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ZWEITE BEILAGE
SONNTAG, 11. DEZ. 1932
F. Das(Ereignis. 1. An einem Freitag, abends halb acht, er- eignete sich etwas, das eine ganze Stadt er- schütterte und Entsetzen um sich verbreitete. Etwas ganz Ueberraschendes, Unerhörtes und Wüstes: Nach besten amerikanischen Mustern wurde das städtische Postamt durch zwei Reoolverbanditcn geplündert. Nach den ersten Gerüchten hieß es, zwei Mann seien getötet. Das war übertrieben, denn dem einen war nur durch einen Schlag der Schädel zerschrammt. Der andere aber war tot. Im ganzen waren drei im Büro gewesen: Berger. Lüdersen und Quischus. Alle drei waren zwischen fünfunddreißig und vierzig. Lüdersen, der einzige unverheiratete, war zwei Jahre jünger als Berger. Die Katastrophe trat kurz nach Büroschluß ein. Die Boten waren eben mit der ab- gehenden Post zur Bahn gefahren. Die drei Schalterbeamten waren daher, als das Un- glück geschah, allein. Lüdersen war eben im Begriff, die Tageskasse in den Geldschrank zu schließen; Quisthus war mit seiner Kasse unterwegs nach einem anderen Raum, und Berger saß im Nebenzimmer und summierte die Postanweisungen. Seine Kasse war von den dreien die größle; sie enthielt gut sieben- lausend Kronen. Die beiden anderen Kassen beliefen sich auf elwa vier- und zwechundert Kronen, einschließlich der Briefmarken. Das Ganze spielte sich im Tempo einer brutalen Ueberrumpelung ab. Der einzige, der vielleicht hätte berichten können, was sich im Anfang zugetragen hatte, war Quisthus, denn er war der chintertür am nächsten ge- wesen. Aber gerade der war tot. Vermutlich war er zum Gegenangriff übergegangen und sofort niedergemacht worden. Der nächste, der sich den Verbrechern gegenübersah, war Lüdersen. Er wollte ge- rade die Schranktür schließen, als er im Nebenraum Lärm hörte. Den Schlüssel in der Hand, lief er hinaus, um zu sehen, was los sei. In der Tür aber prallte er zu- sammen mit einem maskierten Banditen mit erhobenem Revolver. Einen Augenblick stockte ihm jeder Bluts- tropfen Dann löste der Schrecken einen un- sinnigen, todverzweifelten Drang nach Aktion in ihm aus. Er mußte irgendwas tun, irgendwas niederhauen, sei es was es wolle. In wilder Erregung wich er einen Schritt zurück, machte dann halt und stürzte sich, ohne sich späte- besinnen zu können, warum oder wie, auf die vermummte Gestalt. Msi dem linken Arm schlug er ihr instinkliv den Revolver zur Seite, während der rechte den Schliissel wie eine lebensgefährliche Waffe handhabte. Er traf etwas, weich und laut- los, und er hörte seine eigenen hitzigen Schreie. Er schrie nicht um chilse. Was er schrie, war eine verbissene und wütende Behauv- tung:Du traust dich nicht zu schießen! Du traust dich nicht zu schießen!" Er trampelte und schlug um sich, kopflos
und ohne Berechnung, bis ein wohlgezielter Schlag ihn bewußtlos zu Boden streckte. Berger hatte nichts gehört, als Quischus getötet wurde. Aber Lüdersens vchrei und den darauffolgenden Fall hörte er. Bei diesem Schrei war er voll Entsetzen aufge- sprungen. Das war �in Schrei der grellsten Verzweiflung. Ein Scherz schien da ausge- schlössen. Was aber war es? Was sollte das heißen, daß einer sich nicht zu schießen traute? Er rannte zur Tür, um zu sehen, was los war, und wenn nötig, zu helfen. Während dieser drei Schritte aber wurde es chm klar: Was da nebenan vor sich ging, konnte nur eines sein. Er wollte gerade wieder kehrt machen. Die Kaste war ihm eingefallen Die Kasse, auf die sie es natürlich abgesehen hatten. Die mußte er retten. Lebensgefahr war also keine, zu schießen trauten sie sich ja nicht, hatte er rufen hören. Man konnte aus alle
Fälle erst die Kasse in Sicherheit bringen. und dann Da barst die Luft von Lüdersens unartitu- liertem Schrei; dann kam der Fall, wie ein gedämpftes Echo, wie das Aufklatschen von totem Fleisch. Er riß die Tür auf, in fiebernder Er- regung, voll Angst, zu spät zu kommen, um abzuwenden, was geschah oder geschehen konnte. Auf. der Schwelle aber stockte er, jäh über- wältigt, ohne die Türklinke fahren zu lassen. Lüdersen lag als Knäuel vor der Tür und dicht dahinter stand ein stark gebauter Mann mit erhitztem, blutigem Gesicht, von dessen Kinn ein schwarzer Fetzen herabbaumelte. Ein Revolver hob sich mit Blitzesschnelle ihm entgegen. In derselben Sekunde aber krachte die Tür zwischen chnen wieder zu. In einem Chaos von Angst und Ver- wirrung lief Berger zurück, riß die Kasse an sich und rannte zum Fenster. Da flog die Tür wieder auf, und er hörte hinter sich eine Stimme, hart, kalt und gebieterisch:chalt, oder ich schieße!" Berger stellte die Kasse auf die Fenster- dank und deckte sie, indem er sich umwandte, mit dem Rücken. Sein hagerer Körper wankte, sein Gesicht war verzerrt vor Schreck und Wut. Vier Schritte vor ibm   stand jetzt ein aiv derer, größer und schlanker als der da draußen. Das Gesicht war von der Maske völlig verdeckt, die Stimme aber hotte einen Klang von verzweifelter, unbeugsamer Willenskraft.
Günther ZBirkenfeld:£�CfCIIIC oOCIjfCUdC
Zum 60. Geburtstag des Berliner   Ver­legers Bruno Cassirer   am. 12. Dezember 1932, erscheint eine Festschrift, der mir diesen Beitrag entnehmen. Petrus   war es gewesen, der mit der Verteilung der Berufe betraut worden war. Er hatte einen großen Appell veranstaltet und Halle sich seiner Ausgabe mit der ihm eigenen soldatischen Kürze entledigt. Vielleicht war er etwas zu fchsmatisch vorgegangen Möglich, daß er zu wenig beob- achtet hatte, ob die Leute, die er da zu Staats- sekretären oder Klempnermeistern berief, auch wirklich durch ihre Wesensart dafür vorbestimmt waren. Mancher Klempnermeister Halle   vielleicht das Zeug zum Staatssekretär in sich gehabt. Und umgekehrt. Aber wie dem auch fei, alle nur erdenklichen Berufe waren restlos ausgetellt, und Peter konnte sich wieder in seinen Versuchsgarten begeben, um die Züchtungsproben der Wein- traube fortzusetzen. Er wollte mit ihr alle die- jenigen belohnen, die ihre Berufe zu seiner Zu- friedenheit erfüllten Kam Gabriel, genannt Gabbi, flügelschlagend herongebraust, landete unmittelbar vor dem ge- bückt hantierenden Peter(in Wahrheit naschte der von den ersten glücklich gezüchteten Trauben), wischte sich erst einmal mit dem rosa Lzemdärmel den Schweiß aus dem Gesicht und rief dann er- regt:che. Peter, hör doch nur! chabe da auf meiner Inspektionsreise eine ganze Gruppe von Leuten aufgestöbert, die sich vor deinem Berufs- appell gedrückt haben!" Ei der Daus!" grimmte Peter sich aufrichtend. ,Io, was sind denn das für Früchtchen?" Spaßig genug sind sie schon", berichtete Gabbi schmunzelnd.Anfangs glaubte ich, daß ich's mit etwas groß geratenen Kindern zu tun hätte. Sie rekelten sich auf wohligen Moospolstern, in chängemallen unter den Bäumen oder am Strande und schmokten schwer« Zigarren.Wollt ihr nicht gefälligst aufstehen und arbeiten, ihr Faulpelze!" hauchte ich sie an.Weshalb seid
ihr nicht zum Berussappell erschienen?"Aber bitte sehr, lieber Gabbi". verteidigten sie sich ge- mütlich,wir beschäftigen uns schon aus unsere Weise." Und, Peier, ich muhte bald einschen. daß ich ihnen Unrecht getan Halle. Bei näherer Beobachtung konnte ich nicht bestreiten, daß in ihrer scheinbar so genießerischen Verspieltheit ein tieferer Ernst steckt. Weißt du, was sie tun? Sie tasten alle Formen ab und können stunden- lang irgendeine Farbenmischung betrachten. Sie finde» Dinge schön und bedeutsam, die von den anderen keines Blicks gewürdigt werden. Dafür zucken sie vor den Sensationen, daran die Masse sich begeistert, häufig genug nur mit den Achseln. Einer von ihnen, Bruno heißt er. hob zum Beispiel neulich einen Kiesel auf. drehte ihn be- dächtig hin und her und meinte dann:Seht euch bitte mal den Rhythmus dieser Wellenlinien an!" Nun aber kommt das Erstaunlichste: mit einem- mal fand die große Masse, die sich noch niemals um einen der zahllosen Kiesel gekümmert hatte, diesen Rhythmus der Wellenlinien gleichfalls wunderbar. Und alle wollten diesen einen, Brunos Stein haben, obwohl es doch genug andere gab.Ja, wenn man ihn vervielfältigen könnte!" brummte Bruno, zog sich in seine Wolke von Zigarrendampf zurück und dachte über dieses Problem nach. Das gleiche erlebte ich, als ein anderer, den sie Sommi nennen, vorgestern einen Schachtelhalm ausrupfte und die Weisheil seines Ausbaues bewunderte Noch nie zuvor war dieser unscheinbare chalm von irgend wem beachtet war- den. Nun aber entbrannte ein regelrechtes Hand- gemenge um Sammis Schachtelhalm. Und als unser Herr kürzlich solch einen zarten schwebenden Maimorgen mit gleichsam fliehenden Farben ver- sucht hatte, den selbst die meisten von uns als zu blaß und dünn empfanden, sagte dieser Bruno plötzlich, nachdem er lange genug unter seinen buschigen Brauen geblinzelt hatte:Das müßte man sich ausschneiden und an die Wand hängen können!" Und viele der Umherstehenden nickten in
Hand weg von der Kaste!" Berger antwortete nicht. Cr sah den an- deren trotzig an, aber rührte sich nicht. Sofort! Hören Sie? Keine Faxen! Wir sind zwei Mann und zwei Revolver." Berger stand noch immer regungslos. Da klang es in äußerster Erregung:Wird's oder wird's nicht? Noch eine Minute und ich schieße!" Noch einen Augenblick zögerte Berger. Dann wich er totenblaß einen Schritt zur Seite. Dort blieb er unbeweglich stehen und sah zu, wie der Fremde mit raschen, nervösen Handgriffen die Kasse leerte. Er sah ihn durch die Tür verschwinden und hörte, wie der Schlüssel im Schloß umgedreht wurde. Da öffnete er das Fenster und sprang aus die Straße, um Hilfe herbeizuholen. Es glückte nicht gleich. Die Leute, die er traf, hielten ihn fast für verrückt. 2. Das war alles, was man über die Kala- strophe selbst in Erfahrung bringen konnte, und in den frühen Abendstunden kochte die Stadt vor Erregung. Die ganze Sache hatte sich in kürzerer Zeit abgespielt, als man braucht, um einen gedrängten Bericht dar- über zu lesen. Zwei Unbekannte waren aus- getaucht von nirgendwoher, hatten reinen Tisch gemacht und waren spurlos verschwun den. Ein einziger Anhaltspunkt stand zur Verfügung. Zwei Männer hatten auf einem Motorrad die Stadt in westlicher Richtung verlassen, ohne daß man ihre Spur weiter als eine halbe Meile jenseits der Stadt- grenze verfolgen konnte.(Forts, folgt.)
einer Weise, als ob Bruno sie verzaubert hätte." Halt ein. Gabbi!" murrte Peter und zwirbelte seinen Hängebart.Du scheinst dich in diese Narren, die eine gehörige Strafe verdienen, ja gründlich verguckt zu haben! Was machen wir denn nun mit ihnen? Alle Berufe sind doch verteilt?" Sie wallen ja gar keinen haben", wogte Gabbi zu erinnern.Und sie wären wohl auch zu schade." Dunnerlittstock noch einmal!" schimpfte Peter. Ich werde schon einen Berus   für sie finden, bei dem ihnen der Atem kürzer wird!" Er ließ die Liste der Berufe holen und las sie von unten nach oben durch. Immer verlegener kraulte er sich in den Locken. Es wollte ihm kein neuer Beruf ein- fallen. Man mußte Gabbi um Rat bitten, so ärgerlich man auch über ihn war. Nicht umsonst galt Gabbi als der findigste und wendigste Kops. Er gab vor, auch keinen neuen Berus   zu wissen, und meinte, daß nur noch übrig bliebe, die Liste der Passionen durzusehen. Viel- leicht ließe sich da noch etwas machen. Peter fiel aus diesen Vorschlag gründlich herein. In seinem einfältigen Soldatenverstande glaubte er nämlich, daß die Träger der Passionen das lag doch schon im Work! sehr viel mehr zu erdulden hätten als die Berufsmenschen. Denn die Passionsmenschen sollten den Sinn und die Schönheit alles Geschaffenen immer aufs neue entdecken und schaffen. Wie konnten sie das, da ihnen nur zu ahnen, aber nicht zu wissen gegeben war? Welch leidvolles und leidiges Beginnen! Bon der beseligenden Unruhe dieses ahnungsvollen Nachbildens und Neubildens wußte der biedere Peter nichts. Murmelnd las er die Liste der Passionen durch: Maler, Bildhauer. Dichter, Komponisten, Schau­spieler und Sänger" und... kraulte sich aber­mals ratlos in den Locken. Wieder mußte der listige Gabbi helfen.Tja", meinte Gabbi,ich wüßte auch keine neue Passion. Aber wie wäre es, wenn wir den Brunos und Sammis die Passion zu all den bestehenden Pastionen einräumten?" Vortrefflich!" lobte Peter, indem er für sich dachte: wenn die Passiansmenschen sick) schon so
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