Morgen- Ausgabe
Nr. 559 A 274 49. Jahrg.
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
SONNTAG
27. November 1932
In Groß Berlin 15 Pf. Auswärts....... 20 f. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise siehe am Schluß des redaktionellen Teils
Schluß mit
gegenrevolutionären Experimenten!
Es gibt zwei Geschlagene der abgelaufenen Woche. Der eine ist Hitler , dem Stück für Stück das Kostüm des großen Führers, des Wundermannes mit der Alleinmedizin abgefallen ist. Der andere ist der Gedanke der ,, neuen autoritären Staatsführung". Diese Regierungskrise und die Methoden zu ihrer Lösung sind schlimmer als alles, was wir in parlamentarischen Regierungskrisen jemals erlebt haben!
Die Gefahr, daß trotzdem weiter ,, autoritär" regiert wird, ist damit nicht entschwunden. Sie besteht nach wie vor, sie wird so lange bestehen, bis das Volk selbst das politische Kräfteverhältnis entscheidend geändert hat. Unser Kampf gegen die volksfeindlichen gegenrevolutionären Kräfte, die sich hinter dem Schlagwort von der autoritären Staatsführung verbergen, geht darum unerbittlich weiter! Wir richten uns ein auf einen langen und schweren Oppositionstampf, auf ein erbittertes Ringen gegen den Klaffenkampf von oben in welcher Person und in welcher Gestalt er uns auch gegenübertreten wird! Ob ,, nationale Kon= zentration", ob ,, autoritäre Staatsführung"
-
wir werden gegen beide Erscheinungsformen der politischen und sozialen Reaktion für das Recht des Volkes kämpfen!
Dieser Kampf wird sich bis zum äußersten zuspigen, wenn der Verfuch unternommen werden sollte, die Methode der Provokation des Volksempfindens fortzusetzen! Das Kabinett der Barone unter der Führung des Herrn v. Papen war ein Symbol des Uebermutes der Reaktion. Herr v. Papen hat alles getan, um die Gegensätze bis zum äußersten zu verschärfen. Eine jede seiner Reden hat die gesamte Arbeiterschaft mit tiefstem Ingrimm erfüllt- gar nicht erst zu reden von seinen Taten! Diesen Mann und diese Methoden er trägt das Volf nicht mehr!
-
Das Kabinett Papen das war ein deutschnationales Parteiregiment unter der Maske überparteilicher Staatsführung. Die Attacken, die Herr v. Papen in Münster und München gegen die Grundgedanken der Weimarer Verfassung geritten hat, waren Geist vom Geiste deutschnationaler Gegenrevolutionäre! Das kleine Häuflein, das sich um Hugenberg und um die ostelbischen Junker sammelt, ist der einzige Anhang, den das Kabinett der Barone im Volke hatte. Seine Pläne zur Verschlechterung des Wahlrechts, zur Entmachtung des Reichstags, die ganze Haltung dieses Kabinetts, das sich als der berufene Erneuerer der Verfassung des alles Faust deutschen Volkes aufspielte
schläge ins Gesicht des freiheitliebenden Bolkes! Junkergeist und Junkerübermut ist unter der Diktatur des Kabinetts der Barone wieder lebendig geworden!
Der kleine Haufe staatsstreichlüsterner Gegenrevolutionäre will auch heute noch Papen wiederhaben! Hugenberg und die Seinen schreien laut nach ihm: Gib uns Papen, gib uns unseren Papen wieder! Einer der ihren, der Pfarrer Traub, faßt ihre Wünsche in die dreisten Worte, daß Papen fünftig noch stärker auf die Hühneraugen des Volkes treten möge. Weil das ganze Volk Papen ablehnt, darum wollen fie ihn wiederhaben! Diese Kreise wollen provozieren. Sie wollen die Erbitterung des Volkes bis zur Siebehine steigern. Der Klassenkampf von oben ist bei ihnen zur gegenrevolutionären Raserei geworden.
Da eine Entscheidung über den neuen
Die autoritäre Staatspolitik weiter in Nöten
Woche gelöst werden. Wie sie schließlich ausDie Regierungskrise wird nicht vor Mitte der gehen wird, ist zur Zeit noch ungewiß. Unter den in der bürgerlichen Preffe genannten Reichskanzlerkandidaten hat der eine so viel Aussicht wie der andere.
Am Sonnabend fand bei Hindenburg eine Besprechung über die politisch- parlamentarische Lage statt, die eine klärung der Situation nicht gebracht hat. Beteiligt waren außer Hindenburg der geschäftsführende Reichskanzler, der Reichswehrminister von Schleicher, der Staatssekretär des Reichspräsidenten und der Sohn des Reichspräsidenten , Oberff von Hindenburg . Pa pen erstattete zunächst Bericht über die Lage. Er bat den Reichspräsidenten , ihn nicht wieder zu betrauen. Der Reichswehrminister v. Schleicher zeigte eine auffallende Uebereinstimmung mit Herrn von Papen. Ob aus faftischen Gründen oder
aus Ueberzeugung, entzieht sich unserer Beurteilung. Das Ergebnis der einstündigen Aussprache war, daß vorerst eine offizielle Entscheidung des Reichspräsidenten über die Nachfolge des Herrn von Papen nicht gefällt wurde, sondern zunächst nochmals mit den Parteien Fühlung genommen werden soll. Der Reichswehrminister ertlärte sich bereit, diese Fühlungnahme aufzunehmen und bis Mitte der Woche abzuschließen.
In der Umgebung des Reichspräsidenten hat jich nach und nach auch die Auffassung durchgefeht, daß auf die Dauer mit einer Auflösung des Reichstags nach der anderen„ autoritäre" Staatspolitik nicht zu treiben ist. Deshalb nochmals der Verfuch, nicht gegen den Reichstag , wie es Herr von Papen gewollt hat und noch möchte, sondern möglichst mit dem Reichstag zu arbeiten. Dabei verfolgt man insbesondere das Ziel, die christlichen Gewerkschaffen
Der Bezirksparteitag der Sozialdemokratischen. Partei nahm gestern folgende Entschließung an:
„ Die anhaltende schwere Wirtschaftskrise und das Wiederansteigen der Arbeitslosigkeit bedrohen die deutsche Arbeiterklasse mit einer neuen Vermehrung des Masienelends und der Massennot. Unter der Herrschaft des kabinetts v. Papen hat sich die Lage des deutschen Proletariats ungeheuer verschärft. Die Massenbelastung wurde gesteigert, die von der Sozialdemofrafie und den Gewerkschaften in jahrzehntelangem Kampfe errungenen sozialen Leistungen wurden abgebaut, das Tarifrecht mit völliger Zerschlagung bedroht. Den Unternehmern und Großgrundbefihern dagegen sind zu der gleichen Zeit Milliardengeschenke gemacht worden.
Die Vorgänge bei der Regierungsbildung zeigen erneut die Unfähigkeit der Vertreter des kapitalistischen Systems, der krise mit ihren furchtbaren Folgen für das arbeitende Volk ein Ende zu machen. Besonders ift dabei die widerliche komödie der Nationalsozialisti schen Partei enthüllt worden, die sie auch diesmal zugunsten des Großkapitals mit den Bollsrechten getrieben hat.
Die Erneuerung einer Diftatur der Frei herren , die soeben mit ihrer gesamten Politik kläglichen Schiffbruch erlitten hat, muß eine Bergrößerung des Massenelends zur Folge haben. Sie würde die Gefahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und des politischen Zerfalls des deutschen Volkes heraufbeschwören.
In dieser Zeit des verschärften Klaffenkampfes weiß die Leitung der Kommunistischen Partei feinen anderen Ausweg, als von neuem ihre Un
Reichskanzler noch nicht gefallen ist, segen sie ihre Arbeit für ein zweites Kabinett Papen fort. Jeder neue Tag der Regie rungskrise bedeutet für sie eine Gelegenheit zu neuen Intrigen, eine Gelegenheit, gegenrevolutionäre Pläne weiter zu verfolgen. Im Chor rufen sie laut:„ Staatsnotstand"- um so auf die Zerreißung der Verfassung, den offenkundigen Staatsstreich und das Chaos hinzudrängen. Es ist ein verbrecherisches, frevelhaftes Spiel mit dem Feuer!
*
Das erste Kabinett Papen hat einen Trümmerhaufen hinterlassen. Das Reichsdefizit wächst beängstigend an, die handels
hänger aufzufordern, den Hauptstoß gegen die Sozialdemokratie und gegen die freien Gewerkschaften zu richten.
Die Sozialdemokratische Partei erblickt ihre wichtigste Aufgabe nicht in der Zerschlagung, sondern in der Zu= sammenfassung der proletarischen Kräfte im Kampfe gegen die Reaktion, für eine sofortige Besserung des Loses der Opfer der Krise. Die Sozialdemokratie fämpft für die Beseiti gnug des fluchwürdigen kapitalistischen Systems und für die Neuordnung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse nach den Forderungen des Sozialismus, für die Wiederherstellung der sozialpolitischen Leistungen, für eine großzügige Arbeitsbeschaf= fung, für eine sofortige Winterhilfe an alle Unterstützungs- und Rentenempfänger.
Die Ueberwindung der Gegenrevolution fann nur erfolgen durch den sozialistischen Kampfeswillen der Arbeiterklasse und ihren verstärkten Kampf für die demokratischen Rechte des Volfes. Die Zerschlagung der Demokratie, die Ausschaltung des Parlaments zwingt das Proletariat zu verstärkter Aktivität auf allen Gebieten des politischen und wirtschaftlichen Kampfes. Nur unter der Fahne der Sozialdemokratie können diese kämpfe zur Sammlung aller proletarischen Kräfte und zum Sieg der sozialistischen Bewegung führen."
politische Situation ist vollständig verfahren, die außenpolitischen Probleme werden immer ernster und drängender. In tollem Staatsstreichjubel geht die deutschnationale Reaktion darüber hinweg Ihr genügt der Trümmerhaufen nicht! Ganz Deutschland ein Trümmerfeld das ist ihre Perspektive!
-
-
Ein zweites Kabinett Papen mir sprechen es offen aus würde von der großen Mehrheit des Volkes als schwerste Provokation empfunden werden. Ein zweites Kabinett Papen würde angesehen werden als ein Versuch, die allgemeine Not auszumünzen zu einem Streich der Klaffenkämpfer von oben gegen das Volk.
aus der stillen Einheitsfront der Gewerkschaften gegen das Papen- System und Regime abzusplittern, indem man vor allem das Zentrum zur Tolerierung der neuen Präjidialregierung gewinnt. Das letziere dürfte gelingen, soweit sich die neue Präsidialregierung" verpflichtet, verfaffungsmäßig zu regieren und jedes Experiment mit der Verfassung zu unterlassen.
"
Entscheidend für die Zukunft der neuen Präfidialregierung wird der Verlauf der bevorstehenden Besprechungen mit den Parteiführern sein. Er ist ebenso entscheidend für die Zusammenjehung der neuen Präsidialregierung wie für ihre Lebensdauer.
Hugenberg und die Seinen haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß am Ende doch wieder Papen aus der Versenkung auftauchen werde, und sie tun alles, um jeden anderen Versuch zu stören.
Unter stärkstem Andrang, auch auf den Gäste= tribünen, tagte gestern der außerordent= liche Bezirtsparteitag der Berliner
Sozialdemokratie.
Der Bezirksvorsitzende Genosse Künstler jagte in seinen einleitenden Worten: In den legten Tagen hat die ,, Rote Fahne" miederum versucht, gegen die Führer der Sozialdemokratie zu hetzen. Am 23. November schrieb dieses Blatt:
,, Der Krach in der Berliner Sozialdemokratie hat einen derartigen Umfang angenommen, daß man sich schleunigst entschlossen hat, einen außerordentlichen Bezirksparteitag einzuberufen. Aber dieser Bezirksparteitag ist ein Kuriosum. Er soll, wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren, am kommenden Sonnabend zusammentreten, einige turze Stündchen tagen und sich dann nach Hauſe trollen."
Wahr ist, daß der Vorschlag, nach der Wahl einen außerordentlichen Bezirksparteitag zu ver anstalten, von mir schon vor unserm lezten Bezirksparteitag gemacht worden ist. Und weiter wird unser Parteitag auf morgen vertagt werden, wenn die Tagesordnung nicht aufgearbeitet werden kann. Wir treten dann morgen um 9 Uhr in einem andern Saale zusammen. Die Lügenmeldung der Roten Fahne" verfolgt den durchsichtigen 3 wed, die Delegierten zu beeinflussen. Jeder ehrliche Sozialdemokrat durchschaut dies Manöver und wird sich die Moskauer Richtlinien nicht zu eigen machen. In der Sozialdemokratie herrscht vollste Meinungsfreiheit, nicht aber bei den Kommunisten. Hat doch Ernst Thälmann auf dem Bezirksparteitag der KPD . BerlinBrandenburg selbst erklärt, daß unsere Sizung tein Befehlsempfang, teine schematische Weiterleitung von Anweisungen, sondern kameradschaftliche Beratungen zu sein haben". Es müssen nette Zustände bei den Kommunisten herrschen, und die„ Rote Fahne" ist wirklich nicht berufen,
Wir wollen Papen nicht mehr! Wir wollen fein zweites Kabinett Papen ! Wir wollen feine zweite Auflage des Papen Kurses sei es auch unter anderer Firma erleben!
-
Wir wollen nicht, daß abermals unter der Maste überparteilicher Staatsführung eine deutschnationale Parteiregierung eine Politik der gegenrevolutionären Experimente betreibt! Wir fordern, daß Schluß gemacht wird mit dem Klassenkampf von oben! Wir verlangen, daß die Politik der Abenteuer und der Experimente gegen das Volk eingestellt wird!
Nie wieder Papen!