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Otto Bauer   und Einheitsfront

Verhandlungen der beiden Internationalen sind der Weg

Eigener Bericht des Vorwärts"

Wien  , 14. November. Auf dem sozialdemokratischen Parteitag referierte Otto Bauer   über Faschis­mus, Demokratie und Sozialismus. Er führte in den Hauptzügen aus:

Die Grunderkenntnis des Margismus, daß jede Umwälzung der wirtschaftlichen Basis auch den politischen und geistigen Ueberbau umwälzt, ist niemals so anschaulich bestätigt worden wie gerade jezt. Nirgends ist das so deutlich sichtbar, wie in den Ereignissen im deutschen Reich, die auch für Desterreich Schicksalbestimmend sind. Deutschland  hat 1925 bis 1929 eine Zeit glänzender Konjunktur erlebt. Das war die Zeit, in der sich die deutsche Republik befestigt hat, in der die Rebellionen gegen die Republit von rechts und links aufgehört haben. Dann tam

die Wirtschaftskrise und mit ihr sofort die un­geheure Flut des Nationalfaschismus. Der deutsche   Parlamentarismus wurde zerstört und funktionsunfähig gemacht, die alten Herrenklassen konnten ihre Diffatur wieder aufrichten.

In Mitteleuropa   haben die Bauern, anders als 1917 in Rußland  , nicht auf der Seite der Revo­lution gestanden. Sie haben sich vielmehr zum größten Teil auf die Seite der Reaktion geschlagen. Man muß das unserer Arbeiterjugend, die diese Zeit nicht miterlebt hat, immer wieder erklären. Deshalb fonnte die mitteleuropäische Revo lution über den Rahmen der bürgerlichen De mo tratie nicht hinaustreten, deswegen fonnte sie den Faschismus nicht töten, deswegen bleibt er in den Republiken einstweilen noch be= stehen. Aber wir müssen auch noch eine andere Seite des Faschismus sehen. Es gibt einen großen Teil der arbeitenden Boltsmassen, die mit der Bourgeoisie- Politik unzufrieden sind. Der von der Krise ruinierte Reinbürger und Bauer, der Angestellte und der Beamte, dessen Gehalt gekürzt wird, sie lehnen sich gegen die Bourgeoisie Politik auf und träumen in politischer Naivität und Unaufgeklärtheit von einer Dittatur, die diesem allen ein Ende bereiten werde.

Wir werden uns gewiß darüber nicht täu­schen, daß man mit parlamentarischen

Mitteln allein die Demokratie nicht vertei­digen kann. Wir müssen unseren Genossen immer wieber flarmachen, daß in dieser gegenwärtigen Lage die Verteidigung der Demotra tie gegen Reaktion und Faschismus die aller michtigste Aufgabe ist. Db eine renolutio­näre Situation die Demokratie sprengen muß, ob eine revolutionäre Situation einmal der Arbeiter. flaffe die Macht in die Hand geben mird, barüber zu diskutieren hat heute teinen Sinn. Wir müssen verstehen, daß heute und hier die Entscheidung nicht zwischen Kapitalismus   und Sozialismus fällt, sondern daß wir im Augenblick vor einer ganz anderen Frage stehen: Umzingelt vom Faschismus auf allen Seiten, ist es die erste und wichtigste Aufgabe des Proletariats, hier eine Insel demokratischer Freiheit zu bewahren.

In allen Ländern aktuell ist die Frage der Ein­heitsfront des Proletariats. Ich möchte vor allem eines aus der Debatte ausschließen: Ein heitsfrontmanöver find kein Weg zur Einheitsfront.

Es gibt nach meiner festen Ueberzeugung nur einen Weg zur Einheitsfront des Proletariats im internationalen Maßstab, das sind direkte Berhandlungen zwischen der Sozialistischen Urbeiterinternationale und der Komintern  . ( Stürmischer Beifall.) nur von Internatio­nale zu Internationale, nur zwischen Zürich  und Moskau   fann die Einheitsfront begrün­det werden.

Wir müssen uns fragen, ob der Augenblick dazu reif ist. Heute schon die Verhandlungen einzuleiten, dazu ist der Moment noch nicht da. Ich bin überzeugt, daß dieser Augenblick kommen wird, weil geschichtliche Notwendigkeiten dies durchsezen müssen. Aber mit der Einheitsfront ist das Pro­blem der Machteroberung des Proletariats noch nicht erschöpft. Ich bin überzeugt, daß mit dem zweiten Sturz der englischen Arbeiter­regierung und den Ereignissen der letzten Jahre, besonders dieses Jahres im Deutschen Reich, das Ende einer ganzen Geschichtsepoche bezeichnet

wird und

der Beginn einer neuen Epoche, einer neuen internationalen Arbeiterbewegung begonnen hat. Wir stehen am Beginn einer Zeit mit schweren, langen Krisen, die nur von furzen Erholungsperioden unterbrochen sein werden Darum müssen wir die Arbeiterklasse zu der materialistischen Erkenntnis erziehen, daß der Rapitalismus naturnotwendig aus seinem eigenen Wesen heraus nicht nur infolge der Bosheit seiner Träger zur Verelendung der Massen führt, wir müssen sie zu der Erkenntnis erziehen, daß der Weg nicht zurückführen darf zur Bourgeoisiepolitik, zur Monarchie und zu Diktaturen. Der Kapitalismus erlebt jetzt eine Weltblamage. Er zeigt, daß er nicht imftande ist. in einer Zeit. die reich ist an Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Maschinen, die Menschen mit allem Notwendigen zu versehen. Deshalb flutet die

Welle des Faschismus hoch, und sie flutet auch in unser Land. Es ist

der Augenblic, in dem wir uns einzig und allein zum Kampf gegen diesen Faschismus zu rüffen haben, um die Demokratie und die Freiheit der Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten. Stürmischer, anhaltender Beifall folgte diesen Worten. Am Dienstag folgt das Referat Karl Renners   über Die Wirtschaftspolitik in der heutigen Zeit".

Das Wergernis

Der Fall Hussong

Friedrich Hussong, der politische Leitartikler Hugenbergs, tut sich viel darauf zugute, daß er seine Ueberproduktion an Galle   sie ist erheb

lich

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gegen die Literatur versprigt. Er hat sich zu Beginn dieser Woche ein neues Ziel er. toren, den Fall Hauptmann". Bitte es han delt sich weder um einen Kriminalfall, noch um einen Standalfall, sondern um die bekannte Tate sache des 70. Geburtstags. Das sieht bei Hussong so aus:

,, Das ergernis neigt dem Ende zu. Zum unwiderruflich letzten Male findet in dieser Woche Gerhart Hauptmanns   70. Geburtstag statt..... Eine Reklameangelegenheit, ein Auf­putsch.... Von Anfang an ging Hauptmann auf fremden Krücken.... Man möchte uns diesen Stammler der ärmsten Enge als einen Geist und Genius von Weltweite auf­schwagen usw. usw."

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So schrieb Friedrich Hussong   am Montag in der Morgen ausgabe der Hugenberg- Presse. Es vergingen sechs Stunden, es erschien die Hugen­bergsche Nachtausgabe", und, siehe da, das ,, Aergernis" neigte keineswegs dem Ende zu, sondern sondern eine ganze Beilage ber ,, Nachtausgabe" war ausgefüllt mit ber Reklameangelegenheit" hart Hauptmann! Hauptmanns Geburts­haus findet sich darin ebenso gewissenhaft ab= gebildet, wie der von der Gemeinde Salzbrunn ihrem Ehrenbürger Gerhart Hauptmann   gefeßte Denkstein. Auf Erinnerungsspuren in Gerhart Hauptmanns Heimat" ,,, Im Geburtszimmer des Dichters". Der Sohn Schlesiens", so lauten die Ueberschriften- welch ein ,, Aufputsch"!

Es wäre übermenschliche Grausamkeit, noch Salz in die Wunden des hereingefallenen Aerger­nisnehmers Friedrich Husfong zu reiben. Aber eine Erinnerung können wir uns doch nicht ver­jagen: als Berhart Hauptmann mit den ,, Webern  ",

Deutsches Kulissenspiel

Publikum Wir wollen endlich wissen, was hier gespielt wird." Direktor v. Pa pen: ,, Geduld, der Vorhang wird gleich hochgehen."

dem Florian Geyer  " und dem Fuhrmann Tagung der Kriegsopfer

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Henschel" auf der Höhe seines Schaffens wandelte, da war es allerdings die Scherl- Presse, die in Untertanendemut mit Wilhelm II.   diese Rinn­steinfunst" ablehnte. Aber wie hießen die Litera­turgötter, zu denen Scherls Holzböcke damals auf­blickten? Wir nennen ihre Namen auf die Gefahr hin, daß keiner unserer Leser sich ihrer noch erinnert: es waren die Hofpoeten Wilhelms II., Josef Lauff und Ernst von Bildenbruch.. Wir sind teine trititlosen Hauptmann- Schwär - es sei auf den Artikel Hermann Wendels Derwiesen. Aber es bereitet uns doch einige Genugtuung, mit dem ,, Aergernis" Hauptmann sympathisiert zu haben, als Herrn Friedrich Hufsongs Blatt in Lauff und Wildenbruch die Unsterblichen der deutschen   Literatur vermutete.

mer

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spruatis

Gerhart- Hauptmann  - Feier

Festliche Ehrung in den Ausstellungshallen

Am Vorabend des heutigen 70. Geburtstag Gerhart Hauptmanns   veranstaltete die Ge= nossenschaft deutscher   Bühnenange höriger gemeinsam mit den Berbänden der deutschen   Bühnen und des deut schen Schrifttums eine Gerhart- Hauptmann­Ehrung in der Ausstellungshalle Il am Raiser­damm, die sehr starken Besuch aufwies und an der der Dichter und seine Battin teilnahmen.

Unter den zahlreichen Ehrengästen bemerkte man die Botschafter Spaniens  , Rußlands   und Italiens  , den Schweizer  , portugiesischen, irischen und rumänischen Gesandten, ferner zahlreiche Ber treter der Reichs- und Staatsbehörden, sowie viele prominente Persönlichkeiten der Berliner   Kunst­und Bühnenwelt und des deutschen   Schrifttums. Die Halle hatte festlichen Schmuck mit den Farben des Reichs, Preußens und Berlins   erhalten.

Gerhart Hauptmann   wurde bei seinem Er­scheinen stürmisch von der Menge begrüßt Die III. Leonoren- Ouvertüre von Beethoven  , gespielt vom Berliner   Funkorchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Eugen Jochum  , leitete die Feier ein. Hierauf ergriff Oberbürger meister Dr. Sahm zu einer Festansprache das Wort.

,, Wir stehen am Vorabend des 70. Geburtstages Gerhart Hauptmanns  ", so führte er aus. Das deutsche   Volk rüstet sich, den Tag der Bollendung des fiebenten Jahrzehnts zu einem Ehrentage für den großen deutschen   Dichter zu gestalten. Berlin  , das ihm zur zweiten Heimat geworden ist, erlebt heute die Ehre und Freude, Gerhart Hauptmann  , den Führer, den Wegweiser einer neuen Literatur­epoche im deutschen   Kulturleben, in diesem Fest­raum zujubeln zu können."

Der Pulsschlag der Weltstadt konnte auf den Dichter nicht ohne stärkste Einwirkung bleiben. Kein Wunder sei es gewesen, daß die schwermütige märkische Landschaft auch Gerhart Hauptmann   in ihren Bann gezogen habe. Wie sehr er in dieser zweiten Heimat Wurzel gefaßt habe, das zeige der Hintergrund von vielen seiner Werte, in denen viel ,, Berlinisch  " enthalten sei. Dr. Sahm schloß: Wir verbeugen uns heute in ehrfürchtiger Dant­barkeit und Bewunderung vor dem Genius Ger­hart Hauptmanns, der seine Schöpfung willig der Menschheit bietet."

Der Dichter Carl 3udmayer brachte dann in begeisterten Worten den Dank der schaffenden deutschen   Jugend und des deutschen   Schrifttums

an Gerhart Hauptmann   zum Ausdrud. Carl Wallauer   stattete sodann den Dank des deut­ schen   Theaters und der deutschen   Schauspielerschaft an Gerhart Hauptmann   in beredten Worten ab. Nachdem Frida Leider   den Schlußgefang der Brünhilde   aus der Götterdämmerung  " vor­getragen hatte, dankte

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Gerhart Hauptmann  

selbst, von stürmischem Beifall umbraust, in be­wegten Worten für die ihm zuteil gewordene Ehrung. Er wies dann darauf hin, daß man von seiner Person absehen und den Tag zu einer Ehrung der Kunst werden laffen möchte, die ohne humane Wesensart undenkbar sei. Das Wort ,, Kunst ist Religion" wandelte er dahin ab, daß seine Kunst seine Religion set. Gerhart Haupt­ mann   schloß mit dem Geständnis, daß er Freude und Stolz über die ihm zuteil gewordene Ehrung empfinde, denn es gebe wohl nichts Schöneres, als das Bewußtsein, in der Achtung und Liebe der Mitmenschen beschäftigt zu sein.

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Nach weiteren stürmischen Ovationen für den Dichter schloß der Wachtauf"-Chor und die Ansprache des Hans Sachs   aus den Meistersingern unter Leitung von Prof. Dr. Mag v. Schillings und mit Kammersänger Wilhelm Rode   als Solisten die eindrucksvolle Feier.

Hindenburg an Hauptmann

Der Reichspräsident hat an Gerhart Hauptmann  folgendes Glückwunschschreiben gerichtet:

,, Sehr geehrter Herr Hauptmann! Zu Ihrem 70. Geburtstag spreche ich Ihnen meine herz­lichsten Glückwünsche aus. Anläßlich Ihres 60. Geburtstags ist Ihnen die höchste Auszeichnung des Reiches, der Adlerschild, verliehen worden. So bleibt mir heute nur übrig, erneut der An­erkennung Ausdruck zu geben, die das deutsche Bolt Ihnen und Ihrem dichterischen Schaffen entgegenbringt, und den Dank zu wiederholen, der Ihnen für Ihre Verdienste um die deutsche Kunſt und nicht zuletzt für die Vertretung und Ver­telbigung des deutschen   Gedankens in der Welt in so reichem Maße gebührt. Ich wünsche Ihnen ein langes weiteres Leben voll Gesundheit und Schaffenstraft und verbleibe mit freundlichen Grüßen Ihr sehr ergebener

gez.: von Hindenburg."

Zurück zur Demokratie!

Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Königsberg  , 14. November. Auf der Reichstonferenz des Reichs­bundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhin­terbliebenen folgte nach der schon mitgeteil ten Eröffnungsrede des Vorsitzenden Pfändner  die Begrüßungsansprache.

Den ersten Tagesordnungspunkt bildete ein Bor­trag von Univ.- Prof. Dr. Hermberg- Jena über

Wirtschaftskrise und Sozialpolitik".

Er brachte eine tiefschürfende Auseinanderseßung mit der Funktion sozialpolitischer Maßnahmen in der tapitalistischen Wirtschaft. Staat und Selbst­schußverbände haben nicht die Aufgabe, den Wirt­schaftsertrag, sondern den Menschen vor der Wirtschaft zuschügen! Prof. Hermberg schloß mit einem entschiedenen Bekenntnis zur be= mußten Blanwirtschaft; die Kräfte naüßten mobil­gemacht werden, um ein neues System bauen zu helfen.

Auch der Vortrag des zweiten Bundesporfizen­den No a über

Die Not der Kriegsopfer"

brachte aus reichhaltigem Tatsachenmaterial schwere Anklagen gegen den sozialreaktionären Kurs der Papen- Regierung. Nicht nur, daß materiell die Versorgungsberechtigten schwer geschädigt wurden, sondern auch in ihren Rechtsansprüchen, im Verfahren zu ihrem Rechtsschuß sind einschnei­dende Verschlechterungen durchgeführt worden, die zudem unzweckmäßig, uneinheitlich und planlos die Grundsäge von Versorgung, Versicherung und Fürsorge vermengen und verwischen. Bei den un­zulänglichen Fürsorgesägen leben heute Millionen schon in bitterster Not, auch wenn sie nicht auf den Straßen sichtbar ist. Auch dieser Redner unterstrich das Bersagen der Gesellschaftsordnung vor ihren Aufgaben, das an dem fehlenden sozial­politischen Schuß zuerst erkennbar wird, und zeigte auf, daß die Rechtsordnung den Eigentumsbegriff, die Staatsordnung das Herrschaftsprinzip und das Wirtschaftssystem die sozialen Abhängigkeitsver­hältnisse überspigt hat. An Einzelheiten bewies er, wie verhängnisvoll sich das Regieren einer unverantwortlichen Ministerialbürokratie unter dem Notverordnungsregime ausgewirkt hat, und betonte, daß bei allen Schwächen des Barlamen­tarismus dieser noch weit besser funktioniert hätte als die heutige Berordnungswirtschaft! Der Re­ferent umriß die dringlichsten Forderungen der Kriegsopfer im einzelnen und schloß unter leb­haftem Beifall der Versammelten mit dem Ruf: Zurüd zur Demokratie, zurüd& um Recht!

Aus den weiteren Beratungen der Konferenz verdient der Bericht des Reichstagsabgeordneten Roßmann Stuttgart   über die Tätigkeit der ,, Ciamac", der Internationale der Kriegsopfer, hervorgehoben zu werden, ferner das Referat von Landrat Dr. Foth Neustreliz über die Tätig keit des Völkerbundes in der gleichen Richtung. Die Bundessekretärin Harnoß- Berlin erstattete über die Erziehungsbestrebungen der Kriegsopfer­verbände aufschlußreichen Bericht.

Die Berhandlungen am Sonntag galten mehr innerorganisatorischen Angelegenheiten.