2297
Abend-Ausgabe Nr. 526 B 255 49. Jahrg.
Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 207 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
MONTAG
7. November 1932
In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Fort mit Papen und den Baronen!
Ein rechtsgültiges Mißtrauensvotum: 514: 68 gegen Papen
Das Kabinett der Barone, das so großspurig auf seine Macht und seinen. Willen gepocht hat, dem Volke eine konterrevolutionäre Verfassung aufzuzwingen, mustert im neuen Reichstag, nehmt alles nur in allem, eine Truppe von 68 Mann. Ganze 68 Mann von 582! Das ist ein Mißtrauensvotum des Volkes von unzweideutiger Wucht! Dieses Mißtrauensvotum läßt sich nicht als rechtsungültig erklären wie das Mißtrauensvotum des alten Reichstages! Das Kabinett der arone ist vom Bolte gerichtet!
Der neue Reichstag hat 582 Abgeordnete. Die Mehrheit beträgt 292. Eine schwarz= braune Roalition ist unmöglich geworden. Ein Rechtsblock, der eine parlamentarische Mehrheit hätte, ist nur möglich, wenn zum Zentrum und den Nationalsozialisten entweder die Deutschnationalen, oder sämtliche Splitterparteien stoßen würden. Anderer seits besteht nach wie vor eine national sozialistisch- kommunistische Mehrheit. Auf jeden Fall aber besteht eine gewaltige Mehr heit gegen Papen !
Hitler , der Mann, der 35 Mandate verlor, hat einen Aufruf an seine Partei erlassen, in dem er einen neuen Propagandafeldzug gegen Hugenberg und Papen verlangt. Er fündigt an: Ehe dieses Regiment und die es deckenden Parteien nicht bis zur Vernich tung geschlagen sind, gibt es kein Verhandeln." Hitler will also Koalitionsverhandlungen führen, sobald Papen gestürzt sein wird.
Das Kabinett der Barone aber läßt un bekümmert um das Mißtrauensvotum des Volkes verkünden, daß für das Schicksal des neuen Reichstages die Haltung maßgebend sein würde, die er zu der Ver= fassungsvorlage
der Papen, Gaylund Genossen einnehmen werde! Das Kabinett der geschlagenen Barone zeigt Gelüste, den Weg gegen das Volk und sein Recht weiter zu gehen! Diese Parteiregierung einer verschwindenden Minderheit spielt meiter mit dem Gedanken einer Vergewaltigung des Volkswillens!
Die Front gegen die konterrevolutionären Pläne ist heute stärker als nach dem Juli 1931. Der Widerstand gegen die reaftionären Diktaturpläne steigt unaufhaltsam! Er wird noch wachsen und noch stärfer steigen, wenn die Barone sich hartnäckig an die Regierungssessel flammern, um dem Volke ein neues Junkerregiment zu diktieren! Die Verfassungspläne, die Freiherr von Gayl herstellen läßt, find an gesichts des Wahlausganges nicht das Papier wert, auf dem sie entworfen werden! Wenn die Barone das Recht des Bolkes mit Füßen treten wollen, so werden sie ihr blaues Wunder erleben!
Das Kabinett des Herrn von Papen hat zu verschwinden, und mit ihm die reaktionären Pläne gegen die Volkssouveränität und die demokratischen Rechte des Boltes! Wenn Herr von Papen dem Mißtrauensvotum des Boltes nicht weichen will, so ist es die Pflicht des Reichspräsidenten , das Urteil des Volkes zu vollstrecken.
Papens himmlische Ruhe
In ihren ersten Berlautbarungen will die Regierung Papen dem Bolle einreden, daß sie mit dem Wahlergebnis im ganzen recht zufrieden sei. Bescheidener fann man taum sein. Sie läßt am Montagmittag folgendes verlautbaren:
An der Situation habe sich nichts Wefentliches geändert. Die Regierung habe teine Beranlassung, von ihrem bisherigen
Das Ergebnis der Wahl
Das vorläufige amtliche Endergebnis stellt feft, daß 35 402 306 Stimmen abgegeben worden sind gegen 37 162 084 am 31. Juli. Dic Wahlbeteiligung betrug 79,5 Proz. gegen 84 Proz. am 31. Juli. Der nene Reichstag wird 582 Abgeordnete haben gegen 608 im alten Reichstag. Stimmen und Mandate verteilen sich wie folgt:
Juli 1932
Manbate Juli 1932 Prozent Juli 1932
Nationalsozialisten 11713 785( 13745 781) 195( 230) 33,2( 37,3) Sozialdemokraten. 7 237894( 7959 712) 121( 133) 20,4( 21,6) ( 5 282 626) ( 4589335)
•
Kommunisten Zentrum Deutschnationale. Bahr. Volkspartei D. Volkspartei.. Staatspartei. Christlichsoziale. Hannoveraner... Wirtschaftspartei. D. Bauern Partei Landbund Landvolk. Volksrechtspartei.
•
SAP. Württ. Bauernbd. Nat. Minderheiten Sozialrepubl. Part.
5974 209 4228 633 3064 977
100
( 89) 16,8( 14,3)
69
( 75) 11,9( 12,1)
( 2177414)
51
( 37) 8,6
( 5,9)
1081932 660 092 338 064
( 1192 684)
19
( 22) 3,1
( 3,2)
( 436 012)
11
( 7)
1,8
( 1,2)
( 371 792)
2
( 4) 0,9
( 1,0)
( 364 542)
5
( 3) 1,1
( 1,0)
( 46.929)
1
( 146 876)
( 2) 0,3( 0,4)
( 137 138)
3
( 4)
1
( 90 554) ( 40825)
0,1( 0,2)
-
( 1)
412 685 63 999 110 181 148990 60065 46 498 46 096 45 036 105 188 34510 8498
Kursabzugehen. Es werde jetzt die Sache der Parteien sein, dafür zu sorgen, daß der Reichstag positiv arbeite. Die Reichsregierung sei nach wie vor bereit, ihre Basis zu erweitern. Wie der Reichskanzler in einer seiner letzten Reden jagte, halte die Reichsregierung die Arme offen für jeden, der bereit sei, mit ihr zufammenzuarteiten.
Um ihre Selbstzufriedenheit zu begründen, geht also die Regierung der Barone davon aus, daß der neue Reichstag gegenüber dem früheren keine wesentliche Veränderung aufweisen werde. Aber wenn diese Feststellung zutrifft, dann liegt ge= rade darin schon eine e flatante Nieder
lage Papens . Denn wozu hat er denn den Reichstag aufgelöst, wenn nicht in der Hoffnung, daß aus den Wahlen ein wesentlich anders aus= sehender Reichstag hervorgehen würde.
( 96 851)
2
13
0,3( 0,1)
teilt, haben sich heute insgesamt über 6000 Arbeiter und Angestellte zur Arbeitswiederaufnahme auf ihren Arbeits- und Dienststellen eingefunden. Die Zahl der Arbeitswilligen mächst ständig.
In Mariendorf an der Kreuzung Dorfund Chauffe estraße wurde gegen 3 Uhr nachts ein Sabotageaft verübt Eine dort befindliche Umformersäule, in der der Starkstrom umgewandelt wird, wurde von unbekannten Tätern in Brand gesezt. Es erfolgte Kurzschluß und der Feuerschein war filometerweit zu erkennen. Da die Starkstromkabel sämtlich zerstört wurden, gerieten die Schienen unter Hochspannung. Glücklicherweise ist niemand zu Schaden gekommen. Die alarmierte Feuerwehr mußte fich darauf beschränken, die Gefahrenzone in weitem Umfange zu sichern. Die Täter hatten auf den Schienen Zettel niedergelegt, auf denen geschrieben stand: Nicht betreten Lebensgefahr." Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen auf
Berkehr kommt in Gang genommen. An anderen Stellen ist es nirgends
45 Straßenbahnlinien in Betrieb
3m Laufe des heutigen Bormittages ift es der BBG. gelungen, auf 45 Straßenbahnlinien rund 430 Straßenbahnwagen zum Teil mit Anhängern in Betrieb zu sehen. Damit waren aber erst 45 Proz. des normalen Berkehrs erreicht. 3m Autobusverkehr fonnten 150 Wagen, die sich auf 12 Linien verteilen, die Depots verlaffen. Das sind 40 Proz. des normalen Verkehrs. Recht schwach dagegen ist noch immer der U- Bahnbetrieb. Bisher fonnten nur die Teilffreden Steffiner Bahnhof- Tempelhof- Südring auf der Nordfüdbahn, BreitenbachplatzAlexanderplatz und Nollendorfplah- Hauptstraße ( Schöneberg ) befahren werden. Während sich in der Innenstadt der Verkehr schon recht flott abwidelte, machten sich in den Außenbezirken die Folgen des Streifs noch recht bemerkbar.
Sämtliche im Betrieb befindlichen Fahrzeuge wurden wieder wie an den Vortagen von Schupobeamten begleitet. Auch auf den U- Bahnhöfen standen überall Doppelposten. Wie die BVG. mit
zu weiteren Ausschreitungen gekommen.
*
Bon gestern nacht bis heute früh wurden 106 Personen, meist hafentreuzler und Kommunisten, wegen politischer Ausschreitungen festgenommen und der Politischen Polizei des Polizeipräsidiums zugeführt.
Die Niederlage der NSDAP . hat eine Serie von Hitler- Aufrufen hervorgerufen, in denen heftig gegen Papen und Hugenberg polemisiert wird. Es heißt in dem Hauptaufruf:
Keinerlei Kompromisse und fein Gedanke an irgendeine Verständigung mit diesen Elementen! Ich treffe für die Weiterführung des Kampfes daher folgende Anordnungen:
1. Alle organisatorischen Fragen und Arbeiten der Partei treten ab sofort zurüd gegenüber der Aufgabe der äußersten Ber. tärkung unserer Propaganda.
2. Sämtliche Parteiinstanzen treffen sofort hre Maßnahmen zur Einleitung des neuen ẞropagandafeldzuges.
3. Ehe dieses Regiment und die es deckenden Barteien nicht bis zur Vernichtung geschlagen sind, gibt es fein Verhandeln!
Es ist klar, daß dieser Parolebefehl getragen ist von der Sorge, daß der Rückgang der NSDAP . lawinenartig weitergreifen könnte! Es
qw.
Enttäuschung
..Der Schaden wird sich wohl nicht mehr reparieren lassen."
ist Defensivpropaganda die hier angefündigt wird!
Politisch will die Deflamation nichts anderes besagen, daß Hitler verhandeln will. Auch mit Hugenberg , aber ohne Papen .
Marr stärker als Hitler!
Eigener Bericht des„ Vorwärts" Wien , 7. November. Die Arbeiter 3eitung schreibt zu dem Ergebnis der deutschen Wahlen:
,, Die entscheidende Tatsache dieser Wahlen ist, daß der Aufstieg der Hafenkreuzler zu Ende ist. In beispiellofem Tempo hatte die faschistische Welle in den Jahren der Krise Deutsch land zu überfluten und alle Dämme zu durchbrechen gedroht. Bei den letzten Wahlen hat sich eine Berlangsamung des Tempos gezeigt; bei diesen Wahlen ist zum ersten Male der wirkliche Rückschlag eingetreten. Die Nationalsozialisten haben verloren. Der mystische Glanz, der der Hitler- Bewegung so viele Mitläuser warb, iſt dahin. Die Legalität, auf die sich diese aus entwurzelten proletarischen Existenzen und Kleinbürgern zusammengesetzte Bewegung festgelegt hatte, hat sie auf dem Boden der Demokratie, den sie wider Willen betreten mußten, geschlagen.