Morgen- Ausgabe
Nr.583 A286 49.Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
SONNTAG
11. Dezember 1932
Jn Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts....... 20 f. Bezucsberingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Bentralorgan dee Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der Reichsaußenminister hat in Genf bas Erfuchen Macdonalds nach Berdeutlichung der beiden Fragen Neuraths auf das deutsche Memorandum vom 29. August d. I verwiesen, das allerdings auch Fragen enthält, nämlich ob die Abrüstungsfonvention, ihre Zeitdauer und ihre Revisions möglichkeiten gleichmäßig augh für Deutschland gelten.
Hierdurch ist nach deutscher Regierungsansicht die Diskussion wieder auf ihren Ausgangspunkt zurückgeführt. Eine starke Minderung der Erfolgsaussichten für die Fünfmächtetonferenz sieht man darin, daß Paul Boncour , der Vertreter( und Kriegsminister) Frantreichs, feinesfalls über den Herriot Plan hinausgehen und nicht einmal eine weitere Auslegung erteilen wollte.
Am Sonnabendnachmittag haben die Vertreter der fünf Großmächte ununterbrochen fünf Stunden lang beraten. Baul Boncour hat nachher mit Herriot in Paris telephoniert, übrigens schon zum drittenmal am Sonnabend.
Am Sonntag geht die Fünfmächteberatung meiter.
Um die Formulierung Eigener Bericht des Vormärts"
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Genf, 10. Dezember. In der heutigen Fünf- Mächte- Besprechung zeigte sich, daß über die mesentlichsten Buntte Der Gleichberechtigung und der Sicherheit teine Einigung möglich war.
Als um 3 Uhr nachmittags die Beratung wieder begann, standen noch sämtliche Vorschläge zur Aussprache, darunter die in positive Säge gebrachten deutschen Fragen über die praf. tische Anwendung der Gleichberechtigung und die
Sicherheit durch allgemeine brüstung, sowie ein englischer Rahmenentmurf für ein Abkommen, das die Gleichberechtigung nach Ansicht der Engländer befriedigender sicherstellen sollte.
Durch den heftigen Widerstand der franzöfischen Unterhändler drohten die Berhandlungen mehrmals zu scheitern, doch gelang es den vermittelnden Bemühungen Macdonalds immer wieder den toten Punkt zu überwinden.
Schließlich fristallisierte sich eine Formulierung heraus, die Deutschlands Rückkehr in die Kanferenz herbeiführen soll unter der Boraussetzung der Gleichberechtigung für deren Berhandlungen In dieser Formulierung find Teile des Simonschen Abrüstungsvorschlages, der deutschen Fragen, sowie Herriots Erklärungen enthalten; es kommt auf die endgültige Formulierung an für Annahme oder Ablehnung.
Ausdrücklich wird versichert, daß für die Formulierung außer den erwähnten drei Grundlagen Simon- Plan, deutsche Fragen und HerriotErklärung keine neuen Gebiete politischer Abmachungen zur Erleichterung einer Verständigung herangezogen worden sind. Im ganzen fann man als Ergebnis des heutigen Tages eine starte Entspannung feststellen.
Bor Bekanntwerden der französischen Antwort läßt sich über die Haltung des deutschen Berfreters noch nichts jagen. Es hat aber den deutlichen Unschein, als ob der starte Steptizismus, der bei Ankunft Neuraths die deutsche Delegation beherrschte, angesichts des Vorschlages bei Unterbrechung der heufigen Verhandlungen doch der Auffaffung gewichen wäre, als enthalte dieser Borshlag für Deutschland mehr, als man erwartet hätte
Sollte daher Frankreichs Antwort nicht unbedingt ablehnend ausfallen, jo dürfte selbst bei so
Die Winterhilfe
Einstimmiger Beschluß des sozialpolitisch en Ausschusses
Der Sozialpolifische Ausschuß des Reichstags frat am Sonnabend zusammen, um die Anträge zur Winterhilfe zu beraten. Während von den Nationalsozialisten eine allgemein gehaltene Entschließung vorgelegt wurde, wonach es der Regierung überlassen bleiben sollte, elne angemeffene" Winterbeihilfe zu gewähren, hatten Sozialdemokraten und Kommunisten tontrele Borschläge für die unentgeltliche Belieferung mit Brot, Kohle usw. gemacht.
Abg. Luise Schroeder ( Soz.) gab in der Begründung ein Bild von der wadsenden Not, die immer weitere Kreise erfaßt. Die Folgen der Verarmung zeigen sich auch in den Kreisen der Gewerbetreibenden
Die Rednerin forderte gleichzeitig auch eine Menderung der Hofverordnung vom 19. Oktober, bei der die Wohlfahrtserwerbelojen, die Alleinftehenden und die Empfänger fommunaler Zusazunterstühungen ausgeschaltet wurden.
Der deutschnationale Abg. Schmidt wendet fich gegen den sozialdemokratischen Antrag. Der Regierungsvertreter, Ministerialdirektor Krohne gibt einen Ueberblick über die bisherigen Maßnahmen zum verbilligten Bezug von Lebensmitteln und verweist außerdem auf die eingeleitete allgemeine Winterhilfe.
Nachdem die sozialdemokratischen Abgeordneten Aufhäuser und Spliedt nochmals verlangten, einen bestimmten Willen des Ausschusses zu äußern und diese dringende Hilisaktion nicht dem Ermessen der Regierung zu überlassen, wurde der sozialdemokratische Autrag einigen von der bürgerlichen Mehrheit( Zentrum bis Nazi) befchloffenen Abschwächungen zur Grundlage des Ausschrßbeschlusses genommen. Danach wird die Regierung aufgefordert, für
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alle Arten von Empfängern öffentlicher Unterftigungen und Renten eine zusägliche Winterhilfe zu schaffen, deren Durchführung den Gemeinden übertragen wird. Die Winterhilfe besteht in unentgeltlicher Belieferung mit solchen Naturalien und Kleidungs= stü den, mit denen je nach den örtlichen Verhält riffen der Notlage am besten gesteuert werden
einigen Abänderungen Deufschland zustimmen und damit zur Abrüstungskonferenz zurüdtehren, deren Büro und Generalfommission ja bereits auf Dienstag bzw. Mittwoch der kommenden Woche einberufen sind.
Der Finanz- und der Auswärtige Ausschuß der Rammer haben mit 26 gegen 4 bzm. mit 20 gegen 6 Stimmen einen von den Sozialisten Vincent= Auriol und dem Radikalen Bergern ausgearbeiteten Entschließungsantrag in der Schuldenfrage angenommen. Dieser Entwurf, der als Distussionsgrundlage für die öffentliche Ram= merdebatte
am Montag dienen wird, weift eingangs auf die große Bedeutung der Einberufung einer internationalen Konferenz hin, die der wirtschaftlichen Unordnung in der Welt ein Ende machen soll, indem sie die
Wiederholung der Folgen verhindert, die Geldüberweisungen ohne Gegenleistungen in Form von Arbeit oder Waren hervorgerufen haben.
Weiter heißt es in dem Entwurf, Frankreich habe den Wunsch, die oon ihm unterzeichneten Verträge zu erfüllen und es wolle an seiner traditionellen Dottrin von der friedlichen Regelung der Konflikte auf dem Wege der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit festhalten. Schließlich wird noch gefagt, daß Frankreich die am 15. Dezember fällige Zahlung nur leisten fönne, wenn Amerifa vorher das Prinzip der in der Einleitung ermähnten internationalen Konferenz annehme.
tann. Eine Verminderung der Geld. unterstügung darf nicht eintreten. Mittel stellt das Reich den Gemeinden zur Berfügung. Es ist vorgesehen, daß diesmal die Alleinstehenden nicht ausgeschlossen werden dürfen.
am
Der Befchluß des Ausschusses erfolgte in der Endabstimmung einstimmig. Die Vorschläge zur finanziellen Deckung dieser Hilfsaktion wurden dem Haushaltsaucschuß überwiesen, der Montag zusammenfriff und endgültig entscheidet. Die fozialdemokratische Entschließung auf Vervollfländigung des Personenkreises in der Verordnung vom 19. Oktober wurde gleichfalls angenommen.
von Schleicher wird in der nächsten Woche, wahrscheinlich am Donnerstag, fein Regierungsprogramm im Rundfunt vortragen. Er folgt damit der Pragis des Herrn von Papen, der sein Programm ebenfalls nicht im Reichstag. sondern im Rundfunk vortrug. Es besteht allerdings ein Unterschied! Herr von Schleicher hat für diese Pragis die stillschweigende Duldung einer Reichstagsmehrheit erhalten. Die jozialdemokratische Frat. flon hatte beantragt, daß Herr von Schleicher jein Programm dem Reichstag unterbreiten solle. Die bürgerlichen Parfelen haben mit Hilfe der Nationalsozialisten diesen Antrag ab.
gelehnt!
Ueber die Absichten Schleichers gehen Rach richten, die von zuständiger Stelle nicht bestritten worden sind. Die verlautet, utrd Reichs nzler
von Schleicher in der Rede, die er am fommenden Donnerstag über alle deutschen Sender halten mird, Mitteilungen darüber machen, in wie meit und unter welchen Voraus= fegungen eine Aufhebung der verschiede nen, gegen den politischen Terror gerichteten Verordnungen in Frage kommen kann. Für den Fall einer Beruhigung des politischen Lebens dürften voraussichtlich die Sondergerichte aufgehoben werden. Auch die Berordnung über die Einschränkung der Breffefreiheit wird unter dieser Voraussetzung fallen.
Der Reid, stanzler wird sich in seiner Rede auch mit dem Republitschußgefez befassen, das Ende dieses Jahres abläuft. Someit dieses Gesetz den Schutz der Staatsform, die Reichsfarben und den Ehrenschutz der Minister und politischen Berfönlichkeiten umfaßt, soll das Gesez durch Not Derordnung verlängert merden.
Die drei ersten Tage
Vor dem Zusammentritt des am 6. NoDember gemählten Reichstags hat die sozialdemokratische Fraktion zwei Richtlinien für ihre bevorstehende Arbeit aufgestellt:
1. Scharfe Ablehnung des Kabinetts Schleicher als einer schlecht verdeckten Fortfetzung der Regierung Bapen.
2. Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments, an deren Zerstörung nur die Feinde der Volksrechte ein Interesse haben fonnten.
So wenig die ersten drei Sigungstage des Reichstags einen endgültigen Schluß über die weitere Entwicklung gestatten, unsere Taktik hat doch zu einigen nicht unbedeutenden Erfolgen geführt, an deren Gelingen noch vor einer Woche die stärksten Zweifel bestanden.
Das Parlament ist arbeitsfähig geblieben
trotz der eingeschobenen Brügeleien zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, trotz verschiedener Radauszenen, die zügellose Abgeordnete aus den Flügelparteien heraufbeschworen haben.
Diese Arbeitsfähigkeit machte die rasche Erledigung einer Anzahl von Gesetzen möglich, von denen dem sozialdemokratischen Antrag über Gewährung von Straffreiheit die größte Bedeutung zufällt. Er wird einige Tage vor Weihnachten Tausenden non Opfern der politischen Kämpfe und der Wirtschaftsnot die Kerkertore öffnen, und unzählige Genossen, die bis gestern noch hoffnungslos hinter den Gittern faßen, wissen heute, daß fie in einigen Tagen in den Kreis ihrer Angehörigen zurüd fehren können. Was das bei den Schreckens urteilen bedeutet, die in den letzten Monaten ergangen sind, das fann nur der ermessen, der sich einen Augenblick selbst in eine Gefängniszelle versezt in dem Bewußt fein, jahrelang, vielleicht ein Jahrzehnt. dort zubringen zu müssen. Als bei der Eröffnung des Juli- Reichstags der Gedanke der Amnestie auftauchte, erschien ein Erfolg noch ganz ausgeschlossen. Heute sind wir damit zum Ziele gelangt. Der Reichsrat wird faum einen Einwand erheben. Aber selbst dieser unwahrscheinliche Einspruch würde durch einen neuen Beschluß des Reichstags, der innerhalb drei Tagen herbeigeführt werden kann, beseitigt sein. Das dürfen wir als ersten wichtigsten Erfolg una serer Parlamentsarbeit buchen: Tausende von Kameraden, die oft genug Opfer schlimmster Klassenurteile waren, fommen frei. mit ihnen alle, die die Not zu einer Berlegung der Geseze getrieben hat.
Nicht geringer anzuschlagen ist die Aufhebung jener Teile der September- Notverordnungen, welche das Tarifrecht der Arbeiter zerschlugen, neuem Lohndruck Tür und Tor öffneten und eine Ermächtigung zu weiterer Kürzung der Renten, wie zur Verminderung der Rechte der Versicherten aussprachen. Was unter Bapen noch als unteilbarer Bestandteil seiner sagenhaften Anfurbelung auf Kosten der Arbeiter erschien, ist fang und flanglos unter den Tisch befördert worden.
Nicht ohne Bedeutung ist auch das Gesetz, die des das Stellvertretung Mögen Reichspräsidenten regelt. die Antragsteller die Nationalsozialisten, irgendwelche eigensüchtigen Ziele damit verfolgt haben in feiner Wirkung bildet es einen gewissen Schutz gegen Intriganten, die auf Schleich wegen monarchistische Elemente in die Regierung des Reichs einschmugaely wollen. Nicht als ob damit jede solche Gefahr abgewehrt wäre, Wachsamkeit wird immer am Blaze sein, aber die Hindernisse