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Vorwärts
37] ROMAN VON STEFAN POLLATSCHEK
( Copyright Saturn- Verlag.)
Es war also begreiflich, daß die Behörden sich alle Mühe gaben, um der geistigen Häupter dieser Bewegung habhaft zu wer den. Ein Heer von Horchern und Spigeln war tätig, um alle von der Polizei verdächtigen Personen auszuspähen. Das von ihnen herbeigeschaffte Material- denn auch diese Leute wollten leben wuchs ungeheuerlich an. Bald gab es keinen überhaupt in Betracht kommenden Politiker, der nicht beschuldigt wurde, das Haupt dieser Bewegung zu sein.
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Zur gleichen Zeit wuchsen Not und Elend in fast allen Staaten Europas in unheimlicher und bedrohlicher Weise. Die Regierungen wußten feinen anderen Rat, als Schußmauern um ihre Länder zu errichten. Gigantische Zölle wurden eingeführt, fein Staat ließ fremde Waren ein. Die Fabriken, die mehr produzierten, als die Einwohner ihres Landes verbrauchen konnten, mußten ihre Tore schließen, Chaos und Unruhe beherrschten die bewohnte Erde. Tollheit war der Regent der Zeit geworden. Aufreizende Dinge trugen sich täglich zu, Baumwolle und Nahrungsmittel wurden in überseeischen Ländern vernichtet, ins Meer geworfen, um den Preis zu halten. Es fehlte an Käufern, während der größte Teil der Menschheit hungerte und fror.
In einer großen Bersammlung sollte Weltlin sprechen. Jüngere Mitglieder der Partei hatten Zutrauen zu dem alternden, gebrochenen Mann gefaßt und man hatte ihn auf einen weithin sichtbaren Posten gestellt. Er ließ alles mit sich geschehen und leitete Besprechungen, nahm an Beratungen teil, sprach in Versammlungen und merkte mit Verwunderung, wie rasch die Zahl der ihm persönlich anhängenden Menschen wuchs. Es war ihm flar geworden, daß nur tatkräftige Entschlossenheit diesen unsäglich gequälten Menschen helfen konnte.
Mitten aus diesem geschäftigen Treiben wurde Weltlin eines Tages verhaftet. In ihm glaubte die Behörde einen der Führer der geheimen, verbrecherischen Bandenbewe= gung gefaßt zu haben.
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2.
Ein junger Polizeikommissär leitete die erste Einvernahme des Verhafteten. Weltlin saß gebückt, in sich versunken auf einem Stuhl, dem jungen Herrn gegenüber, der eifrig und mit schlecht gespielter, nervöser Hast zehn Fragen auf einmal an ihn richtete. Weltlin antwortete höflich, väterlich- gütig. Nein, von der geheimen Organisation sei ihm nichts befannt, sein Wirken liege flar vor der Deffentlichkeit, mit den armen Menschen, die die Polizei als Verbrecher zu titulieren beliebe, habe er feine Gemein schaft. Ob denn das etwa keine Verbrecher wären, wollte der junge Herr wissen.- Nein, es wären nur Menschen, die auf alle mögliche Weise dem gegenwärtig unerträglichen Zustand ein Ende bereiten wollten. Ob er denn diese Bewegung billige, wie es fast den Anschein habe? Er billige alles, entgegnete Weltlin sanft und bedächtig, was wirklich imftande sei, diesem grauenhaften Elend ein Ende zu machen. Sie beurteilen diese Taten mit großer Mäßigung, Sie sind mit ihnen offenbar ganz einverstanden?" fragte im Konversationston der junge Mann und fonnte es nicht verhindern, daß seine Augen ein wenig leuchteten.
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Ihnen gegenüber, Herr Kommissär, sozufagen privat. Deffentlich tat ich das bisher nicht." Die Augen des Kommissärs verloren an Glanz, er spielte nervös mit einem Bleistift.
Andere Beamte versuchten ihre Kunst, ältere, erfahrenere. Man durchforschte sein Privatleben, seine Beziehung zu Frau und Kindern, seine Freundschaft mit dem verstorbenen Crufius, seine seltsame Vorliebe für Verbrechen der Zeit, und als er eines Tages auf dem Schreibtisch des ihn verhörenden
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Beamten die dicke, grüne Aktenmappe sah, mußte er in sich hineinlächeln. Welche Mühe sich diese Menschen gaben!- Ob er nun nicht doch gestehen wolle, tönte eine Frage an sein Ohr, ob er noch länger leugnen wolle? Diese Sammlung spreche doch in beredter Weise für seine Schuld. Vermutlich sei er von einer krankhaften Liebe zu gewissen Arten von Verbrechen erfaßt worden, vielleicht liege eine Abweichung von der Norm vor, die sich auch in seinem über= stürzten Rückzug von der Leitung der Fabrik ankündigte? Er glaube nicht, daß er abnormaler wäre als andere Menschen, entgegnete Weltlin. Seine Sammlung der ihm für die Zeit charakteristisch erscheinenden Verbrechen habe jedenfalls nichts mit den in Rede stehenden vorkommenden Verbrechen zu schaffen. Ob denn die Polizei etwa den Forscher, der ein Serum entdeckt, verdäch tige, die Krankheit, die durch die Entdeckung beseitigt werden soll, in die Welt gesetzt zu haben?
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Einmal, als der oberste Chef der Polizei in seinen eleganten Amtsräumen persönlich das Verhör leitete, ertönten von der Straße
wilde Rufe und Schreie. Ehe man es verhindern konnte, war Weltlin ans Fenster getreten. Er sah eine ungeheure Menschenmenge wild durcheinander toben, Rufe durchzitterten die Luft. ,, Nicht schießen!" rief Weltlin und bligartig sah er sich mit dem Arbeiter Wenzel Starfa eine abschüssige Straße laufen, hörte Schüsse fallen, sah eine Gestalt taumeln und fallen und aus einer fleinen, schwarzumränderten Schläfenwunde fickerte dickes, rotes Blut. Nicht schießen! Nicht schießen!" mimmerte und stöhnte der alte Mann. ,, Beruhigen Sie sich doch", hörte er da eine tiefe Stimme. Beruhigen Sie sich! Natürlich werden und müssen wir uns mit allen Mitteln wehren. Wir können doch nicht zusehen, wie man uns wieder das Gebäude anzündet." Mit aufgerissenen Augen sah Weltlin den Sprecher an, es war das ihm wohlbekannte Bild des Polizeipräsidenten, eines mittelgroßen, elegant gekleideten Mannes mit beginnendem Spizbäuchlein. Ich wünsche abgeführt zu werden", sagte Weltlin mit harter, fester Stimme.
,, Aber, aber, wer wird denn so nernös sein? Wenn Sie das nicht vertragen, fönnen wir ja in ein anderes Zimmer gehen!"
Ich wünsche nicht mehr mit Ihnen zu reden", sagte Weltlin. Ich werde auf keine Frage mehr antworten." Es blieb nichts übrig, man mußte ihn in seine Zelle führen.
3.
Die Zelle war lang und schmal. Licht fiel durch ein kleines, pergittertes Fenster. Es war Weltlin verwehrt, Zeitungen zu lesen. Er ließ sich Bücher über Crusius bringen. Da saß er nun und versuchte, sich zurecht zu finden. Er las Worte und Säße, ohne
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Zum 100. Geburtstage/ Von Hans Hartmann
Die letzte Aufnahme Björnsons vom Mai 1909, ein Jahr vor seinem Tode, zeigt uns einen Kopf, deffen nachhaltigen Eindruck man nicht vergißt: rund und kantig zugleich, leuchtende, ja blizende Augen, denen man es glaubt, daß sie oft ungewitterten und manchen mit ihrem Blizstrahl trafen, eine ungewöhnlich hohe Stirn, der man es glaubt, daß in ihr zwei Welten Plaz haben: die des Dichters, der sich in die Seele e seiner Volksgenoffen, der Bauern zumal, mit unendlicher Liebe versetzt, der mit dem Herzblut das Erkämpfte und Erlittene gestaltet, und der zugleich im Politischen steht, ein Mann stets auf Vorposten, der einfagbereit ist, wo sein Volk oder ein Anliegen der Ideale oder der Gerechtigkeit auf dem Spiele steht. Das weiße Haar, in dessen Meer Ohren und Stirn versinken, gehört teinem Greise, der müde ge= worden ist, sondern einem Manne, der zwar abgeklärter und ausgeglichener wurde als der Björnson von ehedem, der sich aber immer wieder freut auf den nächsten Kampf und Einsatz.
In dem Arbeitszimmer dieses Mannes stehe ich, weit nördlich von Oslo , in Aulestad bei Lille hammer , im lieblichen östlichen Teile von Nor wegen. Der zweite Sohn des Dichters erzählt viel von der leidenschaftlichen Hingabe des Vaters an die Gerechtigkeit, an seinen Kampf für Norwegens Freiheit, von dem innerlich unmöglich geworde= nen Zusammensein mit Schweden , für eine neue, reinere, nicht importierte, sondern eigenständige Kunst, für Verfolgte und unschuldig Verurteilte in aller Welt. Er ist, in einem vtel stärkeren Maße als sein Dichterfollege und menschlicher Antipode Ibsen , norwegischer Nationalheld geworden. Sein Denkmal ist nicht nur vor dem Nationaltheater in Oslo errichtet, sondern er lebt auch in den Herzen seines Volkes lebendig fort.
Dichter, die zugleich Kämpfer waren, gab es immer wieder in der Geschichte. Wir denken an Dante, an Hutten, an Heine, an Zola. Bei teinem ist es so reizvoll zu beobachten wie bei Björnson, wie es ihn immer wieder zur Dichtung zieht, wo er ausruht von seinen politischen Kämpfen.
Sein Gesamtwerk ist darum nicht politisch zu nennen, wie das jener Dichter, die in flammender Schrift die Welt verändern wollen. Am interessantesten ist in dieser Hinsicht wohl sein Verhältnis zu Ibsen , dem er zuerst nahe stand, dessen ,, Peer Gynt " er lobte, mit dem er aber megen des Dramas ,, Bund der Jugend" auseinanderkam, das ihm politisch nicht fortschrittlich" genug erschien. Der Bruch dauerte von etwa 1868 bis 1884, wo Ibsen Björnson in Schwaz in Tirol besuchte,
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nachdem sich die beiden 20 Jahre nicht gesehen hatten.
Ibsen gilt als der Schöpfer des Gesell schaftsdramas, aber es ist kein Zweifel, daß Björnson mit dem„ Bankrott"( ,, Fallissement") von 1875 das erste eigentliche Gesellschaftsdrama herausbrachte. Man wußte freilich von Ibsen , daß er ähnliche Pläne hegte, aber wenn er auch an seinen Verleger schon 1875 von seinem Planer sprach, so kamen die mit Spannung erwarteten
Stüßen der Gesellschaft" doch erst 1877 heraus und der Volksfeind" noch später. Björnson hat diese Form des Gesellschaftsdramas, die man seine ,, reine" Form nennen könnte, nicht mehr gepflegt. Ibsen hat hier geistes- und tunstgeschichtlich ohne Zweifel das deutlichere Profil gewonnen. Und er war ja auch sicher der größere Dramatifer. Aber er war mehr erfüllt von den Nöten und Aufgaben des gesellschaftlichen Seins, während Björnson doch mehr im allgemeinen stecken bleibt, die große dramatische Linie verliert und abstrafte philosophische Gedanken, hineinbringt. Erling Björnson meinte, Björnson habe seiner dichterifchen Wirkung sehr geschadet durch die Verwen= dung der norwegischen Sprache, die nur wenige Millionen Menschen verstehen, er hätte eine große europäische Sprache verwenden sollen; aber, so muß man fragen, die Wirkung Ibsens hat( ebenso wie die Kierkegaards ) nicht durch die dänischnorwegische Sprache verloren, obwohl man befanntlich nie richtig übersehen kann.
An dieser Stelle, wo es sich um das deutlichere Profil Ibsens und das undeutlichere Björnsons handelt, fönnen wir noch eine Stufe tiefer gehen. Sehen wir einmal von den gesellschaftlichen und politischen Problemen ab, so stehen im Gesamtwert beider Dichter wie zwei ragende Blöcke die religiösen Dramen, Ibsens " Brand" und Björnsons Ueber die Kraft", dessen erster Teil 1883 erschien, der zweite erst zwölf Jahre später. Kierkegaard mit seinem ,, Alles oder Nichts" wirkte damals bereits start nach Norwegen hinauf. In ,, Brand" ist eine Kierkegaardfigur ersten Ranges getroffen. Björnson neigte seiner ganzen Beranlagung nach doch mehr zu einer lebensfreudigen liberalen Richtung in den geistigen, seelischen und sozialen Dingen. Republikanische, sozialistische, volksbildnerische Ideen ergriffen ihn. Er liebte die breite Masse.
Auf seinen mannigfachen Reisen nach Dänemart, wo Björnson oft zwar Enttäuschungen erlebte, oft aber auch sehr gefeiert wurde, kam er in ein nahes Verhältnis zu Grundtvig , bem
DONNERSTAG, 8. DEZ. 1932
ihren Sinn zu verstehen. Es gelang ihm nicht, das Bild des toten Freundes vor sich erstehen zu lassen. Aber das Bild des an deren, des toten Arbeiters Wenzel Starka stand gewaltig vor ihm auf. Er sah ihn torkelnd auf der Straße, er sah ihn starr auf der Bahre liegen.
Einmal abends, als der Wärter die Zelle betrat, flüsterte er Weltlin zu: ,, Jezt merden Sie bald frei." Und erfuhr, daß die Menge stürmisch seine Freilassung verlange. Weltlin hörte die Nachricht, fie ließ ihn falt, sie bewegte ihn nicht.
Am nächsten Tage wurde er wieder dem Polizeipräsidenten vorgeführt. Es seien keine Anhaltspunkte gegen Weltlin vorhanden, begann der Beamte, man habe die Freilassung verfügt, er erfülle lediglich seine Pflicht, wenn er ihn warne, sich in Abenteuer einzulassen. Die Staatsgewalt sei gesonnen, allen Umtrieben mit Gewalt ein Ende zu sehen. Als Weltlin, ein wenig schwankend, die Straße betrat, bot sich ihm ein eigentümliches Bild: Eine dichtgedrängte Menschenmenge stand da, stürmisch rief man seinen Namen, er wurde von starken Armen erfaßt, gestoßen, gezerrt, und in die Höhe ge hoben. Er wußte nicht, wie ihm geschah. Wer waren die Menschen, die ihn wie einen Helden feierten und ehrten? Kannten fie ihn? Was wußten sie von ihm? Warum rief man seinen Namen? Er fühlte ein Un behagen und sah zu Boden. Und während aus hundert und tausend Kehlen sein Name ertönte, hatte er Mühe, seine Beine in eine andere Lage zu bringen, denn er hatte das peinliche Gefühl, daß seine Füße die Menschen, die ihn trugen, behelligen müßten. ( Fortsegung folgt.)
Vater des Volkshochschulgedankens und eifrigem Förderer der Volkshochschulbewegung in Dänemart. Dieser war ein Gegenpol Kierkegaards ; er vertrat ein freundliches, sehr national angehauchtes Christentum, Gott als Förderer aller zum Licht strebenden Kräfte im Bolte, Religion als eine Art geistiger Bildung und Vertiefung, Christus als einen Führer zur Humanität. Der Gegensatz zu Kierkegaard war riesengroß. Kierke gaard , der ja in der letzten Zeit so start auch in Deutschland wirksam wurde, bewegt sich immer in den Begriffen von Schuld, Krankheit zum Tode, Glaubenszweifel und Glaubensfrevel, sein Christentum ist streng individualistisch, er hat keinen Sinn für die Ideen des Volkes, des Sozialen, der geistigen Bildung. Während der Gottesbegriff Kierkegaards in feiner Strenge und Härte Gewissenskonflikte des einzelnen verschärfte, ihn in den inneren Zusammenbruch führen will, macht es derjenige von Grundtvig , den auch Björnson übernahm, dem einzelnen leicht; er spricht ihn freundlich an und macht ihm Mut zu leben und seinem Volke zu dienen. Man sieht hier wieder einmal, wie himmelweit verschieden die Gottesbegriffe bei verschiedenen Menschen sein können, die sich als christlich bezeichnen und Björnson will sich ohne Zweifel in damaliger Zeit als christlich bezeichnen. Ibsens Brand" zeichnet nun eine Gestalt, die in den Gewissenskonflikten untergeht, die sich und anderen in grausamer Härte das Leben umerträglich macht und natürlich scheitern muß. Demgegenüber schildert Björnson in ,, lleber die Kraft" einen Mann, der es auch versucht, mit Gottes Hilfe alles zu leisten, sogar ein Wunder zu tun, aber es ist ,, leber die Kraft". Björnson bekennt sich selbst ausdrücklich zu der Meinung, daß der Mensch nicht das Unmögliche wollen soll, immer wieder auch in seiner politischen Wirksam keit warnt er die Menschen, zu weit auszugreifen. Man halte sich an das Naheliegende, Vernünftige, Mögliche! Und er hat darin ja auch Erfolg ge= habt. Der Konflikt mit Schweden wurde wesentlich unter seiner Einwirftung gelöst, so daß jetzt beide Länder in einem freundnachbarlichen Verhältnis leben, während es damals in Nor wegen einige Scharfmacher gab, die Björnsons Lösung als viel zu milde ansahen. Denn er wollte nur durch Verhandlungen und nicht durch einen Bruderkrieg die Frage lösen.
Viel wäre noch vom Erzähler Björnson zu jagen: jenem feinen Psychologen, der mit ursprünglicher Kraft und doch feinsinnig die Tiefen der menschlichen Gefühle und Schicksale ableuchtet. In dem einzigartigen Ineinander von politischem und dichterischem Wirken ist er jedenfalls eine ebenso sympathische wie bedeutsame Figur. Und er wird überall, da wo man noch Sinn für starke Persönlichkeiten und politisches Handeln frei schaffender Menschen hat, nicht so bald vergessen werden.
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