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aus der preußischen Schlüsselstellung der So­zialdemokratie. Das Zusammenwirken der SPD . mit bürgerlichen Parteien in der Nachkriegszeit, wie es bei bestimmten öfono­mischen Kräfteverhältnissen zeitweise not­wendig werden kann, wird immer wieder durch die Klassengegensäge gesprengt wer den. Die Voraussetzungen, durch die Beteili­gung an Regierungsfoalitionen soziale Er­rungenschaften zu gewinnen oder zu vertei­digen, sind mit der herrschenden kapitalisti­ schen Wirtschaftsfrise beseitigt worden. Heute ist die Kraft aller bürgerlichen Parteien auf die Restauration des erschütterten kapitalisti­ schen Systems gerichtet. In diesem Stadium eines absteigenden Wirtschaftssystems wird es nicht unsere Aufgabe sein können, den Verfall des

Kapitalismus aufzuhalten. Unsere geschichtliche Mission des Kampfes um eine neue Welt wird die Haltung der Partei entscheidend bestimmen. Die SPD. wird die zum Schutz notleidender Massen er­forderliche tägliche Kleinarbeit nicht auf­geben, und sie wird den demokratischen Kampfboden nicht preisgeben, sondern ihn zäh verteidigen. Aber die neue Periode in der deutschen Politik zeigt zwingende ökono­mische Tatsachen, die es der Sozialdemo­fratie vermehren, ihre Aktivität in der Lagespolitik zu erschöpfen.

Wir wollen das von der Reaktion äußerst bedrohte Reichsparlament verteidigen und wieder aktionsfähig machen; aber wir sollen von ihm nicht mehr erwarten, als es die politischen Kräfteverhältnisse zulassen. Die Arbeiterklasse wird sich die demokratischen Abwehrwaffen gegen Unterdrückung und Not nicht aus der Hand winden lassen, ohne deshalb auf die Stärkung ihrer außerparla mentarischen Widerstandskraft gegen die Re­aktion zu verzichten. Im Mittelpunkt aller taktischen Maßnahmen steht der sozia listische Gestaltungswille und der Wille zur politischen Macht.

Der Umbau der kapitalistischen Wirtschaft zur planvollen Bedarfswirt­schaft ist unter sozialdemokratischer Führung zum Inhalt einer großen Bolts­bewegung zu machen. Dazu aber ist nicht nur die Einheit der Arbeiter, sondern in gleichem Maße die ideologische Gewinnung des gesamten Neuproletariats unerläßliche Voraussetzung. Der Monopolkapitalismus hat Millionen fleinbürgerlicher Existenzen zermalmt. Ein Scheinsozialismus der ,, klei­nen Leute", der Handwerker, Bauern, Be­amten, Intellektuellen und irregeleiteten An­gestellten hat zeitweise dem Faschismus Auf­trieb gegeben. Diesem Aufruhr proletarisier­ter, bisher bürgerlicher Schichten und der all­gemeinen Krise des kapitalistischen Denkens Ziel und Richtung zu geben, das alte und das neue Proletariat zur breiten antikapi­talistischen Front zu vereinigen, ist unsere Aufgabe.

Itegt

Die Einheitsfront der Arbeiter aber fann weder durch die Einheitsmanöver der KPD. , noch durch mechanische Organisationsverbin= dungen erreicht werden. Das Willens zentrum für die Einheit des deutschen Proletariats nur in der sozialdemokratischen Arbeiterpolitik. Die von der Reaktion gewollte Isolierung aller Werktätigen muß gesehen und politisch vertieft werden. Die Erkenntnis, daß sozialdemokratische und kom­munistische Arbeiter nur noch auf sich selbst und ihre eigene Kraft gestellt sind, und unter Lösung aller Bindungen an die Regierungs­gewalt im Reich eine konsequente Opposition gegen die herr= schende Staatsmacht treiben müssen, wird den Willen zur Macht, zur Einheit und zum Sieg der Massen wecken.

So müssen Selbsthilfe und Selbstbesinnung den Ausgangspunkt fünftiger Aktivität der Deutschen Sozialdemokratie bilden. Sie wird sich als die sturmerprobte Organisation der deutschen Arbeiterklasse bewähren, um den entscheidenden Schlag der Reaktion gegen Republik und Bolk abzuwehren und die Macht der organisierten Arbeit in Staat und Wirtschaft zu erobern.

Fünf Jahre Zuchthaus hat das Posener Stand­gericht( Offiziere und ein Richter) dem deutschen Landwirtsohn Stilo aus Bomst auferlegt, weil er Spionage getrieben haben soll. Er war bei geringer Grenzüberschreitung verhaftet worden. Verhandelt wurde geheim und durch Dolmetscher. Stilo versteht nicht polnisch.

Die Kommunistische Bauern- und Arbeiterbant in Paris ist im Konfurs. Vor kurzem waren der Direktor und die Aufsichtsratsmitglieder dieser. Bank wegen fiktiver Erhöhung des Stammkapitals verhaftet worden

Das Abtreibungsverbot in Dänemark soll abge­schafft oder gemildert werden. Der Justizminister der sozialistisch- radikalen Regierung hat eine Kom­mission von Frauen, Aerzten, Juristen und Poli­tifern berufen, die entsprechende Vorschläge aus­arbeiten soll.

rung war

Preußen im Reichsrat

Ein Vorstoß- Es soll neu verhandelt werden

Nach mehrmonatiger Pause frat am Donnerstag abend der Reichsrat wieder zu einer Bollsitzung zusammen. Presse und Deffentlichkeit waren un­gewöhnlich stark vertreten. Für die Reichsregie­Reichsinnenminister Freiherr Freiherr v. Gayl mit seinem Staatssekretär Dr. Zwei­gert und dem Ministerialdirektor Dr. Goff. heiner erschienen, für Preußen die Ministerial­direktoren Dr. Brecht, Dr. Coßmann.

Dr. Badt und

Erklärung Preußens

Nachdem Minister v. Gayl die Sigung eröffnet hatte, nahm sofort Ministerialdirektor Dr. Brecht das Wort, um namens der preußischen Staatsregierung folgende Erklärung abzu­

geben:

Seit mehr als drei Monaten hat der Reichsrat nicht tagen fönnen, weil die Reicheregierung durch ein, wie nunmehr feststeht, mit der Reichs­verfassung nicht im Einklang stehen­des Vorgehen die preußische Staatsregierung an der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten im Reichsrat verhindert hat.

Es war der Wunsch der preußischen Staats­regierung, das Vergangene im Reichsrat still zu übergehen. Sie hat daher in eine Aufschie­bung der ersten Bollfizung des Reicherats bis auf mehr als zwei Wochen nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs gewilligt. Leider ist es in diesem langen Zeitraum treg des größten Ent­gegenkommens der preußischen Staatsregierung bis heute nicht gelungen, eine befriedigende Regelung herbeizuführen. Auf Wunsch von Per­sönlichkeiten aus der Mitte des Reichsrats, die sich um eine solche Regelung bemühen und die Hoffnung haben, daß sie bis Sonnabend zustande kommt, und im Interesse anderer letzter Versuche um eine Verständigung sieht die preußische Staatsregierung davon ab, die Sach­lage heute genauer darzustellen. Sie begnügt sich mit folgenden Feststellungen:

Der Staatsgerichtshof hat den Vorwurf der Pflichtverletzung gegen das Land Preußen in vollem Umfange für unbegründet erklärt. Er hat die Anwendung des Artikels 48 Abs. 1 für unzulässig erklärt. Es gibt also teine Reichs­egetution gegen Preußen.

Der Staatsgerichtshof hat ferner festgestellt, daß die auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 be­ftellten Reichskommissare niemals Landesregie­rung werden und auch niemals an d'e Stelle der Landesregierung treten können. Wenn Reich kommissare Zuständigkeiten übernehmen, so können sie dies nur in der Weise tun, daß sie der Landesregierung vorübergehend Zu­ständigkeiten entziehen und sie vorübergehend auf das Reich übertragen.

Die Reichsregierung führt diese grundsäglichen Gesichtspunkte der Entscheidung des Staatsgerichts­hofs nicht durch. Die Reichskommissare bezeich­nen sich weiter als kommissarische Landesre gierung", also als Ersatz der Landesregierung. Sie erlassen unter er Dienstbezeichnung preußischer Minister und des Preu­Bischen Staatsministeriums Schreiben, Verfügungen und Berordnungen. Auch im übrigen versagen sie der Preußischen Staats­regierung die Wiedereinsegung in ihre Aemter als Landesregierung noch immer in weitem Umfange.

ihre

Diese Lage berührt in einem solchen Maßze die Grundlagen der geltenden Reichsverfassung, insbesondere der Rechtsstellung der Länder, daß sich die Preußische Staatsregierung für ver­

pflichtet hält, dem Reichsrat hiervon Kenntnis zu geben.

Die Preußische Staatsregierung hat nicht nur die Rechte der gegenwärtigen, sondern auch fünf­tiger preußischer Staatsregierun­gen zu wahren. Sie richtet als Mitglied des Reichsrats von dieser Stelle aus nochmals an die Reichsregierung die dringende Forderung, die unberechtigten Sondermaßnahmen in Preußen aufzuheben, mindestens aber die Entscheidung des Staatsgerichtshofs in loyaler Weise durchzuführen und die Staatsautorität, die nicht nur in der Reichsregierung, sondern auch in den Landesregierungen verförpert ist, selbst vor­bildlich zu achten.

Das Reich weicht aus Reichsminister Freiherr v. Gayl: Die ganze An­gelegenheit gehört nach Auffassung der Reichsregie­rung nicht vor das Forum des Reichs= rats, nachdem das Urteil des Staatsgerichtshofs ergangen ist, sondern bleibt, wie schon das Urteil festgestellt hat, Sache der Vereinbarung zwischen den Beteiligten, nämlich dem preußischen Staatsministerium und dem Reichs­tommissar für Preußen. Der Reichstanzler hat in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für Preußen in Gegenwart des Reichspräsidenten bereits ge= legentlich seiner Aussprache mit dem preußischen Ministerpräsidenten Dr. Braun die loyale Durch

führung des Urteils des Staatsgerichtshofs zu­gefagt. Die Verhandlungen über die Einzelheiten, die bereits seit längerer Zeit ge pflogen worden sind, werden demnächst in einer neuerlichen Verhandlung, die der Reichskommiffar inzwischen angeregt hat, hoffentlich einen befriedigenden Abschluß finden.

Die neuen Reichsminister Das Schreiben des Reichskanzlers über die Er­nennung von Dr. Bracht und Dr. Popih zu Reichsministern ohne Geschäftsbereich wird auf Antrag des preuß. Vertreters Dr. Brecht dem Haushaltsausschuß überwiesen, um die Frage der Ernennung der Minister nach der etatrecht. lichen Seite behandeln zu können.

Der Reichsrat erledigt dann eine Unzahl fleiner Vorlagen und Eingaben.

Papen an Braun

Papen hat dem preußischen Ministerpräsidenten am Donnerstag schriftlich mitgeteilt, daß er zu Be­sprechungen über die Ausführung des Leipziger Urteils zur Verfügung stehe. Ministerpräsident Braun hat auf diesen Brief erwidert, daß er sich zu der vorgesehenen Be­sprechung bereit halte und nunmehr eine Ver einbarung über den Termin erwarte.

Italien und Frankreich

Ein Mussolini - Interview

Paris , 10. November. Ein Mitarbeiter des Paris Midi" ist in Rom von Muffolini empfangen worden. Der Jour­nalist richtete an Mussolini unter Hinweis auf die in Frankreich geäußerten Wünsche nach einer französisch italienischen Verständi= gung die Frage, was er wünsche; Mussolini ant­wortete: Dreierlei! Erstens, daß man Italien beffer tenne; denn man fennt in Frank­ reich das heutige Italien nicht. 3 meitens, daß man an die Eristenz und Dauerhaftigteit des faschistischen Regimes glaube. Es handelt sich nicht um eine Uebergangserscheinung, handelt sich nicht um eine Uebergangserscheinung, deren Ende man abwarten muß. Drittens, daß man Italien gegenüber auf macchiavellistische Politik verzichtet. Aufrichtig sein ist nötig, wenn man Verhandlungen zum Ziele führen will, ferner eine Autorität, die die Ausführung gestattet.

Auf die Frage, ob Italien sich nicht mit einer Macht verbunden habe, die nicht gerade aufrichtig gegen Frankreich handle, und deren Spiel angeb­lich in Rom Unterstüßung finde, habe

Mussolini mit einer verneinenden Kopfbewegung erwidert: Auch wir reden und sagen bisweilen etwas, obgleich wir uns bemühen, möglichst wenig zu sagen, aber wir begehen keine Torheiten."

Zum Problem Krieg und Friede erklärte Musso­ lini , der Krieg habe nichts Berführerisches für ihn; er sei eine Plage der Menschheit. Aber zu behaupten, daß es feinen Krieg mehr geben würde, jei töricht; denn schließlich glaubten die Völker an derartige Behauptungen und ließen sich einschläfern.(!!) Italien arbeite und steige empor. Der Krieg würde die Wiederauf­richtung stören. Eine Anspielung auf Briand

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Papen will bleiben

Zentrum und Nazis sollen kuschen

Ueber die Absichten des Kabinetts der Barone unterrichtet die folgende amtliche Mitteilung über den neuen Auftrag, den Herr v. Papen erhalten hat:

Reichspräsident v. Hindenburg nahm den Vor­trag des Reichskanzlers v. Papen über die Auf­fassung des Kabinetts zur innerpolitischen Lage entgegen. Der Reichspräsident betonte, daß er an dem der Bildung der Regierung v. Bapen zugrunde liegenden Gedanken einer nationalen Ronzentration auch weiterhin festhalte. Dementsprechend beauftragt er den Reichskanzler, in Besprechun­gen mit den Führern der einzelnen in Frage kommenden Parteien fest­zustellen, ob und inwieweit sie gewillt seien, die Regierung in der Durchführung des in Angriff genommenen politischen Programms

wirtschaftlichen unterstützen.

und 3

sollen, ob sie vor dem Kabinett der Barone ta pitulieren und als getreue Knechte der Barone die reaktionären Berfassungspläne und das reaktionäre Wirtschaftsprogramm schlucken wollen.

Diese amtliche Mitteilung ist eine neue dit­tatorische Geste, aus der die Nichtbeachtung des Wahlergebnisses spricht. Der Reichstag soll auf seine Gesezesinitiative verzichten, er soll zum willenlosen Werkzeug der Barone gemacht wer­den. Die Barone markieren aufs neue Stärke und Selbstvertrauen.

Sie spannen dafür die Autorität des Reichs­ präsidenten ein, sie verbinden diese Autorität mit einem Plan, der in vollem Widerspruch zum Willen des Volkes steht.

Das Wort ,, nationale Konzentration" sagt im übrigen alles. Wer das Wort national" in dieser Weise mit Papens reaktionären Pro­jeften verknüpft, der tann gleich erklären: das gesamte werftätige Bolt ist nicht national!

Das Kabinett der Barone will also bleiben. Die Berhandlungen" sollen darin bestehen, daß Denn das gesamte werktätige Bolk lehnt diese ,, die in Frage kommenden Parteien", also Ben ,, nationalen" Programme mit Erbitterung und trum und Nationalsozialisten, verhört werden

Empörung einmütig ab!

beantwortete Mussolini wie folgt: Es gebe zweier lei: Politik und Myst it. Briund habe auf außen­politischem Gebiet Mystik getrieben. Schließlich fam man auf Italiens Aussichten in Afrika unter Erwähnung Abessiniens und Tunis zu sprechen. Mussolini lehnte es jedoch ab, hierzu Stellung zu nehmen und betonte zum Schluß, daß das Volk der Führung durch eine Persönlichkeit oder einen leitenden Kopf bedürfe.

Wir haben bereits vor mehreren Tagen auf die politische Bedeutung des offensichtlichen Versuchs Frantreichs hingewiesen, fich Italien zu nähern Die Initiative Sazu on Herriot ausge gangen, der durch einige freundliche Worte über Italien das Eis gebrochen hat. Das französisch­italienische Gespräch tommt allmählich in Gang. Das Mussolini- Interview zeigt, daß auch die ita­lienische Regierung nicht abgeneigt ist, diefe Bahn zu betreten. Frankreichs Ziel ist dabei, Italien diplomatisch von Deutschland loszulösen, genau fo, wie es ihm bereits bei der Sowjetunion zum Teil gelungen ist.

Wenn die Regierung der Barone verschwunden fein wird, werden ihre Nachfolger auch vor einem außenpolitischen Trümmerhaufen stehen.

Koloniale Zugeständnisse?

London , 10. November. " Pertinag" sagt in einer Meldung aus Paris an den Daily Telegraph ": Wahrscheinlich wird die französische Regierung bereit sein, die folo niale Ausdehnung Italiens zu be cünftigen. Aber in zwei Puntten wird die fran­ zösische Politik in absehi arer Zeit schwer abge ändert werden. Es wird ein Zugeständ nis auf Kosten der nordafrikanischen Besizungen Frankreichs gemacht werten, und Frankreich wird dem auf die Kriegsflotten bezüg lichen Teil des Hoover- Planes nur zustimmen, wenn die Ueberlegenheit der französischen Flotte gegenüber der italienischen Flotte nicht beseitigt und nicht sehr erheblich verringert wird.

Benn die kolonialen Zugeständnisse Frankreichs sich nicht auf Nordafrika beziehen sollen, das bis­her Italien allein zu interessieren schien, handelt es sich dann für die französische Regierung offen­bar darum, Italiens Wunsch nach Kolonial­mandaten im Völkerbund zu unterstügen, also Italien nachträglich einen Anteil an der Kolonial­beute von 1919 zu verschaffen. Damit würde gleichzeitig ein deutsch - italienischer Gegenſaz ge­schaffen, da auch die deutsche Regierung hofft, auf dem Wege über Kolonialmandaten wieder in den Besitz eines Teils der früheren deutschen Schutz­gebiete zu gelangen. Alle schönen Redensarten Mussolinis über die ungerechten Friedensverträge würden ihn nicht daran hindern, von einem solchen Angebot Frankreichs den möglichst weitgehenden Gebrauch zu machen.

Italien dankt Herriot Eigener Bericht des Vorwärts" Paris , 10. November.

Der italienische Botschafter Graf Pignatti hat Herriot den Dank der italienischen Regierung für die italienfreundlichen Worte auf dem radikalen Kongreß in Toulouse und später vor der fran­ zösischen Presse ausgesprochen.