Einzelbild herunterladen
 

Abend- Ausgabe

Nr. 570 B 277 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297

Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin

SONNABEND

3. Dezember 1932

Vorwärts=

BERLINER

VOLKSBLATT

Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts...... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Kasperle

Lächerlichkeit tötet nicht

Deutschland ist das Land, in dem Lächer­lichkeit nicht tötet, sonst wäre die NSDAP . überhaupt nicht zur Welt gekommen, und ihr Führer, Adolf Hitler , wäre längst tot. Seit diefer am 8. November 1923 mit der Pistole in der Hand in den Lichtkegel der breiten Deffentlichkeit trat, bis zum heutigen Tage, umwittert ihn ein Hauch unfreiwilliger Komik. Der Gendarm von Hildburghausen , der Regierungsrat von Braunschweig , der Marquis Posa vom 13. August, zuletzt der entführte Führer von Jena - Weimar scheint es nicht, als ob dieser Mann über­haupt nur für die Wizblätter geboren wäre?

-

Der groteske Reklameschwindel, den seine Propagandachefs mit ihm treiben, ist nur ge­eignet, diesen Eindruck zu verstärken. Man tut, als wäre Adolf Hitler der Nabel der Welt. Alles blickt auf ihn und alles dreht sich um ihn. Er tritt sozusagen an die Stelle des lieben Gottes, ohne dessen Willen kein Sper­ling vom Dache fällt. Beispielsweise liest man jezt im Kölner Naziblatt, dem ,, West­deutschen Beobachter", unter der etwas viel­deutigen Ueberschrift ,, Die Verwirrung steigt ins Unermeßliche. Wo ist Hitler?" das Folgende:

Die Tatsache, daß Adolf Hitler am Mittwoch nicht zur Aussprache mit Herrn von Schleicher nach Berlin kam, hat die Verwirrung ins Un­ermeßliche gesteigert. Mittags erfuhr man, daß der Führer in Weimar mit Straßer, Dr. Frick und Göring zusammengetroffen ist. Seitdem sind alle Augen nach Thüringen , nach dem Mann gerichtet, der in der Tat zur Zeit alle Trümpfe in der Hand hat. Von ihm und feinen Entschlüssen hängt allein das Gedeihen der Herren von Papen, von Schleicher und Meißner ab, nic juleht das des Herrn Reichspräsidenten selbst, von dem heute wieder einmal, wie schon vor einigen Tagen, das Gerücht verbreitet wird, daß er amtsmüde sei.

Papen, Schleicher , Meißner und Hindenburg werden also in Zukunft ihr Nachtgebet an Adolf Hitler richten müssen, da ja ihr Gedeihen allein von ihm abhängt. Vielleicht ist er ihnen dann gnädig. Für einige von ihnen, wie besonders für Herrn von Schleicher, hat er ja sowieso schon immer eine Schwäche gehabt.

über

Der nüchterne Zuschauer weiß freilich nicht, worüber er mehr staunen soll: über die Schmöcke, die es fertig bringen, ein solches Zeug zusammenzuschmieren, den Führer", der geschmacklos genug ist, solche Schmockereien zu dulden, oder über das treu­deutsche Publikum, das der ganzen Komödie mit Begeisterung folgt und ihren urtomischen Helden nicht nur ernst nimmt, sondern auch anbetet.

Deutschland ist das Land, in dem Lächer­lichkeit nicht tötet.

Börse wartet ab Zurückhaltung gegenüber Schleicher

Die Finanzwelt, die am Freitagmittag die Nachricht von der Ausschaltung Papens mit großer Erleichterung begrüßt hatte, verhielt sich an der heutigen Börse äußerst zurückhaltend. Es war nach dem Verlauf der vergangenen Börsenwoche geradezu auffallend, wie die Um­fäße heute zusammengeschrumpft waren. Sowohl die Bankwelt, wie die berufs­mäßige Spekulation und auch das Publikum warten ab, was der neue Mann im Reichskanzler.. palais tun wird.

J. G. Farben gingen nach anfänglicher Steige­rung bis auf 98% Proz. wieder auf 97% zurück. Siemens verlor gegenüber seinem höchsten Kurs von 127 sogar 3 Punkte und wurde gegen% 1 Uhr mit etwa 124 Proz. angeboten. Auch der Renten­markt war bei fle'nstem Geschäft schwach. Pfand­briefe waren im Durchschnitt um 1 Proz. gedrückt.

Bullerjahn freigesprochen

Das Reichsgericht stellt das Recht wieder her

Leipzig , 3. Dezember.

Der Strafsenat des Reichsgerichts ver fündete heute mittag folgendes Urteil: Der Angeklagte Walter Buller. jahn wird unter Aufhebung des Urteils des 4. Strassenats des Reichsgerichts vom 11. Dezember 1925 auf Kosten der Reichs. fasse freigesprochen.

Nach der Urteilsverkündung erlitt die im Mutter Zuhörerraum sitzende Bullerjahns einen Zusammen= bruch und mußte von dem älteren Bruder des Angeklagten hinausgeführt werden.

Der Begründung stellte der Vorsitzende, Senats­präsident Dr. Bünger, die Feststellung voraus: Die Freisprechung des Angeklagten ist mangels ausreichenden Beweises erfolgt. Der Angeklagte bleibt in nicht unerheblichem Maße verdächtig.

*

Der Freispruch Bullerjahns macht ein Unrecht gut, das das höchste deutsche Gericht in der Psychose nationalistischer Verblendung be= gangen hatte. Aehnlich wie im Falle Fechenbach waren auch hier die nationalistischen In­stintte so hochgepeitscht, daß das Recht darüber zu Schaden fam. Die Zeit der Ruhrbesetzung spielte hinein. Der Entwaffnungskommission war es gelungen, ein verhältnismäßig großes Lager mit verbotenem Material zu finden, allerdings leine Kanonenrohre, wie behauptet wurde, son­dern nur das Rohmaterial dazu. Die nationa­listische Agitation, der sich das Reichsgericht be­denkenlos anschloß, behauptete, daß der Verrat

dieses Lagers die Verlängerung der Ruhrbesetzung zur Folge gehabt habe. Heute steht fest, daß da­von nicht die Rede ist, aber es wurde blindlings geglaubt. Dieser Verrat erheischte Rache!

Rechtsirrtümer sind auch in anderen Prozessen vorgekommen. Was aber diesen Rechtsirrtum so außerordentlich bedeutungsvoll machte, war die Tatsache, daß das Reichsgericht, um verurteilen zu können, sich über einen Elementar grundsaz des Rechts hinwegfejte: daß nämlich der Angeklagte seine Belastungs. zeugen persönlich kennen, daß er ihnen gegenübergestellt werden und Gelegenheit erhalten muß, zu ihren Aussagen Stellung zu nehmen. Von diesem Grundsaß der Unmittelbarkeit des Berfahrens wich das Reichsgericht in schreckender Weise ab. Es begnügte sich mit der von einem Kriminalbeamten vorgetragenen Aussage eines ,, ungefannten Gewährsmannes", der seinerseits wieder ausgesagt haben sollte, was ihm englische Mitglieder der Entwaffnungskom­mission mitgeteilt hätten. Eine dreifach mittel­bare Aussage! Trotz allen Drängens erfuhr Bullerjahn in der Verhandlung nicht, wer der unbekannte Gewährsmann war, der ihn so schwer belastete.

Es war der zu früh verstorbene Genosse Ba u 1 Levi, der als erster sich dieses Falles annahm und die Ungeheuerlichkeit des reichsgerichtlichen Vorgehens im Reichstag geißelte. Er hat den Triumph der Sache, für die er mit all seiner kämpferischen Leidenschaftlichkeit, eintrat, nicht mehr erlebt. Aber am Tage des Freispruches Bullerjahns muß sein Name in erster Linie als eines Kämpfers um das Recht genannt werden.

Schleicher bei Hindenburg

Abschiedssitzung des Papen - Kabinetts

Reichstanzler von Schleicher hat sich heute vormittag um 11.30 Uhr zum Reichspräsidenten begeben und ihm die vorläufige Ministerliste überreicht. Außer den bekannten fünf aus dem alten Kabinett wird die vorläufige Liste enthalten: Dr. Bracht als Reichsinnenminister, den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Westfalen in Dorimund Ordemann als Reichsarbeits­minister. Ungeklärt ist noch die Frage des Wirtschafts- und Ernährungsmini­fteriums. Doch soll die vollständige Minister­lifte heute nachmittag fertig und vom Reichs­ präsidenten genehmigt sein.

Um 12.30 Uhr fand die Schlußsihung des alten Kabinetts statt. Um 12.45 Uhr traten die Mitglieder des kabinetts von Schleicher zu einer ersten Besprechung zusammen. Die Bekanntgabe der Ernennung dürfte im Laufe des Nachmittags erfolgen.

Schleicher wünscht die gegenwärtigen Leiter dieser beiden Ministerien auch in sein Kabinett aufzunehmen. Er hat daran jedoch die Voraus­jegung geknüpft, daß sich Warmbold und Braun über die bisher zwischen ihren Mini­sterien bestehenden Differenzen verständi­gen. Die beiden Minister haben sich deshalb am Freitagabend zusammengesetzt und versucht, ein fünftiges Wirtschaftsprogramm fertigzustellen. Wie es heißt, ist der Versuch ge= lungen, so daß nunmehr die letzte Entscheidung darüber, ob das Wirtschaftsministerium und das Reichsernährungsministerium unter den alten werden follen, bei Ministern weitergeführt Schleicher liegt.

Dem Reichstag wird sich die Schleicher­Regierung er st Mitte Dezember vorstellen. 3war tritt der neue Reichstag bereits am Diens­tag der kommenden Woche zusammen. Schleicher hat aber den Wunsch, die Regierungsmaschinerie zunächst wieder ins Laufen zu bringen und dann ohne hast ein Regierungsprogramm zu formulieren. Er glaubt, mit diesen Arbeiten faum vor Mitte Dezember fertig zu sein, so daß er dem nationalsozialistischen Reichstagspräsidenten Göring als dem Einberufer des neuen Reichs­tags den Vorschlag machen wird, am kommenden Dienstag die Konstituierung des Parla­ments mit der Neuwahl des Präsidenten vorzunehmen und dann eine neue Sigung etwa zum 14. oder 15. Dezember einzuberufen. Schleichers Aufnahme im Ausland Die Ernennung Schleichers hat im Ausland in­sofern überrascht, als nach den letzten Meldungen eine Wiederbetrauung Papens erwartet wurde. Der neue Kanzler findet jenseits der Reichsgrenze eine relativ günstige Aufnahme, da man von ihm eine Entspannung der Lage in Deutschland erwartet, während von einer Rückkehr Papens das Schlimmste befürchtet wurde.

Allerdings steht man sowohl in Paris wie in London unter dem Eindrud, daß nunmehr ein General den höchsten Regierungsposten be= kleidet, eine Erscheinung, die in demokratischen Ländern nicht gerade angenehm berührt, weil fie mit dem Begriff ,, Militärdiktatur" verbunden ist. Dennoch sind die meisten Auslandsblätter, nament­lich unter dem Eindruck der Berichte ihrer Ber­ liner Korrespondenten bemüht, das Mißtrauen ihrer Leser in dieser Hinsicht zu beschwichtigen, indem sie die Klugheit Schleichers rühmen und ihn als einen Fortschritt gegenüber Papen darstellen.

Aus den Verhandlungen ist unsern Lejern be­fannt, daß als der unbekannte Gewährsmann der Direktor von Gontard festgestellt wurde. Es ist auch bekannt, wie seine Angaben bei fritischer Beleuchtung mehr und mehr zusammen= schrumpften, wie Herr von Gontard sich nicht einmal mehr der Namen seiner angeblichen englischen Gewährsleute erinnern wollte. Wer das Verhör dieses Zeugen verfolgt hat, dem graut bei der Vorstellung, auf welche Weise ein Mensch für fünfzehn Jahre ins Zuchthaus tommen kann durch ,, ungenannte Gewährsmänner". Bullerjahn hat fast die Hälfte dieser Strafe verbüßen müssen. Diese Tatsache kann auch die Wiederherstellung des Rechts nicht rüdgängig machen.

Der Fall Bullerjahn bleibt eine ewige War­nung für alle Gerichte, nicht aus irgendwelcher Leidenschaft und Verurteilungssucht heraus sich über die elementarsten Grundsäge des Rechtsverfahrens hinwegzusetzen. Was im Falle Bullerjahn einmal geschehen ist, dürfte nie wieder vorkommen. Leider aber haben wir zur Zeit ein Sondergerichtsverfahren, das ähnlichen Rechtsirrtümern Tür und Tor öffnet.

Wie die Deutsche Liga für Menschenrechte mit­teilt, tommt Bullerjahn mit dem Abendzug um 6.08 Uhr auf dem Anhalter Bahnhof an, wo er von der Deutschen Liga für Menschenrechte mit seinen Verteidigern empfangen werden wird. Eine Beranstaltung über den Bullerjahn- Prozeß und seine Lehren findet im Rahmen einer Miglieder­versammlung mit eingeführten Gästen am Diens tag, dem 13. Dezember, im Langenbeck- Virchow­Haus fatt.

Wetter am Sonntag

Das Berliner Sonntagswetter wird nach einer Mitteilung des Amtlichen Wetterdienstes leid. lich sein. Die Prognose lautet: Wechselnde Bewölkung, zeitweise Aufheiterung, etwas stär­fere Winde und leichte Abkühlung." Jm großen und ganzen ist es überall im Reich ziemlich milde. In der letzten Nacht lagen die Tempera­turen allerorts über null Grad. Berlin hatte nachts 3 Grad Wärme. Um 8 Uhr früh wurden 4 Grad und mittags 7 Grad Wärme gemessen. Auffallend warm ist es an der Nordseeküste, wo die Temperaturen zwischen 8 und 9 Grad Wärme liegen.

Ein nördlich von Schottland liegendes Tiefdruck­gebiet wird an seiner Südseite etwas kühlere Luftmassen nach Mitteleuropa senden. Stärkere Abkühlung wird das aber nur in den Bergen zur Folge haben, im Flachland wird der Tempe­raturrückgang nur unerheblich sein.

Diftatoren- Los

Primos Mitarbeiter schwer verurteilt Madrid , 3. Dezember.

Der Außerordentliche, aus Parlamentariern zu­fammengefeßte Gerichtshof zur Aburteilung der Verantwortlichkeiten der Mit­arbeiter der Diftatur Primo de Rivieras und Helfer bei dem Staatsstreich vom Sep­tember 1923 hat das Urteil gefällt. Danach werden verurteilt der im Ausland befindliche General Martinez Ani do zu 24 Jahren Berban= nung, Benfionsverlust mit Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter, weitere vier Generäle, die in Madrid in Untersuchungshaft fizen, zu 12 Jahren Ber­bannung. Der eigens zu diesem Prozeß von den Philippinen nach Madrid gekommene General Saro wurde zu sechs Jahren Verban­nung und Pensionsverlust verurteilt. Den Gene­