BEILAGE
Vorwärts
Zu den wenig bekannten Gebieten Europas gehört auch Bessarabien , obschon es nach dem Weltkriege und besonders während der letzten Wochen in Verbindung mit den Verhandlungen zwischen Rumänien und der Sowjetunior über den Abschluß eines Nichtangriffspattes in der Tagesgeschichte oft genannt worden ist. Diese zwischen dem Schwarzen Meer, Dnjestr , Pruth und der unteren Donau gelegene Provinz, die am Ende des Krieges von Rußland abgetrennt und zu Rumänien geschlagen wurde, ist der südöstlichste Teil des zwischen Ostsee und Schwarzem Meere sich hinziehenden Länderstreifens, der heute vielfach als Zwischeneuropa bezeichnet wird.
Vor der Reise nach Bessarabien vernahm ich immer wieder den wohlgemeinten Rat:„ Seien Sie nur recht vorsichtig, damit Sie nicht hoppgenommen werden, denn dort drüben befehlen die Stilitärs, die nicht viel Federlesens machen." um für alle Fälle gewappnet zu sein, verschaffte hmir neben den zahlreichen mal beglaubigten Ausweispapieren, die man in diesem Teil Europas tunlichst immer bei sich hat, noch ein amtliches Empfehlungsschreiben, das ich wie einen fostbaren Schatz verwahrte. Angesichts der endlos langen und beschwerlichen Bahnfahrt von Bufarest nach Rischinem, der Hauptstadt Bessarabiens , die einen vollen Tag währt, wählte ich den Luftweg, da das Flugzeug die gleiche Strecke in nur dreieinhalb Stunden zurücklegt. Uebrigens dürften auch die Flugpreise der rumänischen Luftverkehrsgesellschaft die billigsten in Europa sein. Kostet doch das Flugbillett Bukarest - Rischinem nur 615 Lei( etwa 15 M.), während sich die Fahrkarte dritter Güte Personenzug auf 635 Lei stellt. Und darüber hinaus: Die rumänischen Fluglinien, die vor drei Jahren eingerichtet wurden, sind bisher troh täglichem Verkehr mit 100 Prozent Sicherheit beflogen worden.
Es ist ein schöner, warmer Spätherbstmorgen.
grau der herbstlichen Stoppelfelder mit dem satten Braunrot der gepflügten Aecker. Darüber hinweg streichen die tiefblauen Schatten vereinzelt treibender Wolken, die sich vor dem mächtigen, phantastisch geformten Wolfengebirge vor uns losgelöst haben. Der Pilot reckt sein mettergebräuntes Gesicht über die Schutzscheibe und mustert die gewaltige Wolkenwand. Noch ein Blick auf Kompaß und Barometer, und seine Hände ziehen langsam das Höhensteuer an: 1200- 1500- 2000 Meter. Endlich ist es geschafft. Der schneeige Koloß vor uns ist erflommen, und wir gleiten jetzt über einem leuchtend weißen Wolkenmeere dahin, das von gewaltiger Pracht ist. Eine neue Welt von wunderbarer atmosphärischer Erscheinung offenbart sich dem Auge. Zu schnell rast die Maschine, um dieses herrliche Erlebnis tief, für immer, in sich aufzunehmen. Hier und da auftretende Wolkenlöcher lassen einen Durchblick der Orientierung auf die dem Geiste bereits meit entrückte Erde. Zahllose Wasserrinnen, Seen und Sümpfe zeigen uns, daß wir bereits über dem Donaudelta find. Plötzlich verstummt der wilde Gesang des Motors, und wir stoßen durch ein Wolkenloch hinunter. Heftige Böen zerren an den Tragflächen, doch das Flugzeug zwängt sich trogig und unbeirrt seinen Weg durch die links und rechts aufragenden Wolkenberge. Dicht vor uns taucht ein Häusermeer auf, eingerahmt von Flußläufen. Es ist Galaz , der größte Donauhafen Rumäniens , der zwischen den Mündungen des Sereth und Pruth liegt.
Nach kurzer Zwischenlandung und Uebernahme neuer Passagiere startet das Flugzeug nach
muldenförmigen
Kischinem. In niedrigem Fluge überquert es den Bratescu See, dahinter die ehemalige russische Grenze und hält sich dann in nördlicher Richtung immer über dem Bruthtale, das, soweit das Auge reicht, versumpft ist. Die Landschaft zu beiden Seiten des Tales ist hügelig und unruhig. Sie zeigt jene Formen, die für den größten Teil Bessarabiens typisch sind: langgestreckte, schmale Riedel, deren Rücken nur selten größere ebene Flächen aufweisen. Hier und da fieben an den Abhängen kleine, unregelmäßig gebaute Dörfer, die meistens einen trostlosen Eindruck machen. Solche armseligen Ortschaften habe ich nur noch in den wolhynischen Sümpfen und in Anatolien gesehen. Da die Maschine wegen der niedrig treibenden Wolken in faum 50 Meter Höhe dahinfliegt, bieten sich dem Auge die große Armut und Primitivität der Bevölkerung dieses Grenzlandes in voller Nadtheit dar: kleine ungetünchte Lehmhütten, nur wenige Meter hoch und mit Strohschindeln bedeckt. Lange Baracken, oft mit halb zerfallenem Mauerwerk, dienen als Scheunen und Ställe. Riesig breite, grundlose Dorfstraßen, mit unzähligen Wassertümpeln bedeckt, lassen erkennen, daß moh! nie eine pflegende Hand an sie gelegt worden ist. Trotz dem reichen Boden haust die bessarabische Bauernbevölkerung in elenden Verhältnissen. Gewiß, die russischen Großgrundbesizer und rumänischen Bojaren haben den größten Teil ihrer riesigen Ländereien bei der Bodenreform abtreten müssen; doch den Bauern mar mit der Landzuteilung wenig geholfen. Es fehlte der landwirtschaftliche Kredit, und der Bauer lieferte sich
zahlreiche Maschinen der Militärfliegerabteilung. Die Wintermonate stehen vor der Tür und man scheint es mit der Ausbildung neuer Kampfflieger sehr eilig zu haben. Das Paffagierflugzeug, das uns nach Kischinem tragen soll, ist noch nicht startbereit. Der Flugkapitän sitzt vor der Kantine und stärkt sich für die ihm bevorstehende An
Das Liebespaar.
trengung mit einem Schopen feurigen Draga- mit Filzglocke und Attentasche schnarcht aus
schaner Weines. Auch hier in Rumänien gilt das orientalische ,, Jawasch- Jawasch": immer langsam voran! Inzwischen bemächtigt fich die Flugverwaltung meines Photoaparates, der vorsorglich eingepackt, versiegelt und im Gepäckraum eingeschlossen wird. ,, Photographieren aus dem Flugzeuge streng verboten!" ist überall an geschlagen. Wie überall im Südosten Europas graffiert auch in Rumänien das Spionendelirium. So mancher arme Teufel wanderte schon hinter schmedische Gardinen, obwohl er mit einem Spion so menig gemeinsam hatte wie ein Araber mit einem Beff- Araber...
Endlich, mit anderthalbstündiger Verspätung, hebt sich unser Riefenvogel in die Lüfte und reckt seinen Hals in nordöstlicher Richtung, der unteren Donau zu. Bufarest bleibt, links im bläulichen Herbstdunste, liegen. Unter uns dehnt sich weit die malachische Tiefebene. Flachland, nichts als Flachland, friedlich und schmucklos. Nirgends ein Hügel, nirgends ein Wald, selten ein Baum und Strauch. Die Linienführung der Landschaft ist von peinlich genauer und geradezu geometrischer Gleichförmigkeit. Doch das Auge hat keine Langeweile. Die schrägen Strahlen der Morgenjonne zaubern auf der weiten, unübersehbaren Fläche ein Farbenspiel von berückender Schönheit vor. In zarten Bastelltönen wechselt das Silber
Der Autobus rumpelt durch die nächtlichen Straßen des Nordens. Die drei Fahrgäste imm Obergeschoß schlafen. Born der kleine dicke Herr mit Filzglocke und Aktentasche schnarcht aus mohligem Rausch und läßt den Kopf hin und her pendeln. Und hinten fizen ein junger Bursche und ein Mädchen, dicht aneinandergeschmiegt und mit lose verschränkten Händen. Die Schläfe des Mädchens ist an die Schulter des Freundes ge= funken, wie liebkosend spreitet sich ihr mattblondes Haar um seinen Arm. Und er lehnt seine Wange obgleich im Schlummer der Erschöpfung- nur leicht an ihren Scheitel.
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Der Schaffner tommt, geht nach vorn zu dem fleinen Herrn und rüttelt ihn. Fahren Sie nicht zu weit?" Der Dicke bleibt in seiner vorgebeugten Haltung, rülpst melodisch, tastet mit schmerfälliger Hand an Rock und Weste herum und stredt schließlich sein Abonnement ins Ungefähre.
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,, Aber nicht doch!" meint auflachend der Schaff= ner ,,, mie weit mollen Sie denn?" Der kleine Dicke hält abermals sein Abonnement hin und brummt aus seiner Tiefe:... ein anständjer Bürjer... ein anständjer Bürjer, Herr Rat!"
Achselzudend geht der Schaffner nach hinten, hält inne und betrachtet die beiden Liebeslente. Dabei lüftet er seine Dienstmüze und wischt die Size aus dem ergrauten Haar.
Das Mädchen hat ein schmales, langes Gesicht. Ihre Lider sind rot und verschwollen, das billige Waschtleid ist zerknüllt. Im Haar steden noch einige Tannennadeln, Der Junge trägt nur
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Hemd und Hose. Er sieht verquält aus, in der Stirn und um den Mund find herbe Folten eingeferbt. Nur die Lippen widersprechen dieser Maske eines Verzweifelten, sie sind trotzig vorge= wölbt.
Immer inniger werden die Schlafenden vom Stoßen und Schwanken des Wagens aneinandergedrängt. Tiefer rückt der Kopf des Mädchens vor die Brust des Freundes. Sein Atem streift über ihren dünnen Nacken hin. Die Züge des Mädchens scheinen jetzt zu lächeln, als raunte der Freund zärtliche Worte in ihr Ohr. Aber seine Lippen verbleiben trogig aufeinandergepreßt.
Der Schaffner zögert, ihren Schlaf zu stören. Aber es ist dies der letzte Wagen, zurück fährt feiner mehr. Sollen die beiden, übermüdet wie sie sind, etwa noch einen weiten Weg zurücklaufen müssen? So tippt er den Jungen behutsam auf die Schulter. Wie weit wollen Sie?"
"
Der Junge, noch völlig vom Schlaf gebannt, zuckt zusammen, stößt die rechte Hand, die über dem Knie hing, in die Hosentasche und umflammert dort etwas
Der Schaffner, einer Eingebung folgend, sagt streng:„ Na, nu geben Sie mal her!..."
Der Junge reißt die Lider auf, starrt, noch schlafbefangen und nicht verstehend, auf den Mann mit der Dienstmüze und mit den fünf Messingknöpfen, reißt die Hand aus der Tasche und schleudert etwas durch das halbgeöffnete Fenster. Drunten ein harter metallischer Aufschlag.
,, Wie weit wollen Sie denn?" wiederholt der Schaffner jetzt mit einer gänzlich veränderten Stimme.
MONTAG, 5. DEZ. 1932
mucherischen Geldgebern und damit einer neuen Stlaverei aus, in der er heute mehr denn je schmachtet. Jede Ortschaft, die wir überfliegen, trägt den Stempel tiefster Armut, trotz den vielfach prunkvollen Kirchen, die sich hoch über den Elendshütten erheben...
Dicht vor dem Städtchen Leo wa freuzen wir eine uralte Landmarke, den Oberen Trajanswall, der sich vom linken Pruth - zum rechten Dnjestr = ufer erstreckt und unter der Herrschaft des römischen Kaisers Hadrian angelegt wurde. Abteilungen römischer Legionen, so der V. Mazedo nischen , hatten hier ihren Standort. Auch dieser mächtige und über 100 Kilometer lange Wall legt Zeugnis dafür ab, daß Bessarabien von jeher ein Grenz- und Durchgangsland gewesen ist und stets einen Zankapfel gebildet hat. Auch heute wieder ist die bessarabische Frage" eins der größten Schmerzenskinder der rumänischen Außenpolitik, deretwegen erst vor wenigen Wochen eine Regierung gestürzt wurde.
Hinter Leowa verläßt das Flugzeug den Flußlauf des Pruth und wendet sich in scharf nordöstlicher Richtung dem nahen Kischinem zu, dessen hellrote breite Dächer bald sichtbar werden. In weitem Bogen wird die Stadt mit ihren zahlreichen Kirchen und ferzengeraden, endlos langen Straßen überflogen, und nach einigen engen Spiralen, in denen der neben mir fizende Passagier, der während des ziemlich böigen Fluges schon recht bleich dreingeschaut hatte, zu guter Letzt noch zur Nottüte" greift, setzen wir leicht federnd auf dem Fluggelände auf. Die JunkersMaschine hatte trotz dem bockigen Wetter hinter Galatz vorzügliche Arbeit geleistet, ebenso auch ihr stämmiger Pilot. Wohl deshalb, meil beide gut ,, geschmiert" waren. Und noch während des Fluges, als ich die sichere Steuerung des Apparates verfolgen konnte, hatte ich dem Piloten den nicht kleinen Humpen Wein von Baneasa längst verziehen.
Der Junge blidt erst durch das Fenster, dann feindselig und stumm auf den Schaffner. Und sagt in einem unheimlich gedehnten Tonfall zu der Freundin, die erschroden emporgefahren ist und flehentlich seine Augen sucht:" Na wat denn, wat denn. Schlaf nur weiter. Wir haben noch Zeit. Zieht Wir haben ja nischt mehr zu versäumen!" sie an sich, streckt die Beine aus und schließt wieder die Augen.
Der Diplomat.
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Wilhelm hat sich von seinem Stempelgeld einen Leierkasten zugelegt. Auf Stottern natürlich. Ihr werdet sagen: welcher junge Arbeitslose fauft sich denn heute noch einen Leierkasten! Die kaufen sich Klampfen oder Geigen, aber keine Leierkästen. Wilhelm wird euch beweisen, daß auch ein Leierfasten noch seinen Mann ernährt. Man darf es natürlich nicht wie alle anderen machen, man muß etwas Besonderes bieten, muß eine Idee haben.
Was also tat dieser Wilhelm? Er zog auf die Hinterhöfe in den vornehmeren Stadtteilen. Und orgelte zunächst einmal das Deutschlandlied. Dann streckte er den rechten Arm steil in die Luft und drehte das Horst- Wessel- Lied. Als dritte Nummer ließ er, die Rechte flach nach vorn gestreckt, die Internationale ertönen. Hier sang er leise mit. Aber das hörte niemand. Und zuletzt nahm er seinen verwitterten Filzhut ab, setzte ihn feierlich mieder auf und rief zu den teils dieserhalb, teilg jenerhalb, erfreuten Gesichtern in den Fenstern empor: llnd zum Schluß etwas für die Herr schaften, die hier auch noch ein Recht haben!" Und spielte... was? Die jüdische Tempelhymne Kol Nidre ". Bei jeder neuen Hymne ärgerten sich diejenigen, die für die vorige einen eingemidelten Groschen heruntergeworfen hatten. Zu spät.
SO->
nun wird's gemütlich!
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Leineweber
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