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Morgen- Ausgabe

Nr. 551 A 270 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

Fernsprecher: 7 mt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreise: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

23. November 1932

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die Führer" find hilflos!

Liebesbriefe zwischen Wilhelmstraße und Kaiserhof

Das Spiel mit den Briefen, die zwischen dem Büro des Reichspräsidenten und dem Kaiserhof" als dem Hauptquartier des Re gierungsrats Hitler gewechselt werden, ist formell noch nicht beendet. Am frühen Dienstagnachmittag hat der Staatssekretär des Reichspräsidenten Dr. Meißner auf die brieflichen Fragen Hitlers gleichfalls brieflich geantwortet.

Selbstverständlich blieb alles ganz geheim", nur der wesentliche Inhalt wurde in alle Welt ver­breitet. Danach hat Meißner dem nationalsozia listischen Aspiranten auf das Kanzleramt begreif lich zu machen versucht, daß der Wunsch des Reichspräsidenten dahin gehe, Hitler jolle ver­suchen festzustellen, ob er eine tragfähige Regierung auf parlamentarischem Boden zusammenbekommt. Diese Regierung würde aber keinesfalls eine nur parlamentarische sein, denn der Reichspräsident wünsche in bezug auf die Personen der neuen Minister, seinen Ein­fluß zu wahren. Besonders wünsche er, daß der Reichswehrminister an seiner Stelle bliebe und auch der gegenwärtige Reichs­außenminist er nicht beseitigt werde, damit die schwebenden diplomatischen Verhandlungen nicht gestört würden.

Die Antwort hat dem Führer", der eine Welt fommandieren will, so startes Kopf­zerbrechen gemacht, daß er

bis zum späten Abend mit seinem Entscheid noch nicht fertig

mar. Vielmehr hieß es, im Kaiserhof" sei eine Kommission, die unter anderem Frid, Göring und Straßer angehörten, damit beschäftigt, der ablehnenden Antwort an den Reichs­ präsidenten eine Begründung zu geben, die Hitler nicht allzusehr blamiere. Darüber aber soll Einigkeit im Lager der Nazis herrschen, daß Hitler den Auftrag Hindenburgs abzulehnen habe. Die Entscheidung aber soll- läufig endgültig erst am Mittwoch fallen und dann brieflich über die Straße zum Reichs­tanzlerpalais hinübergereicht werden.

-

vor

Es ist klar, daß der grundsägliche Gegner des Parlamentarismus ", der sich als der Führer der

Nation" feiern läßt, durch den halben Auftrag, vorzufühlen, ob er eine parlamentarische Regie­rung bilden könne,

in eine peinliche Zwidmühle hineinmanövriert morden ist. Die erfahrenen Kulissenschieber aus dem Lager seines deutschnationalen Konkurrenten haben nicht ohne Erfolg gearbeitet. Ihnen fam es darauf an, den Oberosas wieder einmal zu ,, entlarven" und in seiner politischen Hilf­losigkeit bloßzustellen. Das ist ihnen allem Anschein nach bis jetzt glücklich gelungen. Wenn die Karte Hitler " nicht sticht, dann soll, so liegt es in dem Plane der Hugenberger, die 3i­garre Kaas geraucht" werden.

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Da man aber bei dem Zentrumsführer mehr parlamentarische Erfahrung und po litische Klugheit voraussetzen darf, rechnen auch die Kulissenschieber damit, daß ein solcher Versuch mit dem Zentrumsführer von vornherein scheitern würde Alsdann könnte sich das Kabineti der Barone als unentbehrliche Hilfstruppe für den Reichspräsidenten in empfehlende Erinnerung bringen, weil wieder einmal bewiesen sei, daß ohne sie keine Regierung zustande komme.

An Stelle einer ,, autoritären Staatsführung", die von der Vorsehung geschickt sein sollte, erleben wir jetzt täglich die Fortsetzung des Kuhhandels", über den früher mit allen Zeichen des Entsetzens gefcholten wurde. Nur daß man früher im Reichs­tag vertraulich verhandelte, heute aber den ,, Dualismus" zwischen Reichskanzlei und Kaiser= hof" eingeführt hat.

Der neue Tag wird neue Briefe bringen!

Der Bittgang auf Berlin

Hitler in Hangen und Bangen Am 13. August hatte Adolf Hitler vom Reichs­präsidenten trotzig für sich die gleiche Macht ver­langt, wie sie Mussolini nach seinem Marsche auf Rom anheimgefallen sei. Der große Oſaf hatte bei dieser Forderung eine ganze Kleinigkeit übersehen: daß nämlich Mussolini seinerzeit den Marsch auf Rom tatsächlich ausgeführt hatte, er aber, Adolf Hitler , den Marsch auf Berlin nicht. Was bedeutete der Marsch auf Rom ?

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Die Kapitulation der staatlichen Macht vor den faschistischen Banden. Hitler hat den Versuch, ob Reichswehr und Polizei vor ihm fapitulieren würden, nicht gewagt. Der Versuch einer ge=

Die Flut steigt wieder

156000 neue Arbeitslose im November

Nach der vorübergehenden Besserung des Ar­beitsmarktes in den beiden vergangenen Monaten ist in der ersten Novemberhälfte bereits ein schwerer Rüdjdhlag eingetreten. Wie die Reichsanstalt meldet, stieg in der Zeit vom 1. bis 15. November die Zahl der bei den Arbeits­ämtern angemeldeten Arbeitslofen von 5 109 000 auf 5 265 000 Personen. Die Zunahme der Ar­beitslosigkeit beträgt also 156 000 Personen.

Die Berschlechterung des Arbeitsmarktes beruht auf faisonmäßigen Einflüssen infolge des Eintritts winterlichen Wetters. Es wird genug Gesund­beter geben, die bei einem Vergleich der Steige­rung der Winterarbeitslosigkeit mit dem ver­gangenen Jahr für diesen Spätherbst eine beson= ders günstige Entwidlung herauslejen wollen. Und scheinbar geben ihnen die Ziffern recht. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt entwickelte sich im Herbst 1931/32 wie folgt:

30. September

Millionen Erwerbslose

.

1931 4,35

31. Oktober 15. November

4,62 4,84

1932 5,10 5,10 5,26

Gewiß ist die Zahl der angemeldeten Erwerbs­lesen von Ende September bis Mitte November 1931 um 489 000, in den vergangenen sechs

Wochen aber nur um 164 000 Personen gestiegen. Aber einmal wird hierbei viel zu wenig berüc­sichtigt, daß im Baugewerbe schon im August dieses Jahres 77,3 Proz. der organisierten Arbeiter beschäftigungslos waren und in der gesamten Saisongruppe 74,8 Proz In diesem Spät

herbst mußte also der Zustrom neuer Erwerbsloser aus den Saisonberufen von vornherein viel ge= ringer sein als im Jahre 1931, wo die Arbeits­losigkeit in diesen Berufen auch nicht annähernd einen so verheerenden Umfang angenommen hatte wie im vergangenen Sommer.

Das aber ist bei der Beurteilung der Gesamt­lage auch noch nicht entscheidend. Was hatte das Kabinett der Barone unter eifrigem Rühren der Propagandatrommel vor einigen Mo­naten bei Verkündung des Papenschen Anfurbe­lungsprogramms alles prophezeit! Andert­halb Millionen Erwerbslose sollten mit Hilfe der Steuergeschenke und Subventionen an die Unternehmer, die ganz abgesehen von den Agrarsubventionen zwei Milliarden Mark er­reichen, wieder Arbeit finden. Und was ist daraus geworden? Im September und Oktober konnte die jahreszeitliche Verschlechterung gerade noch tnapp überdeckt werden, und schon in den beiden ersten Novemberwochen erweist sich dieses gigantische Wirtschaftsprogramm" als fo mir so

Hitler kann nichts!

waltsamen faschistischen Erhebung ist am 31. Juli in terroristischen Teilaktionen stedengeblieben, mie in den jezt abgeurteilten holsteinischen Spreng­stoffattentaten, in der Königsberger Mordserie, in den schlesischen Terrorakten usw. Weniger be= fannt ist, daß an einer Stelle fich wirklich ein zu sammengezogener SA. - Trupp zum Marsch auf Berlin anschickte. Aber es genügte ein ernſtes Wort des örtlichen Reichswehrkommandeurs, da­mit die Gesellschaft fleinlaut wieder nach Hause ging.

Jedenfalls hat ein Marsch auf Berlin nicht stattgefunden, und bei den jezigen Ber­handlungen zwischen dem Reichspräsidenten und Hitler ist auch von der Fiktion eines solchen Ereignisses nicht mehr die Rede. Im Gegenteil, je länger die Verhandlungen andauern, desto mehr nimmt Hitlers Aufenthalt in Berlin den Charakter eines demütigen Bittgangs an. Daran tönnen die krampfhaften Heil". schreiereien einiger hundert zusammenkomman­dierter SA. - Leute vor dem Kaiserhof nichts ändern.

Adolf Hitler hat zur Zeit das Aussehen eines artigen Schulknaben, dem der Lehrer eine schwie­rige Aufgabe zur häuslichen Bearbeitung mit­gegeben hat. Fleißig und ordentlich setzt der brave Knabe sich auf seine vier Buchstaben, um die Aufgabe zu lösen. Aber sie iſt, ach, gar schwer, und so tehrt der artige Stnabe noch einmal zurück und meldet: Herr Lehrer, ich habe die Aufgabe noch nicht ganz verstanden, ich bitte, sie mir genau zu erklären."

In gemessener Frist wird dem Knaben Adolf eine Erklärung der Aufgabe überreicht, und wie­derum brütet er über des Rätsels Lösung. Er allein schafft es nicht, Mutter, Onkel, Nachbars= sohn- Verzeihung, der Stab der politi­schen und voltswirtschaftlichen Be rater wird hinzugezogen. Da fizen sie nun alle beieinander und brüten mit hochroten Köpfen über die Lösung der schwierigen Aufgabe. Schließ lich einigt man sich dahin: man wird dem Herrn Lehrer ein längeres Memorandum überreichen des Inhalts, daß die Aufgabe falsch gestellt ſei.

Dem Publikum aber kommt derweilen die Sache schon leicht lächerlich vor. Sie paßt so gar nicht zu dem kraftmeiernden, schwadronierenden, stets in Heldenpose abgebildeten Führer der Haken­freuzbewegung. Auch die engeren Anhänger sehen etwas verdugt darein!

fungslos, daß über 150 000 neue Arbeitslose zu den Arbeitsämtern strömen.

Wenn einige Industrien eine tatsächliche Besse­rung der Beschäftigung und des Absatzes auf­weisen, so hat auch diese fleine Teilbewegung nichts mit dem Papen- Programm zu tun, sondern diese Besserung stellt nur eine natürliche Entwick lung nach Ueberwindung des Krisen tiefpunktes dar. Aber auch diese teilweise Besserung bildet für den Arbeitsmarkt teine Stüße, wie die Novemberziffern zeigen, denn zunächst gehen die besser beschäftigten Werke dazu über,

die Kurzarbeit, die auf den Lebensstandard der beschäftigten Arbeiter fast schon in demselben Maße drückt wie Arbeitslosigkeit, abzubauen. Wie auf politischem Gebiet hat das Papen- Kabi­nett, wie dieser trübe Novemberbericht der Reichs anstalt zeigt, auch in der Wirtschaft ein einziges Trümmerfeld hinterlassen.

Waffenschmuggel

aus Holland

Eigener Bericht des Vorwärts"

Köln , 22. November.

In der Nähe von München- Gladbach wurde ein Bersonenkraftwagen gestellt, in dem sich 88 Pistolen befanden, die von Holland nach Deutschland eingeschmuggelt worden waren. Die Schmuggler find Mitglieder einer größeren Bande, die zum Teil bereits megen Waffenschmuggels hinter Schloß und Riegel fitzt.

Herriot vor dem Sturz?

Man sucht eine Gelegenheit Von unserem Korrespondenten

Paris , 22. November. Der Sturz der Regierung Herriot dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Lage des Kabinetts hat sich in der letzten Zeit derart verschlechtert, daß man selbst in Regierungsfreisen eine baldige Niederlage für unvermeidlich hält, und daß man in der Kammer dieses Ereignis als eine bereits feststehende Tatsache erörtert. Die Frage ist nur noch, bei welcher Gelegenheit man dem Kabinett die berüchtigte Apfelsinenschale", mit deren Hilfe es ausgleiten soll, unter die Schuhe schiebt.

Das Sonderbare an der Situation des Ka­binetts liegt darin, daß es nicht allein von der Opposition, sondern von seiner eige= nen Mehrheit gestürzt werden wird, und zwar nicht nur von dem sozialistischen Flügel dieser Mehrheit, sondern von einem Teil der Radikalen selbst.

Diese Entwicklung der Dinge erscheint un­mittelbar nach dem radikalen Partei= tongreß in Toulouse , der nach der eige­nen Ansicht Herriots seine Stellung gestärkt haben soll, einigermaßen verwunderlich. Sie ist es aber nicht, wenigstens nicht für jemand, der nicht nur die Reden Herriots und ihre begeisterte Aufnahme durch den Kongreß, sondern auch den Verlauf der Debatten über die verschiedenen politischen Probleme genau verfolgt hat. Der Kongreß war ohne Zweifel ein großer persönlicher Erfolg für den Ministerpräsidenten. Man hat für diesen Vorgang sogar in der französischen Presse ein neues Wort geprägt. In Anlehnung an das Wort ,, idolâtrie "( Abgötterei) hat man von einer ,, Herriolâtrie" gesprochen. Die sachlichen Ergebnisse des Kongresses waren aber wie die aller früheren radikalen Kongresse rein negativ. Der Verlauf der Debatten und die angenommenen Resolutio­nen haben die Zerrissenheit der radikalen Partei und einen ge= radezu grotesken Widerspruch zwischen den Parteigrundsägen und der Regierungspolitik hinaufgesteigert. In den Resolutionen wer­den auf allen Gebieten, besonders in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, sowie in der Abrüstungsfrage, Dinge gefordert, die die Sozialisten fast unbesehen unterschreiben fönnten; aber die Regierung, die doch nach den eigenen Worten Herriots eine homogene radikale Regierung sein soll, verfolgt fast die­felbe Politik wie die Regierungen der früheren Rechtsmehrheit.

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Der eigentliche Anlaß zu der bevorstehen den Regierungskrise ist die Finanz= politik der Regierung, genauer gesagt, des Ministers Germain Martin, gegen die sich selbst innerhalb des Kabinetts scharfer Widerspruch erhebt. Dieser Mann, dessen Ernennung schon bei einem Teil der Radi­talen Befremden erregt hatte, weil er früher Budgetminister in einem Kabinett Tardieu war, hat für das nächste Jahr ein Budget aufgestellt, dem es an jeder klaren Grund­linie fehlt. Er hat jedem entgegenkommen wollen, hat aber damit nur erreicht, daß alle unbefriedigt sind. Der Rechten hat er als Köder die Senkung der Be= amtengehälter und die Entziehung ge­wisser Kriegerpensionen hingeworfen und damit die Linke verstimmt. Die Linke hat er mit neuen Anleihen zu gewinnen versucht und damit die Rechte verärgert. Und schließlich hat er es fertig gebracht, die Rechte und die Linke mit den neuen Steuern, unter denen sich eine Erhöhung der Kaffee­steuer und der Getränkesteuer, sowie die Ausdehnung der Umsatzsteuer auf die konzessionierten Betriebe( Straßenbahn, Gas, Elektrizität usw.) befinden, und mit der