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Morgen- Ausgabe

Nr. 539 A264 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

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Telegrammabresse: Sozialbemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

15. November 1932

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des tebaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Gerhart Hauptmann

Zum 70. Geburtstag

Von Käthe Kollwitz

Lieber Gerhart Hauptmann ! Ein Mensch aus Ihrer Generation grüßt Sie.

Bis ins fleinste erinnere ich mich des Tages der Erstaufführung der ,, Weber" in der Freien Bühne und der Erregung, in der wir alle waren. Genosse Adolf Braun rief: ,, Die Weber in der Volksbühne aufgeführt und wir haben Barrikaden!"

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Auf mich wirkte diese Aufführung mit solcher Gewalt, daß ich alle meine andern Pläne umwarf und mich demselben Thema den Webern, ihren Leiden, ihrer Erhebung und wieder ihrem Leiden zuwandte. Es war ja überhaupt ein Zug in jener Generation, ob es Dichter, ob es bildende Künstler waren wir zogen alle an einem Strang. Erst später wanderte der eine hier­hin ab, der andere dorthin. Auch Sie schienen andere Wege zu gehn. Es gab eine Zeit, in der die Jugend Sie reaktionär nannte, in der die Arbeiterschaft meinte, Sie hätten ihr nichts mehr zu sagen. Das war wohl richtig, wenn man nur das Stoffliche Ihrer Werte anjah. Aber der Mensch in Ihnen, der dichterische Mensch, der ins Innere der Ge­schehnisse und der Geschöpfe sieht, der war geblieben. Das unendlich vielfältige Leiden, das untrennbar mit dem Leben überhaupt verbunden ist, offenbart sich vor Ihnen und Sie haben die Gabe, dafür Worte zu finden, die man nicht wieder vergißt. So ist von alledem, was über den Krieg gesagt ist, ein Wort von Ihnen mir am tiefsten fizen ge= blieben, und das schrieben Sie vor dem Krieg. Ich meine die Stelle im vaterländi schen Puppenspiel, wo die Mütter ihre Söhne zurückverlangen.

Dies: Ins Zentrum des Gefühls treffen, was ja eigentlich den Künstler ausmacht, das hatten Sie ehemals und das haben Sie noch und dafür dante ich Ihnen.

Berlin 15. November 1932.

Käthe Kollwitz .

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Auswegloses Reichsdefizit

Riesige Steuerausfälle

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Schon seit Wochen besteht die große Be­fürchtung, daß das laufende Etaljahr ein neues großes Defizit aufweifen werde, obwohl die Papen - Regierung einen ausgeglichenen Etat über­nommen hatte. Bor den Reichstagswahlen wurden folche Befürchtungen als grundlos abgetan. Am Sonnabend hat nun der Reichsfinanz. minister Graf Schwerin- krosigt im Reichsrat zum ersten Male Auskunft über die Finanzlage gegeben. Aus den dürftigen offiziellen Mitteilungen ist zu entnehmen, daß jeht nach den Wahlen auch die Reichsregierung die Be­fürchtungen über ein neues großes Defizit als berechtigt zugibt.

Reichsfinanzminister Graf Schwerin- Krosigk hat mitgeteilt, daß die Reichsregierung im laufenden Etatjahr mit einem

Ausfall bei den Steuer- und Zoll­einnahmen in Höhe von 700 bis

800 Millionen

rechnet. Bon diefer Summe fallen etwa 400 Mil­lionen auf das Reich, der Rest auf Länder und Gemeinden. Wie start der Rückgang bei einzelnen Steuern ist, zeigt die Mitteilung, daß die Lohn­

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katastrophal zurückgegangen find listischen Stimmen gegenüber dem 6. November weit über den Rüdgang der Wahlbeteiligung hin­aus, es wird verschwiegen, daß der Abstieg vom 6. November sich in verstärktem Tempo fortgesetzt hat!

Es wird nicht die Wahrheit gesagt, weil die nationalsozialistischen Drahtzieher fürchten, daß die Wahrheit auf die Gefolgschaft niederschmetternd wirken würde! Noch stärker als die Sprache der Ziffern zeigen diese Beschönigungsversuche des Angriff" die Niederlage der Nationalsozialisten!

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Bors Kriegsgericht!

22 Genfer Soldaten wegen Rebellion Genf, 14. November. Der Militärbefehlshaber hat 22 Genfer Soldaten festnehmen lassen, die sich am

Wie sag ichs meinem Kinde? Sonnabend nach den Beerdigungsfeier­

Die Nazis müssen beschönigen!

Das Selbstvertrauen der Nationalsozialisten ist restlos erschüttert! Die nationalsozialistische Presse, die noch vor 14 Tagen in den höchsten Tönen posaunt hat, ist so klein geworden, daß sie ihre Leser über das Ergebnis der Wahlen vom Sonn­tag in Lübeck und in Sachsen nicht richtig zu informieren wagt. Der Angriff", das Organ des Herrn Goebbels , lügt seine Leser regel­recht an! Er teilt die Wahlergebnisse folgender= maßen mit:

Starke Zunahme der Nationalsozialisten.­Rückgang der deutschnationalen Stimmen."

,, Am gestrigen Sonntag fanden in Lübeck die Wahlen zur Bürgerschaft, in Sachsen Gemeinde­wahlen und im Saargebiet Kommunal- und Kreistagswahlen statt. Ueberall ist die Wahl= beteiligung erwartungsgemäß hinter der bei den letzten Reichstagswahlen erheblich zurüdgeblieben, worauf die schein baren ,, Stimmenverluste" fämt. licher Parteien gegenüber den Wahlen am 6. November zurückzuführen sind.

lichkeiten mit den Arbeitern verbrüdert und mit ihnen die Internationale ge­

Haushaltsvoranschlag unmöglich- Katastrophale Finanzlage

steuer nicht 900, sondern nur 770 Millionen, also 130 Millionen weniger erbringen werde. Bei der veranlagten Einkommensteuer schäht man den Aus­fall auf 140 Millionen, bei der Körperschaftssteuer auf 30 Millionen. Die Umsatzsteuer wird trotz ihrer Erhöhung auf 2 Proz., der Beseitigung der Freigrenze von 5000 Mark und einer wesentlichen Verschärfung der Einziehung nur einen Ertrag von 1400 Millionen bringen, also den gewaltigen Ausfall von 420 Millionen zeigen.

Da etwa die Hälfte der Minderein­nahmen den Ländern zur Last fällt

und Dedung durch andere Einnahmen nicht zu sehen ist, so ist es verständlich, daß mehrere Finanzminister der Länder erklärten, ihnen sei überhaupt die Aufstellung eines Etats für 1933 nicht möglich. Aber auch der Reichsfinanzminister hat für das Reich eine ähnliche Erklärung abgegeben. Trotz der zwingen­den Vorschrift der Reichsverfaffung, nach der dem Reichstag Anfang Dezember der Etat vorgelegt werden muß, will die Reichsregierung davon ab­sehen. Sie fürchtet anscheinend den ungünstigen Eindruck, den die offene Darlegung der vor­

sungen haben. Die Soldaten werden vor das Kriegsgericht gestellt werden.

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Lausanne , 14. November. Sonntag, spätabends, ist auf das Regierungs­gebäude, in dem die Stadt- und Kommunalver­waltung untergebracht ist, aus einem vorüber­fahrenden Kraftwagen eine Bombe ge= schleudert worden. Fünf Personen wurden verlegt. Die Polizei hat wegen dieses An­schlags bei radikalen Arbeitern Haussuchungen ab­gehalten und einige von ihnen verhaftet.

Der Generalstreit ist am Sonnabend um Mitter­nacht beendet worden. Die Arbeit wurde heute überall wieder aufgenommen. Die Schulen bleiben auch am Montag noch geschlossen. Die vorüber­gehend in Genf stationierten Truppen sind ab­transportiert, die Genser Landwehr ist demobili­siert worden.

Kriegsrechtlich erschossen wurden in Kanton sieben Kommunisten, davon zwei Frauen! 90 Teilnehmer einer KP.- Konferenz sind verhaftet

worden.

Parole Wittelsbach

Auf dem Rücken der Nazis

Eigener Bericht des Vorwärts" München , 14. November.

In Bayern ist man nach den Zusagen der 3 um Reichsregierung für die Rüdkehr 1871 bundesstaatlichen Reich von entschlossen, mit den Nationalsozialisten eine Koalitionsregierung zu bilden. Für die Ausliefe­rung des Kultusminifteriums und des Juffiz­minifteriums an die Nazis soll deren Zustim­mung zur Aenderung des§ 92 der banerischen Verfassung eingehandelt werden, der jede Aenderung der freistaatlichen Berfassung an die Zuffimmung einer Zweidriffel­mehrheit der gefehlichen Mitgliederzahl des Land­tags fnüpft. Die Bayerische Bolfspartei hat schon wiederholt die Alenderung dieses Verfassungs­Paragraphen versucht, sogar mit Hilfe eines Bolfsreferendums, doch find alle diese Versuche bisher gescheitert. Durch die Aenderung des ge­Es wird verschwiegen, daß die nationalfozia nannten Berfaffungs- Paragraphen foll der alte

Im Vergleich zu den lezten Kommunal­wahlen haben die Nationalsozialisten ihre Stimmen zum Teil um das Sechs­fache vermehren fönnen. Die Deutsch­nationalen haben große Verluste auf­zuweisen.

Nach dieser Einleitung werden dann die Stimm­zahlen vom 13. November ohne alle Ber= gleichszahlen mitgeteilt!

Plan der Einführung eines baŋe­rischen Staatspräsidenten verwirt­licht werden, für den fein anderer als der Ex­fronprinz Rupprecht im Hintergrund steht.

Nach dem Geständnis des Herrn Goebbels sind die Barone auf dem breiten Rücken der Nazis in die Macht geflettert. Jetzt wird ihr breiter Rücken abermals gebraucht! Sie sollen ihn herhalten für den bayerischen Separa­tismus und für die weißblauen Monarchisten. Sie sollen ihn frumm machen, damit Rupprecht von Wittelsbach bequem über ihn hinweg in die Macht steigen tann.

Die Partei des Herrn Hitler wird von den Reaktionären aller Schattierungen als Treppen­leiter zur Macht angesehen, und die Nazis ver­beugen sich tief bald für die ostelbischen Ba­rone bald für die weißblauen Monarchisten. Hinterher schreien fie. Aber das macht den Be­nugern ihres Rüdens nichts aus!

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handenen Finanzfchwierigkeiten machen muß. Denn während

die früheren Regierungen die wesent lich größeren Schwierigkeiten immer wieder meisterten

und der Deffentlichkeit Rechenschaft über die Finanzgebarung ablegten, hat die autoritäre Regierung es in wenigen Monaten fo weit gebracht, daß fie selbst keinen Ausweg aus den finanziellen Schwierigkeiten mehr sieht.

Bon besonderem Intereffe dürfte deshalb die Mitteilung sein, daß die Länderfinanzminister neue Einschränkungen bei den Personal­ausgaben anregten, sei es durch direkte Kür­zung der Beamtengehälter, durch Verschiebung der Zahlungstermine oder ähnliche Maßnahmen. Ob­wohl der Reichsfinanzminister für das Reich solche Kürzungen als im Widerspruch mit ihren auf wirtschaftlichem Gebiet eingeleiteten Maßnahmen ablehnte, meinte er doch, es bleibe den Ländern unbenommen, von sich aus diejenigen Beschlüsse zu faffen, die sie für notwendig hielten. Man muß fich also noch auf allerlei gefaßt machen!

Warm!

Schlechte Politik beunruhigt die Wirtschaft

Aussprechen was ist! Deutschland nacht­wandelt in diesen Tagen am Rande eines Abgrunds. Das Spiel, das von gewissen Kreisen gespielt wird, geht nicht nur um Ar­tikel der Verfassung, sondern um Gut und Blut des deutschen Boltes. Ginge es nach den Wünschen der Plänemacher, so wäre Deutschland in einigen Tagen fein Staat mehr, in dem sich das Leben in normalen Formen abspielt, sondern nur noch ein brodelnder Menschenhausen, dessen Schicksal ebenso ungewiß wäre wie das eines jeden einzelnen in ihm.

Es ist eine Groteske, daß ein solcher Zu­stand der Unsicherheit, wie er heute besteht, eintreten fonnte unter einer Regierung, die sich vermißt, den verfahrenen Karren der Wirtschaft durch Massenanwendung von Schmieröl wieder in Gang zu bringen. Glaubt irgendein Mensch in der Wilhelm­straße ernstlich, daß eine Atmosphäre, die mit Staatsstreich gelüften ge= schwängert ist, der deutschen Wirtschaft be­sonders bekömmlich sein fönnte? Die Berliner Börse scheint ganz anderer Meinung zu sein. Sie hat auf die politischen Treibereien in einer Weise geantwortet, die die tiefe Sorge der Wirtschaft vor den Dingen, die tommen fönnten, erkennen läßt.

Es wäre kindisch, sich darauf zu verlassen, daß man mit Militär und Polizei die Dinge schon in Ordnung bringen fönnte. Es wäre frivol, sich darauf zu verlassen, daß ein etwa möglicher Generalstreif nach einer ge= wissen Dauer wieder erlöschen müßte. Als Folge eines auf dauernde Wirkung berech­neten rechtswidrigen Eingriffs in die Ber­fassung ist vielmehr eine tiefgehende Läh­mung des gesamten Wirtschafts­lebens vorauszusehen, von der niemand voraussagen kann, wann und wie sie über­wunden werden wird.

Daß diese Erkenntnis nicht nur in unseren Kreisen, sondern auch in den ihnen gerade entgegengesezten vorhanden ist, zeigt die Haltung ,, Deutschen Allgemeinen

der