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BEILAGE

Karl Moeller:

Vorwärts

Marrakesch

Ununterbrochen fluten Menschen und Tiere durch das Tor Bab Doukkala in die aus rotem Lehm erbaute alte Maurenstadt Marrakesch . Kamelfarawanen traben erhaben hinter ihrem Führer her, kleine Esel trippeln im Galopp vor­bei, auf deren schmalen Rücken schwere, dicke Männer in weißen Gewändern und leuchtenden Turbanen sizen, die fortwährend gegen den Leib der armen Mulis treten, um sie zur Eile anzu­treiben. Dazwischen schreiten aufrecht und stolz dicht verschleierte Frauen nach den Brunnen, um Wasser zu holen, und flinke Araber jagen auf blizenden Fahrrädern irgendeinem eiligen Ge schäft nach. Offiziere und weiße Händler in Tropenhelmen räkeln sich unter dem Sonnendach der Pferdekutschen, und hin und wieder lenkt auch ein elegantes Auto mit Lärm durch die schmale Passage

Schlupfwinkel für freiheitliebende Berberstämme, zu gleicher Zeit aber birgt er reiche Mineralschätze, in der Hauptsache ausgedehnte Phosphatlager. Und wenn die Hize in der Ebene allzu erdrückend wird, ist auf seinen Höhen immer noch Kühle.

In der alten Eingeborenenstadt, der Medina, aber geht das Leben weiter wie vor vielen Jahr­hunderten. In den Souks, den unüberseh­baren Labyrinthen der Händler- und Handwerfer­gassen, herrscht noch heute eine Tauschwirtschaft, wie sie in Europa vor dem Mittelalter bestanden hat. Hier kaufen die großen Karawanen ihre Waren ein, die weit bis in die Sahara hinaus­ziehen. Freilich wird heute schon dem einheimi­

schen Gewerbe durch das Tuch aus Manchester , den Teppichen aus 3 midau und dem Leder aus Offenbach ein starker Abbruch getan. Die alten Handwerker werden immer ärmer können trotz ausgebreit: tster Kinderarbeit mit den Maschinen Europas nicht konkurrieren.

und

Der Mittelpunkt des Lebens lleibt Djemaa El Fna, der große Hauptplay inmitten der Stadt Zwar sind schon Verwaltungsgebäude, auf denen die Trikolore weht, Wirtshäuser, Garagen für die hier ankommenden Omnibusse und Banknieder­lassungen an seiner Seite entstanden, aber die Händler liegen trotzdem weiter den ganzen Tag unter einem aus Säcken errichteten Sonnenbach

nom

MITTWOCH, 30. NOV. 1932

und warten faulenzend auf Kundschaft für ihren spärlichen Warenbestand.

Am Nachmittag versammeln sich hier Gaukler und geben ihre seltsamen Schauspiele. Schlangen­beschwörer lassen ihre Tiere aus den mitgebrachten Kisten springen und tun, als ob sie sehr gefährlich seien, dabei sind sie gar nicht mehr giftig. Alte, ehrwürdige Geschichtenerzäh­ler geraten in Ekstase und führen wunderliche Tänze vor. Aus einem Korb fann man sich zwei Muscheln herausnehmen und dichtverschleierte Frauen prophezeien daraus die Zukunft. Seil­tänzer und Degenschlucker bekommen reichen Bei­fall der zahlreichen schaulustigen Menge. Ueberall ober stehen Horten von Bettlern. Eine ganze Schar blinder Männer hält wehklagend hölzerne Schüsseln lereit, um kleine Münzen oder auch Nahrungsmittel tarin zu empfangen. Schmutzige Kinder mit widerlichen Krankheiten verfolgen den Fremden mit ihrem Bettelgeschrei, und ein frecher Halbwüchsiger fordert zwanzig Franken, um uns tie schönsten Frauen von Marrakesch zu zeigen. Menschen aller Rassen und Mischlinge des ganzen afrikanischen Kontinents schwirren auf diesem Jahrmarkt herum. Geschäftstüchtige Araber ur verschleppte Neger sind schon früh nach Marokko gekommen und auch viele Juden sind eingewandert. Letztere sind allerdings fast ganz auf ihr eigenes Wohnviertel beschränkt, haben ihre eigenen Soufs und bilden eine abgeschlossene Stadt für sich. Nur selten sieht man sie außer­halb in ihren schwarzen Mänteln und Käppis über die Straße eilen.

Einen abgeschlossenen Teil der Stadt bildet auch noch die Kasbah, die alte Festung des Sultans. Noch heute sind Teile davon für den Fremden, den Ungläubigen abgesperrt. Hier liegen die Gräber der alten Scherife und der Dar El Mathzen, der Sultanspalast träumt weiter mit Marmor­Laffins, Harem und prächtigen Gärten in eine gar nicht mehr märchenhafte Zeit.

Gewerbehygiene 1932

Bild aus einem Wiener Gerichtssaal/ Von Medicus

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In der Wiener Neustadt wurde kürzlich ein 3euge: Ich habe das Lehrbuch für Gewerbe­Strafprozeß beendet, der die österreichische Ar- inspektoren. beiterschaft mit Recht in helle Empörung versetzte. Angeflagt waren die Besizer der Wiener­

Zu ihren beiden Seiten stehen wuchtig die dicken Wachtürme mit ihren unzähligen, winzigen Schießscharten. Aber das schützende Bohlentor, das noch vor wenigen Jahren bei einbrechender Dunkelheit geschlossen wurde, ist verschwunden. Die Einget orenenstadt von Marrakesch mußte sich dem außenliegenden Europäerviertel öffnen. Die breite, rote Lehmmauer bietet keinen Schutz mehr gegen die Angriffe modern ausgerüsteter Soldaten. Und so kamen die, weißen Kolonisatoren, die Legionäre und die Händler auch in die heilige Medina, in die uralte Maurenansiedlung, die schon vor tausend Jahren gegründet wurde. Herr- Neustädter Gummifabrik, Dr. Hörnes liche Brunnen mit eingelegten Mosaiken, die glän­zende Moschee de la Koutoubia und viele Reste alter, maurischer Paläste erinnern an die hohe Kultur jener Zeit. Damals, in der Glanz­periode des Scherifenreiches, als es sich daran machte, von Spanien her Europa anzurennen, zählte Marrakesch über eine halbe Mil­lion Einwohner.

Und heute noch ist es die ursprünglichste Stadt Marokkos , wenn auch die neuen Herren, die seit der gewaltsamen Einnahme Marrakeschs durch die Franzosen im Jahre 1912 hier sitzen, wenig Ach­tung vor dem alten Kulturwerk zeigten. Sie bauten ihre Postämter, Warenhäuser, Hotels und Garagen mitten in die Altstadt und zerstörten, was ihnen im Wege war.

Nur das Wohnviertel der Europäer und der neue große Bahnhof blieben außerhalb. Breite, asphaltierte Boulevardstraßen sind da ent­standen, und besonders rings um den berühmten, großen Palmenhain haben sich viele Franzosen niedergelassen. Bunte Gärten mit erotischen Blumen umgeben die flachen, blendend weißen Billen, die in den letzten zwei Jahrzehnten gebaut wurden. Trotzdem hängt auch hier schon ein Schild: Baugelände zu vermieten. Die Spekula­tion hat allzu tüchtig gearbeitet.

Marrakesch ist für den wagemutigen, skrupel­losen Europäer noch die Stadt in Marokko , wo am meisten verdient werden tann. Die franzö fische Verwaltung macht den europäischen Kauf­leuten und Handwerkern wenig Vorschriften, da man froh ist, wenn sie sich in dem mörderischen Klima niederlassen. Außer den Franzosen leben in Marrakesch noch viele Spanier als Gastwirte, Eishändler und Gemüsefarmer. Auch Italiener arbeiten hier als Baumeister und Handwerker, und ein junger Schweizer er­zählte mir, wie er mit ein paar Schrauben­schlüsseln in irgendeinem Winkel, ohne ein Dach über dem Kopf zu haben, eine Reparaturwerk­stätte für Autos einrichtete und nicht schlecht da­bei verdiente. Nur die Deutschen sind aus Marokko ganz verschwunden, seitdem Frankreich durch die Tanger - Affäre Wilhelms II. Deutschland zu seinen schlimmsten Gegnern in Nordafrika zählt.

Marrakesch selbst aber soll einen zauberhaften Einfluß auf die Europäer ausüben. Wer einmal hier gelebt hat, den läßt die märchenhafte Stadt nicht wieder los. Selbst Leute, denen das Klima nicht bekommen ist, kehren nach kurzem Aufent­halt am Meer wieder zurück. Zu phantastisch ist noch das Leben der Eingeborenen und selbst der glühende Siroffo, der von der Sahara her= überweht. bleibt süß in den Gliedern stecken, trop dem er die Menschen frank und schlapp macht. Und dann ist das hohe Gebirge des Atlas nahe. In manchen Teilen bleibt er zwar noch der legte

und Durvay, sowie der Betriebsleiter des Unter­nehmens wegen des Vergehens gegen die Sicher­heit des Lebens. In der Fabrik waren durch ständig ausströmende Benzoldämpfe fünf Arbeiterinnen getötet und 18 andere so schwer vergiftet worden, daß sie matelang mit dem Tode rangen. In der Verhandlung ergab sich, daß trog der bekannten schweren gesundheitlichen Gefahren der Benzol­dämpfe keine sanitären Vorkehrungen getroffen maren, daß monatelang Arbeiterinnen erfrankten, ohne daß etwas geschah- weil die Gewerbe= inspektoren und der Kassenarzt, an die sich die gesundheitlich bedrohten Arbeiterinnen wandten, weder die polizeiliche Anzeige erstatteten, noch die Unternehmer warnten, noch die Frauen irgendwie schützten. Bemerkenswert ist, daß dieser Dr. Hörnes schon in Preßburg in der Tsche= choslowakei eine Gummiwarenfabrik betrieben hat, in der im Jahre 1927 eine Explosion elf Arbeiterinnen das Leben gekostet hat. Er wurde vom Preßburger Gericht zu sechs Monaten Freiheitsstrafe ver­urteilt, ihm die Weiterführung eines solchen Be­triebes in der Tschechoslowakei untersagt. Er verlegte darauf die Benzol- Hölle nach Wien , ohne von den österreichischen Behörden daran gehindert zu werden.

Zeugen...

In der Verhandlung kam zur Sprache, daß die Arbeiterinnen, die die giftigen Gase einatmeten, an schwersten Kopfschmerzen und an furchtbaren Uebelkeiten litten und duzendmal am Tage, oft fünfzigmal erbrachen. Als Zeugen wurden der Gewerbeinspektor Dr. Kittl und Hofrat Lehn und der Kassenarzt Dr. Witt vernommen. Wir wollen ohne Kommentar, der sich erübrigt, einen Teil des Verhörs mit diesen sozialhygienischen" Funk­tionären wiedergeben:

Borsigender: Warum haben Sie nicht beanstandet, daß die Ware nicht nach Vorschrift unter ventilierten Schutzfästen bearbeitet wird?

3euge Kittl: Es ist mir damals nicht zum Bewußtsein gekommen, daß dort solche Mengen Benzol verdampfen.

Borsigender: Warum haben Sie nicht verlangt, daß Schutzfästen verwendet werden?

Beuge Kittl: Ich habe das nicht für not­wendig gehalten.

Vorsitzender: Warum haben Sie den Dr. Hörnes nicht gefragt, wie die Arbeit vor sich geht?

Zeuge Ich hatte keine Bedenken wegen der Gefahr dieser Arbeit.

Sachverständiger: Ein Spezialwerk über Giftstoffe haben Sie nicht?

Zeuge Nein 9 in Togg Vorsitzender: Was machen Sie dann, wenn Sie etwas über Gifte wissen wollen? Zeuge Ich frage einen Arzt.

Ein zweiter Gewerbeinspektor, Hofrat Lehn, wird gefragt, warum er nichts zum Schutze der Arbeiter vorgesehen habe, obgleich er Benzol als Nervengift angesehen habe.

3euge Freilich ist auch Nervengift ein Gift, aber es wirkt nur langsam.

Der Vorsitzende fragt den Angeklagten Hörnes: Ihre Arbeiterinnen haben fortwährend erbrochen; warum haben Sie sie nicht ärztlich untersuchen lassen?

Angeklagter: Ich war der Ansicht, diese Erscheinungen seien unvermeidlich. Ich habe es dem Gewerbeinspektor gesagt, aber der hat geant­mortet, die Leute werden sich daran gewöhnen, und die sich nicht daran gewöhnen, soll ich ent­lassen.

Vernehmung des Arztes Dr. Witt

Vorsitzender: Sie können sich erinnern, daß zu Ihnen Arbeiterinnen gekommen sind, die sich über verschiedene Uebelkeiten beklagt haben. Welche Beschwerden hatten diese Patientinnen?

Zeuge: Immer dieselben: Uebelkeiten, Schwindelzustände, Kopfschmerzen.

Vorsitzender: Unter welchen Voraus­setzungen haben Sie die Leute in Krankenstand genommen?

Zeuge Wenn sie arbeitsunfähig waren. Vorsitzender: Das war sehr selten. Bloß drei oder viermal. Ist es Ihnen denn nicht auf­gefallen, daß immer Arbeiterinnen aus der Gummifabrik mit denselben Erscheinungen, Brech­reiz, Kopfweh usw. zu Ihnen famen?

3euge Zuerst nicht. Erst 1929, furz bevor der Betrieb geschlossen wurde. Vorsigender: Und da haben Sie nichts

gemacht?

3euge: Ist habe ihnen geraten, sich an ihren Betriebsrat zu wenden.

Vorsitzender: Warum haben Sie nicht eine Anzeige erstattet?

3euge: Ich habe mich nicht berufen gefühlt, eine Anzeige zu erstatten.

Vorsitzender: Haben Sie gewußt, daß bei Hörnes Benzin oder Benzol verwendet wird? Zeuge: Ja. Borsigender: War Ihnen die gesundheits­schädigende Wirkung des Benzols bekannt?

3euge: Ich habe gewußt, daß es ein Gift ist. Ein nervöses Gift. Daß die Schädigungen so schwerer Natur sein können, habe ich nicht gedacht. Borsigender: Warum haben Sie keine An­

Staatsanwalt: Das ist das Zugeständnis zeige beim Gewerbeinspektorat gemacht? des Nichtwissens.

Ein gerichtlicher Sachverständiger: Welche Bücher haben Sie?

3euge: Ich hatte die Erinnerung an den früheren Betrieb und da ist kein Benzol verwendet worden.

Vorsitzender: Aber es hätte Ihnen doch auffallen müssen, daß immer Leute aus der Hörnesfabrik mit den gleichen Beschwerden fommen.

3euge: In jeder Fabrik ist es ungefund. Die c erste Patientin, die gestorben ist, wurde von mir dreimal untersucht. Sie hat drei Tage vor ihrem Tode noch blühend ausgesehen. Was hätte ich tun sollen?

Ein Sachverständiger: Haben Sie sich nicht den Zusammenhang denken können?

Zeuge zu mir fommen täglich 50 bis 60 Patienten.

Vorsitzender: Wenn einer Mitglied einer Krankenkasse ist, hat er das Recht, ordentlich unter­sucht zu werden.

Eine Zeugin sagt aus: Einige Arbeiterinnen sind krank geworden. Als sie das Entgelt für die ersten Krankheitstage verlangt haben, sind sie ent­lassen worden.

Sekretär Hoffmann vom Verband der chemischen Arbeiter sagt aus, die Arbeiter hätten ihm erzählt, daß der Fabrikant Hörnes am Mor­gen selbst in den Betrieb kam und die Ventilation abstellte.

von

Die ärzlichen Sachverständigen stellen fest, daß es sich um die schwersten Er­scheinungsformen einer chronischen Benzolvergif­tung gehandelt habe. Auch die mit dem Leben davongekommenen Arbeiterinnen müssen Todesangst gefoltert worden sein. Die Arbeits­weise in der Gummifabrik sei verbrecherischer Leichtsinn gewesen. Der Betrieb war für Leben und Gesundheit der Arbeiter auf das schwerste gefährlich Die Organe der Gewerbehygiene haben völlig versagt.

Urteil

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Freispruch!

Urteil: Freispruch! Die Gewerbeinspektoren hätten alles in Ordnung gefunden, sie hätten dem Angeklagten gesagt, daß sich die Arbeiterinnen an die Dämpfe gewöhnen würden. Auch der Kaffen­arzt habe die Erkrankungen nicht erkannt. Daher können die Angeklagten nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Als ewiges Schandmal sei zum Schluß fol­gender in der Verhandlung geschehener Dialog für die kommenden Geschlechter aufgezeichnet: Der Vorstand des Gewerbeinspektorats Wiener Neustadt Hofrat Lehn: Ich kann nur sagen, dieses hier war ein Musterbetrieb. Borsigender. Wieso gab es dann trotz dem Musterbetrieb Tote?

Hofrat Lehn: Das sind eben Betriebs­unfälle

Betriebsunfälle! Eine Zeugin gibt an, daß fie fieben oder achtmal in der Stunde gebrochen hat. Vorsitzender: Das ist fünfzigmal im Tag? Zeugin: Ja.

Vorsitzender zum Gewerbeinfpef= tor: Ihre Antwort an den Fabrikanten war, er möge diejenigen Arbeiterinnen, die sich nicht daran gewöhnen können, entlassen!