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Morgen- Ausgabe

Nr. 569 A 279 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

Fernsprecher: 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

3. Dezember 1932

Jn Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 15 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiche am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Schleichers neues Kabinett

Die Papen  - Minister bleiben- Moellendorff Arbeitsminister?

Die endgültige Ernennung des Kabinetts Schleicher wird für Sonnabend, spätestens Montag erwartet. Die Henderungen gegenüber dem Kabinett Papen   follen noch geringfügiger fein, als zunächst angenommen wurde. Es sollen lediglich der Reichsinnenminister und der Reichsarbeits­minister ausgetauscht werden, selbst der Ernäh­rungsminister Freiherr von Braun soll auf feinem Poften bleiben.

der Deffentlichkeit genannten chriftlichen Gewerk­schaftler Stegerwald und Offe, der neue Schlichter von Berlin   Professor Brahn   und der Schlichter für Westfalen   3 öden. Einer der aus­sichtsreichen kandidaten für das Arbeitsministe­rium ist der bekannte Planwirtschaftler und frühere Mitarbeiter Wissells, Prof. v. Moellen­dorff.

As Reichsinnenminister wird nach wie Industriesorgen um Papen  - Programm

vor Herr Bracht genannt. Das würde die Uebertragung der reaffionären Politik Brachts in Preußen auf das ganze Reich bedeuten, eine Fort­jehung des Papen- Kurses im Innenminifterium. Herr Bracht, der Mann vom 20. Juli Reichs­innenminster das ist eine eindeutige Jefflegung des Kurses.

Für das Reichsarbeitsministerium find mehrere Kandidaten genannt worden. Am Freitagnachmittag hat Schleicher   die Führer der christlichen und freien Gewerkschaften um ihre Auffassung über mehrere Persönlichkeiten befragt, die für das Reichsarbeitsministerium fandidieren. Nicht in Frage fommen für dieses Amt die in

Eigener Bericht des, Vorwärts"

Köln  , 2. Dezember.

Die Kölnische 3tg." begrüßt den Reich s= fanzlertandidaten Don Schleicher mit dem Ruf: Der richtige Mann", für dessen Beauftragung fie sich schon vor einigen Tagen trozz mancher Bedenken eingesezt habe.

Diese Bedenken liegen, so führt das Blatt aus, auf wirtschaftlichem Gebiet, wie der Brief Leiparts an v. Schleicher   zeige: ,, Schleicher   hat den Gewerkschaften, soviel bekannt ist, eine Erfüllung ihrer Forderungen zwar nicht versprochen und, wir glauben auch, daß er die Forberungen gar nicht erfüllen fann, wenn

Schleicher  , ein Charakterbild bendstunde verplaudern- das ist für Schleicher  

Von Nicolo M...

Als am 1. Juni die Nachricht kam, ein gewisser Franz von Papen   sei Reichskanzler geworden, sahen sich die ältesten Kunden erstaunt an und fragten: Ja, wer ist denn das eigentlich?" Bei Kurt von Schleicher   wird niemand.diese Frage stellen, der auch nur von ferne her in die deutsche Politik hineingerochen hat. Er kennt alle, und alle tennen ihn.

Seit dem Herbst 1918 hat es kaum ein politi­sches Ereignis gegeben, bei dem sich nicht dieser Kopf irgendwo vom Hintergrunde abgehoben hätte. Erft ganz unten im Gefolge der großen Herren, dann immer weiter in der Vordergrund tretend, jetzt ganz vorne an der Spizze. Der kleine Major aus der königlichen Armee hat in der Republik  eine fabelhafte Karriere gemacht.

Er verdankt sie zum großen Teil dem General Groener  , der bis vor wenigen Monaten nicht nur sein Vorgesezter, sondern auch sein väter­licher Freund war. Groener schätzte an ihm die große Intelligenz und die Geschmeidigkeit, die sich in fremden Gedankengängen verblüffend rasch zurechtfindet. Darüber hinaus verfügt Schleicher  auch über die Kunst, den Menschen das zu sagen, was sie gerne hören, und so war Groener dessen gewiß, eine zuverlässigere Stüze gar nicht finden. zu können als eben Schleicher  . Die Freundschaft hielt solange, bis Schleicher   plötzlich bemerkte, daß das mit seiner lebhaften Zustim mung erlassene SA. Verbot ein fata= Strophaler Fehler gewesen sei. Dieser plöglichen Erkenntnis, über deren Richtigkeit hier nicht weiter gestritten werden soll, verdankte dann Schleicher  jeinen schnellen Aufstieg vom Staatssekretär über den Reichswehrminister jetzt zum Reichskanzler. Schleicher   stammt aus einer alten Offi­ziersfamilie, aber er ist kein Eisenfresser und kein Kommißknopf. Reste von Standes­dünkel, die irgendwo schlummern mögen, weiß er geschickt zu verbergen. Es fehlt ihm nicht an poli­tischer Erfahrung, die er durch geschichtliche Studien vertieft hat. Seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat er dagegen wohl mehr vom Hörensagen.

Das Gespräch ist überhaupt sein Element. Er pflegt es mit Leidenschaft. Beziehungen haben, Fäden anknüpfen, soweit die deutsche   Zunge flingt, das liegt ihm! Morgens ein Spazierritt mit dem Staatssekretär beim Reichspräsidenten  , dann Frühstück mit dem Erkronprinzen, nach­mittags in Gesellschaft von Nazis den Tee ein­nehmen und schließlich in einer stillen Salonede mit fommunistischen Führern eine

ein gelungener Tag.

Adolf Hitler   schwärmte eine Zeitlang für ihn wie ein Backfisch. Zur gleichen Zeit renommierte der Erkronprinz mit seinem Freund Schleicher  , der ihn bestimmt zum Reichsverweser machen werde, und hörte mit diesem Geschmät nicht eher auf, als bis seine Frau Nerven befam, weil sich der Oberreichsanwalt leise für diese Ge= schichte zu interessieren begann.

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Nicht gerade wählerisch in seinen Freundschaften, mar Schleicher natürlich auch ein Freund des Herrn von Papen. Er soll es sogar gewesen sein, der diesen Reichskanzler erfunden hatte aber das behaupten nur seine schlimmsten Feinde, und er selber wird es sicherlich aufs entschiedenste bestreiten. Nicht bestreiten wird er denn welcher Kluge würde bestreiten, was jedermann weiß?, daß er eine der tragenden Kräfte des Bapen- Kabinetts war und daß er es war, der zum Streich des 20. Juli den bewaffneten Arm lieh.( Dies geschah nicht lange, nachdem er den Vorwärts" durch einen sehr inter­essanten und gut geschriebenen Beitrag bereichert hatte, für den ihm die Redaktion noch heute dank­bar ist.)

er nicht das eingeleitete Wirtschaftsprogramm in Gefahr bringen will. Immerhin hat er aber die Gewerkschaften durch den Empfang ihrer Führer zu einem solchen Vorstoß ermutigt und der Brief zeigt, was es nach sich zieht, wenn man in dem Ruf eines ,, Staatssozialisten" steht. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß General  v. Schleicher   jetzt das Ziel der verschiedensten Staatssozialisten benutzt und planwirtschaft= liche Vorschläge machen wird. Es kommt

deshalb darauf an, daß das von Schleicher zu bildende Kabinett eine Zusammensetzung erhält, die Gewähr dafür bietet, daß der von Papen eingeleitete Wirtschaftsturs nicht wieder unterbrochen wird, denn eine Unterbrechung des begonnenen Wirtschafts­programms würde die schwerwiegendsten Folgen haben. An den Grundlinien des Wirtschafts­programms darf nichts geändert werden."

Nazis schwören eine Tolerierung ab

Die Pressestelle der NSDAP  . teilt mit, daß die NSDAP  . jegliche Tolerierung des Kabinetts von Schleichers flar und unzwei= deutig in Uebereinstimmung mit ihrer bis­herigen Haltung ablehne.

Schleichers Verhältnis zur Republik   und zur Linken unterlag mancherlei Wechselfällen. Biel­leicht werden ihn die Sozialdemokraten trog ihrer befannten übertriebenen Gutmütigkeit eines Tages doch köpfen lassen müssen- vielleicht wird er einmal fie föpfen lassen, doch wird er das bestimmt nicht tun, ohne ihnen zuvor be= wiesen zu haben, daß dies einzig und allein in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse geschehe.

Als Fünfzigjähriger steht er jegt an der Spize des Reichs, und es ist bestimmt nicht seine Absicht, nach furzer Zeit als nörgelnder Pensionist bis zu seinem Lebensende spazieren zu gehen. Vom Kapitol bis zum Tarpejischen Fels ist aber nur ein kurzer Weg. Schwierigkeiten gibt es unge­zählte; doch von den sachlichen soll hier ja nicht die Rede sein, nur von den persönlichen. Und da wäre zum Schluß noch das eine zu bemerken: Schleicher   hält sich für noch flüger als er ist, und er hält manchmal andere für noch dümmer als sie sind.

Auch das könnte ihm eines Tages zum Ver­hängnis werden...

Der Reichstag   rüstet

Fraktionssitzungen

In drei Tagen soll der Reichstag   zusammen­treten; nachdem wir wieder einen Kanzler haben, mendet sich das Interesse der bevorstehenden Tagung der Volksvertretung zu.

nach­

Am Montagvormittag tritt der sozialdemo fratische Fraktionsvorstand, mittag die Fraktion zusammen. Am selben Tage folgen das Zentrum, die Deutschnationalen und die elf Mann der Deutschen Volkspartei  ; am Dienstagvormittag die anderen Parteien. Wie schon mitgeteilt, wird die erste Sizung vom nationalsozialistischen General Ligmann als Alterspräsident eröffnet, man hat sich Mühe ge= geben, eine neue Rede von Klara Zetkin   zu ver­hindern. Im übrigen sind wir mit Generalen wieder hinreichend versorgt: der Reichspräsident ist Generalfeldmarschall, der Reichskanzler ist General  , der Alterspräsident ist auch General  mas fann uns noch fehlen?

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Die eigentliche Präsidentenwahl soll anscheinend erft in einer zweiten Sizung vorgenommen merden. Sicher ist nur die Kandidatur Görings.

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Präsidentenwahl

Der nationalsozialistische Hauptmann wird mit den Stimmen des Zentrums und der Splitter­parteien im ersten Wahlgang gewählt werden. Alle anderen Namen, die in der Presse genannt werden, sind Kombinationen. da die Fraktionen zur Wahl noch nicht Stellung genommen haben und noch erhebliche Differenzen bei den Parteien der Rechten selbst bestehen.

Eine Anzahl Ausschüsse sollen sofort eingesetzt werden. Die Bemühungen nehmen ihren Fort­gang, die darauf abzielen, das Plenum zu einer Tagungspause bis nach Weihnachten zu bewegen und dann erst zu den Erklärungen des neuen Kanzlers zum Mißtrauensvotum und zu den Notverordnungen Stellung zu nehmen. Die sozial­demokratische Fraktion wird sich an diesem Spiel jedoch nicht beteiligen, da sie eine politische Aus­sprache und die Erledigung ihrer Anträge zur Verminderung der Arbeitslosigkeit und der Ar­beitslosennot für äußerst dringlich hält. Die end­gültigen Dispofitionen sollen in der Weltestenrats­fügung festgelegt werden.

Papen   erledigt

Schleicher   kommt- Der Kurs bleibt

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In den letzten Tagen es konnte sich faum günstiger treffen ist ein Buch zur Verherrlichung Papens und des Papen- Kurses erschienen. Sein Verfasser Walter Schotte   schmückt seine eigene Dar­stellung mit goldenen Worten aus dem Mund des bisherigen Reichskanzlers und eines davon lautet: Nur der ohne Zeit­begrenzung Berufene tann schwach wie der Mensch ist wahrhaftig unabhängig sein und handeln."

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Es darf dahingestellt bleiben, ob Herr von Papen unter den Berufenen den vom Reichspräsidenten Ernannten verstand, oder ob er, der ja überhaupt gern von seiner Berantwortung vor Gott   redete, an eine Art von himmlischer Berufung dachte, jedenfalls hat er erkennen müssen, daß auch die Berufung ohne Zeitbegren­zung" ein verhältnismäßig schnelles Ende finden kann. Und wenn sein literarischer Propagandachef es an anderer Stelle be­grüßt, der daß Reichskanzler Ravallerist sei, das heißt, einen Typ darstelle, den wir brauchten, so find sich wohl beide, der Sänger wie der Besungene, nicht vollständig im flaren über die Gefahren der Herrenreiterei gewesen. Das Roß fann bocken und an Hürden kann man stürzen. Bei Herrn von Papen ist es so weit. Eine Krise, die an Wirrwarr, an Kulissenintrigen, an bewußten Irreführungen der Deffentlich­feit nicht zu überbieten war, hat mit der Verabschiedung des Berufenen" geendet. Die neue Staatsführung", als deren Propheten und Helden er sich ausgab, hat einen schweren moralischen Stoß erlitten.

Die Unabhängigkeit, deren sich der Kanzler rühmte, war eine holde Selbst= täuschung. Schon vom ersten Anfang an begab er sich selber freiwillig in den Dienst bestimmter Interessentengruppen, und als er dann, um von den Fesseln der Par­teien frei zu werden, an das Bolt appellierte, lehnte ihn dieses Volk einschließlich jener Interessentengruppen ab. Daß ein paar seiner bisherigen Minister sich ihm versagten, war nicht das Entscheidende. Die öffentliche Mei­nung und nicht zuletzt der Widerspruch, den die Arbeiterklasse gegen ihn erhob, haben dem Kavalleristen den Hals gebrochen, und es half ihm auch nichts, daß sich noch im legten Moment der Berliner   Polizeipräsident schützend vor ihn stellte und die sozialdemokratische Kritik ins Eisen zu legen drohte.

Das eben ist das Erfreuliche an dem Ausgang der Krise: es hat sich herausgestellt, daß man sich, selbst wenn der Reichstag lahm­gelegt ist, doch nicht einfach über die Stim­mungen und den Willen der Wähler hinweg­zusetzen vermag. Ein Staat wie Deutsch  = Tand fann nicht nach italieni schen und russischen Methoden verwaltet werden. Die Staatsform der parlamentarischen Demokratie mag durch die Schuld von Parteien, die sich die Diktatur zum Ziel gesetzt haben, schwer erschüttert sein, aber daß das Vertrauen des Reichs­präsidenten nicht genügt, um einen Kanzler am Ruder zu halten, hat sich deutlich erwiesen.

Nur freilich bedeutet die Beseitigung Papens   nicht die Rückkehr zu den Zuständen, die dem Sinn und Geist der Weimarer Ver­ fassung   entsprächen. Ein Präsidialkabinett" wird durch ein anderes abgelöst. An die Spitze des neuen soll Herr von Schleicher treten und wenn mir den einen Mann nrit großer Genutuung scheiden sehen, so heißt