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Morgen- Ausgabe

Nr. 523 A 256 49. Jahrg.

Wählt Liste Sozialdemokraten

Vorwärts

2

SONNABEND

5. November 1932

Rebattton unb Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: 7 Amt Dönhoff 292 618 297 Telegrammabresse: Sozialbemotrat Berlin BERLINER  

VOLKSBLATT

Hentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

WERBE NUMMER

Putsch statt Streik Massenaufmarsch für die Freiheit!

Berlin   am Freitag

Im Laufe des Mittags meldete sich bei der BVG. genügend Personal, um einen Teil­verkehr eröffnen zu können.

Das Ausfahren von Straßenbahnwagen und Autobussen wurde von uniformierter SA. und Kommunisten in allen Stadtteilen mit schweren Unruhen beantwortet.

Bis gegen 5 Uhr 68 Wagen der BVG. be­schädigt. 17 Fahrer beziehungsweise Schaffner verletzt. Gegen 28 Uhr Wiedereinstellung des Ver­kehrs. Wiederaufnahme Sonnabend unter verstärktem Polizeischutz geplant.

Die kommunistische Streikleitung hat den Be­schluß gefaßt, den Streik ver­schärft weiterzuführen".

Schwere Unruhen in allen Stadtteilen in einer Unzahl von Fällen. Schwerste Zusammen­stöße in Schöneberg   und an der Use domstraße.

Gegen 9 Uhr abends bisher bekannt:

3 Tote, 8 ernstlich Verletzte. Stärkstes Hervortreten uniformierter SA.­und SS  .- Leute bei den Unruhen. An vielen Punkten gemeinsames Vorgehen uniformierter SA. mit den Kommunisten. Ueberfälle auf Sozialdemokraten und Reichs­bannerleute, so in der Müllerstraße und in der Landsberger Straße, Sturm auf Vorwärts  "-Filiale Müllerstraße 34a.

Begeisterte Kundgebung von Zehntausenden für die Sozialdemokratie!

Wenn es heißt, für Sozialismus und für die Befreiung der Arbeiterklasse unter dem Freiheits­zeichen der Sozialdemokratie demonstrieren, dann schreckt den Berliner   Arbeiter und die Berliner  Arbeiterin kein Verkehrsstreit! Dann erlebt man es, daß schon lange vor dem auf 20 Uhr angesezten Beginn unserer letzten Berliner   Wahlkundgebung vor dem 6. November der Sportpalast bis hinauf in den obersten Rang besetzt war, und daß dann um 20 Uhr die Männer und Frauen stehen mußten, um an der Rundgebung teilnehmen zu können.

Große Transparente mahnen, daß der Sput der Barone wie Spreu verfliegen werde. Von 19 Uhr ab spielt das Reichsbannerorchester. Dann erfolgt der Fahneneinmarsch, bei dem die Parteiveteranen, die Delegationen des Reichs­banners, unsere Frauen, unsere Jugend und unsere Sportler mit gleicher Begeisterung begrüßt werden. Unter stärkstem Beifall singen die Männerchöre Fichte- Georginia, Typographia und Berliner   Sängerchor die Hymne" von Nehul und den ,, Sturm" von Uthmann.

Franz Künstler  

eröffnet die Kundgebung. Er sagt: In 48 Stun den ist eine Wahl beendet, die wohl die ent­

GA. überputscht KPD.! scheidenbfte der Nachkriegszeit sein wird. Schon

Die neue Taktik des Faschismus

Vorgestern war in Berlin   Berkehrsstreit, geffern war SA  - Putsch zur Berhinde­rung der Arbeitsaufnahme. Die SA. hat die Führung übernommen, sie hat die KPD. überputscht.

Der deutsche Faschismus will neue Wege wandeln. Seit aus seinem Geschäft mit den Baronen nichts geworden ist, ist er so ,, arbeiterfreundlich" geworden, daß die Ar­beiter, wenn sie auf ihn hineinfallen, jahr­zehntelang daran denken werden!

Eine neue proletarische Einheitsfront" wird sichtbar. Braunjaden schmücken ihre Reihen. Adolf Hitler   ist ihr Führer. Diese proletarische Einheitsfront bringt be­stimmt nicht die Diftatur des Proletariats". Sie bringt höchstens die Diffatur der Bour­geoisie durch den Sieg des Faschismus. Die PD. steht der nationalsozialistischen Einheitsfront von unten völlig ratlos gegenüber. Sie marschiert einfach mit. Die Parole lautet bis auf weiteres: ,, marmt die Faschisten, wo ihr sie trefft!"

Der Bruderbund ist geschlossen. Der ge­meinsame Haß gegen die Sozialdemokratie, gegen die Gewerkschaften und gegen den Borwärts" feiert Orgien. Straßenred­ner schwärmen aus und predigen Wut und Geifer gegen die SPD  .

Warum gegen sie? Siht sie in der Direk­fion der BBG.? Nein! Kein einziger der jetzt amtierenden Direktoren ist Sozialdemo­frat! Hat sie den Schiedsspruch gefällt, ihn für verbindlich erklärt? Nein, fein einziger Sozialdemokrat hat damit etwas zu fun ge­habt! Befehligt sie die Polizei? Nein, Po­lizeipräsident ist bekanntlich der Vertrauens­mann Dr. Brachts, Herr Melcher.

Was wirft man der Sozialdemokratie vor? Daß sie die Löhne gesenkt hat? Aber das hat sie doch nicht getan! Umgekehrt wirft ihr die deutschnationale Prefse vor, daß fie früher die Löhne zu hoch getrieben hätte! Die Gewerkschaften haben alles getan, was fie konnten, um die Lohnminderung abzu­wehren, es ist ihnen nicht ganz gelungen, weil die Gegenfräfte stärker waren. Nun hat die SA. mit Unterstützung der KPD  . die Führung übernommen. Sie verhindert bis auf weiteres das Ausfahren der Wagen.

jetzt dante ich unseren waderen Parteigenossen und genoffinnen. Am 9. August 1931 mollten Nationalsozialisten und Kommunisten gemeinsam Carl Severing   und Otto Braun   stürzen.

Dieselben Bundesbrüder haben bei der BVG. geffern einen Streif entfesselt,

nicht um eine Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter und Angestellten der BVG. zu erreichen. Schrieb doch gestern die ,, Rote Fahne": Der Streit richtet sich formell gegen einen Lohnabbau von 2 Pf. die Stunde, aber die BVG.- Arbeiter haben durch ihren Beschluß bekannt, daß es um mehr geht als um das! Dieser Satz enthüllt die Absichten der Drahtzieher.

Nur politische Absichten im Hinblick auf die Reichstagswahl haben Goebbels   und Ulbrich zu gemeinsamem Vorgehen veranlaßt. Fast scheint

Aber ob es ihr gelingen wird, die Aufhebung des gefällten Schiedsspruches zu erzwingen, das ist eine ganz andere Frage.

Man tut der SA. bestimmt fein Unrecht, wenn man jagt, daß ihr der Schiedsspruch vollkommen gleichgültig ist. Für sie und ihre Partei geht es um etwas ganz anderes, näm­lich um den Machtkampf des Faschis­mus. In diesem Machtkampf des Faschis­mus ist der kleinfrieg, den die SA. mit der Polizei führt, ein taftischer Schachzug, weiter nichts.

Die KPD  . aber? Sie, die oft genug eine politische Hilfstruppe der Nazis gewesen ist, ist jetzt auf dem besten Wege, zu einer mili­tärischen Hilfstruppe der S2. herabzusinten.

Indessen redet im Rundfunk Herr von Papen. Er kündigt dem Bolschewismus Kampf bis aufs Messer an und sucht sehn­suchtsvoll- wenn auch laut schimpfend die Bruderhand des Nationalsozialismus.

Arbeiter, hütet euch vor den Arbeiter­freunden" im braunen Hemd! Heute helfen fie euch streiken, morgen werden sie, wenn ihr ihnen folgt, eine& nechtschaft über euch bringen, die in der Geschichte ohne Bei­spiel ist!

Augen auf! Jetzt erst recht am morgigen Wahlsonntag alle Stimmen der Hüterin der Volksfreiheit: der Sozialdemokratischen Partei!

es, als ob man Papen in die Hände arbeiten will. 3st vielleicht Absicht der Drahtzieher, in letzter Stunde die Reichstagswahl zu vereiteln? Nationalsozialisten und Kommunisten sind einig in ihrer Aktion für die Reaktion gegen die Arbeiterschaft. Reichsbannerleute sind überfallen worden, und Kommunisten riefen den schlagenden Nationalsozialisten zu: Immer feste drauflos!( Stürmische Pfuirufe.) Aber die Berliner   werktätige Bevölkerung wird mit sich nicht das Spiel gewissenloser Spetulanten treiben Lassen.

Darum jetzt erst recht die letzten Stun den ausgenutzt zum Siege der Liste 2, zum Siege der Sozialdemokratie!

Unter lebhaftem Beifall nahm dann Genosse Arthur Crispien   das Wort. Kommunistische und nationalsozialistische Störungsversuche wurden rasch durch Entfernung der Störenfriede unwirksam gemacht.

Arthur Crispien  :

uns im Gegenteil eine böse Erbschaft hinterlassen. ( Neue, anhaltende Zustimmung.) Hitler und Papen haben den Reichen Geld in die Taschen gesteckt, den Armen aber die Unterstützung ge­fürzt.( Pfui- Rufe.) Wir müssen den entschlossensten Kampf gegen Hitler   und Papen   führen.( Bravo  !) Ein neuer Novembersturm wird und muß in Deutschland   kommen. Kriegsgefahr und Unter­drückung müssen durch uns überwunden werden, nicht nur die Erringung politischer Freiheiten und sozialer Rechtsansprüche, sondern darüber hinaus die wirtschaftliche Befreiung, die allein erst die Erfüllung des Sozialismus bringen kann. Das ist unser Ziel, und deshalb wählen mir am 6. November sozialdemokratisch.( Lang­anhaltender stürmischer Beifall.)

Auf das herzlichste begrüßt, ergriff dann

Toni Sender  

das Wort: Dr. Goebbels   erzählt uns davon, mie die Barone   vor ein paar Monaten auf dem Rücken der Nationalsozialisten in die Amtlichkeit geklettert find. Seitdem haben wir die neue Art der Staatsführung": das Bolf wird von einer Wahl in die andere geheht, aber auf den Willen des Volkes wird gepfiffen! In Wahrheit ist diese

Unter November stürmen brach 1918 das reaktionäre Preußen- Deutschland   zusammen. Die Sozialdemokratie schuf die Republik   als günstigsten Ausgangspunkt für den Sozialismus. Nun messen fich in diesem Jahre zum fünften Male die Kräfte ,, autoritäre" Regierung von Interessentenhaufen De

feudalen Konterrevolution mit denen der sozialen Revolution. Papen und Hitler mollen den Kapitalismus retten, Papen mit seinem sogenannten Wirtschaftsprogramm, mit der poli­tischen und sozialen Entrechtung der breiten Massen, mit aggressiver Aufrüftungspolitik und mit Zoll und Handelskriegen, Hitler mit seinem wütenden Sturm auf die margistische Eiserne Front, die er zerschmettern" will, um das Prole= tariat den kapitalistischen   und reaktionären Kräften wehrlos auszuliefern. In Wahrheit ver­dankt Papen  , der unabhängig von allen Parteien sein will, sein politisches Dasein dem Herrenklub der Deutschnationalen Volkspartei   und vor allem auch der Nationalsozialistischen Partei.( Lebhafte Zustimmung.)

Crispien beleuchtete dann die sogenannte natio­nale und christliche Grundlage der Papen- Regie­rung und sagte: Das sind Wege, die ins tiefere Elend führen, aber keine Wege des Aufstiegs. ( Lebhafter Beifall.) Die Papen und Hitler   zeigen keinen Weg aus Not und Bedrückung, sie werden

Melcher droht

Notfalls Anwendung der Schuẞwaffe

Gegenüber beunruhigenden Nachrichten teilt der Polizeipräsident mit, daß das Berliner   Straßen­bild durchaus ruhig(!) ist. Vereinzelte Sabotage­afte, die gegen Straßenbahnwagen verübt worden sind, sind im Laufe des Spätnachmittags wieder abgeflaut. Für heute sind im Einvernehmen mit der BVG. umfassende Schuhmaß­nahmen für die Arbeitswilligen getroffen, die darin bestehen werden, daß die Polizei mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, notfalls durch Gebrauch der Schußwaffe, die Arbeitswilligen nachdrücklich schüßen wird.

420 Festnahmen in 24 Stunden

Im Laufe des gestrigen Nachmittags wurden insgesamt 120 Personen wegen verschiedener Delitte festgenommen. Die Festgenommenen ge­hören fast ausnahmslos der Kommunisti= schen und Nationalsozialistischen  Partei an.

Die Zahl der von Donnerstag bis Freitagabend Festgenommenen beträgt insgesamt 420. Ein großer Teil der Zwangsgestellten ist inzwischen nach der Bernehmung bei der Politischen   Polizei wieder entlassen worden.

abhängig.( Sehr richtig!) Sie spricht von der not­wendigen Anpassung an die Armut der Nation und drosselt deshalb die Bezüge der Rentner und Arbeitslosen, belastet den fleinen Mann mit neuen Steuern und gibt dafür mit offener Hand anderthalb Milliarden Steuergeschenke an die Industrie, 200 Millionen Subventionen, 700 Millionen Lohn­subventionen und eine halbe Milliarde Zinsge­schenke an den Großgrundbefiz. Sie unter= drückt die freie Meinung, sie faschisiert den Rundfunk, das Hafenkreuzparteibuch ist beste Empfehlung, der Rechtsstaat scheint, das zeigt das Verhalten der Reichsregierung nach dem Urteil von Leipzig  , erschüttert.( Lebhafte Zustim= mung.) Man spricht von der Gleichberechtigung Deutschlands   inmitten der Nationen. Wir alle wollen diese Gleichberechtigung, verlangen aber, daß man mit ihr gegenüber den eigenen Volksgenossen beginne.( Stürmischer Bei­fa.) Die Herrenschicht hat die letzte Gelegenheit ergriffen, um sich vom Volkswillen unabhängig

Drei Todesopfer

Acht Schwerverletzte

Die Namen der Toten des gestrigen Nach­mittags bzw. der an den Folgen der erlittenen Verlegungen Gestorbenen sind:

Emil Kepp, Schöneberg  , Grunewaldstraße, 25 Jahre( Rückenschuß);

Liesbeth Schulze, Schöneberg  , Gleditschstr. 19, 67 Jahre( Kopfschuß);

Georg Horn, Berlin   N., Bernauer Str  . 37, 56 Jahre.

*

Die Namen der am Freitagnachmittag Ver­legten find: Irma Eitner, Schöneberg  , Merseburger Str. 4, 19 Jahre( Oberschenkelsteckschuß);

Martha Bossow, Schöneberg  , Merseburger Straße. 42 Jahre( Armdurchschuß);

Martha Kilian, Schöneberg  , Hauptstr. 8( Ober­schenkelsteckschuß):

Frih Birnbaum, Schöneberg  , Steinmegstr. 61, 59 Jahre( Armdurchschuß);

Willi Haroth, Berlin   N., Schönholzer Str. 3, 31 Jahre( Armschuß);

Heinrich Kurzidine, Berlin   N., Lorgingstr. 19, 30 Jahre( Unterschenkelschuß);

Mag Jorochowski, Berlin   N., Swinemünder Straße 74( Unterschenkelschuß).