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Morgen- Ausgabe

Nr.529 A259 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

9. November 1932

In Groß Berlin   10 Pf. Auswärts.... 15 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiche am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Der Wahltag in USA  .

Ergebnis erst Mittwochvormittag zu erwarten

New York  , 8. November. Der Wahlakt hat um 14 Uhr mitteleuropäischer Zeit begonnen. Das Ergebnis wird in Europa  gegen 7 Uhr morgens eintreffen. Das Wetter ist fühl und bewölkt; aus verschiedenen Oststaaten werden Regenfälle gemeldet.

In der Stadt New York   überwachen 7557 Poli­zisten die 3794 Wahllokale; 19 220 Polizisten sind in der Stadt alarmbereit. Die Washingtoner Ge­heimpolizei hat Vorbereitungen getroffen, um ver­fassungsgemäß den staatlichen Schuß auf Roose= velt auszudehnen, falls er gewählt wird. Die Polizeistunde ist für Klubs und Tanzdielen auf 0.50 hr verlängert worden.

Um dem Massenandrang der Wähler begegnen zu können, sind in der Stadt New York   neue Wahlmaschinen eingeführt worden, die recht umständlich sind. In den übrigen Städten und auf dem Lande wird meistens mit Stimmzetteln gewählt. Amtlich ist der Wahltag zum Feier= tag erklärt worden, doch sind die meisten Ge= schäfte geöffnet. Die Republikaner   erhoffen im Hinblick auf das Alkoholverbot die Unter­stützung ihres Kandidaten Hoover vor allem auch durch die Frauen. Im Staate New York   wird zugleich über die Auflage einer 30- millionen­Dollar Anleihe für Erwerbslosen hilfe abgestimmt.

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Da das Wahlgejek solche Personen von der Wahl ausschließt, die aus öffentlichen Mitteln

unterhalten werden, können bei der jetzigen Wahl sehr viele nicht wählen.( Das gab's im faiserlichen Deutschland   auch, die Sozialdemokratie hat es ab­geschafft. Red. d. B.")

Der Präsident wird nicht unmittelbar gewählt, sondern 531 Wahlmänner, die Elektoren, die in zwei Monaten zusammentreten, um den Präsidenten und den Vizepräsidenten zu wählen. Heute entscheidet der Wähler zwischen den Wahl­mann- Kandidaten der Demokraten, Republikaner, Sozialisten und Kommunisten.

Am Wahlvorabend gab es einen zweiein­halbstündigen Rundfuntappell der Republikaner   an die Wähler. An den Probe= abstimmungen des Literary Digest", aus dem Roosevelt als Sieger hervorzugehen schien, haben sich nur vier Millionen Amerikaner be­teiligt, die Probestimmzettel waren jedoch an 20 Millionen abgesandt worden. Die Tra dition spricht für den republikanischen Kandi­Daten. Die Wahl des Demokraten Wilson fonnte nur erfolgen, weil Theodore Roosevelt   da= mals eine Spaltung der Republikanischen Partei herbeigeführt hatte. Uebereinstimmend ist man der Ansicht, daß Hoover verlieren muß, wenn er nicht die 47 Wahlstimmen New Yorks   er­hält. Da zwischen New York   und Kalifornien   ein Zeitunterschied von drei Stunden besteht, kann der Wahlausgang bereits entschieden sein, bevor die falifornischen Wahllokale geschlossen worden sind. In der Bundeshauptstadt Washington  , die als

5109000 Arbeitslose

Geringes Sinken der Arbeitslosigkeit

In der zweiten Oktoberhälfte ist nach dem jeht vorliegenden Bericht der Reichsanstalt die Zahl der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Erwerbslojen von 5 150 000 Mitte Oktober auf 5 109 000 per­jonen gesunken.

Bei der Unzuverlässigkeit der Arbeitsamtsstatistik wird man sich aber dieser zahlenmäßigen Besse­rung so lange nicht freuen können, bis der erheblich genauere Monatsbericht des ADGB  . über die Beschäftigtenziffern der gewerkschaftlich organi­sierten Arbeiter und die Ziffern der in den Kran­kenkassen Versicherten für den Monat Oktober herausgekommen sind. Erst dann wird sich zeigen, ob im vergangenen Monat gegenüber dem Sep­tember tatsächlich keine oder nur ganz unwesent­liche Verschlechterung des Arbeitsmarktes einge­treten ist. Da Ende September die Gesamtzahl der Erwerbslosen mit 5 102 000 und Ende Oktober mit 5 109 000. ausgewiesen wird, müßte sich also im Oktober der Arbeitsmarkt nahezu stabil ge= staltet haben.

Im Vergleich mit dem vergangenen Jahr hat sich seit Ende August die Situation auf dem Ar­beitsmarkt folgendermaßen entwickelt: im Jahre 1931 war durch die einsetzenden Saisonentlassungen bei gleichzeitig anhaltender Konjunkturver­schlechterung die Zahl der Arbeitslosen um 408 000 gestiegen In diesem Jahr ist die Zahl der Erwerbslosen seit Ende August um 115 000 Personen gesunken. Nun geben diese Zahlen leider keinen Anhaltspunkt, da durch die massenhaften Aussteuerungen und das Aufhören der Unterstützungszahlungen die Armee der Ar­beitslosen gewachsen ist, die bei den Arbeitsämtern nicht mehr angemeldet sind. Aber auch, wenn man all dies einschaltet, so zeigt sich doch, daß sich eine, wenn auch geringe, Teilbele bung in der Wirtschaft durchsetzt, die nicht nur saisonmäßig( Weihnachtsgeschäft) bedingt, sondern fonjunkturmäßig beeinflußt ist. Dieser leichten Besserung in den Konjunkturindustrien ist es ge= lungen, die jedes Jahr eintretende Verschlech= terung des Arbeitsmarktes in den Saisonge­werben bisher zu verhindern.

Die Regierungspresse wird natürlich versuchen, aus dieser geringen Besserung für das Kabinett

von Papen Kapital zu schlagen. Aber das, was sich bisher als Belebung gezeigt hat, ist nicht das Werk der Barone, sondern eine natürliche Entwicklung nach Ueberschreitung des Krisentiefpunktes. Man muß im Gegenteil befürchten, daß diese Besserung feine nachhaltigen Wirkungen zeitigt, da die von den Baronen ge= triebene Wirtschaftspolitik jeder ökonomischen Vernunft ins Gesicht schlägt.

einziger Ort in Amerika   sich nicht an den Wahlen beteiligen darf, herrscht heute absolute Ruhe.

Alle Minister haben die Stadt verlassen und die meisten Politiker meilen in den Hauptquartieren ihrer Partei. Das Ergebnis der Wahl wird den Bewohnern Washingtons durch Scheinwerfer ver­tündet. Rotes Licht kündet den Sieg Roosevelts, grünes Licht den Sieg Hoovers an.

Erste Teilergebnisse

New York  , 8. November. Aus acht Städten von Kansas  , darunter Kansas- City und Topeka  , liegen Teilergeb­Danach er­nisse der Präsidentenwahlen vor. hielt Roosevelt   3350 und Hoover 3290 Stimmen. In Denver  ( Kolorado  ) erhielt Roosevelt   3181 und Hoover 2754 Stimmen. Das Ergebnis von 37 Wahldistrikten von Massachusetts   lautet: Roosevelt 13 146, Hoover 9305 Stimmen.

Die ersten Meldungen weisen auf eine außer= ordentlich starke Wahlbeteiligung hin. Namentlich in den Oststaaten scheint die Wählerschaft beinahe vollzählig zur Wahlurne ge­gangen zu sein.

Das erste Wahlergebnis traf aus Newash ford in Massachusetts   ein, wo Hoover 24, Roosevelt 8 Stimmen erhielt. Auch in Pou( Massachusetts  ) ist Hoover überlegen mit 37 Stimmen, Roosevelt   nur 23. Allmählich lassen fich dann auch Ergebnisse aus größeren Kreisen übersehen. Zum Beispiel bekam Hoover in den 21 Wahlbezirken von Houston   154 Stimmen, Roosevelt   855 Stimmen. In einem Wahlbezirk in Joplin  ( Missouri  ) stimmten 10 Wähler für Hoover, 20 für Roosevelt  . Martins Station( Ala­ bama  ) meldet 7 Stimmen für Roosevelt  , für Hoover keine einzige. In einer Anzahl Wahl­bezirke von Fort Worth  ( Teras) hat Roosevelt  123 Stimmen, Hoover nur 17.

Letzte Wahlbombe

Der Sonderzug, der Präsident Hoover nach Palo Alto brachte, mußte infolge eines geheim­nisvollen Zwischenfalles bei Winne­mucca( Nevada  ) anhalten, da ein Brückenwärter die Signale auf Halt gestellt hatte. Als man ihn fragte, aus welchem Grunde, entblößte er seinen Oberkörper, der mehrere Messerstiche aufwies. Als man die Umgebung absuchte, fand man ein Dynamitpaket dicht bei der Brücke und ein zweites Paket in einem Busch.

Bentrum sagt: Nicht abwarten!

Der Reichstag   muß selber die Initiative ergreifen

Unter dem Titel Nicht abwarten" befaßt sich das Organ der Christlichen Gewerkschaften, der Deutsche  ", mit der Frage, was nach dem Ausgang der Wahlen werden soll. Wir haben Grund zu der Annahme, daß die Aeußerungen des Deutschen  " diesmal mit der Auffassung identisch sind, die gegenwärtig in maßgebenden Zentrumstreifen vorherrschend ist. Der Deutsche  " schreibt:

Hugenbergs Presse schreibt jezt, die Deutsch­nationale Partei besize die Schlüsselstellung im Parlament und habe jetzt die Faust an der Gur­gel der parlamentarischen Parteiwirtschaft". Sie werde jede Möglichkeit zu einer reaktionären Wiederbelebung des Weimarer Parlamentaris­mus über die Bildung einer parlamentarischen Regierung verhindern. Diese Offenherzigkeit ist zu begrüßen. Die anderen Parteien wissen, was sie von einer nationalen Konzentration", wie sie Hugenberg will, zu erwarten haben. Es ist ausgeschlossen, daß sich National. jozialisten, 3entrum und Christlich­Soziale dafür hergeben werden. Daraus ergibt sich alles weitere. Die Basis einer Not­und Arbeitsgemeinschaft im Reichstag, wie sie Kaas und Brüning fordern, muß so breit wie nur mög­lich sein und in erster Linie eine Stüße bei den

Massen des Volkes finden. Daß in diesem Augen­blick nicht an eine Mehrheitsbildung foalitions­mäßiger Art wie früher zu denken ist, ist klar. Es ist eine Regierung zu schaffen, deren führende Männer Vertrauen im Volke haben und eine Mehrheit im Reichstag   finden, die ihnen die Mög­lichkeit gibt, zu arbeiten. Der Reichstag   soll sie später nach ihrer Politik und ihren Taten be­urteilen. In diesem Sinne muß nun Der Reichstag   selber die Initiative er­greifen, er darf nicht abwarten, bis die Regierung für gut befindet, ihn einzuberufen. Er muß die Rechte des Volkes, das in seiner überwiegenden Mehrheit seinen Willen unzweideutig zum Aus­druck gebracht hat, zur Geltung bringen und die Es wäre falsch, Führung übernehmen die Vorschläge und Pläne Papens abzuwarten. Die Lage ist klar, die Aufgabe ist gestellt. Sie fann nicht gelöst werden auf dem Wege einer Besprechung dem zwischen Reichskanzler und den Partei­führern, welche die Hugenberg- Bresse turz so charakterisiert: Die Parteiführer sollen verhört werden." Beim Reichspräsidenten   liegt die letzte Entscheidung."

Es ist anzunehmen, daß das Zentrum im Sinne der vorstehenden Betrachtungen bereits bestimmte Schritte eingeleitet hat.

9. November

Es rettet uns kein höh'res Wesen, Kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun.... Was war es am 9. November 1918? Gine kaiserliche Diktatur brach zusammen, die das deutsche   Volk in den aussichtslosesten aller Kriege und in die unvermeidlichste aller Niederlagen hatte hineinschlittern lassen!

Was war es am 9. November 1918? Eine vielhundertjährige Baronsherrschaft wurde weggefegt mit Thrönchen und Krönchen, Herrenhäusern und Wahlrechts­privilegien, Herrscherrechten und Untertanen­pflichten. Eine autoritäre Staats= führung, die sich von Gottes Gnaden wähnte und den Namen der Vorsehung un­nüz im Munde führte, verendete an ihrer moralischen und geistigen Unfähigkeit.

Beliebt es den Nationalsozialisten noch immer, vom Novemberverbrechen zu reden? Sie, die heute so laut gegen die Ba­rone schreien, fönnen wirklich denen, die da­mals die Barone weggejagt haben, nicht den geringsten Vorwurf machen- außer etwa den, sie hätten nicht gründlich genug ge­arbeitet und die Rückkehr der Barone   in die Aemter nicht ein für allemal unmöglich ge= macht!

Aber es war doch gerade das elende ge= schichtsfälschende Geschwäg vom November­verbrechen und vom Dolchstoß in den Rüden der kämpfenden Front, das für die Rückkehr der Barone die geistigen Voraussetzungen schuf. Adolf Hitler  , der Hasser und Be­fämpfer der Revolution, war von Anbeginn an der Schrittmacher der Konterrevolution. Die Baronsregierung von heute, die autori­täre Staatsführung mit dem Vorsehungs­tompler ist sein Werk!

Herr v. Papen   hat gestern bei einem Fest­effen der ausländischen Presse Deutschland  als das Kampffeld bezeichnet, auf dem der westliche Rationalismus und der öst­liche Irrationalismus zusammen­stoßen. Ratio heißt soviel wie Vernunft wir fönnen nicht zum Schaden unseres Volkes annehmen, daß die Vernunft eine geographische Angelegenheit ist, an der wir nur beschränkt Anteil nehmen dürfen. Die Redereien vom Rationalen und Irrationalen  gehören auch zu den Verwirrungskünften, mit denen der gegenwärtige politische Zu­stand herbeigeführt worden ist.

Der 9. November brachte den Sieg der Vernunft über den politischen Aber­glauben der Vergangenheit. Es war ein Sieg des Volkes über eine hauchdünne Herrenschicht. In dem Maße, wie es gelang, die Vernunft zurückzudrängen und dem poli­tischen Aberglauben an Halbgötter  , Dikta­toren und Tribunen wieder. Raum zu schaffen, faßte auch die alte Herrenschicht wieder Boden.

Der 9. November war ein bedeutsamer Tag in der Geschichte der Klassen= Eine alte Klassenherrschaft kämpfe. wankte und fiel. Die Abergläubischen halten den Klassenkampf für die Erfindung eines bösen jüdischen Herenmeisters namens Karl Marg. Sie wissen nicht, daß der Klassen­tampf feine Erfindung, sondern eine ge­schichtliche Tatsache ist. Indem sie jetzt einen regelrechten lassentampf von oben erleben, durch den die Barone   ihre Herr­schaft neu zu befestigen versuchen, erhalten sie die Strafe für ihre Dummheit.

Für uns ist dieser 9. November kein An­laß, Freudenfeste zu feiern. Der 9. Novem­ber trägt eine doppelte Tragik in sich: er war ein Kind der nationalen Nieder­lage, und er machte die Spaltung im Proletariat offenbar. Hätte damals ein einiges Proletariat entschlossen den Weg betreten, der über die Demokratie zum Sozialismus führt, nie wäre die