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Morgen- Ausgabe

Nr. 585 A 287 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

Ferniprecher A7 Amt Donhoff 292 bis 297

Telegrammabrefle: Sozialbemotrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

13. Dezember 1932

Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 f. Bezu sberingungen und Anze'gerbreife fiehe am Schluß bes rebattionellen Zeils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Frankreich hat recht!

Der Schuldenkampf mit USA .

Es gibt in Deutschland engstirnige und furzsichtige Menschen, die Schaden­freude darob empfinden, daß Amerika sich gegenüber seinen europäischen Schuldnern so unnachgiebig verhält. Das sind vor allem jene nationalistischen Kreise, die grundsäglich in allem und jedem Frankreich Unrecht geben und jede Schädigung des französischen Volkes als einen Gewinn für Deutschland betrachten.

Der Vorwärts" hat schon mehr als einmal in den letzten Jahren zum Ausdruck gebracht, daß ihm die Haltung der Vereinig ten Staaten gegenüber seinen europäischen Schuldnern ebenso unflug wie unge= recht erscheint. Darüber hinaus muß aber gerade in der heutigen Situation hier mit aller Schärfe betont werden, daß dieses Ver halten der Vereinigten Staaten obendrein noch im höchsten Maße illoŋal ist. Wir haben volles Verständnis dafür, daß es der Regierung der Vereinigten Staaten nicht leicht fällt, in einer Zeit schwerer Wirtschafts­frise und gesunkenen Volfseinkommens ein Opfer zu bringen, das zunächst die Millionen von amerikanischen Sparern, die die Anleihe­stücke gezeichnet haben und besigen, treffen würde. Kommt der Staat sür den Ausfall auf, der aus einer Nichtbezahlung der Zinsen burch die Schuldnerftaaten entstehen würde, bann trifft das indirekt die Masse der ameri fanischen Steuerzahler.

Das alles ist durchaus richtig und bekannt Aber ebenso unzweifelhaft ist es, daß die juristische Trennung von Schulden und Repa rationen nur noch eine Fittion ist, feitbem Die Regierung der Bereinigten Staaten immer wieder auf die Reparationsgläubiger Deutschlands in dem Sinne einge wirft hat, daß sie ihre Ansprüche ermäßigten und schließlich sogar praktisch völlig aufgaben. Dawes Plan, Young- lan, und sch ießlich Lausanner Lausanner Abkommen

=

find nicht nur unter mehr oder minder aktiver und offizieller Mitwirkung der Ameri­taner, sondern auch unter ihrem Drud zustandegekommen. Dawes- Blan und Young­Blan haben jogar eine faftische Ber= bindung zwischen den interalliierten Schulden und den deutschen Reparationen unzweifelhaft hergestellt.

Das Hoover Moratorium er streckte sich auf beide Arten von Zahlungen. Es wurde von Frankreich unter amerikani­schem Druck schließlich unter der scheinbar selbstverständlichen Voraussetzung un­terzeichnet, daß, solange die deutschen Zah­lungen nicht wieder aufgenommen werden würden, auch die alliierten Schuldner nichts an Amerika zu bezahlen haben würden. Schon damals malten die französischen Natio­nalisten in ihrer Opposition gegen das Mora­torium das Gespenst einer Situation an die Band, bei der schließlich Deutschland nichts mehr zu zahlen brauche, daregen Frankreich mit seinen Schulden an Ame­rita fizen bleiben würde.

Diese Warnungen wurden von der ver­ständigungsbereiten Linten als unbe= gründet zurückgewiesen, weil man den Bereinigten Staten eine derartige Unfairneß nicht zutrauen wollte. Immerhin wurde das Hover- Moratorium von Frankreich nur unter dem Vorbehalt ratifiziert, daß eine folche Lage nicht eintreten würde oder daß sonst Frankreich die Konsequenzen aus der Zahlungsverweigerung an Amerifa ziehen

müßte.

Aehnliche Debatten haben sich erst im ver­gangenen Sommer aus Anlaß des Lau­janner Ablommens abgespielt. Wieder einmal warnte die nationalistische Rechte, die thre Zustimmung zu einer Reparations ftreichung davon abhängig machen mollte,

Winterhilfe- nicht befriedigend!

Die Reichsregierung gibt keine Auskunft über das Ausmaß

Die Beratungen im Haushaltsausschus des Reichstags über die Winterhilfe führ­ten erst am gestrigen Nachmittag zu einem abschließenden Resultat, das aber durch­aus nicht befriedigen kann.

Die Debatte wurde im besonderen von den Sozialdemokraten zwar immer wieder auf ihren Standpuntt, auf die Finanzierung, also auf die Bereitstellung von Reichsmitteln zurückgeführt, aber Der ammesende Finanzminister Schwerin von Krosigk vermied es syste= matisch, seinerseits eine flare positive Stellung einzunehmen.

Nach einer eingehenden Erörterung, an der sich unter anderem die Abg. Karsten( Soz.) und Faust( S03) beteiligten, betonte der Reichs­finanzminister nodymals,

daß die Reichsregierung helfen wolle, aber fie tönne weder den sozialdemokratischen Deckungs­vorschlägen zustimmen, noch ihrerseits etwas Positives über den von ihr beabsichtigten Umfang der Finanzierung der Winterhilfe schon jeht sagen.

Er verwies nochmals darauf, daß die national­

ſozialistischen Hoffnungen irrig feien, wenn sie annehnien, daß man die Winterhilfe aus rück­ständigen Steuern und aus deren Bezahlung durch

Nahrungsmittel und Gegenständen des täglichen Bedarfs gewinnen könne. Wen jemand Steuern zahlen könne, dann brauche er das nicht in Ge­treide oder Kartoffeln zu tun, wenn er aber mit feinen Steuern rückständig bleiben müsse, dann habe er auch nicht die Möglichkeit, sie in Form von Nahrungsmitteln zu bezahlen. Das beweist der Versuch, der in Oldenburg gemacht worden sei.

Zum Schluß wurden die Anträge des Sozial­politischen Ausschusses angenommen, dazu der fozialdemokratische Ergänzungsantrag, nach dem in den Monaten Dezember bis April für jeden unterstützungsberechtigten Haushalt wöchentlich 2 Kilogramm Brot und ½ Kilogramm Fleisch, weiter 20 Zentner Kohlen zu liefern sind, bei Haushalten von mehr als drei Köpsen sollen dieje Mengen entsprechend höher bemessen sein.

Die

fozialdemokratischen Dedungsvor schläge für die Ausgaben wurden abgelehnt, dagegen wurde ein nationalsozialistischer Antrag angenommen, nach dem von Bauern und Angehörigen des gewerblichen Mittelstandes die rückständigen Steuern auch in Naturalien oder Gegenständen des täglichen Bedarfs gezahlt merden

tönnen.

Ein Zentrum santrag, der angenom men wurde, ist ein Versuch, der Regierung Schleicher eine Brücke zu bauen, damit sie im

Sinne der Entschließungen des Sozialpolitischen und des Haushaltsausschusses zur Winterhilfe handelt aber im Umfang ihrer Beistung freibleibt. In diesem Beschluß wird die Reichsregie. rung ersucht,

in einem Zweimonatsprogramm in eine praf­tische Winterhilfe einzutreten, die neben der Sicherung der Zahlungen für die Wohlfahrts­erwerbslosen in den Gemeinden und neben der Arbeitsbeschaffung die Wintermonate durch be­jondere Maßnahmen zu überwinden suchen soll. Und zwar soll die Reichsregierung die von ihr vorzunehmende Arbeitsbeschaffung beschleunigen und die Sicherstellung der Gemeinden für die Leistungen der Wohlfahrtserwerbslosen gemähr leisten. Da diese Maßnahmen, so fährt die an* genommene Entschließung fort, nicht hinreichen, der schweren Notlage des Winters zu steuern, ,, hat die Reichsregierung Mittel zur Verfügung zu stellen, die nach den Richtlinien des Sozialpolitischen Ausschusses, gemäß der Entschließung vom 10. De­zember 1932 zu verwenden sind. Dem Haupt­ausschuß ist baldigst zu berichten."

Damit sind die sozialdemokratie schen Forderungen für eine ernst zu nehmende Winterhilfe vorläufig nicht erfüllt!

Herriot vor dem Sturz

Ungünstiger Eindruck seiner Rede über die Schuldenfrage

Eigener Bericht des Vorwärts" Paris , 12. Dezember. Die französische Hammer hat sich am Montag noch nicht über die Schuldenzahlung an Amerita ausgesprochen, sondern nach einer fast dreistündigen Rede Herriots, in der der Be­fchluß der Regierung, die am 15. Dezember fällige Rate au Amerika mit Borhalten zu zahlen, begründet wurde, die Fortsetzung der Debatte auf Dienstag nachmittag beschlossen.

Die Bertagung wird offiziell damit begründet, daß der Finanz- und der Auswärtige Ausschuß der Kammer erst zu dem Beschluß der Regierung Stellung nehmen und dann eine Entschließung ausarbeiten müssen. die der Kammer zur An­nahme empfohlen werden soll. In Wirklichkeit ist für die Vertagung ein ganz anderer Grund maßgebend. Da sich die französische Regierung für die Zahlung mit Vorbehalten nach englischem Muster ausgesprochen hat, diese Borbehalte aber von Amerika abgelehnt worden sind, kann die französische Regierung natürlich nicht dieselben Vorbehalte machen. In­folgedessen war Herriot auch nicht in der Lage,

daß erst Amerika schwarz auf weiß das Ver­sprechen der Schuldenstreichung abgebe. Das Letztere war zwar nicht zu erreichen, aber die gesamte öffentliche Meinung in Frank­ reich empfand es als eine Selbstrerständlich feit, daß das die Konsequenz des Lau­feit, daß das die Konsequenz des Lau­sanner Abkommens sein würde, und daß die Vereinigten Staaten zumindest für die Dauer der völligen Befreiung Deutschlands von seinen Berpflichtungen das Hoover- Morato­seinen Berpflichtungen das Hoover- Morato rium auch für die interalliierten Schulden verlängern würde.

Das haben die Vereinigten Staaten neuer­dings abgelehnt. Die Empörung in ganz Frankreich ist allgemein und, wie wir ausdrücklich hinzufügen möchten, voll, tommen berechtigt. Frankreich hat das Gefühl, daß es von den Amerikanern förm lich bereingelegt morden ist. Die Ge

im Laufe seiner Rede die Natur der Vorbehalte anzugeben. Er muß sich gemäß den getroffenen Vereinbarungen erst mit England ins Ein­vernehmen setzen, um zu beraten, in welcher Weise man nun gegenüber Amerika vorzugehen gedenkt. Wenn darüber zwischen Frankreich und England eine Einigung erzielt ist, was wahrschein­lich erst im Laufe der Nacht zum Dienstag oder oder am Dienstagvormittag möglich sein wird, fann Herriot vor den zuständigen Kommissionen erscheinen, um seine neuen Vorbehalte mitzuteilen. Bom parlamentarischen Standpunkt betrachtet ist diese Einigung eigentlich überflüssig. Denn die Art, in der Herriot den Zahlungsbeschluß der Regierung begründete, hat auf die Kammer, obgleich die Rede an mehreren Stellen fast ein­stimmigen Beifall fand,

einen schlechten Eindruc gemacht, was der Ministerpräsident am Schluß feiner Ausführungen selbst fühlte.

In den Wandelgängen der Kammer wurde nach Schluß der Sigung allgemein erklärt, daß die Reglerung am Dienstag gestürzt

fahr, daß die öffentliche Meinung Frankreichs nunmehr daraus die Konsequenzen ziehe, daß es das Lausanner Abkommen nicht mehr anerkenne, das sowieso bisher von keiner macht ratifiziert ist, und daß sie nunmehr leidenschaftlich die Wiederaufnahme der deutschen Reparationszah lungen verlange, um ihre eigenen 3ah­lungen an Amerika zu decken, darf nicht unterschätzt werden. Es fönnen daraus neue Konflikte entstehen, von deren Ausmaß und Gefährlichkeit man sich in Deutschland noch teinen rechten Begriff macht.

Die Lage für Frankreich ist wirklich tra­gisch, und man muß den Mut bewundern, mit dem Herriot dennoch versucht, für eine Bezahlung der fälligen Rate die Mehr­heit des Parlaments zu gewinnen. Aber volles Berständnis haben mir erst recht für

werden wird, da sie von über 600 Stimmen höchstens 200 erhalten werde.

Die Sozialisten find entschlossen, der Regierung das Vertrauen zu verweigern. Nach der Haltung der Rechten und der Mitte bei den ent­scheidenden Stellen der Rede ist auch dort mit einer geschlossenen Ablehnung des Regierungs­standpunkts zu rechnen.

Die Rede Herriots gliederte fich in drei Teile. Im ersten Teil gab der Ministerpräsident einen historischen Ueberblick über das Schuldenproblem., Gleich zu Anfang seiner Ausführungen wies Herriot mit lobenden Worten auf die Inter­ventionen Amerikas im Kriege auf seiten der Alliierten hin. Er erklärte, daß die ganzen Schwierigkeiten, in denen man sich jetzt befinde, darauf zurückzuführen seien, daß Amerika die bei der Unterzeichnung der Friedensverträge ver sprochenen Sicherheitsgarantien nicht gewährt habe und daß die Vereinigten Staaten nicht in den Völkerbund eingetreten seien. Er erinnerte an die Vorbehalte, die bei der Ratifizierung des Schuldenabkommens im Jahre 1929 von der Kammer und dem Senat gemacht worden sind,

die Haltung unserer französischen Ge­nossen, deren Opposition gegen diese Ab­sicht der Regierung nicht nur aus einem berechtigten Protest gegen die Hal­tung der Vereinigten Staaten , sondern auch und nicht zuletzt aus der Sorge entspringt, daß eine etwaige Bezahlung der amerikani­ schen Rate eine Boltsbewegung in Frank­ reich entfachen könnte, die für die Entwick­lung der deutsch französischen Beziehungen überaus gefährlich wäre!

Baden gegen das Reich. Am 17. Dezember verhandelt der 5. Zivilsenat des Reichsgerichts über die verfassungsrechtliche Streit sache des Landes Baben gegen das Deutsche Reich betreffend die Genehmigung von Reichsbahnanlagen.