibt, nur aus gerade entgegengesezten Gründen. Dort wirft man der Sozialdemokratie vor, die Löhne bei der BVG. zu hoch getrieben zu haben. So liest man in der., Deutschen , Zeitung":
Die Sozialdemokratie hat mit den städtischen Arbeitern, Angestellten und Beamten ein schändliches Spiel getrieben. Man setzte gegen den Einspruch der für die Wirtschaftlichkeit der Betriebe Verantwortlichen die Einkommensgrenze wesentlich und unverantwortlich herauf.
In keinem Betriebe wurde das so unverhüllt, so verschwenderisch und leichtfinnig durchgeführt wie in der BVG. Ganz Berlin hat es in Aufregung versetzt, warum ein Brolat nicht aus seinem Amt zu bringen war. Er wares, der in der BBG. planmäßig mit Gehaltsund Lohnerhöhungen Wahl
Große Wahlkündgebung
heute, Freitag, den 4. November, 20 Uhr, im Sportpalast, Potsdamer Str . 72 Redner: Artur Crispien, Tony Sender, Otto Bauer ( Wien ) Kasseneröffnung 17 Uhr. Eintrittspreis 50 Pf., Erwerbslose gegen Vorzeigung der Stempelkarte 10 Pf. Die Fahnendelegationen müssen spätestens um 19 Uhr in der Vorhalle des Sportpalastes anwesend amin