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ZWEITE BEILAGE

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Vorwärts

SCHICKSAL MASCHINE

19] ROMAN VON STEFAN POLLATSCHEK

( Copyright Saturn- Verlag.)

Wie lange er geschlafen haben mochte, wußte er nicht. Als er erwachte, griff er nach seiner Uhr. Sie war fort, auch Hut und Spazierstock fehlten. Besorgt griff er nach seiner Brieftasche, in der er viel Geld hatte. Ja, die war also noch vorhanden, die Diebe hatten sich mit den leicht erreichbaren Dingen begnügt. Weltlin erhob sich und ging ein wenig unsicher wieder der Straße zu. Er fam sich ohne Hut und Stock wie unbekleidet vor. Auf einer Kirchenuhr sah er, daß es neun Uhr vorbei war. Jezt mochte wohl auch die polizeiliche Untersuchung schon zu Ende sein welche Untersuchung, wo? Ob Sufi noch auf den telephonischen Anruf

wartete?

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In irgendeiner Seitengasse machte Weltlin halt, er mußte ausruhen. Das Herz machte wieder Schwierigkeiten; er spürte das Schlagen bis in die Halsgegend und mußte sich an eine Wand lehnen. Der Anzug, zer­fnüllt, und nun auch noch fleckig und staubig geworden, flebte an seinem Körper. Er mußte den Kragen lockern, um zu Atem zu fommen.

Endlich nach einiger Zeit fonnte er wieder meitergehen, er ging aufs Geratewohl, ohne zu wissen, wo er sich befand. Vor ihm tor­felte ein Mann, zerlumpt, zerfetzt, sichtlich betrunken. Weltlin überholte ihn, sah ihm beim Schein einer Straßenlaterne ins Ge­sicht und erschraf zutiefst. Er hatte ihn sofort erkannt, es war der Arbeiter Wenzel Starka, der vierzehn Jahre lang in seiner Fabrik gearbeitet hatte, als sie noch eine Fabrik und keine Teufelsküche gewesen war. Er trat auf den Mann zu: ,, Sind Sie der Arbeiter Wenzel Starta?"

Ich glaub, daß ich so heiße", lallte der Mann ,,, aber Arbeiter bin ich nicht, oh nein!" ,, Was sind Sie denn?"

,, Privatier. Man läßt mich ja nicht ar­beiten.

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täuben. Er hatte nur den einen Wunsch: frische Luft... Luft!

Ohne Besinnung stürzte er das ihm wider­stehende Getränk in seine Kehle. Es würgte und brannte. Schon stand ein zweites Glas vor ihm, er wußte nicht mehr, was um ihn vorging, legte einige Geldmünzen vor sich hin, auf die er nicht achtete. Auch das zweite Glas tranf er aus. Sein Kopf schmerzte, er glaubte ersticken zu müssen, sein Herz klopfte, daß es ihm fast den Atem nahm. Nach einer Ewigkeit spürte er, wie er von starten Fäusten geschüttelt wurde und der Arbeiter Starta ihn unter den Arm nahm. ,, Du ver­trägst ja nichts!" lallte der. Plötzlich spürte Weltlin die ersehnte frische Luft. Sie waren wieder auf der Gasse.

,, Ich möchte nach Hause", brachte er müh­sam hervor.

,, Wo wohnst du?"

Weltlin wollte antworten, konnte es aber nicht. Er vermochte sich nicht an die Gasse zu erinnern, in der sich seine Wohnung be­fand.

,, Mit dir will ich gehen. Nimm mich mit", brachte er mühsam hervor.

,, Ich hab' keine Wohnung", sagte Starka und schleifte Weltlin hinter sich her. Endlos dauerte der Weg. Nun waren sie bei einem Fluß angelangt, gingen Stiegen hinab, unter einem Brückenbogen lagerten Leute am Boden. Wie ein Stein fiel Weltlin hin und lag bald in tiefem Schlafe. Als er wieder er­wachte, hörte er Starta neben sich sagen: ,, Glüd haben, wir gehabt! Keine Polizei! Aber nun müssen wir laufen." Weltlin er­hob sich, starke eiserne, zentnerschwere Ringe verspürte er um seinen Kopf, er griff hin, aber er fühlte nur die Schwere seiner Hand. Er sah auf seinen Anzug, der über und über mit Schmutz und Erde überzogen war. Wenn ich mich nur waschen könnte, dachte Weltlin und dieses Gefühl wurde so mächtig in ihm, daß er die Böschung hinabfletterte und seine Hände in den Strom tauchte. Mit müden, zitternden Händen befeuchtete er sein Ge­sicht. Was nun? dachte er. Wo bin ich? Ich muß in die Fabrik. In die Fabrik? Wer hat eine Fabrif? Dorthin will ich nicht mehr nein, nein! Dort ist der Teufel! Oh, hier

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Mirat und der Mord

Ein seltsamer Fall/ Nach Alfred Capus

Monsieur Mirat war der glückliche Besizer einer fleinen Villa in einem netten Städtchen Mittelfrankreichs und ich war sein nach Ruhe und Einsamkeit dürftender Sommergast.

Etwa zweihundert Schritt vom großen Obst­garten ging der Fluß vorbei, der übrigens sehr fischreich war, und ich konnte mich also nach Herzenslust an meinem Lieblingssport vergnügen. Denn

es gibt doch nichts Ruhigeres als die Fischerei in selbstgewählter Einsamkeit.

Bereits am ersten Morgen meines Urlaubs befand ich mich voll Eifer beim Angeln. Rings: herum war vollständige Ruhe, ich sah feinen Men­

fang erfolgreich bendete, knackte es hinter mir im Gebüsch. Ich blickte mich um und erblickte ein dürres altes Herrchen, mit Angel und Blechbüchse bewaffnet, das mich, wie es schien, nicht sonder= lich erfreut ansah

Wahrscheinlich hatte ich einen fremden Angel­plat ufurpiert und stammelte Entschuldigungen. ,, Macht nichts. Werde mich ein wenig weiter niedersetzen!"

Sprach's und ging.

An den darauffolgenden Tagen sah ich ihn oft und nach und nach entspann sich zwischen uns so eine Art Gespräch.

Weltlin sah, daß er den Mann führen müsse; denn der konnte sich nicht aufrechtschen und erst als ich abends den zweiten Fisch. halten. Er faßte ihn also unter, doch wurde er von dem torkelnden Schritt mitgerissen. Er entfann sich, daß dieser Wenzel Starfa stets ein nüchterner, braver, fleißiger Arbeiter gewesen war, der mit Berachtung auf trin­fende Arbeiterkameraden gesehen hatte. Was mochte mit dem Manne alles vorgegangen sein, was mußte der erlitten haben? Vor­fichtig versuchte er den Mann zum Reden zu bringen; es gelang nicht. Immer hörte er: ,, Hast du Geld, Bruder, hast du Geld?" Welt­lin nickte und Starfa sagte: ,, Du, ich weiß hier ein feines Lokal, da müssen wir hin­gehen." Sie standen vor einem Branntwein­schant und beim Ueberschreiten der Schwelle schien es Weltlin, als müffe er erstiden: Ein füßlich widerlicher, betäubender Geruch stieg ihm in die Nase. Mit Starka jedoch war eine Veränderung vor sich gegangen. Der fühlte sich wohl, schnupperte, ging zum Ladentisch und bestellte. Der Mann am Schalter wollte Geld und Starka wies auf Weltlin. Der grif in die Tasche, fand kein Hartgeld, mühsam knöpfte er die Geheim­tasche auf, förderte das Geldetui zu Tage und Starkas Augen erblickten Banknoten, die in allen Größen und Farben die Fächer füllten und er erschauerte in erhöhter Ach­tung vor seinem Gefährten.

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Woher hast du das viele Geld?" Weltlin schwieg.

,, Ein guter Fang gewesen he?"

er stieß Weltlin in die Seite.

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he?"- und

Auch der hatte nun sein Glas vor sich stehen und er versuchte, an der Flüssigkeit zu nippen. Sie fühlte sich flebrig an, der starte Alkoholgeruch schien Weltlin zu be­

,, Sie wohnen bei Mirat?" ,, Ja.

"

,, Soso, hmhm!"

Das war alles. Er murmelte in seinen Bart und verschwand.

Am nächsten Tage fing er wieder an: ,, Mirat ist wohl Ihr Freund?"

die Witwe Borez und ihr Kind ermordet zu haben. Es war ein vollständiger Sieg des öffentlichen Antlägers. Ich will Ihnen die näheren Um­stände und all die Einzelheiten ersparen. Mirat wurde zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe ver­urteilt. Kam nach Neu- Kaledonien . Dann jetzten die Angriffe gegen das Urteil, gegen den Richter und gegen mich ein. Mirat sei unschuldig ver­urteilt worden. Und richtig, es fand sich ein Täter, der auf dem Sterbebette die Mordtat vor ein­wandfreien Zeugen gestand. Das Urteil wurde aufgehoben. Mirat tam zurück und ich wurde pensioniert. Jedenfalls lebt Mirat seither als geachteter Mann in unserer Mitte, er hat einen wohlhabenden Verwandten beerbt und genießt seine Renten. Die Geschichte ist vergessen, die meisten Zeugen sind gestorben und selten wird noch der Fall Mirat erwähnt."

,, Entfeßlich! Unschuldig ins Zuchthaus nach Neu- Kaledonien . Sie halten ihn doch selbstver­ständlich für unschuldig?"

Ich muß wohl! Meine vorgesetzte Behörde befahl es. Man brachte mir Beweise, aber..." ,, Aber?"

,, Auch ich brachte einstens Beweise seiner Schuld. Konnte nicht der Sterbende ein falsches Geständnis abgelegt haben? Tote haben von der irdischen Gerechtigkeit nichts zu fürchten. Als ich ihn anflagte, hielt ich ihn für schuldig. Jetzt..." Jegt?"

,, Jezt muß ich ihn für unschuldig halten, denn das Justizministerium dekretierte seine Unschuld." ,, Aber Ihre eigene qufrichtige Meinung?!"

ist, daß ein Leben, daß dreißig Jahre

,, Nicht so ganz. Ich kenne ihn erst fünf Tage. vorübergegangen sind!" Aber ist er der Ihre?"

,, Mein Freund? Nein, das nicht. Aber ich fenne ihn gut, das heißt, ich kenne ihn schon sehr lange, schon gegen 40 Jahre!"

,, Er scheint ein braver Mann!"

,, Scheint er das? Möglich. Aber nicht immer schien er es."

,, Was bedeutet Ihr Reden?"

,, Ich war früher Staatsanwalt, mein Herr, und hatte vor dreißig Jahren eine Mordanklage gegen Mirat erhoben."

,, Mord? Das ja entfeßlich! Er wurde selbst­verständlich freigesprochen?"

,, Wo denken Sie hin. Wenn ich die Klage ver trat. Er wurde selbstverständlich verurteilt, aller­dings nur auf Grund schwerwiegender Indizien,

Repti

Er warf den Köder an der langen Schnur weit in den Fluß und bedeutete mir so, daß er das Gespräch für beendigt hielt.

Ruhe und Einsamkeit ist auf die Dauer lang­weilig. Aus dem alten angelnden Staatsanwalt war nichts weiter herauszubringen, also versuchte ich es mit Herrn Mirat.

Eines Tages brachte ich ihm eine Portion Hechte, und er nahm sie unter der Bedingung an, daß ich seinem Weinkeller alle Ehre antun würde. Beim Essen und Trinken taute er auf. ,, Sie haben sich mit Herrn Lebrun, dem Staats­anwalt, angefreundet!"

,, Ja, er angelt oft neben mir und wir sprechen hie und da miteinander. Auch von Ihnen!"

,, Kann mir's denken, daß der Staatsanwalt

MITTWOCH, 16. NOV. 1932

gibt es teine Konferenzen, feine Kassiere, Prokuristen und Oberingenieure, feine Käufe und Verkäufe, feine Maschinen und feine Sabotage. Ich selbst betreibe Sabotage! Er lachte laut und gellend auf.

,, Was lachst du denn?" fragte Starfa. ,, Bist du krank?"

,, Nein, bloß gut aufgelegt", erwiderte Weltlin. Sie frühstückten in einem kleinen Volkskaffee und gingen dann in einen Bart. Der Weg führte sie an einem Haus vorbei, viele Menschen dichtgedrängt

vor

standen.

,, Was ist denn das?" fragte Weltlin. ,, Das ist das Stempelamt! Lauter Gauner! Durch sechs Monate zahlen sie einem die paar Märker und dann ist's aus! Dann fannst du verreden, trepieren- kein Hund kümmert sich um dich! Alles Bande, alles eine dreckige Lausebande."

Weltlin sah die lange Kette der Warten­den. Männer, Frauen mit Kindern standen da mit blassen Gesichtern, aus denen Not und Entbehrung sprachen.

,, Müssen die Leute da lange stehen?" fragte er

,, Ja, Mensch, warst du denn nie stempeln?! Bist du einer von der Bande? Gehörst du selbst zu denen? Hast ja Geld wie Mist! Bist du kein Einbrecher bist du selbst ein Schieber?"

-

( Fortsetzung folgt.)

Lebrun von mir spricht. Wir sind alte Bekannte, der Herr Staatsanwalt und ich."

,, Ich hörte auch von der entjehlichen Geschichte. Sie Aermster, was müssen Sie gelitten haben?" Mirat war gar nicht verlegen oder traurig, er lachte:

,, Dachte es wohl, daß Sie davon gehört haben. Hat viel Staub aufgewirbelt, die Sache damals. Auch in Paris , nicht?"

,, Auch in Paris ", gab ich zu.

,, War eine komische Geschichte. Als ich zurück­fehrte, war es wie ein Triumphzug. Die Oppo­sition mollte es politisch ausnügen, ich sei ein Opfer der Regierung. Ich winkte ab, in Neu­ Kaledonien hatte ich Aufregungen genug gehabt, jegt brauche ich Ruhe. Hier wich man mir aus. Es kümmerte mich wenig. Zeitungen und Parteien griffen mich an, andere Zeitungen und andere Parteien verteidigten mich. Dann starb mein Better und hinterließ mir einiges Geld. Damit ebbte die Aufregung ab. Das war wieder komisch. Als ich arm war, galt ich manchen als Verbrecher, der wohlhabende Mirat war selbstverständlich ein Ehrenmann. Haha! Dann wurde ich sogar eine Art von Märtyrer, eine Sehenswürdigkeit der Stadt. Fremde wollten mich kennen lernen, Back­fische bettelten um Autogramme. Dann kam wieder ein Umschwung. Man flüsterte sich zu, ich wäre ein schlauer Fuchs und hätte der Gerechtig­feit ein Schnippchen geschlagen. Aber das ver­größerte sogar die Achtung meiner Mitbürger, und eines Tages", da fing sein verrunzeltes Geficht zu strahlen an ,,, wollten sie mich sogar als Maire haben. Ich lehnte ab, und sie waren gekränkt. Dann ist die Sache allmählich eingeschlafen."

Ich war eigentlich befremdet über die Gleich= gültigkeit, die mirat der ungerechten Verurteilung, dem Aufenthalte im Zuchthause entgegenbrachte. Er schien keinen Funken Groll gegen die Gesell­schaft zu hegen, die an diesem entsetzlichen Er­eignis Schuld trug.

Und sonderbar, niemals hatte er mir gesagt: ,, Ich bin unschuldig!"

Während drei Monaten versuchte ich die Schuld­frage in unseren Gesprächen immer wieder auf­zurollen, er wich aber geschickt aus.

Erst vor meiner Abreise fragte ich direkt: ,, Her Mirat, sagen Sie mir aufrichtig, waren Sie damals ganz und gar unschuldig?"

Ein ironisches Lächeln glitt über sein Gesicht: ,, Wissen Sie, Herr Capus, es find dreißig Jahre her, und es ist heute gleichgültig, ob ich oder ein anderer den Mord begangen. hat. Mir hat man zuerst bewiesen, nur ich könnte der Mörder sein, dann bewies man der Welt, ich sei unschuldig. Wie es wirklich war, ich weiß es nicht mehr!" Damit verabschiedete er sich, ich fuhr nach Paris und sah ihn niemals wieder.

( Berechtigte Uebertragung von R. Geerling.)

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