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Abend- Ausgabe Nr. 522 B 253 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärt

BERLINER

VOLKSBLATT

Wählt Liste Sozialdemokraten

2

FREITAG

4. November 1932

In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf.

Hentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Protest!

Streik zum Hochverrat erklärt

Der Vorwärts " hat in diesen Tagen unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, wie er sich vom gewerkschaftlichen Stand­punkt aus zu den verworrenen Vorgängen bei der BVG. stellt. Seine Gegnerschaft gegen die nationalsozialistisch- kommunistische Streifführung fann ihn jedoch nicht hindern, den allerschärfsten Protest zu er­heben gegen die Methoden, die die regierende Reaktion bei der Bekämpfung des Streifs in Anwendung bringt. Wir haben schon heute morgen festgestellt, daß das Verbot der kommunistischen Presse, das im Zu­sammenhang mit dem Streit erfolgt ist, eine durchaus unzulässige Maßnahme ist. Das gilt in noch höherem Maße von den wahl= lofen Verhaftungen, die in der legten Nacht erfolgt sind und von der Drohung, man werde gegen die Streifführer unter Umständen mit dem Hochverrats= paragraphen vorgehen.

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Aus der Zeit der kaiserlichen Regierung ist das Wort eines regierenden Barons be= fannt geblieben: ,, Hinter jedem Streik lauert die Hydra der Revolution." Wilhelm II. selbst drohte: 3uchthaus jedem, der andere an freiwilliger Arbeit hindert!" Es ist kein Wunder, daß mit der Rückkehr der Barone in die Aemter die nach dem Geständnis des Herrn Goebbels über den Rücken der Nationalsozialisten erfolgt ist auch solche baronmäßige Auffassungen über das Streif­recht der Arbeiter zurückgekehrt sind. Aller­dings würde die Verfolgung von Streits als ,, hochverräterische Unternehmungen" noch meit über alles hinausgehen, was selbst die schlimmsten Scharfmacher zu Wilhelms II. Zeit gefordert haben.

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Heute gehen freilich die Appetite der Männer hinter den Kulissen noch weiter. Unter der Ueberschrift., Sein oder Nichtsein" veröffentlicht die die Kreuz- Zeitung " einen Alarmruf, der die Regierung Papen auf­fordert, zur Rettung des Staates die aller­schärfsten Maßnahmen zu ergreifen. Man bekommt fast den Eindruck, als ob die Harz­burger mit verteilten Rollen spielten. Haben die Nazis den Auftrag zu einem kleinen Putsch von unten, auf den man mit dem großen Putsch von oben antworten tann?

Wir protestieren gegen die Ab­sichten der Reaktion und rufen das arbeitende Volk zur schärf= sten Wachsamkeit auf. Das erste aber jegt:

Am 6. November Lifte 2 Sozialdemo­fraten!

Freilassung der Verhafteten

Die Funktionärversammlung der Gewerkschaften hat ihre Forderung auf Freilaffung der anläßlich des BVG.- Streits Inhaftierten dem Ortsausschuß des ADGB . zu weiterer Veranlassung übermittelt. Der Vorsigende des Ortsausschusses, Genosse Bredow, hat sich daraufhin sofort mit dem Polizeipräsidium in Verbindung gesetzt. Regie­rungsdirektor Mosle hat die Abteilung I be= auftragt, die Angelegenheit zu überprüfen.

Hoffentlich wird dem Wunsche der Gewerk­schaften unverzüglich entsprochen.

Aufnahme der Arbeit

Heute vormittag famen im Gewerkschaftshaus über 400 Funktionäre der freigemert­schaftlich organisierten Berliner Verkehrsarbeiter zusammen, um zu der durch den verbindlich er­flärten Schiedsspruch geschaffenen Situation Stel­lung zu nehmen. Die Funktionärfonferenz nahm den ruhigen Verlauf, den man von Zusammen­fünften organisierter Arbeiter gewohnt ist.

Genosse Schaum, der Bevollmächtigte des Gesamtverbandes, schilderte den Funktionären den Verlauf der gestrige n Verhandlungen mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Bürgermeister Dr. Elsas, und der Schlichtungsverhandlungen. Seit Jahren haben die Gewerkschaften es zuwege gebracht, die öffentlichen Schlichtungsinstanzen bei der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen der Berliner Verkehrsarbeiter auszuscheiden.

Die leichtfertige Auslösung dieses Streits durch die RGO. zu rein politi­schen 3weden hat die Gewertschaftsvertreter in die Schlichtungsmaschinerie gezwungen. Nicht der revolutionären" Streifleitung, die bis jetzt nirgendwo zu finden gewesen ist, sondern den

Beschluß der BVG.- Funktionäre

freien Gemertschaften haben es die Ver­tehrsarbeiter zu verdanken, daß der Manteltarif­vertrag bei den gestrigen Verhandlungen trog Widerstrebens der Direktion der BVG. unver­ändert um ein halbes Jahr verlängert werden fonnte.

Troß dieses Verhandlungserfolges haben die Gewerkschaftsvertreter den Schiedsspruch wenige Minuten nach seiner Verfündung einstimmig abgelehnt. Diese Ablehnung ist nicht nur des= wegen erfolgt, weil der Schiedsspruch das Lohn abfommen unbefristet läßt, son­dern in der Hauptsache deshalb, weil der Schieds­spruch eine Senkung der Löhne vorsieht. Von den Gewerkschaften wäre jeder Schiedsspruch abgelehnt worden, auch wenn er einen geringeren Lohnabbau verfügt hätte.

Durch die Verbindlicherklärung des Schieds­spruches ist für die freien Gewerkschaften und ihre Mitglieder die Situation völlig klar. Die Ge= wertschaften waren vor dem Streif nicht tarifgebunden und hätten auf Grund des Abstim­mungsergebnisses in nochmaligen Ver=

Ein Todesopfer des Streifs!

Nazizollbeamter erschossen

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,, Vorwärts"-Transportwagen gestürmt

Der Verkehrsstreit hat heute früh ein Todesopfer gefordert. In der Umgebung des Straßenbahnhofs in der Belziger Straße in Schöneberg war es in den ersten Morgenstunden wiederholt zu ernsten Zusammenstößen zwischen Strei­fenden und Polizeibeamten gekommen. Zwischen 5 und 6 Uhr wurde von der Polizei an zwei Stellen scharf ge. schossen, nachdem die Ausschreitungen größere Ausmaße angenommen hatten. So hatte eine Horde Nazis und Kommunisten ein ,, Vorwärts "-Transportauto gestürmt, die gebündelten Zeitungen wur­den vom Auto geworfen und auf dem Fahrdamm zerstreut. Der Erschossene ist ein 45jähriger Nationalsozialist Kurt Reppich, der sich als treuer Staats­beamter er war Bezirkszollkommissar beim Hauptzollamt Berlin - Süd an den nächtlichen Krawallen beteiligt hatte.

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Gegen 5 Uhr früh sollen nach den Angaben der Polizei in der Nähe des Straßenbahnhofs in der Belziger Straße und am Rudof- Wilde- Platz eima 1000 Personen versammelt gewesen sein. Gegen 4.50 und 6.10 Uhr wurde die Menge vier­mal zerstreut unter Anwendung des Gummi­mit fnüppels. Die Polizeibeamten wurden Steinen beworfen, und immer wieder ertönten die Rufe: Bluthunde!" und Schupo verrecke!" Bei der zweiten Räumung des Rudolf- Wilde­Plazes wurde dann scharf geschossen. Kurz darauf machten die Beamten bei der Räumung der Wartburg - und Martin- Luther- Straße aber­mals von der Schußwaffe Gebrauch. Zwei unter der Menge meilende Nationalsozialisten, der 45 Jahre alte Bezirkszollkommissar Kurt Rep= pich aus der Rheinstraße in Friedenau und der 25jährige Helmut Schulz aus der Rheinstraße in Friedenau wurden von den Kugeln getcoffen. Reppich wurde ins Schöneberger St.- Norbert­Krankenhaus gebracht, wo er bald nach seiner Ein­lieferung starb. Der andere Verletzte erlitt einen

handlungen mit der Direttion anders auf­trumpfen können als nach der Auslösung dieser Bewegung.

Seit gestern abend 10 Uhr sind die Gewerk schaften wieder Tarifpartner .

Sie fordern ihre Mitglieder auf, sich zur Ar­beitsaufnahme zu melden und die Arbeit wieder aufzunehmen, wenn sie nicht durch Terror daran gehindert werden. Genosse Schaum richtete an die Funktionäre die Aufforderung, dafür zu sorgen, daß sich die Mitglieder der Gewerkschaften zur Arbeitsaufnahme nicht so sehr drängen sollen, wie es heute vormittag schon ein großer Teil der Unorganisierten und RGO.- Mit­glieder getan hat..

Die Funktionäre lehnten es ab, über die Dinge, die sich gestern ereignet haben, noch zu dis­kutieren. Ein aus der Mitte der Versammlung gestellter Antrag, den Gewerkschaften und ihren Unterhändlern das Vertrauen auszusprechen, wurde gegen drei Stimmen angenom= men. Obwohl die Streitbewegung nicht von den Gewerkschaften ausgelöst worden ist, mißbilligten die Funktionäre einmüfig das Eingreifen der Polizei in den Arbeitskonflikt.

Wenn es sich auch bei den gestern verhafteten BVG.- Arbeitern meist um Gegner der freien Ge­werkschaften handelt, werden sich die Verbände dennoch mit allen Kräften um ihre Freilassung be­mühen. Mit begeisterten Freiheit!"- Rufen wurde die vorbildlich verlaufene Funktionär­fonferenz geschlossen.

Von der Arbeitsaufnahme

Oberarmdurchschuß, sein Befinden gibt zu Be Bon fürchtungen feinerlei Veranlassung.

Der Sturm auf das ,, Vorwärts"-Auto Der Ueberfall auf das Vorwärts"- Transportauto wurde von Nationalsozia­listen und Kommunisten im trauten Verein aus­geführt. Wie die Wilden stürzte sich die Horde auf die gebündelten Zeitungspakete und warf die Zeitungen auf die Straße. Von einem Augen- zeugen des unechörten Vorfalles wird uns hierzu berichtet: Kurz nach 4 Uhr erschien in der Belziger Straße 29, wo sich die Ausgabestelle des ,, Vorwärts" befindet, das Transportauto, um die Morgenausgabe für den Stadtteil abzuliefern. Schon lange Zeit vorher hatten sich auf der anderen Straßenseite mehrere hundert Personen angesammelt. Der Wagen war noch nicht zum Stehen gekommen, als sich die ganze Meute auf das Auto stürzte, die klappe herunterriß und fich der Zeitungen bemächtigte. Die Bündel wurden auseinandergerissen und die Zeitungen auf dem Fahrdamm zerstreut. Als Beamte herbei­eilten, war das Zerstörungswerk bereits vollendet.

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Nachträglich wird bekannt, daß bei den zu­fammenstößen in der Nähe des Rudolf- Wilde­Plazes noch eine dritte Person von einer Kugel getroffen wurde. Es handelt sich um einen 21jährigen Nationalsozialisten Adolf Brinkel aus der Eisenacher Straße 59. B. hat einen Schuß in die linke Seite erhalten; er fand im Auguste­Viktoria- Krankenhaus Aufnahme.

Insgesamt 245 Festnahmen

Von gestern bis heute sind insgesamt 245 Per­sonen von der Polizei festgenommen und der Politischen Polizei des Polizeipräsidiums zu­geführt worden. Zum größten Teil handelt es sich dabei um Streikende. In diese Zahl sind aber auch die Festgenommenen einbegriffen, die sich im nächtlichen Wahlkampf Bergehen haben zu­schulden kommen lassen. Der weitaus größte Teil ist inzwischen aus dem Polizeipräfidium wieder entlassen worden.

Zwischenfälle

- Arbeitende Nazis von Kommunisten angegriffen

In den Nachmittagsstunden wurde auf allen Bahnhöfen versucht, die Arbeit wieder aufzu= nehmen. Auf dem Bahnhof 24 in Lichten berg, dem Untergrundbahnhof Nol. lendorfplatz und dem Omnibusdepot Treptow wurden die Freigewerkschafter an der Wiederaufnahme der Arbeit durch betriebs­fremde Elemente gehindert.

Vom Omnibusdepot Treptow sind zwei Auto­buffe heruntergefahren, die mit Nazis bea mannt waren. Beide Autobusse wurden bald darauf demoliert und kehrten in das Depot zurück.

In dem Versammlungslokal der organisierten Straßenbahner in Tempelhof hatten sich die Mitglieder der Gewerkschaften zusammengefunden, um den Bericht der Funktionäre über die Funk­tionärkonferenz des heutigen Vormittags im Ge wertschaftshaus entgegenzunehmen.

Das Lokal wurde von Nazis und Kom= munisten gestürmt, die verlangten, daß auch ihnen der freigewerkschaftliche Funktionär Bericht erstatte. In diesem Lokal war auch die revolutionäre Streifleitung anwesend, die sich über die Lage informieren wollte. Die Freigewerk­schaftler lehnten es ab, mit den Unorganisierten zu diskutieren und suchten ein anderes Ver­sammlungslokal auf.

Verhaftungen von gestern

Die Polizei nahm am Donnerstagabend die Bezirksleitung der RGO.( Industrie­gruppe Gemeinde und Verkehr) fest. Die Mit­glieder dieser Gruppe befanden sich in einer Ver­sammlung, die angeblich den Zweck hatte, einen Sympathie streit der Gas-, Wasser­und Elektrizitätswerte anzuregen. Ins

Heute abend alle in den Sportpalast!