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Morgen- Ausgabe

Nr.575 A282 49. Jahrg.

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MITTWOCH

Vorwärts=

BERLINER

VOLKSBLATT

7. Dezember 1932

In Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 15 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Präsidentenwahl im Reichstag

Paul Löbe   zum Vizepräsidenten gewählt- Vertagung auf Mittwoch

Der Reichstag   bestimmte gestern nach seiner Eröffnung alsbald das Präsidium, und zwar wurden gewählt:

Göring  ( Natioz.), Präsident Esser( 3.), 1. Vizepräsident Rauch( Bayer. Vp.), 2. Vizepräsident Löbe  ( Soz.), 3. Vizepräsident..

Die Wahl des zweiten und dritten Vize­präsidenten konnte erst in Stichwahlen entschieden werden. Dabei stimmten die Kommunisten regelmäßig für ihre Sonder­kandidaten, so daß Rauch gegen die Stim­men des Zentrums und der Sozialdemo fraten, ja jogar gegen die seiner eigenen Partei von den Nationalsozialisten und Deutschnationalen gewählt werden konnte. Bei der Abstimmung über den dritten Vizepräsidenten tam als Kandidat der Nationalsozialisten der volkspartei­liche Syndikus Dr. Hugo mit unserem Genossen Löbe in Stichwahl. Bei der Auszählung wurden für jeden von ihnen 205 Stimmen festgestellt. Darauf zog der amtierende Bizepräsident Esser das 20s, das zugunsten Sugos entschied. Das war jedoch ein Fehler, wie sich bald Die amtliche Nach­herausstellte. prüfung ergab nämlich, daß für Löbe 205, für Dr. Hugo 204 Stimmen abge­geben worden sind. Die Entscheidung durch das Los zugunsten von Hugo ist demnach ungültig und Abgeordneter

Löbe   ist als Vizepräsident des Reichstags gewählt.

*

Nach der Wahl des Präsidiums fand eine längere Geschäftsordnungsaussprache über die Feftiehung der Tagesordnung für die Mittwochfihung des Reichstags statt. Ein kommunistischer Antrag, die Mißtrauensanträge gegen die Reichsregierung auf die Tagesordnung zu sehen, wurde gegen die Antragsteller abgelehnt. Auch ein sozialdemokratischer Antrag, die Entgegennahme einer Regierungs­erflärung nebft Mißtrauensanträgen auf die morgige Tagesordnung zu sehen, wurde abgelehnt, und zwar gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten.

Der Reichstag wird sich am Mittwoch daher nur mit den Gesetzentwürfen über die Stell­vertretung des Reichspräsidenten und die Aenderung des sozialpoliti­ichen Teils der Rotverordnung vom 4. September, ferner mit Anträgen zur Amnestie, Arbeitsbeschaffung und Winterhilfe beschäftigen. ( Ausführlicher Bericht an anderer Stelle des Blattes.)

ständigung zwischen dem Zentrum und den Nationalsozialisten zur Rettung der Regierung Schleicher und zur Bermeidung der Auflösung des Reichstags perfekt ist, bestätigt. Es ist damit zu rechnen, daß der Reichstag   gemäß den Wün­schen der Regierung am Freitag mindestens bis zum Januar vertagt wird. Reichstags­präsident Göring   warf sogar die Frage auf, ob die Verhandlungen nicht so beschleunigt werden fönnten, daß die Bertagung am Freitag so zeitig erfolge, daß die Abgeordneten noch die Nach= mittagszüge zur Heimreise benutzen können!

Die Geseßentwürfe über 2mnestie sollen möglichst ohne Ausschußberatung bis zum Freitag erledigt werden. Die Regierung ließ durch Staatssekretär Pland mitteilen, daß auch sie die Absicht habe, positive Vorschläge zur Amnestie und zur Winterhilfe zu machen. Dabei wies Abg. Löbe darauf hin, daß die Erfüllung dieser Zu­sage taum möglich sei, wenn die von den Mehr­heitsparteien beabsichtigte Bertagung eintrete. Die Amnestie sowie die Winterhilfe und die Auf­hebung der Notverordnungen müßten sofort er­ledigt werden, wenn man nicht bitteres Unrecht und große Enttäuschung schaffen wolle.

Den Borfiz in den Ausschüssen stellen fala gende Parteien: Sozialdemokraten:

Kampfbeginn

Sozialdemokratie gegen Schleicher KPD. gegen sozialdemokratische

Opposition

In Deutschland   war es früher nicht üblich, daß der Alterspräsident bei Gröff­nung des Parlaments eine lange politische Rede hält. Diese französische   Sitte wurde erst von Clara Zetkin   für den Reichstag   übernommen, und gestern ist der nationalsozialistische General Lizmann dem Beispiel der Bolschewistin gefolgt. Er hat die Gelegenheit benugt, einen Streit mit Hindenburg   darüber anzufangen, wer von ihnen beiden der eigentliche Sieger im Weltkrieg gewesen sei. Daß Deutschland   diesen Krieg verloren hat, das hatte der alte Herr offenbar total vergessen.

Gegen den General v. Schleicher sagte Lizmann nichts. Es hätte ihm auch schlecht angestanden. Schleicher ist der Mann, der das SA.- Verbot wieder aufgehoben hat. Schleicher ist der Mann des 20. Juli, und es ist selbstverständlich, daß dieser Mann seine Mehrheit nur rechts, nur mit den Na­tionalsozialisten suchen kann. Der erste Augenschein spricht dafür, daß er sie dort sogar schon gefunden hat.

Bertagung bis Januar? Heberwachungsausschuß, Steuerausschuß, Bolts fraktion ist ebenso selbstverständlich die

Besprechung im Aeltestenrat

In der Sigung des Aeltestenrats des Reichstags, die nach Schluß der Plenarsizung stattfand, murde der Einbrud, daß die Ver

Kampf gegen die Not!

Weitere Forderungen der Sozialdemokratie

Um Dienstag hat die sozialdemokra­tische Reichstagsfraffion noch eine Reihe von Anträgen und Initiativgesehentwürfen ausgearbeitet und sofort im Reichstag eingebracht. Zunächst wird die Außerkraftjehung der Notverordnung vom 14. Juni 1932 über Maßnahmen zur Erhaltung der Ar­

noch einen umfangreichen Initiativgesehentwurf über planmäßige Arbeitsbeschaffung jamt Finanzierungsmaßnahmen ausgearbeitet, der auch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Gemeinden vorsieht.

wirtschaftlicher Ausschuß. Nationalfozia: Listen Auswärtiger Ausschuß und Geschäfts­ordnungsausschuß. Kommunisten: Haus haltsausschuß. 3entrum: Sozialen Ausschuß. Deutsch nationale: Handelspolitischen Aus­schuß.

die große Masse der übrigen Bachtschuldner ihre Verpflichtungen nach wie vor erfüllen müßten. Die kommunistische Fraktion hatte entgegen diesen Ausführungen beantragt, der Staatsrat möge feinen Einspruch erheben.

Der Reichsrat hält am Donnerstagabend wiederum eine Lollsizung ab, um sich mit einer Reihe von Vorlagen zu befassen, die ihm schon seit längerer Zeit vorliegen, aber bisher nicht ver­abschiedet werden konnten, weil in der Kon fliftzeit Preußen im Reichsrat nicht vertreten war und in dieser Zeit nur die

beitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie Staatsrat gegen Landtag allernotwendigsten Entwürfe behandelt werden

zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Ge­meinden, der Notverordnung vom 4. September zur Belebung der Wirtschaft und der Notverord­nung vom 5. September zur Vermehrung der Ar­beitsgelegenheit verlangt. Für den Fall der Ab­lehnung dieser Anträge sind Eventualanträge ein­gebracht worden, wenigstens einige Teile dieser Notverordnungen aufzuheben.

Weiter wird ein Initiatingesetz über Er­höhung der Sozialleistungen beantragt. Dieser Entwurf sieht vor, daß die Arbeitslosen­unterstühungen, die Krisen- und Wohlfahrtsunter­stützungen, die Sozialrenten und die Kriegsverfor­gung auf den Stand vor der Notverordnung vom 14. Juni gebracht werden sollen. Die dazu not­wendigen Mittel soll das Reich den Gemeinden überweisen, und zwar aus neuen Notsteuern und Monopolen.

In einem anderen Initiativgesetzentwurf über eine Winterhilfe für die notleidende Bevölke­rung wird die unentgeltliche Abgabe von Brot und Kohle sowie die verbilligte Abgabe von Fleisch an Empfänger von öffentlichen Unterstützungen und Renten verlangt.

Die Mittel für die Brotverteilung soll das Reich den Gemeinden aus den Mehrerträgen der Treib­stoffzölle bei Aufhebung des Beimischungszwangs überweisen, die Mittel für die Kohlenbelieferung aus der Neuerhebung der Ausgleichsabgabe für Mineralöle, die Mittel für die Fleischverbilligung aus dem Marktstützungsfonds des Reichsernäh­rungsminifteriums.

Schließlich hat die fozialdemokratische Fraktion

Reichsverfassung

gilt auch für Preußen

Der preußische Staatsrat hielt am Dienstag eine Bollfigung ab, voraussichtlich die letzte in diesem Jahr. Er beschloß mit allen gegen die Stimmen der Kommunisten, gegen ein vom Land­tag beschlossenes Gesetz Einspruch zu erheben, das auf Grund eines kommunistischen   Antrags Enteignungsmaßnahmen zugunsten der Erbpächter der Große Fehn- Gesellschaft( Moor­folonie in Ostfriesland  ) forderte.

Der Berichterstatter des Verfassungsausschusses Dr. Caspari( Arb.- Gem.) hatte erklärt, daß das Gesetz, das im Landtag mit den Stimmen der Kommunisten und Nationalsozialisten angenommen worden sei, gegen die Reichsverfassung Derstoße, weil es eine Enteignung ohne Ent schädigung vorsehe. Wenn der Landtag aus Versehen oder aus Unfenntnis der Dinge ein solches Gesetz beschließe sei es die Aufgabe des Staatsrats, der Reichsverfassung auch in Preußen Geltung zu verschaffen. Man dürfe der Staats­regierung nicht zumuten, ein derartiges, gegen die Reichsverfassung verstoßendes Gefeß in der Gesetz fammlung zu veröffentlichen. Im übrigen sei auch nicht einzusehen, warum ausgerechnet für eine be= stimmte Anzahl von Bächtern gesetzliche Aus­nahmezustände geschaffen werden sollten, mährend

sollten.

Maschinengewehre

Nazis stehlen und verschieben Eigener Bericht des ,, Vorwärts  " Liegnitz  , 7. Dezember.

Das Liegnizer Sondergericht, das sich durch seine Urteile gegen Linksstehende einen besonderen Namen geschaffen hat, hatte sich mit Die b= stählen und Verschiebungen von Maschinengewehren durch Nazis zu befassen. Auf der Anklagebant saßen sieben SA. Leute, meist aus Liegnitz  . Während der ganzen Verhandlung wurde die Deffentlichkeit ein­schließlich Presse wegen angeblicher Gefährdung der Staatssicherheit" ausgeschlossen.

"

Das Urteil murde abends verkündet. Der Hauptangeklagte, der Bauführer Walter Macie jewski, wurde wegen schweren Diebstahls und Besizes eines Waffenlagers zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt, der Maschinenschlosser Walter Nerlich wegen Begünstigung zu 6 Mo- naten Gefängnis. Im übrigen erhielten wegen Begünstigung ein SA.- Mann drei Monate Gefängnis, zwei SA.- Leute je einen Monat Ge fängnis, einer eine Woche Gefängnis und einer wegen Begünstigung und Besitzes von Schußwaffen einen Monat Gefängnis. Auch die Urteils­begründung war nicht öffentlich.

Für die sozialdemokratische Reichstags= Opposition das Gegebene. Vielleicht gibt es da und dort Illusionisten, die geglaubt haben, die Kommunisten würden die oppo­fitionelle Haltung der Sozialdemokratie be­grüßen und den Kampf gegen die Reaktion in einer Front mit ihr führen. Solche Illu­sionisten müssen vom Verlauf der gestri­gen Sizung gründlich enttäuscht sein. Denn von Anfang bis zu Ende dieser Sizung mußten die Kommunisten nichts anderes zu tun, als sinnlose Streitereien mit den So­zialdemokraten vom Zaun zu brechen. Unter tollen Schimpfereien gegen sie verkündete Rädel die Absicht, bei einer etwaigen Stichwahl im Kampf um den Präsidenten­posten würden die Kommunisten für Löbe  stimmen.

Aber zur Stichwahl tam es nicht und Göring   wurde wiedergewählt. Seine Rede war zu aller Ueberraschung ein so tönender obgesang auf die parla­mentarische Demokratie, daß sich nachher allgemein die Frage erhob, ob man es mit einem Neubekehrten oder nur mit einem guten Schauspieler zu tun habe. Auf alle Fälle ist die Fähigkeit Görings, sich ,, dem System" anzupassen, erstaunlich groß. Der Zentrumsmann Esser wurde glatt zum ersten Bize gewählt. Danach nahm die Sozialdemokratie den Kampf für Löbe   wieder auf. Aber siehe da! Jezt, wo ihre Stimmen ausgereicht hätten, Löbes Sieg zu sichern, hauten die Kommunisten plög- lich ab. Sie ließen, indem sie ungültige Zettel abgaben, den Bayern Rauch über Löbe   siegen, und beinahe hätten sie durch die gleiche Haltung den Schwerindustriellen- Syn­dikus Hugo zum dritten Vizepräsidenten gemacht. Es ist nicht ihr Verdienst, daß Löbe   schließlich doch mit einer Stimme Mehrheit siegte.

Nach Erledigung der Präsidentenwahl be­schloß das Haus in einer Abstimmung die Haftentlassung von drei kommunistischen   und zwei nationalsozialistischen Abgeordneten. Die Sozialdemokraten enthielten sich der Stimme, nachdem sie zuvor erklärt hatten, daß sie zwar die wegen ,, literarischen Hoch­verrats" verurteilten Kommunisten, nicht aber die faschistischen Bomben und Re­volverhelden zu befreien bereit seien.

Als auch dies erledigt war, beantragte Löbe  , entgegen den Wünschen Schleichers,