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Das Leben im Warenhaus

Zwischen Morgen und Abend im Verkaufspalast

Unter den Stimmberechtigten Berlins   werden am Sonntag auch etwa 15000 Warenhaus= verfäuferinnen aufmarschieren. 15.000 immer freundliche, immer höfliche, immer adrette Mädchen. Diese 15 000 fleinen Fräuleins und jungen Frauen besitzen ein fast übermenschliches Geduldstraining: über eine Stunde lang ver­suchen sie einer Kundin einen Hut oder einen Schuh oder eine Gardine zu verkaufen, aber niemals wird ihr ,, Bitte sehr, gnädige Frau!" auch nur eine Nuance anders klingen als beim ersten Gruß. Diese 15 000 Warenhausverkäuferinnen merden jedem Kunden, wenn er es wünscht, mit selbstverständlicher Sicherheit Brillanten ver= kaufen und niemand wird ihnen auch nur das geringste anmerken, daß sie nur noch 15 Pf. in der Tasche haben und die fünfte Fahrt ihrer BVG.­Karte bereits gelocht ist. Erst abends nach 7 Uhr, menn sie ihre Kittel ausgezogen haben, werden sie wieder privat.

Die letzte Stütze

Da wir gerade bei den Fahrkarten sind: es reicht bei vielen nicht mehr für die 90- Pf.- Karte. Weil tausende Warenhausverkäuferinnen die letzte Stüge der väterlichen oder mütterlichen Haus­haltung find, weil tausende Warenhausverkäufe­rinnen buchstäblich jeden Pfennig zu Hause ab= geben müssen, deshalb müssen sie morgens wie abends, auch wenn die BVG. nicht streift, zu Fuß gehen.

Bir könnten jetzt eine endlose Aufstellung beginnen:

Verkäuferin Nr. 1, 23 Jahr alt, 104,50. brutto im Monat. Sechs Personen zu Hause, alle arbeitslos. Jeder Pfennig muß abgegeben werden. Trotzdem kein Hauszinssteuererlaß, teine Hefte und Bücher für den schulpflichtigen Bruder.

Verkäuferin Nr. 2, 21 Jahre alt, 92 m. brutto im Monat. Vier Personen zu Hause. Jeder Pfennig muß abgegeben werden. Die Familie iẞt in einer Erwerbslosenküche, pro Liter Essen   für 10 Pf., die kleine Verkäuferin muß hier miteffen.

Berkäuferin Nr. 3, 19 Jahre alt, 89 m. brutto im Monat. Drei Personen zu Hause, alle arbeits­los, Ultimo wird die Lohntüte auf den Tisch gekehrt. Auch hier kein Hauszinssteuererlaß.

So fönnte man endlos die Liste fortsetzen: jeder Fall der gleiche. Wir fragten nun die jungen Berkäuferinnen: ,, Sagen Sie bitte, wieviel Taschengeld behalten Sie pro Monat, wenn Sie schon auf die Karte verzichten?" Ant­mort: 1,50 M. Das heißt pro Tag einen Sechser. Dafür könnten sich die Verkäuferinnen nicht einmal eine Stange, Honignaute taufen! Das heißt, es gibt heute einen Durchschnittslohn für diese Angestellten von rund 100 M.; gleich, ob Ver­fäuferin im Warenhaus, ob Telephonistin bei der Post oder ob Puhmacherin in der Fabrik, es sind immer zwanzig Mark in der Woche. Wir fragten, mie oft sie in der Woche Fleisch essen. Sie mollten erst gar nicht antworten, wurden verlegen, dann kam es schüchtern heraus: Ja, Sonntags und dann noch mal in der Woche, ein Stückchen, wenn es Gemüse gibt."

Zur Qual aber wird derjenigen das Leben, die fein Elternhaus in Berlin   hat. 92 m. brutto, das find etwa 85 M. netto, davon die Zimmermiete mit 35 M. ab, bleiben 50 M. Bom Mittagbrot bis zur Stopfwolle aber muß dieser Fünfzigmark­schein reichen. Dabei immer freundlich, immer höflich, immer adrett.

Der Kampf um die Losung

Jede Verkäuferin hat ihre Losung. Ein von der Geschäftsleitung festgesetter monatlicher Be­trag, den die Verkäuferin umsetzen muß. Oder beffer gefagt umsetzen soll. Auf alle über die Lofung hinausgehenden Verkäufe gibt es eine Prämie von 1 Proz. Das ist gut gesagt, aber selten erreicht. Gegen die Losung steht die Krise, und jeden morgen mit dem Glockenschlag 9 Uhr beginnen in Berlin   15 000 fleine Warenhaus­verkäuferinnen jede für sich ihren Kampf mit der Krise. Es braucht ihnen das vielleicht nicht einmal ausdrücklich gesagt zu werden: Fräulein, Sie lassen in letzter Zeit sehr nach!", jede Berkäuferin weiß selbst, daß draußen 20 000 erwerbslose Kolleginnen stehen, die vielleicht zu jeder Stunde

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Der Sechser als Taschengeld

bereit sind, nun ihrerseits um die Losung zu fämpfen.

Wir wollen deutsch   reden: jeden Abend weinen so und so viel Verkäuferinnen, aus Wut, vor Merger. Denken Sie mal an, eine Stunde habe ich mit der Kundschaft schon gestanden, was ihnen gefiel, war zu teuer, was billig war, gefiel ihnen im Muster nicht, aber ich hätte bestimmt keine Pleite gemacht."

,, Was heißt Pleite machen?"

,, Einen Kunden weggehen lassen. Etwas Schlim­meres gibt es nicht. Also die Kundschaft hatte sich schon dreiviertel entschieden, da kommt doch die alte B., hängt sich dazwischen und dann hatte sie die 40 M. auf ihrem Block. 40 M. sind doch heute schon ein Posten, der rechnet." So kämpfen heute Verkäuferinnen gegeneinander um die Losung Ihre Tüchtigkeit steht abends beim Läuten unab­wischbar auf ihrem Kassenblock geschrieben. Wegen dieser Losung meinen sie am Abend.

Dagegen verblaßt alles andere, der Umtausch, die Proben. ,, Wie kann ich einem Kunden 10 Zentimeter Probe geben von einem Stoff, der pro Meter 7,50 M. tostet. Den muß ich doch berechnen. Gebe ich der Kundschaft einen Zenti­meter, sehen sie mich groß an und fragen empört, was sie mit dem Zipfel sollen."

Das Rendezvous

Was machen nun eigentlich die Verkäuferinnen abends nach 7 Uhr? Neulich, in einer Versamm­lung wollte eine Verkäuferin noch zwei Kolleginnen von ihrem Lager mitbringen. Sie famen aber nicht. Warum nicht?"- ,, Sie hatten Rendez­

vous." Haben alle Verkäuferinnen jeden Abend ein Rendezvous? Nein! Dazu haben weder die Verkäuferinnen noch ihre arbeitslosen Freunde Geld. In Wirklichkeit haben alle Verkäuferinnen abends erst einmal einen Mords hunger. Wenn wir recht unterrichtet sind, haben sie mittags wohl zwei Stunden Tischzeit. Sie könnten nach Hause fahren, wenn sie nahe genug zum Warenhaus wohnten. Aber da sind wir schon wieder beim Fahren: wenn die Verkäuferinnen nicht einmal zwei Fahrten am Tage bezahlen können, wie dann erst vier? In der Kantine essen. hat für viele feinen Sinn, denn zu Hause gibt es ohnedies Essen aus dem großen Topf. Ein tiefer Teller Mohrrüben mehr oder weniger aus diesem Topf spielt feine überragende Rolle. Sie müssen also tagsüber mit ihren Stullen aus­halten und so sind sie abends so hungrig, daß sie kaum in eine Versammlung gehen. Wer außer= dem Freitags in der Lebensmittelabteilung bedient hat, fühlt natürlich abends seine Beine. 10 Uhr schläft alles. ,, Und wenn Sie nun nicht schlafengehen und fein Rendezvous haben?" ,, Dann gehe ich in meinen Sportklub." Denn der Sport ist billig, im Verein ist es lustig, da sind junge Sport­follegen, und so fommt es abends darauf an: geht das kleine Fräulein zur Freien Turnerschaft Groß­Berlin oder zum Sportklub Charlottenburg. Orientiert fie fich sozialistisch oder bürgerlich. Und als wir dann abschließend fragten: Nun, wo sind Sie?", da antwortete fie: Nur FTGB. kommt in Frage!" Und Sonntag?" ,, Aber nur Lifte 2!"

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Der strenge und der gütige Richter

Zwei lehrreiche Prozesse

Es gibt Richter, deren Grundzug Güte ist, die aber Strenge nicht ausschließt, wo sie am plage ist. Es gibt aber auch Richter, die sich die Güte abringen müssen. Zwei Verhandlungen in per­schiedenen Gerichtsfälen an ein und demselben Tage: Bortreffliche Illustrationen зи dem Problem Richter und Richter.

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Vor dem Schöffengericht Schöneberg  stand jener freche Bursche, der an Gitta Alpar  , Gerda Maurus  , Lilian Harvey  , Dajos Bela  , an den Bankier Fürstenberg und andere Erpressungs­briefe schrieb: Ich befinde mich in großer Arbeitslosigkeit, bitte mir je nachdem 3000, 5000 bis 10 000 Mark zu leihen; schwöre, auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen. Wenn Sie das Geld nicht geben, so werde ich vor nichts zurüdschreden, sogar nicht vor Tötung." Lilian Harvey   und Gerda Maurus   drohte er: Sie werden noch aus der Chemie wissen, wie schädlich Salpetersäure ist. Sie können sich die Karriere verderben, Ihr Augenlicht verlieren. Friz Meier zu adressieren an Postamt X." Ein Telephonanruf bei Gerda Maurus   wurde dem Briefschreiber zum Verderb. Sie lud ihn zu fich und ein vorher verständigter Kriminalbeamter nahm ihn mit. Es war der 21jährige Arbeits­lose W. Er legte ein Geständnis ab und wurde entlassen. Nach Hause mochte er nicht gehen; sein Sparkassenbuch mit 17 M. hatte er bei sich. So faufte er sich ein Grammophon, eine Flasche Rognat und 40 Tabletten eines Schlafmittels, ver­brachte die Nacht in einem Hotel und schrieb Ab­schiedsbriefe an seine Eltern. Am nächsten Tage fuhr er nach dem Scharmützelsee, zog sein Grammophon auf, trant den Kognak aus, nahm die 40 Schlaftabletten und wachte nach mehre­ren Stunden wieder auf.

Der Richter faßte ihn scharf an, sehr scharf; wird ironisch, macht sich über den jungen Menschen ganz und unnötigerweise lustig. Der Vater tann über den Jungen nur Gutes sagen; er habe wohl die Not zuhause nicht mit ansehen können. Der Sachverständige bricht für den infantilen Burschen

Um

eine Lanze, wird aber vom Vorsitzenden mehr­mals unterbrochen. Der Staatsanwalt jetzt sich verständnisvoll für den Jungen ein und bittet um die milde Strafe von zwei Monaten Gefängnis und um Bewährungsfrist Das Gericht beriet dreiviertel Stunden. So schwer wird dem Richter wohl die Güte. Das Urteil lautete schließlich auf einen Monat Gefängnis und Bewährungsfrist.

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Vor dem Landgericht hat sich ein 21jähriger Bursche wegen versuchter räuberischer Erpressung an der eigenen Mutter und wegen Freiheits­beraubung zu verantworten. Er ist arbeitslos, hatte seine Unterstügung vertrunken er trant in der letzten Zeit öfter war nach Hause ge= kommen und hatte von der Mutter 5 Mart ver­langt, sie dabei mit dem Messer bedroht und sie eine halbe Stunde lang im Zimmer eingesperrt. In ihrer Empörung erstattete die Mutter gegen ihren Sohn Anzeige.

Zu Beginn der Verhandlung machte der Vor­sitzende die einzige Zeugin, die Mutter des Ange­klagten, darauf aufmerksam, daß sie nach der Strafprozeßordnung nicht verpflichtet sei, ihren Sohn durch ihre Angaben zu belasten, sondern Die daß sie ihre Aussage verweigern könne. Mutter verweigerte daraufhin ihre Aussage und erklärte, daß sie die Anzeige gegen ihren Sohn nur in der ersten Aufregung erstattet habe. Nun­mehr machte der Vorsitzende auch den Angeklagten darauf aufmerksam, daß er dem Gericht keine Angaben zu machen brauche. Auf diese Be­lehrung hin verweigerte auch der Angeklagte jede Angabe über seine Tat. Der Staatsanwalt be= antragt nun Freispruch, da der Nachweis einer strafbaren Handlung nicht möglich sei. Das Ge= richt spricht den angeklagten Sohn auch tatsächlich frei. Durch die Aussageverweigerung von Mutter und Sohn sei es nicht möglich gewesen, ein schuldhaftes Verhalten des Angeklagten zu er weisen.

Der Vorsitzende zum angeklagten Sohn: Jetzt gehen Sie nach Hause und tun so was nie wieder! Diese Richter brauchen nicht erst die Güte in fich zu erkämpfen.

In wenig Worten

Aus noch unbekannter Ursache brach im Flug hafen der Mittelmeerländischen Fluggesellschaft am Lido von Venedig ein Feuer aus, das fünf einmotorige Junkers- Apparate völlig vernichtete.

Der ,, buddhistische" Mönch Chao Kung( Tres bitsch- Lincoln) wurde nach Beendigung eines Vortrages in Köln   verhaftet, weil er ein Darlehen von 2161 Gulden, das er im Jahre 1919 von der Gattin eines höheren Beamten im diplomatischen Dienst im Haag erhielt, nur zum Teil zurückgezahlt hat.

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Der Kommandant des französischen  U Boots Promethée", das am 7. Juli mit 62 Mann an Bord gesunken ist, murde am Freitag vom Kriegsgericht in Cherbourg   von der Anklage der Fahrlässigkeit freigesprochen. Der Regierungskommissar erklärte in seinem Plädoyer, daß dem Kommandanten feine Ver­fehlung vorgeworfen werden könne.

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Die Junkerswerke Dessau   haben soeben ein neues leistungsfähiges Schnellflugzeug fertig­gestellt, das für vier Fahrgäste und zwei Führer gebaut ist. Die Reisegeschwindigkeit reicht an 300 Stundenkilometer heran.

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