Einzelbild herunterladen
 

Das Leben im Warenhaus

Zwischen Morgen und Abend im Verkaufspalast

Unter den Stimmberechtigten Berlins werden am Sonntag auch etwa 15000 Warenhaus­verkäuferinnen aufmarschieren. 15 000 immer freundliche, immer höfliche, immer adrette Mädchen. Diese 15 000 fleinen Fräuleins und jungen Frauen befizen ein fast übermenschliches Geduldstraining: über eine Stunde lang ver­suchen sie einer Kundin einen Hut oder einen Schuh oder eine Gardine zu verkaufen, aber niemals wird ihr ,, Bitte sehr, gnädige Frau!" auch nur eine Nuance anders flingen als beim ersten Gruß. Diese 15 000 Warenhausverkäuferinnen werden jedem Kunden, wenn er es wünscht, mit selbstverständlicher Sicherheit Brillanten ver= laufen und niemand wird ihnen auch nur das geringste anmerken, daß sie nur noch 15 Pf. in der Tasche haben und die fünfte Fahrt ihrer BVG.­Karte bereits gelocht ist. Erst abends nach 7 Uhr, wenn sie ihre Rittel ausgezogen haben, werden sie wieder privat.

Die letzte Stütze

Da wir gerade bei den Fahrkarten sind: es reicht bei vielen nicht mehr für die 90- Pf.- Karte. Weil tausende Warenhausverkäuferinnen die letzte Stüge der väterlichen oder mütterlichen Haus­haltung sind, weil tausende Warenhausverkäufe­rinnen buchstäblich jeden Pfennig zu Hause ab= geben müssen, deshalb müssen sie morgens wie abends, auch wenn die BVG. nicht streift, zu Fuß gehen.

-

Der Sechser als Taschengeld

bereit sind, nun ihrerseits um die Losung zu fämpfen.

Wir wollen deutsch reden: jeden Abend weinen so und so viel Verkäuferinnen, aus Wut, vor Aerger. Denken Sie mal an, eine Stunde habe ich mit der Kundschaft schon gestanden, was ihnen gefiel, war zu teuer, was billig war, gefiel ihnen im Muster nicht, aber ich hätte beſtimmt keine Pleite gemacht."

"

Was heißt Pleite machen?"

,, Einen Kunden weggehen lassen. Etwas Schlim­meres gibt es nicht. Also die Kundschaft hatte sich schon dreiviertel entschieden, da kommt doch die alte B., hängt sich dazwischen und dann hatte sie die 40 M. auf ihrem Block. 40 M. sind doch heute schon ein Posten, der rechnet." So kämpfen heute Verkäuferinnen gegeneinander um die Losung. Ihre Tüchtigkeit steht abends beim Läuten unab­wischbar auf ihrem Kassenblod geschrieben. Wegen dieser Losung weinen sie am Abend.

"

Dagegen verblaßt alles andere, der Umtausch, die Proben. Wie kann ich einem Kunden 10 Zentimeter Probe geben von einem Stoff, der pro Meter 7,50 M. fostet. Den muß ich doch berechnen. Gebe ich der Kundschaft einen Zenti­meter, sehen sie mich groß an und fragen empört, was sie mit dem Zipfel sollen."

Das Rendezvous

Was machen nun eigentlich die Verkäuferinnen abends nach 7 Uhr? Neulich, in einer Versamm­

Wir könnten jegt eine endlose Aufstellung lung wollte eine Verkäuferin noch zwei Kolleginnen

beginnen:

Berkäuferin Nr. 1, 23 Jahr alt, 104,50 m. brutto im Monat. Sechs Personen zu Hause, alle arbeitslos. Jeder Pfennig muß abgegeben werden. Trotzdem kein Hauszinssteuererlaß, keine Hefte und Bücher für den schulpflichtigen Bruder.

Verkäuferin Nr. 2, 21 Jahre alt, 92 m. brutto im Monat. Vier Personen zu Hause. Jeder Pfennig muß abgegeben werden. Die Familie iẞt in einer Erwerbslosenküche, pro Liter Essen für 10 Pf., die kleine Verkäuferin muß hier mitessen.

Verkäuferin Nr. 3, 19 Jahre alt, 89 M. brutto im Monat. Drei Personen zu Hause, alle arbeits­los. Ultimo wird die Lohntüte auf den Tisch gekehrt. Auch hier kein Hauszinssteuererlaß.

So könnte man endlos die Liste fortsetzen: jeder Fall der gleiche. Wir fragten nun die jungen Berkäuferinnen: ,, Sagen Sie bitte, wieviel Taschengeld behalten Sie pro Monat, wenn Sie schon auf die Karte verzichten?" Ant­wort: 1,50 M. Das heißt pro Tag einen Sechser. Dafür könnten sich die Verkäuferinnen nicht einmal eine Stange Honignaufe taufen! Das heißt, es gibt heute einen Durchschnittslohn für diese Angestellten von rund 100 M.; gleich, ob Ver­käuferin im Warenhaus, ob Telephonistin bei der Post oder ob Puhmacherin in der Fabrik, es sind immer zwanzig Mark in der Woche. Wir fragten, mie oft sie in der Woche Fleisch essen. Sie mollten erst gar nicht antworten, wurden verlegen, dann kam es schüchtern heraus: ,, Ja, Sonntags und dann noch mal in der Woche, ein Stückchen, wenn es Gemüse gibt."

Zur Qual aber wird derjenigen das Leben, die fein Elternhaus in Berlin hat. 92 M. brutto, das find etwa 85 M. netto, davon die Zimmermiete mit 35 M. ab, bleiben 50 M. Vom Mittagbrot bis zur Stopfwolle aber muß dieser Fünfzigmart­schein reichen. Dabei immer freundlich, immer höflich, immer adrett.

Der Kampf um die Losung

Jede Verkäuferin hat ihre Losung. Ein von der Geschäftsleitung festgesetter monatlicher Be­trag, den die Verkäuferin umsehen muß. Oder beffer gesagt umsetzen soll. Auf alle über die Lojung hinausgehenden Verkäufe gibt es eine Prämie von 1 Proz. Das ist gut gesagt, aber felten erreicht. Gegen die Losung steht die Krise, und jeden morgen mit dem Glockenschlag 9 Uhr beginnen in Berlin 15 000 kleine Warenhaus­verfäuferinnen jede für sich ihren Kampf mit der Krise. Es braucht ihnen das vielleicht nicht einmal ausdrücklich gesagt zu werden: Fräulein, Sie laffen in letzter Zeit sehr nach!", jede Verkäuferin weiß selbst, daß draußen 20 000 erwerbsloſe Kolleginnen stehen, die vielleicht zu jeder Stunde

von ihrem Lager mitbringen. Sie tamen aber nicht. ,, Warum nicht?"-Sie hatten Rendez­

vous." Haben alle Verkäuferinnen jeden Abend ein Rendezvous? Nein! Dazu haben weder die Verkäuferinnen noch ihre arbeitslosen Freunde Geld. In Wirklichkeit haben alle Verkäuferinnen abends erst einmal einen Mords hunger. Wenn wir recht unterrichtet sind, haben sie mittags. wohl zwei Stunden Tischzeit. Sie könnten nach Hause fahren, wenn sie nahe genug zum Warenhaus wohnten. Aber da sind wir schon wieder beim Fahren: wenn die Verkäuferinnen nicht einmal zwei Fahrten am Tage bezahlen können, wie dann erst vier? In der Kantine essen, hat für viele feinen Sinn, denn zu Hause gibt es ohnedies Essen aus dem großen Topf. Ein tiefer Teller Mohrrüben mehr oder weniger aus diesem Topf spielt teine überragende Rolle. Sie müssen also tagsüber mit ihren Stullen aus­halten und so sind sie abends so hungrig, daß sie kaum in eine Versammlung gehen. Wer außer­dem Freitags in der Lebensmittelabteilung bedient hat, fühlt natürlich abends seine Beine. 10 Uhr schläft alles.

Um

,, Und wenn Sie nun nicht schlafengehen und kein Rendezvous haben?"- ,, Dann gehe ich in meinen Sportklub." Denn der Sport ist billig, im Verein ist es lustig, da sind junge Sport­kollegen, und so kommt es abends darauf an: geht das kleine Fräulein zur Freien Turnerschaft Groß­Berlin oder zum Sportklub Charlottenburg. Orientiert sie sich sozialistisch oder bürgerlich. Und als wir dann abschließend fragten: Nun, wo sind Sie?", da antwortete sie: ,, Nur FTGB. kommit in Frage!" Und Sonntag?"

-

,, Aber nur Liffe 2!"

Der strenge und der gütige Richter

Zwei lehrreiche Prozesse

Es gibt Richter, deren Grundzug Güte ist, die aber Strenge nicht ausschließt, wo sie am Blaze ist. Es gibt aber auch Richter, die sich die Güte abringen müssen. Zwei Berhandlungen in ver schiedenen Gerichtssälen an ein und demselben Tage: Vortreffliche Illustrationen zu dem Problem Richter und Richter.

-

-

Vor dem Schöffengerit Schöneberg stand jener freche Bursche, der an Gitta Alpar , stand jener freche Bursche, der an Bitta Alpar, Gerda Maurus , Lilian Harvey , Dajos Bela , an den Bankier Fürstenberg und andere Erpressungs­briefe schrieb: Ich befinde mich in großer Arbeitslosigkeit, bitte mir je nachdem 3000, 5000 bis 10 000 Mark zu leihen; schwöre, auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen. Wenn Sie das Geld nicht geben, so werde ich vor nichts zurückschrecken, sogar nicht vor Tötung." Lilian Harvey und Gerda Maurus drohte er: Sie werden noch aus der Chemie wissen, wie schädlich Salpetersäure ist. Sie können sich die Karriere verderben, Ihr Augenlicht verlieren. Friz Meier zu adressieren an Postamt X." Ein Telephonanruf bei Gerda Maurus wurde dem Briefschreiber zum Verderb. Sie lud ihn zu sich und ein vorher verständigter Kriminalbeamter nahm ihn mit. Es war der 21jährige Arbeits­lose W. Er legte ein Geständnis ab und wurde entlassen. Nach Hause mochte er nicht gehen; sein Sparkassenbuch mit 17 m. hatte er bei sich. So faufte er sich ein Grammophon, eine Flasche Rognat und 40 Tabletten eines Schlafmittels, ver­brachte die Nacht in einem Hotel und schrieb Ab­schiedsbriefe an seine Eltern. Am nächsten Tage fuhr er nach dem Scharmüßelfee, 30g sein Grammophon auf, trant den Kognak aus, nahm die 40 Schlaftabletten und wachte nach mehre= ren Stunden wieder auf.

-

Der Richter faßte ihn scharf an, sehr scharf; wird ironisch, macht sich über den jungen Menschen ganz und unnötigerweise lustig. Der Vater kann über den Jungen nur Gutes fagen; er habe wohl die Not zuhause nicht mit ansehen können. Der Sachverständige bricht für den infantilen Burschen

eine Lanze, wird aber vom Vorsitzenden mehr­mals unterbrochen. Der Staatsanwalt segt sich verständnisvoll für den Jungen ein und bittet um die milde Strafe von zwei Monaten Gefängnis und um Bewährungsfrist. Das Gericht beriet dreiviertel Stunden. So schwer wird dem Richter wohl die Güte. Das Urteil lautete schließlich auf einen Monat Gefängnis und Bewährungsfrist.

-

Vor dem Landgericht hat sich ein 21jähriger Bursche wegen versuchter säuberischer Erpressung an der eigenen Mutter und wegen Freiheits­beraubung zu verantworten. Er ist arbeitslos, hatte seine Unterstüßung vertrunken er tranf in der letzten Zeit öfter war nach Hause ge= kommen und hatte von der Mutter 5 Mark ver­langt, sie dabei mit dem Messer bedroht und sie eine halbe Stunde lang im Zimmer eingesperrt. In ihrer Empörung erstattete die Mutter gegen ihren Sohn Anzeige.

-

Zu Beginn der Verhandlung machte der Bor fizende die einzige Zeugin, die Mutter des Ange­flagten, darauf aufmerksam, daß sie nach der Strafprozeßordnung nicht verpflichtet sei, ihren Sohn durch ihre Angaben zu belasten, sondern daß sie ihre Aussage verweigern könne. Die Mutter verweigerte daraufhin ihre Aussage und erklärte, daß fie die Anzeige gegen ihren Sohn nur in der ersten Aufregung erstattet habe. Nun­mehr machte der Borsitzende auch den Angeklagten darauf aufmerksam, daß er dem Gericht teine Angaben zu machen brauche. Auf diese Be­lehrung hin verweigerte auch der Angeklagte jede Angabe über seine Tat. Der Staatsanwalt be= antragt nun Freispruch, da der Nachweis einer strafbaren Handlung nicht möglich sei. Das Ge­richt spricht den angeklagten Sohn auch tatsächlich frei. Durch die Aussageverweigerung von Mutter und Sohn sei es nicht möglich gewesen, ein schuldhaftes Berhalten des Angeklagten zu er weisen.

Der Vorsitzende zum angeklagten Sohn: Jetzt gehen Sie nach Hause und tun so was nie wieder! Diese Richter brauchen nicht erst die Güte in fich zu erkämpfen.

In wenig Worten

Aus noch unbekannter Ursache brach im Flug­hafen der Mittelmeerländischen Fluggesellschaft am Lido von Venedig ein Feuer aus, das fünf einmotorige Junkers- Apparate völlig vernichtete.

Der buddhistische" Mönch Chao Kung( Tre­ bitsch- Lincoln ) wurde nach Beendigung eines Vortrages in Köln verhaftet, weil er ein Darlehen von 2161 Gulden, das er im Jahre 1919 von der Gattin eines höheren Beamten im diplomatischen Dienst im Haag erhielt, nur zum Teil zurückgezahlt hat.

*

Der Kommandant des französischen U Boots Promethée", das am 7. Juli mit 62 Mann an Bord gesunken ist, wurde am Freitag vom Kriegsgericht in Cherbourg von der Anklage der Fahrlässigkeit freigesprochen. Der Regierungskommissar erflärte in seinem Plädoyer, daß dem Kommandanten keine Ver­fehlung vorgeworfen werden fönne.

*

Die Junkerswerte Dessau haben soeben ein neues leistungsfähiges Schnellflugzeug fertig­gestellt, das für vier Fahrgäste und zwei Führer gebaut ist. Die Reisegeschwindigkeit reicht an 300 Stundentilometer heran.

An den

Verlag ,, Vorwärts"

BERLIN SW 68, LINDENSTR. 3

Ich abonniere den ,, Vorwärts" zweimal täglich frei ins Haus mit der illustrierten Sonntagsbeilage in Tiefdruck

,, Volk und Zeit"

zum Preise von 75 Pf. pro Woche.

Name:

Wohnung:

BEITRITTSERKLÄRUNG

An den

Bezirksverband Berlin der SPD ( Sozialdemokratische Partei Deutschlands ) SEKRETARIAT: BERLIN SW 68, LINDENSTR. 3

Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Bezirk Berlin

... 50 Pf.

An Beiträgen entrichte ich: Eintrittsgeld... Wochenbeiträge weibl. à 10 Pf.

männl. à 20 Pf.

Summa...

Vor- und Zuname:

Pf.

den......

1932

geboren am Staatsangehörigkeit:

Beruf:..

Bei welcher Gewerkschaft?

Wohnung:

ZU

Bei der Aufnahme ist sehr erwünscht, daß außer dem Eintrittsgeld mindestens die Bei­träge für einen Monat( 4 Wochen) gezahlt werden. Postscheckkonto: Berlin Nr. 14 157. Adolf Holz, Kassierer, Berlin SW 68.

FORTSCHRITT!

Neue Opel Regent Modelle- ein neuer Maßstab für Fahrkomfort& Elegante Form, stromartige Linien­führung, geschmackvolle Innen­ausstattung. Sehr viel Raum. An­erkannt große Leistungsfähigkeit - äußerste Wirtschaftlichkeit.

OPEL REGENT

1,2 LTR. 4 ZYL 1,8 LTR. 6 ZYL.

Normalmodelle von RM 1890 an, Regent Modelle von RM 2800 an ab Werk. Bequeme Zahlungsbeding. durch die Allgem. Finanz- Ges.

ADAM OPEL A.-G. RUSSELSHEIM A. M.