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ZWEITE BEILAGE

Vorwärts

SCHICKSAL AMER MASCHINE

31 ROMAN VON STEFAN POLLATSCHEK

2.

( Copyright Saturn- Verlag.)

Ein Mann ging auf der Straße. Sein Mantel war defekt, die Schuhe abgetragen. Gebeugte Gestalt, schleppender Gang. Es war Wilhelm Weltlin. Vor einem Speise­haus blieb er stehen und schien zu überlegen. Dann schritt er wieder langsam vorwärts, er besann sich, daß seine Barschaft auf fünf Mart zusammengeschmolzen war. Ein junges Mädchen schritt an ihm vorüber, sah sich um, blieb bei einer Auslage stehen und ließ den Mann passieren. Dann eilte sie auf ihn zu: ,, Herr Weltlin- nicht wahr?"

,, Ja!"

Sie fennen mich wohl nicht mehr? Ich heiße Vera Wagner!"

,, Dh gewiß! Ich entsinne mich, mein Fräulein."

,, Darf ich ein paar Schritt mit Ihnen gehen?"

,, Gewiß. Ich freue mich sehr, wir haben einander lange nicht gesehen. Aber es ist ungemütlich auf der Straße hier. Haben Sie Zeit? Darf ich Sie auf eine Tasse Kaffee einladen? Ich weiß hier in der Nähe ein fleines Kaffeehaus.

-

,, Ja ich weiß nicht...", sagte das Fräulein, und unwillkürlich streifte ihr Blick die armselige Gestalt.

,, Sie werden mich doch nicht derart be­schämen, mein Fräulein. Ich besize noch so viel Geld."

Man betrat ein kleines Lokal. An Mar­mortischchen saßen Männer und Frauen und lafen in Zeitungen. Ein junger Pianist spielte schwere Musik, die wenig beachtet murde.

,, Ich freue mich sehr, mit Ihnen hier zu fizen", sagte Beltlin, obschon ich erstaunt bin, daß Sie mich erkannt haben. Ich habe mich doch einigermaßen verändert."

,, Oh, ich habe Sie sogleich erkannt." ,, Ist es nicht fomisch, fleines Fräulein, daß wir immer nur in Kaffeehäusern zu­fammentreffen?"

,, Als wir das legte Mal einander sahen, war alles noch viel besser, Herr Weltlin." ,, Geht es Ihnen nicht gut, Fräulein? Das täte mir leid.

--

Nein eigentlich geht es mir nicht gut." ,, Oh, ist am Ende mein Sohn nicht gut zu Ihnen? Benimmt er sich schlecht?"

,, Ich habe Ihren Sohn lange Zeit nicht gesehen", sagte das Fräulein Bera Bagner und ihre Lippen preßten sich fest anein­ander.

,, Oh", sagte nur Weltlin und schwieg. Ja, Hat Ihnen Albert nie davon ge­sprochen?"

Nein. Sie wissen doch, daß er verschlossen ist und über seine Angelegenheiten zu nie mand spricht. Schon als Knabe war er so." ,, Seit einem halben Jahr verkehren wir nicht mehr miteinander. Eines Tages hat er mir erklärt, daß er zu der Ueberzeugung ge­tommen sei, wir paßten nicht zueinander."

,, Er hat sich reichlich Zeit mit dieser Kon­statierung gelaffen, mein Herr Sohn", sagte Weltlin. und ein bitterer Geschmack stieg in ihm auf. Er sah mit einem Male ein helles Kinderzimmer, auf den weißen Wänden Märchenfiguren, Heren, Feen, Knusper­häuschen und Schlaraffenland, Zwerg Nase und Ali- Baba. Zwei schöne, gepflegte Kinder faßen am Boden und spielten; nein, es waren feine glücklichen Menschen geworden, weder Albert, noch Erna... Erna wo war sie? Das Herz verengte sich, das Atmen wurde schwer.

-

,, Und wissen Sie, daß ich immer dachte, Sie würden Alberts Frau werden?" ,, Das dachte ich auch", sagte Bera und lächelte, und da ereignete es sich, daß Weltlin in dieses Lächeln einstimmte und mit einem

Am Donnerstag

1

Dezember

Male lachten sie laut auf und ein unsicht­bares Berbundensein war um die beiden Menschen.

" 1

Sie haben recht, fleines Fräulein, man muß über alles lachen können. All dies ist gar nicht so wichtig.

,, Was ist aber wichtig, Herr Weltlin?" fragte Vera. Sie faß vorgebugt da, hatte die Hände über den Schoß gefaltet und fah erwartungsvoll in das zerfurchte Gesicht des Mannes.

,, Eine schwere Frage, mein Kind! Wer das wüßte? Die einen glauben, es sei das Geld, sie jagen ihm nach und müssen er­fennen, daß es nicht das Richtige ist. Andere

glauben, es sei der Ruhm, aber auch der hat nur Wert, solange man lebt. Der tote Mensch hat nicht viel von seinem Nachruhm. Ich bin ein alter Mann, mein Fräulein, und ich glaube, daß es gar nichts gibt, was man so eigentlich das Richtige nennen kann. Vielleicht kommt es nur darauf an, seiner Natur gemäß zu leben."

,, und leben Sie Ihrer Natur gemäß, Herr Weltlin, sind Sie glücklich?"

Ich bin nicht unglücklich, mein Kind. Können Sie ermessen, wieviel so ein Wort bedeutet?"

,, Es scheint Ihnen doch gar nicht... Bera brach mitten im Sag ab und schwieg.

Ich weiß nicht, was Sie unter Wohlbe­finden verstehen. Ich könnte über mehr Geld verfügen, wenn ich wollte. Meine Kinder und einer meiner Freunde wollen mir mehr als genügend Geld geben. Ich nehme nur fünfzig Mark im Monat, und wenn ich ein: mal mehr verdiene, so gebe ich es ab. Ich brauche nicht mehr."

Aber Sie leben doch so einsam, ganz allein. Ich fenne einen Menschen, der sich Ihretwegen sehr grämt."

,, Sie fennen...?"

"

,, Ja. Fräulein Kreitner litt sehr, als Sie

Die Verteidigung

Groteske von B. Wand

Der Angeklagte erhob sich und begann seine Berteidigung.

Die schon fünf Tage andauernden Sizungen hatten ergeben, daß er bedeutende geistige Fähig­feiten besaß. Es handelte sich für ihn um Leben oder Tod. Den Beistand eines Rechtsanwalts hatte er abgelehnt. Er vertrat seine Sache selbst. Sie mar darum nicht weniger hoffnungslos. Der Präsident, die Geschworenen, der Staatsanwalt, die Richter, das Publikum, die Gerichtsdiener alle hatten ihn bereits zum Tode verurteilt. Herr Präsident und meine Herren Geschwore

nen..."

-

Das Schweigen im Saale vertiefte sich noch, als seine Stimme erklang. Trotz seines schaurigen Berbrechens und seiner Verstocktheit durchzitterte doch Mitgefühl die Zuhörer. Mit Schrecken dach­ten alle an den Urteilsspruch.

Es war halb siebzehn Uhr; seit elf Uhr dauerte, mit nur einer Frühstückspause, die Sizung. Der Angeklagte stand, kühl und gefaßt, mit zurüc geworfenem Kopfe, da. Aus seinem Munde tamen formvollendete Säße. Das Mitleid der Zuschauer mit diesem hochgebildeten Mann, der in den Strudel des Verbrecherlebens gerissen worden war, wuchs.

Es war neunzehn Uhr. Der Angeklagte zeigte feine Spur von geistiger Erschöpfung und sprach noch immer leicht und fesselnd. Weil er bei der Sache blieb, durfte der Präsident ihn nicht unter­brechen.

,, Bertagt bis morgen früh elf Uhr", verkündete der Präsident. Als der Angeflagte ins Gefäng­nis zurückgeführt wurde, stand in seinen Zügen ein Lächeln.

*

Ein düsterer, ungemütlicher Morgen.

Der Angeklagte macht dem Richtertisch und den Geschworenen eine höfliche Verbeugung und nimmt den Faden seiner gestrigen Rede wieder auf.

Um halb vierzehn Uhr kurze Bertagung für die Frühstückspause. Dann wird die Verhandlung wieder aufgenommen. Die Geschworenen refeln sich und gähnen. Der Präsident runzelt mißmutig die Stirn.

Siebzehn Uhr. Der Präsident gebietet ,, Ruhe!". ,, Ich warne Sie", sagt er. ,, Das Gericht wird solange fizen, bis Sie Ihre Rede beendet haben, und sollte es Mitternacht werden." Der Angeklagte verbeugt sich leicht.

Um zweiundzwanzig Uhr unterbricht ihn der Präsident wieder. Der Angeklagte protestiert in ruhiger Weise.

,, Es handelt sich für mich um Leben oder Tod, Herr Präsident! Es tut mir leid der Herren er schwenkt die Hand in der Richtung wegen

-

der Geschworenen aber höher steht mir die Erhaltung meines Lebens. Ich darf fortfahren?" Der Präsident donnert von seinem Sessel herab: Die Sigung ist bis morgen früh elf Uhr ver­tagt!"

*

Am Morgen des siebenten Tages überreichen die Geschworenen dem Präsidenten eine Petition. Sie müssen sich um ihre Geschäfte fümmern und bitten um schnelle Befreiung von der Plage dieses Prozesses.

Köpfen Sie den Angeklagten!" fordern fie. Doch der Präsident muß sich weiter mit Geduld mappnen.

Der Angeklagte betritt, frischer denn je, den Saal und stürzt sich ohne weiteres wieder in seine Berteidigung.

Die Frühstückspause ist vorbei.

Ich muß Sie mirklich bitten, sich fürzer zu faffen, erinnert der Präsident. Sie reden jetzt volle zwei Tage. Sie verschlimmern nur Ihre Sache."

Der Angeklagte verbeugt sich. Herr Präsident, ich muß bitten, mich geduldig anzuhören. Bisher habe ich nur einleitende Worte geäußert. Meine eigentliche Verteidigung beginnt erft."

Der Präsident sinft hilflos in seinen Seisel zurüd.

Es mag ein Grund zu meiner Hinrichtung vorhanden sein", fährt der Angeflagte fort, aber tausend Gründe sprechen dagegen. Diese will ich jetzt der Reihe nach beleuchten."

Die Zeit des Gerichtshofes darf nicht in solch frivoler Weise verschwendet werden!" schreit der Präsident wütend.

Herr Präsident!" Die Stimme des Angeklag­ten flingt beleidigt; er jetzt sich nieder. Dann richten Sie mich hin", sagt er ruhig. Aber be= denken Sie, daß ich dann nicht zu meiner Ber­teidigung gehört wurde

Tiefes Schweigen, Endlich erhebt sich der Präsident: Die Sigung ist bis morgen früh ver­tagt." In möglichst würdiger Weise verläßt er den Saal. Die Geschworenen stöhnen. Der An­geflagte lächelt.

,, Nach Konsultation der vorgesetzten Behörde", sagte der Präsident am achten Morgen des Pro­zesses, habe ich keine andere Alternative, als den Angeklagten anzuhören. Er muß sich jedoch kürzer faffen."

So verwarnt, änderte der Angeklagte seine Taktik. Seine Ausführungen wurden jetzt lang= sam, feierlich und präzis. Er bat häufig um Ueberlassung eines Buches, um lange Abschnitte über Beweisführung und Artikel über die Un­sicherheit des Indizienbeweises vorzulesen. Rufe zur Ordnung riefen nur einen neuen Streit und

DONNERSTAG, 1. DEZ. 1932

ihr damals Lebewohl sagten, wie Ihr Sohn mir es getan."

,, Doch glaube ich, daß ich damals richtig handelte. Sehen Sie mich doch an! Glauben Sie wirklich, daß an meiner Seite ein junger Mensch leben tönnte?"

Sie schwiegen eine Weile. ,, und Ihnen, mein Kind Ihnen?"

wie geht es

,, Ach, ich habe noch meine Stellung. Ich bin bei einem Rechtsanwalt, flappere auf der Maschine und bekomme ein kleines Ge­halt. Aber mein Vater und mein Bruder sind ohne Beschäftigung. Na, irgendwie geht es ja immer noch weiter."

Der Kellner näherte sich verlegen dem Tisch und brachte zögernd hervor: ,, Unser Ríavierspieler läßt fragen, ob der Herr nicht Weltlin heißt?" doch faum hatte er zu Ende gesprochen, da war schon der hochaufge­schossene, bleiche junge Mann herangetreten und sprudelte hervor: Herr Weltlin, nicht wahr? Ich fomme, um mich für einen Dienst zu bedanken, den Sie mir einmal er­wiesen haben. Ich bin der Sohn Ihrer Kufine. Sie haben mir einmal Geld ge­liehen." ,, Ja, ich erinnere mich."

( Fortsetzung folgt.)

Konsultierung weiterer Bücher hervor. Die mo notone Rede machte allmählich alle apathisch. Um neunzehn Uhr trat wieder die Bertagung ein.

*

Eine Woche später redete der Angeklagte noch immer.

" Bis soweit", sagte er nach einer Unterbrechung seitens des Präsidenten, habe ich mich auf Tat­sachen beschränkt, die sich auf das neben dem entseelten Körper gefundene Messer beziehen. Jetzt will ich etwas über diesen selbst sagen, um dann auf das zerbrochene Glas, das weiße Pul­ver, die siebzehn Analysen der Chemiker, die Ver­nachlässigung der Aussagen von Polizeibeamten, die Möglichkeit eines Selbstmordes und noch vieles andere zu kommen. Am Abend des Ver­brechens war ich in einer halböffentlichen Ber­sammlung und habe mir eine Liste der dort An­wesenden verschafft. Diese achthundertfieben Zeugen sollen mein 2llibi beweisen. Und

Dann

"

Der Präsident hob beschwörend eine Hand. Fahren Sie um Himmelswillen fort", schrie er, ganz weiß vor But.

Der Angeklagte fonnte nur noch einiges mit Bezug auf das Messer sagen. ,, Die Sigung ist vertagt", donnerte der Prä­fident.

*

Am ersten Lage der neunten Woche, nachdem der Angeklagte sich zwei volle Stunden darüber ausgelassen hatte, was er aus dem ersten seiner achthundertundsieben Alibi- Zeugen herauszuholen beabsichtige, baten die Geschworenen, sich zurück­ziehen zu dürfen. Der Präsident gab die Er­laubnis sofort, und hielt während ihrer Abwesen­heit eine kurze Beratung mit dem Staatsanwalt. ,, Gibt es denn gar keinen anderen Weg, Herr Präsident?" fragte dieser.

,, Keinen", stöhnte der Präsident. Oder wir müßten ihm ewig zuhören!" Die Geschworenen betraten den Saal wieder.

Haben Sie sich über Ihr Urteil geeinigt, meine Herren?" ,, Ja, Herr Präfident", antwortete der Obmann. ,, Wir erklären den Angeklagten für nicht schuldig."

Ein Ruf des Erstaunens lief durch den voll­besetzten Saal. Nicht schuldig?!

,, Da die Geschworenen Sie, Angeklagter, für nicht schuldig befunden haben, muß ich Sie frei­sprechen. Ich gebe Ihnen aber den ernstlichen Rat, Ihre Fähigkeiten in Zukunft besser anzu­wenden."

Der Angeklagte trat einen Schritt vor. Herr Präsident", sagte er, ich möchte mir ein paar Bemerkungen erlauben

Ein überſtürzter Aufbruch entstand. Nach zwei Minuten stand der Angeklagte allein im Saal. ,, Ich dachte mir wohl, daß meine paar Bemer­fungen sie überwältigen würden", murmelte er und trat in den Sonnenschein der Straße hinaus. Berechtigte Uebersetzung aus ,, Tit Bils" von J. G. Warnken.

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