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Morgen- Ausgabe

Nr.571 A 280 49. Jahrg.

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Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNTAG

4. Dezember 1932­

Jn Groß Berlin   15 Pf. Auswärts....... 20 f. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß bes redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Kabinett Schleicher ernannt

Bracht Innenminister, Syrup   Arbeitsminister, Wirtschaft und Ernährung noch unbesetzt

Reidyspräsident von Hindenburg   hat am Sonn­cbendabend die Ernennung des Kabinetts von Schleicher bis auf die beiden Posten des Reichsernährungs- und des Reichs= wirtschafts minifteriums vollzogen. Die Ministerliste hat folgendes Aussehen:

Reichskanzler und Reichswehrminister: von Schleicher.

Reichsaußenminister: v. Neurath. Reichsfinanzminister: Graf v. Schwerin­

Krosigk.

Reichsjustizminister: Dr. Gürtner. Reichsverkehrsminister:

Els von Rübenach. Reichsarbeitsminister: Präsident Shrup. Reichsinnenminister: Dr. Bracht. Reichskommissar für die Arbeitsbeschaf­fung: Dr. Gereke.

Reichsminister ohne Geschäftsbereich: Popit.

Die Herren Warm bold und von Braun werden ihre Besprechungen über die grundsätz­lichen Fragen der Wirtschaftspolitik am heutigen Sonntag fortfegen.

Reichsarbeitsminister Syrup

Der neue Reichsarbeitsminister, Geheimer Rat Dr. Friedrich Syrup, wurde im Jahre 1881 in der Provinz Hannover   geboren. Er besuchte das Realgymnasium in Hannover  . Nach der Reife­prüfung war er ein Jahr praktisch in verschiedenen Betrieben der Metallindustrie tätig. Darauf widmete er sich dem Studium des Maschinenbau­faches. 1903 bestand er das Eramen als Diplom­ingenieur. Anschließend studierte er Rechts- und Staatswissenschaften und bestand 1907 die Ge­Sodann merbeaffefforprüfung. war er als preußischer Beamter in den Provinzen Hannover  , Rheinland  , Oberschlesien   und Pommern   tätig. 1918 murde er zum Vortragenden Rat im preußi­schen Handelsministerium ernannt. Bei Kriegs­ende wurde Syrup dem Demobilmachungsministe rium überwiesen. 1920 trat er in den Reichsdienst als Präsident der Reichsarbeitsverwaltung über. Im Jahre 1927 murde er zum Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits­lofenversicherung ernannt. Am 18. Juli d. J. wurde Dr. Syrup zum Reichskommissar für den freiwilligen Arbeitsdienst bestellt. Auf wirtschaft­lichem, fozialpolitischem und arbeitsrechtlichem Gebiet hat er auch eine reiche schriftstellerische Tätigkeit entfaltet.

Hindenburg   und Papen

Der Reichspräsident hat an Herrn von Papen ein Abschiedsschreiben gerichtet, aus dem hervor=

Händen des dem Zentrum angehörenden Staats­

Nicht reaktionär genug! fretärs öscher; Referent für die gesamten

Die Deutschnationalen   beschweren

sich über- Bracht!

Herr Bracht ist zum Reichsinnenminister ernannt worden. Damit ist für die Reichs­innenpolitif die Fortsetzung des reaktionären Kurfes vorgezeichnet. Man sollte es nicht für möglich halten, aber es ist doch so: die Deutschnationalen finden, daß Herr Bracht noch nicht reaktionär genug jei! Die deutsch nationale Landtagsfraf­tion veröffentlicht eine Entschließung, in der es heißt:

des

" Seit längerer Zeit hat die deutschnationale preußische Landtagsfraktion dem Stellvertreter des Reichskommissars in Preußen, Herrn Bracht, in wiederholten Besprechungen, in Berlautbarungen im Landtag und fürzlich auch in einem deutlich gehaltenen Brief ihr Befrem den über die merkwürdig schonende Behandlung der Exponenten Zentrums im preußischen Beamtenförper zum Ausdruck gebracht. Die jetzt erfolgte Beförderung des bisherigen Ministerialdirigenten Dr. Wirth, der als ein besonderer Vertrauensmann des Zen­trums gilt, wirkt demgegenüber wie eine offene Kampfanjage. Durch diese weitere Bevorzugung des Zentrums wird die heute schon in der Beamtenschaft herrschende Unruhe noch mehr vergrößert werden, und der Reichskommis­jar wird sich darüber klar werden müssen, daß da­mit bei denjenigen Beamten, die von ihm auf Grund seiner eigenen Erklärungen eine grundsätz­liche Aenderung des Parteienstaates erhofften, das Vertrauen in die heutige Staatsführung er­schüttert wird. Eine wirkliche Säube= rung des preußischen Beamtenappa­rates ist nur dann möglich, wenn die Personen, die sich zu Willensträgern des früheren Systems gemacht haben, zunächst einmal aus verantwort­lichen Stellungen ausgeschaltet und nicht noch besonders befördert werden.

Im preußischen Innenministerium führt heute noch die Polizeiabteilung der ausgesprochene Ber trauensmann des Zentrums, Ministerialdirektor Dr. Klausener. Im Kultusministerium am­tiert noch der frühere Zentrumsabgeordnete La m mers als Staatssekretär. Die Leitung des Justizministeriums liegt nach wie vor in den

Bersonalien der inneren Bermaltung ist der Ministerialrat Krauthammer geblieben, der ebenfalls dem Zentrum zuzuzählen ist. Auch in allen übrigen Behörden ist der übertriebene Ein­fluß des Zentrums noch ungebrochen.

Eine durchgreifende Veränderung der Personal­verhältnisse in Breußen muß mit der Lösung der Krise im Reich erfolgen..

Herr Bracht hat die feudale Reaktion in die preußische Verwaltung gebracht, er hat den Anteil der Adligen verstärkt, er hat einen Massenmord republikanischer Beamter durch­geführt bildlich natürlich!- aber trotzdem sind die Deutschnationalen noch nicht zu­frieden! Sie treiben ihn kräftig weiter an. Die Unverschämtheit, mit der die Deutsch­nationalen die restlose Auslieferung der ge­samten preußischen Verwaltung an ihre Parteigenossen verlangen, legt die Frage nahe: was wird nun in Preußen?

Die deutschnationale Hoffnung ist, daß der Konflikt weitergeht und verschärft wird. Da Herr Bracht jetzt im Reichsinnenministerium figt, fann man bald neue reaktionäre Taten erwarten.

Schleicher   ist der Feind!

Die sächsischen Nazis bekämpfen ihn auf Leben und Tod

Der Dresdener Freiheitstampf" veröffentlicht folgende Kriegserklärung an Schleicher  :

Und da wir gewiß sind, daß auch unter einem Kabinett Schleicher   der reaktionäre Kurs derer um Papen   fortgesetzt werden wird, so erklären wir Nationalsozialisten dem Kabinett Schleicher   den schärfsten Kampf. Bir sind Revolutionäre und lassen uns von niemand, aber auch von gar niemand irgend­welche Vorschriften machen! Wir werden so lange kämpfen, bis wir entweder alle erschlagen sind, oder aber und das wird des geliebten Vaterlandes Rettung sein unsere sieg- reichen Sturmfahnen auf dem Branden­ burger Tor   aufgepflanzt haben!

-

Für uns Nationalsozialisten gibt es fein Baftieren mit Reaktionären! Sieg oder Tod!

geht, wie starf sich der Reichspräsident mit Papen  solidarisiert hat. Das Schreiben lautet:

Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Ihrem An­trage um Entlassung aus den Aemtern des Reichs­kanzlers und des Reichskommissars für das Land Preußen habe ich durch die anliegende Urkunde entsprochen. Schweren Herzens und nur veran­laßt durch Ihre persönlichen Vorstellungen lasse ich Sie in Würdigung der mir vorgetragenen Gründe aus diesen Aemtern scheiden: mein Ber­trauen und meine Hochachtung für Ihre Person und Ihr Wirken bleiben unvermindert. Während Ihrer leider nur ½jährigen Tätigkeit als Reichs= fanzler und als Reichskommissar für Preußen habe ich Ihre hingebende und verantwortungs freudige Arbeit Ihre selbstlose Vaterlandsliebe und Ihre vornehmen Charaktereigenschaften hoch schäzen gelernt. Ich werde die Zeit der Zusammen­arbeit mit Ihnen nie vergessen. Für alles, was Sie in diesen schweren Monaten für unser Vater land getan haben, spreche ich Ihnen im Namen des Reichs wie eigenen Namens meinen tief= empfundenen Dank aus.

Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen und mit kameradschaftlichen Grüßen verbleibe ich Ihr stets ergebenér von Hindenburg  .

Ebenso hat der Reichspräsident dem scheidenden Reichsminister des Innern Freiherrn   von Gayl und dem Reichsarbeitsminister Schäffer in persönlichen Handschreiben seinen Dank und Anerkennung für die geleisteten Dienste zum Aus­druck gebracht.

Das alles ist wunderschön gesagt und außer ordentlich einleuchtend. Aber hat nicht Hitler dem Reichspräsidenten feierlich gelobt, er sei bereit, den Reaktionär Schleicher   und zahl

reiche andere reaftionäre Papen­

Minister in sein Kabinett aufzu=

nehmen, wenn er nur zum Reichskanzler er= nannt würde? Der Reaktionär Schleicher   sollte die Waffe des Staates, die Reichswehr  , in der Hand behalten was war denn dann mit dem ,, fiegreichen Aufpflanzen unserer Sturmfahnen auf dem Brandenburger Tor  "?

China   gegen Japan  

Aufgehobenes Zollabkommen

Die chinesische Regierung hat durch die chinesische Gesandtschaft in Tokio   die japanische  Regierung davon in Kenntnis gefeßt, daß China  das bestehende Zollabkommen mit Japan   außer Kraft gesetzt habe. Begründet wird dieser Schritt mit der Entwertung der japanischen Währung, die eine Ueberschwemmung des chinesi schen Marktes mit japanischen Waren zur Folge habe. Daher seien besondere Schutzölle gegen die japanische Einfuhr nötig.

Amtliche japanische Stellen haben dem­gegenüber erklärt, daß trotz des starten Kurs­verlustes der japanischen Währung die japanische Ausfuhr nach China   nicht gestiegen, sondern ge= sunken sei. Schußzölle gegen die japanische Einfuhr seien daher keine wirtschaftliche, sondern eine rein politische Maßnahme.

Das heißt Strafe!

Breslau  , 3. Dezember. Die akademische Disziplinarbehörde hat am Sonnabend über die bei den Unruhen am 10. und 17. November ermittelten Ruhestörer das Urteil gefällt. Sämtliche 14 Angeschuldigten wurden bestraft: vier mit einem Verweis. neun mit der Androhung der Entfernung von der Universität( Consilium abeundi). ein Student mit nicht anrechnung des laufenden Halb­jahres auf die vorgeschriebene Studienzeit.

An der Wende!

Zur Eröffnung des Reichstages

Von Paul Löbe  

Die deutsche Arbeiterschaft sieht dem Zu­sammentritt des Reichstags am 6. Dezember ohne die geringsten Hoffnungen entgegen.

Das Parlament, dazu bestimmt, Vollstrecker des Volkswillens in der Gesetzgebung und Ausgangspunkt der Regierungsgewalt zu sein, ist lahmgelegt für alle seine Aufgaben.

Auch dieser Reichstag besitzt eine Mehrheit von Nationalsozialisten und Kom­munisten. Beide haben die Volksvers tretung seit Jahr und Tag als ,, Schwazbude", als überflüssiges Instrument, als Organ eines fluchwürdigen Systems bezeichnet und ihr praktisches Verhalten danach eingerichtet. Mit ihrem wachsenden Einfluß haben sie voran­gegangene Reichstage an ordnungsmäßiger Arbeit gehindert und werden es auch im neu­gewählten Reichstag tun.

Dabei ist es ganz gleichgültig, ob die Nationalsozialisten ihren Frieden mit dem Reichskanzler von Schleicher machen oder nicht. Schließen sie Frieden, dann werden sie gemeinsam mit anderen Parteien der Rechten und der Mitte den Reichstag vertagen, bleiben sie im ,, Kriegszustand", dann werden fie feine Auflösung in fürzester Frist her­beiführen Iahmlegen werden sie ihn auf alle Fälle.

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Das entspricht auch ihren innersten Ab­sichten, so sehr sie sich vorübergehend als Wahrer der Rechte des Parlaments auf­spielen. Sie machen fein Hehl daraus, daß sie auch diese Komödie nur aufführen, um der Periode des Parlamentarismus ein völliges Ende zu bereiten, daß sie, an die Macht ge­kommen, den Reichstag für immer ,, per­tagen" werden. In diesem ersten Ziel sind sie mit den Kommunisten vollkommen einig. Auch diese wollen von einem Reichstag des allgemeinen gleichen Wahlrechts nichts wissen und halten irgendeine Form der Räteherr­schaft als Ersaz bereit. Und da ihnen, wie gesagt, die deutschen   Wähler zusammen die Mehrheit gaben, fönnen sie ihr erstes Ziel spielend erreichen. Dann freilich hat es sein Ende. Ueber Räteherrschaft oder faschistische Diktatur fönnen sie sich nicht einigen, hier heben sie sich gegenseitig auf und machen Platz dem Landvogt der autoritären Regie­rung, die sich auf andere Gewalten als auf die arbeitsunfähige Bolksvertretung ſtützt.

Es hat keinen Sinn, diesen klaren Tatbe­stand irgendwie zu verschleiern. Die sozial­demokratische Fraktion mit ihren 121 Abgeordneten unter 584 fann ihn nicht ändern. Sie hätte freilich das entgegengesetzte Interesse. Sie hätte das Interesse, in einem arbeitsfähigen Hause vor dem ganzen Lande ihre Kritik zu üben, vor dem ganzen Lande ihre Borschläge zur Besserung, beson­ders auf wirtschaftlichem und sozialem Ge­biet zu begründen und alle Parteien vor ein flares Ja oder Nein zu stellen.

Die Sozialdemokratische Par­ tei   wünscht vor dem ganzen Volke zu erklären, daß sie der Regie­rung Schleicher   so wenig einen ,, Waffenstillstand" gewähren fann wie der Regierung Papen  . Denn dieses Kabinett Schleicher   ist nur eine Umbildung jener Regierung Papen  , die der deutschen   Arbeiterklasse den Krieg er­flärt hat auf allen Gebieten. In diesem Kabinett sizen ganz überwiegend die gleichen Herren, die mit dem Streich gegen Preußen und dem ganzen folgenden Beamten- Revire­ment die Sozialdemokratie für minderen Rechts erklärt hat als alle übrigen Klassen und Parteien. Keiner von ihnen hat seine Stimme gegen das frivole Wort vom ,, Wohl­