Abend- Ausgabe
Nr. 582 B 283 49. Jahrg.
Redaktion und Berlag, Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabresse: Sozialbemotrat Berlin
SONNABEND
10. Dezember 1932
Vorwärts=
BERLINER
VOLKSBLATT
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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands
Na wenn schon!
Warum soll Heinz Neumann nicht mit
Schleicher geredet haben?
Niccolo M..... hat neulich hier im ,, Borwärts", in einem Charakterbild Schleichers, die Bemerkung gemacht, der Herr General plaudere gelegentlich auch gerne mit fommunistischen Füh rern. Diese harmlose Andeutung, die nur der Charakterisierung Schleichers dienen follte, hat in der kommunistischen Presse wahre Wutausbrüche hervorgerufen. Der mutmaßliche Urheber wurde ein ,, abgefeimter Lügner und Schuft" genannt. Später wurde im Reichstag Heinz Neumann als einer der kommunistischen Führer bezeichnet, die mit Schleicher gesprochen haben sollen, mas einen neuen Entrüstungssturm zur Folge hatte. Feierlich verkündete die KPD.- Presse, dies sei eine fürchterliche Verleumdung. Heinz Neumann habe niemals mit Schleicher gesprochen.
Heinz Neumann ist heute nur noch ein abgesägter Führer der KPD . Aber die Beschuldigung, ein kommunistischer Führer Pönnte einmal mit Schleicher geredet haben, befleckt den tugendsamen Ruf dieser revolutionären Partei so sehr, daß sie dergleichen selbst auf einem Abgesägten nicht fizzen lassen fann. Tante Ulrife fann nicht entrüsteter gewesen sein, als man ihr nachsagte, sie sei einmal in später Abendstunde am Arm eines Soldaten gesehen worden.
Aufrichtig gesagt, uns interessiert gar nicht, ob, wann, wo, wie oft Heinz Neumann mit Schleicher gesprochen hat. Desto mehr interessiert uns der komische Eifer, mit dem die KPD . die Möglichkeit eines solchen Vortommniffes bestreitet. Lassalle sprach mit Bismard, ohne daß dadurch sein Ruhm, Erwecker der deutschen Arbeiterklasse zu sein, den geringsten Schaden litt. Karl Marr war sogar fommunistische Weltrevolution verhülle dein Haupt!- Schwager des reaktionären preußischen Polizeiministers Don Westphalen! Das hat ihn nicht gehindert, das Kapital zu schreiben. Boraus zu schließen ist: Heinz Neumann könnte ein sehr guter Revolutionär sein, auch wenn er einmal mit Schleicher gesprochen haben sollte.
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Von einem politischen Führer, gleichviel welcher Partei, muß man soviel Intelligenz verlangen, daß er sich mit einem schlauen Gegner unterhalten kann, ohne sich zu blamieren, und man muß von ihm soviel Ueberzeugungstreue verlangen, daß er mit einem Minister sprechen fann, ohne sein Seelenheil zu gefährden. Wenn die KPD . ihren Führern nicht soviel Geisteskraft und Charakterstärke zutraut, wie dazu nötig ist, dann kann sie einem leid tun.
Wir glauben also, daß man einem fommunistischen Führer feinen Vorwurf machen fann, wenn er sich einmal mit einem Minister unterhält, und wir halten es für nicht flug, wenn die KPD. in der Tatsache einer solchen Unterhaltung einen Makel erblickt, der unter allen Umständen versteckt und abgeleugnet werden muß. Nein, es ist nicht flug, es iſt nicht geschickt, und es ist auch nicht mutig; es ist nur ein Ausbruch dummer Philisterangst. Revolutionäre wollen das sein? Kleine Spießbürger sind es!
Steine gegen Gesandtschaft Bon zwei unbekannten Radfahrern wurde in der vergangenen Nacht kurz nach 2 Uhr eine Fensterscheibe im ersten Stod der Jugosla wischen Gefandtschaft in der Regentenstraße 17 mit amei in Zeitungspapier eingemidelten Steinen eingeworfen. Um eine Wiederholung des Vorfalls zu verhindern, ist jetzt cin Polizeiposten vor dem Gebäude stationiert worden.
Intensive Vorbereitungen- Aber die Ausführungsbestimmungen müssen abgewartet werden
In den Moabiter Kriminalgerichtsgebäuden bildet die Amnestie das Hauptthema des Tages. Die Staatsanwaltschaften bei den drei Landgerichten fönnen erst recht an die Arbeit gehen, wenn die Ausführungsbestimmungen vom Reichsjustizministerium vorliegen werden. Vorläufig finden intensive Besprechungen statt und es werden die Vorbereitungen getroffen, damit die Durchführung der Amnestie reibungslos und schnell vor sich gehen kann. Es ist selbstverständlich
noch eine ganze Reihe von Unklarheiten
zu beseitigen. Bollkommen ausgeschloffen erscheint es jedoch, daß diesmal, wie letztens bei der Annahme des Landtagsbeschlusses über die Freilaffung von politischen Gefangenen, angesichts der bevorstehenden Amnestie die Vorarbeiten der Staatsanwaltschaft vergeblich gemacht würden. Ein Einspruch durch den Reichsrat ist faum zu erwarten, das Amnestiegefeß, mit zweidrittelmehrheit angenommen, dürfte endgültig feststehen. In den Gerichtsfälen wirft die Amnestie bereits ihre Schatten voraus. So wurde z. B. heute eine Verhandlung gegen Nationalsozialisten wegen Landiriedensbruchs aufgehoben. Auf gehoben worden ist auch die am Montag angefekte Berhandlung gegen Rosen, der wegen seines Attentats auf den Reichsbanfpräfidenten Dr. Luther von der ersten Instanz zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Das.
selbe Geschick dürfte eine große Anzahl von Terminen wegen Landfriedensbruchs, Körperverlegung aus politischen Beweggründen und politischer Beleidigung treffen, die bereits in den nächsten Wochen anberaumt waren. Auch
der Felseneckprozeß
dürfte auf Antrag der Verteidigung bis zur Durchführung der Amnestie vertagt werden. Der Vorsitzende hat die Angefiagten bereits darauf aufmerksam gemacht, daß sie unter Umständen bloß wegen Körperverlegung verurteilt werden könnten. Die Anklage wegen gemeinschaftlichen Totschlags kann eben nach dem Berlauf der Beweisaufnahme nicht mehr gut aufrecht erhalten werden. Liegt aber nur Landfriedensbruch und Körperverlegung vor, so muß das Berfahren auf Grund der Amneste eingestellt werden.
Berwickelter liegen die Dinge in den Fällen des schweren Landfriedensbruchs. Die Antiterror notverordnung ist leider vom Reichstag nicht aufgehoben worden. Es droht deshalb megen schweren Landfriedensbruchs, also selbst bei den geringsten Gewalttätigkeiten gegen Personen
immer noch 10 Jahre Zuchthaus ,
die auf Grund der Amnestie in 2% Jahre Gefängnis umgewandelt werden müssen. Selbst bei ganz geringfügigen Körperverlegungen fann also
Von Treue fast erdrückt!
Der Osaf kann sich kaum retten
Nachdem der Abschiedsbrief Gregor Straßers an Hitler , und das„ Urlaubsgejuch" Gottfried Feders bekannt geworden sind, bemüht sich die Propagandaleitung der Nazipartei frampfhaft darum, den Eindruck dieser Zerfallserscheinungen zu verwischen. Zu diesem Zweck hat die NSDA P.- Fraktion in der Nacht zum Sonnabend noch ein Rührstüd aufgeführt, über das parteiamtlich der folgende Bericht ausgegeben wird:
Die heute nach Beendigung der Reichstagstagung abgehaltene Sigung der nationalsoziali stischen Reichstagsfraftion, an der Adolf Hitler teilnahm, gestaltete sich zu einer überaus ein drucksvollen Treuefundgebung der gesamten Fraktion für den Führer. Die Sizung erbrachte den untrüglichen Beweis, daß die nationalsozialistische Bewegung durch feinerlei Ereignisse, von welcher Seite auch immer sie fommen mögen, auch nur berührt werden fann. Nachdem der Fraktionsvorfigende Dr. Frick die Behauptungen einer gewissen Preffe, wonach er und andere Mitglieder der Fraktion dem Führer die Gefolgschaft versagt hätten, als gemeine Lügen gebrandmarkt hatte, wiederholte er namens der gesamten Fraktion das Gelöbnis unwandelbarer Treue zum Führer und Schöpfer der Bewegung, Adolf Hitler .
Der Führer hielt sodann eine Ansprache an die Fraktion, die in die Feststellung ausklang, daß die Kraft und Stärke der NSDAP. in erster Linie in der Treue liege, im Zusammenhalt auf Leben und Tob, woran alle Angriffe zerschellen müssen.
Der Reichstagsabgeordnete Göring erklärte unter stürmischer Zustimmung der Fraktion, daß sich in dieser Stunde nicht nur die Führer und Abgeordneten der NSDAP., sondern die ge Jamte Bewegung, auch seelisch um ihren Führer schare.
Die gesamte Frattion umringte baraufipontan den Führer und brachte ihm außerordentlich stürmische Dpationen bar.
Jedes einzelne Mitglied empfand das Bedürfnis, dem Führer auch noch persönlich das Gelöbnis der Treue in die Hand abzulegen.
Darüber hinaus gab die Reichstagsfraktion auch noch formell die einmütige Erklärung ab, daß sie geschlossen hinter ihrem Führer Adolf Hitler ſtehe."
Die Tonart solcher Siegesberichte ist jedem Politiker aufs beste bekannt. Man denke nur an all die einmütigen" Vertrauensund Treuekundgebungen, die dem Führer" der Deutschen Volkspartei Scholz oder Dingelden spontan" und begeistert dargebracht wurden, bis na das Ende kennt man ja!
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Es sei noch ergänzend vermerkt, daß nach
Gefechtspause
ein Landfriedensbruch als schwerer Landfriedensbruch gewertet werden.
Staatsanwaltschaft und Gericht werden in diesen Fällen sehr weitherzig zu verfahren haben. Uebrigens liegt auch schon bei der Staatsanwaltschaft ein Antrag auf Haftentlassung der 17 Reichsbannerleute, die im Zusammenhang mit den Vorgängen in Königswusterhausen festgenommen wurden ein Jnhaftierter ift gestern unabhängig von der Amnestie entlassen worden. Nach unseren Informationen dürfte auch die Entlassung der übrigen bevorstehen.
Selbstverständlich dürften auch die vom Sondergericht bereits angefeßten Termine ausfallen. Es wäre finnlos, neue Sondergerichtsverhandlungen abzuhalten, da die Einstellung dieser Verfahren unumgänglich ist.
Amnestie im Reichsrat
Der Reichsrat wird sich bereits in seiner nächsten Vollsigung, die am Donnerstag nächster Woche stattfindet, mit der vom Reichstag be= schloffenen Amnestievorlage beschäftigen. Auf die Tagesordnung dieser Sigung werden außerdem auch die vom Reichstag ebenfalls beschlossenen Gefeßentwürfe über die Stellvertretung des Reichspräsidenten und über die Aufhebung der sozialpolitischen Bestimmungen der Notverordnung vom 4. September d. 3. gesezt werden.
dem offiziellen Bericht nur die Abg. Straßer und der gleichfalls erkrankte Abg. Lenz bei der stürmischen Ovation vor dem und um den Osaf gefehlt haben. Unnötig, zu sagen, daß prompt und befehlsgemäß auch die Preußenfraktion der Hitlerei mit einer Treuefundgebung aufwartet!
,, Ich"!
Inzwischen gibt Adolf Hitler höchstselbst folgende ,, Verfügung" heraus:
1. Ich übernehme bis auf weiteres vom heutigen Tage ab die Leitung der politischen Organisation selbst.
2. Ich ernenne zu meinem Stabsleiter für die politische Organisation den bisherigen Reichsinspektor II, Parteigenoffen Ley.
3. Am Mittwoch, dem 14. Dezember 1932, gebe ich die neuen Richtlinien und Anordnungen entsprechend dem Aufruf vom 6. Dezember 1932 zur Herstellung einer erhöhten Schlagkraft der Bewegung bekannt.
Das ist die Sprache des Imperators, die wir aus wilhelminischen Zeiten tennen. Und man fennt auch das Schicksal dieser wilhel minischen Zeit...
- Abstimmung gegen einen sozialdemokratischen Antrag!"
Empfangbei Hindenburg Reichstagspräsidium stellt sich vor Sonnabend mittag 12 Uhr fand der übliche Besuch des neugewählten Reichstagspräsi diums beim Reichspräsidenten von Hindenburg statt. Während die Vizepräsidenten Effer und Löbe in dem Dienstauto des Reichstages mit schwarzrotgoldener Fahne vorfuhren, bediente fich Herr Göring seines Bripatwagens, der von SS. - Leuten gefahren und mit Haken= freuzflaggen versehen war.
Der Reichspräsident mies in der kurzen Unter
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,, Halt
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