Abend- Ausgabe
Nr. 572 B 278 49. Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
MONTAG
5. Dezember 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands
Nazis im Abstieg
Lehren einer Wahl
Die Thüringer Gemeindewahlen weisen gegenüber den Reichstagswahlen vom 6. November eine bei weitem schwächere Wahlbeteiligung auf, eine bei Gemeindewahlen nicht ungewohnte Erscheinung, die aber durch die allgemeine Wahlmüdigkeit infolge der zahllosen Wahlen dieses Jahres wohl verstärkt worden ist.
Die vier großen Parteien: Sozialdemokraten, Nationalsozia listen, Kommunisten, Deutsch nationale haben sämtlich gegenüber der Reichstagswahl an Stimmen verloren. ( Das Zentrum zählt im protestantischen Thüringen nur wenige Anhänger.) Die Berluste der Deutschnationalen sind schwer vergleichbar, weil bei den Kommunalwahlen Hausbesizer, Bürger- und Einheitslisten eine große Rolle spielen.
Stellt man eine fnappe Uebersicht auf, so sieht man, daß die Verluste dieser drei Parteien sich in sehr verschiedenen Ausmaßen halten. Während die Verlufte der Sozialdemokraten und Kommunisten sich im Rahmen des allge= meinen Stimmrüdgangs halten, zeigt sich bei den Nationalsozialisten deutlich meiter das Berebben der nationalfozialistischen Welle. Wir haben die Resultate von zehn thüringischen Städten, nämlich von Altenburg , Arnstadt , Apolda , Eisenach , Gera , Greiz , Gotha , Jena , Sonnenberg, Weimar , sowie die Stimmen des LandFreises Gera zusammengezählt und folgendes Ergebnis erhalten, das, obwohl Teilergebnis, doch typisch sein dürfte:
Stimmenzahl in 10 Städten und 1 Landkreis: Soz. Komm.
am 6. Nov... am 4. Dez.
Berlust:
Naz.
107 650 85 428 57 055 83 292 71 968 48 505 24 358 13 460 8550
Bei den Kommunisten sind die Ziffern insofern zu günstig, als im Resultat des 4. Dezember Stimmen der kommunistischen Opposition stecken, die aus Greiz und Jena nicht getrennt von den anderen fommunistischen Stimmen gemeldet wurden.
Errechnet man hieraus die prozentualen Verluste der drei Parteien, so ergibt sich: Naz. Soz. Komm. Stimmverlust in Proz. 22,5 15,8 über 15 Der Stimmenverlust der Nationalsozia listen stellt sich also nicht nur absolut, sondern auch prozentual weit höher als der der Linksparteien. Während Sozialdemokraten und Kommunisten etwa rund ein Sechstel ihrer Wählerschaft verloren, haben die Nationalsozialisten nahezu ein Viertel eingebüßt. Dabei ist zu bedenken, daß schon der 6. November für sie in Thüringen ein furchtbarer AderIa ß gewesen ist. Gegen die Wahl vom 31. Juli hatten die Nationalsozialisten in Thüringen bereits 110 000 Stimmen, na he= zu ein Fünftel, verloren, während die Sozialdemokraten sich fast behauptet, die Kommunisten sogar gewonnen hatten. Der neue fürchterliche Wählerabfall konnte auch dadurch nicht verhindert werden, daß Hitler persönlich in den Wahlkampf eingriff und mit ihm alle nationalsozialistischen Rednergrößen das Land bereisten.
Als politisches Stimmungsbarometer ergeben die Thüringer Wahlen das weitere rapide Abebben der nationalsozialistischen Welle, und das in dem deutschen Lande, in dem sie zuerst an die Macht gelangt" waren. In Weimar und in Eisenach konnten die Nationalsozialisten nicht einmal mehr die Stimmen aufbringen, die sie 1930 bei den Brüning- Wahlen erhalten hatten.
Eigener Bericht des„ Vorwärts" Weimar , 5. Dezember.
Die Thüringer Gemeindewahlen, die am Sonntag ohne bemerkenswerte Störungen ihren Abschluß fanden, standen unter dem Zeichen einer besonders großen Wahlmüdigkeit, unter der vor allem die großen Parteien zu leiden haben. Nationalsozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten haben fast überall Stimmen eingebüßt. Im Bergleich zu den Ergebnissen der letzten Reichstagswahl am 6. November haben aber die Nationalsozialisten die Hauptverlufte erlitten. Sie haben froß des tagelangen Einfahes ihrer prominenteffen Führer( einschließlich Hitler ) stellenweise Berluste von über 20 Pro3. erlitten. Ein Teil dieser Stimmen ist zur bürgerlichen Mitte zurüdgewandert. Die Wahlbeteiligung schwankt zwischen 56 bis 84 Proz.
Einzelergebnisse
qus
Wir geben im Nachstehenden die Ergebnisse der Gemeindewahlen den hauptsächlichsten Städten des Landes. Die Bergleichszahlen in Klammern betreffen die Reichstagswahl vom 6. November, soweit sie die Mandate betreffen, gelten die letzten Gemeindemahlen, die zumeist schon im Jahre 1928 stattfanden.
• 4
während diesmal in der Bürgerlichen Lifte nur DVP., Zentrum, Wirtschaftspartei und ChriftlichSoziale verbunden sind.
Stimmen
1341( 2555)
2038( 2191)
Mandate 5( 1) 7( 8)
1148( 758)
3( 2)
Stimmen
Mandate
Bürgerl. Einheitsliste und Mitte
4( 4)
.
13 804( 16 577)
7(-)
17 142( 18 654)
9( 16)
6 464( 8 805)
3( 1)
)
0( 2)
Stimmen
3
•
•
7 565( 10 046) 1327( 1922) 6 153( 7473) 2386(, 2845) 1919( 1466)
14( 12)
16
2( 3)
21
-
11( 10) 4( 4)
Stimmen
Mandate
-
Stimmen
5147( 5631)
Mandate
10( 10)
2 750( 2732)
5( 5)
2346( 2 470)
5( 4)
1( 2)
4( 4)
882( 1140)
Stimmen
Mandate
Mandate
4 430( 6 389)
9( 6)
2 798( 3478)
6( 8)
2184( 2574)
4( 2)
Bürgerliche Mitte.
2 788( 2400) Greiz
6( 9)
Mandate
13(-)
5 644( 6998)
9( 12)
DNBP.
2 602( 4257)
4( 3)
Staatspartei
5 980( 7996) 3 759( 5 431) 5 751( 6 394) 2142( 3411) 672( 505)
3(-)
1( 5)
1272(
)
2( 2)
Zentrum
475( 494)
1(-)
1 607(-)
3(-)
-
41
20
-) 31
Stimmen
7 866( 10 261)
C
11( 1) 6( 13)
10( 4)
1(-) 1(-) 2( 3)
Bürgerl. Liste Unpol. Bororts!.
Mandate 8( 1) 9( 11) 8( 5)
2
(-)
3( 4) 3 369( 2648) 5(?) 464(-)-(-)
Bei der Kommunalwahl des Jahres 1928 maren in der Bürgerlichen Liste die DNBP., DVP. , Zentrum, Wirtschaftspartei und die Christlich- Sozialen mit 14 Mandaten vereinigt,
Bürgerl. Einheitsl.
Bei den Kreisratswahlen verschoben sich die Wahlziffern noch wesentlich zuungunsten der Nationalsozialisten. Sie mußten im Kreise Sonneberg einen Verlust von über 3000 Stimmen verbuchen, während die Sozialdemokratie einen Gewinn von rund 500 Stimmen hatte, und die Kommunisten rund 1300 Stimmen verloren. Im Kreise Schleiz verloren die Nazis rund 4000, die Sozialdemokraten dagegen 280, die KPD . 650. Im Kreise Weimar stellt sich der Verlustanteil der Nazis auf 5000, der der Sozialdemo tratie auf 900, der der KPD. auf 760! Im Kreise Gera büßten die Nazis gleichfalls 5000 Stimmen ein, die Sozialdemokratie 1800, die KPD . 1200 Stimmen!
Stimmen
Stimmen 7122( 11 003) 3 347( 5 491)
Mandate
6 249( 8 420)
11( 4)
.
7 479( 9615) 6513( 7 442) 604(-)
-
9
577 ( 3f. 3914) 2704 849(-) 2272( 3 768)
5( 7) 4( 2) 1(-) 3(-)
1864( 3 635)
Staatspartei
2866( 2005)
398
)
922(-)
•
•
619( 636)
.
•
1 250( 2100)
Vorortliste
Bürgerliche Mitte.
.
Abrede über die Reichstagstagung
Ueber die Besprechungen zwischen dem Reichsfanzler von Schleicher und dem heute noch amfierenden Reichstagspräsidenten Göring wird halbamtlich mitgeteilt, daß der Reichstag sich morgen fonftituieren, aljo seinen Borstand wählen werde, und daß im übrigen der reibungslose Berlauf dieses ersten Sitzungstages gesichert sei. Dagegen wird strenges Stillschweigen darüber beobachtet, was die Herren Warmbold und von Braun miteinander ausgemacht haben, bevor sie ihre Ministerstellen wieder übernahmen. Der neue Reichskanzler ist, wie weiter versichert wird, jederzeit bereit und in der Lage, die Regierungserklärung vor dem Reichstag abzugeben, wobei es jedoch möglich sei, daß er sich die Stellungnahme zu handelspolitischen Fragen, also auch den Konfingenten, vorbehalten werde. Ob diese Regierungserklärung schon am Mittwoch oder erst in einigen Tagen abgegeben werden wird, steht noch nicht fest.
Bei der heutigen Berabschiedung Papens vom Reichspräsidenten erhielt er deffen Bild mit eigener Unterschrift als Zeichen des Dantes. Der neue Reichsarbeitsminister Dr. Syrup ist vereidigt worden, was offiziell in der Form mitgeteilt wird, daß die Bereidigung gemäß der Vorschrift des Reichsminiftergesetzes vorgenommen worden ist.
gingen bereits am Sonnabend Verhandlungen voraus. Der Sonntag galt der Fortsetzung dieses Gesprächs. Daß die Verhandlungen nicht bereits am Sonnabend beendet wurden, läßt den Schluß zu, daß die Nationalsozialisten eine Bertagung des Reichstags unter vorläufigem Verzicht auf alle Abstimmungen nicht grundsäßlich ablehnen. Das Zentrum wünscht ebenfalls die Bertagung, die Deutschnationalen und die Splittergruppen der Mitte sind auch nicht abgeneigt, für eine Vertagung zu stimmen. Vorläufig fragt sich, welcher Kaufpreis für eine derartige Bertagung geboten wird.
In unterrichteten Kreisen verlautet, daß Schleicher die Nationalsozialisten durch eine um= fassende Amnestie für die Vertagung zu ge= winnen hofft. Sozialpolitisch wolle er insofern Entgegenkommen zeigen, als er auf die Lohn
Der Reichspräsident hat am Sonntag die Reichsminister Warmbold und von Braun in ihren Aemtern bestätigt. Die ,, Verständigung“ zwischen diesen beiden Herren über die künftige Wirtschaftspolitik dürfte nur auf dem Papier stehen. Wie es heißt, soll sie darauf fußen, daß im Februar und März 1933 die letzten Handelsverträge ablaufen, die Bindungen für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse enthalten. Offenbar besteht die Abficht, im März nächsten Jahres wieder zollpolitische Auseinandersehungen zur Vorbereitung von Handelsverträgen einzu leiten.
Hitler , der sich seit gestern wieder in Berlin befindet und im vornehmsten Hotel der Reichshauptstadt abgestiegen ist, wird heute die Ver= pflichtung der nationalsozialisti schen Reichstagsfraktion für die NSDAP . vornehmen.
abbaubestimmungen der Bapen- Notver- Rektoren gegen Klagges
ordnung vom 5. September verzichten und auch sonst eine Reihe sozialpolitischer Maßnahmen ankündigen wolle, die angeblich den Wünschen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei entgegenkommen. Schleicher denke aber die Amnestie und die in Aussicht gestellten sozialpolitischen Maßnahmen nicht von heute auf morgen, sondern in mehreren Wochen durchzuführen.
Die
*
1pzialdemokratische Reichs= tagsfraktion, tritt heute nachmittag 3 1hr zur Erörterung der politischen Lage zusammen.
Für Freiheit der Hochschulen
Der Konferenz der Hochschulrektoren, die am Sonntag in Halle tagte, erstattete Professor Dr. Gaßner, Rektor der Technischen Hochschule in Braunschweig , Bericht über die dreisten Eingriffe, die sich Klagges in Braunschweig erlaubt hat. Es wurde folgende Entschließung angenommen: Die Deutsche Rektoren- Konferenz erklärt: Es liegt den deutschen Hochschulen und ihren Rektoren fern, der studentischen Jugend die Beschäftigung mit den Problemen des politischen Lebens zu ver