Einzelbild herunterladen
 

Das Haus der Lords

Englands ,, erste Kammer" in der Kritik der sozialistischen Arbeiterbewegung

Eigener Bericht des Vorwärts"

London , 12. Dezember. Im Kampfe gegen die Demotratte ist in allen Ländern eines der beliebtesten Instru mente die erste" Kammer. Die Reaktion wütet sonst gegen die Berlangsamung und Umständlich­keit, die angeblich durch eine demokratische Bolks­vertretung in die Staatsgeschäfte hineingebracht wird. Aber eine zweite Instanz, die in den Gang der Geschäfte eingeschaltet wird, ist ihr nicht zu= wider, solange diese Instanz dem Fortschritt ein Hemmnis bietet. Das ist, auf die einfachste For­mel gebracht, die Funktion der ersten" Kammer, wo sie auch besteht. House

Das britische Oberhaus, bas of Lords", übt neben dieser Funktion auch andere aus. Dieses Herrenhaus dient der Aufrechterhal­tung aller gesellschaftlichen, tulturellen und so­zialen Traditionen, die den britisten Konserva­tivismus verförpern. Die Klassenschichtung der britischen Gesellschaft offenbart sich hier in Potenz.

Die britische Arbeiterbewegung ha: sich bisher nicht allzu sehr um diese Institution gefümmert. Sie hat sich um unmittelbare Fragen der Orga­nisation und des politischen und ökonomischen Tagestampfes bemüht, im Bewußtsein. daß fein Oberhaus ihr würde standhalten können, wenn es erst um Regierungs macht und nicht nur wie bis­her um Regierungs verantwortung ohne ausschlaggebende Unterstützung, ginge. Dieses Bewußtsein hat sie auch jetzt nicht verlassen. Es

war

dem Arbeiterabgeordneten Morgan Jones nicht möglich, in einer Debatte im Unter­haus am 30. November die Frage des Herren­hauses anders als nebensächlich zu behandeln. Auf eine Herausforderung von tonfervativer Seite antwortete er: Die Arbeiterpartei hat sehr wenig Interesse an dieser Frage."

Der Fragentompleg Verfassungsreform und Oberhausproblem" ist aber für die Reaktion in Großbritannien nicht weniger typisch als für die in anderen Ländern Die Wahldemokratie ist zwar zu fest im Volksganzen verankert, als daß man in nennenswertem Ausmaße mit dem erblichen Oberhaus zu operieren wagt. Das ist von allen Seiten ertannt worden gegenüber den Vorschlägen auf Reform des House of Lords , von denen es in diesem Herbst in Großbritannien mimmelt.

Aber die Vielheit der Vorschläge bedeutet hier wie andersmo, daß die Reaktion ängstlicher als je vor dem Anschwellen der demokratischen Kräfte dasteht. Sie versucht ihnen die künftige volle Kraft zu rauben, indem sie eine Hemmung einschaltet. Die Durchschlagskraft der unmittel baren Bolkspertretung in der Berwaltung der Staatsgeschäfte soll gebrochen merben, was dem Konservativismus nur dienlich sein tann. Lorb Salisbury erklärte in einer Rebe am 7. De­zember:

,, Die zu erwartenbe Arbeiterregierung mirb fich von einer Minderheit im Parlament gar nichts gefallen lassen. Vor allem wird sie die Geschäftsordnung durchgreifend ändern, um ihre Pläne durchzubringen. Meit dapon entfernt, daß eine erste Kammer weniger notwendig sein wird, wird sie piel notwendiger fein"

Nun ist die Reaktion in ihrer Hoffnung ent täuscht worden, daß die nationale Regierung" schon in dieser Seffion einen zweddienlichen Re formvorschlag einbringen würde. Eine Reform, die das Oberhaus vor der nächsten Arbeiterregierung etwas sicherer stellt, ist noch nicht in die Wege geleitet worden. Aber die öffentliche Meinung wird inzwischen vorbereitet.

Die Arbeiterpartei reagiert auf all das mit Gelassenheit. Ihre Vertreter geben pünktlich Antwort auf die verschiedenen Borstöße, ohne zu verhehlen, daß ihnen mehr an der Aufhebung des House of Lords als an seiner ,, Reform" liegt. Der ,, Daily Herald" mit einer täglichen Auflage von jegt über 1 600 000 forgt für genügend Publizität.

Am interessantesten ist aber das Verhalten der Labourmitglieder im Oberhaus selber. Sie haben am 9. Nopember erklärt, sich nicht mehr an der Abstimmung über vom Unterhaus tommende Besegesvorlagen beteiligen zu wollen. Sie könnten nicht daran mitwirken, daß das Ober­haus die Funktion der gewählten Boltsvertretung beeinträchtige. Daneben nüßen sie aber das Ober­haus aus als Plattform für sozialistische Propa ganda und für eine schonungslose Kritit an ber Politik der Regierung.

Man darf ja nicht vergessen, daß die übergroße Regierungsmehrheit des Unterhauses mit Hilfe der veralteten und verschleppenden Geschäftsordnung die kleine Minderheit von Arbeiterabgeordneten daran hindert, alles wünschenswerte zur Sprache zu bringen. Das Unterhaus ist deshalb auch für die Agitation der Arbeiterbewegung unzureichend. Hier springt die kleine Gruppe von elf ,, Arbeiter­

Besprechung aller Abteilungsleiter mit den Abtei ungskassierern und den Kreis­vorständen

Lords" ein. Sie unterhalten ein dauerndes Trom meffeuer auf die Regierung. In einer Debatte nach der anderen, in zahlreichen Anfragen, in dokumentierten Reden lenken sie die Aufmerksam. keit der Allgemeinheit auf die schwachen Stellen der Regierungspolitik, vor allem in der Außen­politik und in der Abrüstungsfrage. Auf diese Art verderben sie der Reaktion ihre Freude an diesem Hort des Konservativismus und des Standes­dünfels.

Der elegische Führer

Er gibt die Niederlage zu

Führer und Unterführer der Hakenkreuzarmee haben alle Hände voll zu tun, um die schwere Enttäuschung und die Mutlosigkeit zu bekämpfen, die seit den mehrfachen Wahlniederlagen und den Bersetzungserscheinungen in den Anhängerschichten immer weiter um sich greifen. Zuerst versuchte es Herr Goebbels mit dem Ableugnen. Thüringen war im Angriff" ein großartiger Erfolg. Aber Lügen haben kurze Beine. Es sprach sich auch im eigenen Lager herum, daß es eine fatastro­phale Niederlage war, 40 bis 45 Proz. Verluste seit dem 31. Juli. Jezt werden in Süd und Nord Treuefundgebungen" der trauernden Hinter­bliebenen arrangiert gerade als ob die Herr. schaften vorher nicht treu" gewesen wären. Aber auch dabei entschlüpfen dem siegreichen Adolf tedenkliche Zugeständnisse. In Breslau gestand er ein:

Zwölf Schlachten haben wir in diesem Jahr geschlagen. Aus zwölf Schlachten ist noch feine Armee stärker herausgefom men als sie hineinging. Entscheidend ist, ob man das letzte Bataillon auf dem Felde hat. Entscheidend ist nicht das Treibholz an der Peripherie. entscheidend ist der Kern der Be­wegung und der steht fest und unerschütterlich. Bordem hieß es, daß die siegreichen Schlachten Das Heer gestärkt hätten, jetzt gibt er zu, daß es gefch wacht worden ist. Er bescheinigte sich in Dresden seine eigene Größe:

Die wirkliche Größe von Staats. männern zeigte sich nicht am Abend pon Siegen, sondern immer am Abend von Niederlagen. Nicht daß die Bewegung Erfolge über Erfoloe errang, sondern, daß fie alle unerhörten Verfolgungen und Unter­drückungen siegreich überstanden hat, ist das Ruhmesblatt in ihrer Geschichte."

Am Abend von Niederlagen und doch ,, siegreich" -sollte das nicht ein flarer Widerspruch in sich felbst sein? d hiigamm

Gespannte Lage

MISSTRAKENSVOTUM

DEM DE

OLKE

VERTAGT

REICHSTAGS AUFLÖSUNG M

GÖRING

SCHLEICHER

,, Toleriert er mich oder toleriere ich ihn?"

-

Herr Straßer bekam noch einmal seinen schlich ten Abschieb:

Die Mieter fordern!

-

Wenn einer dieses Schiff verläßt, Mietensenkung Kleinwohnungen weil er müde ist und rasten will, das Schiff geht seinen geraden Kurs meiter, solange ich lebe und am Steuer stehe.

Zuerst war er frant", jest soll er müde" sein, in Wahrheit ist er wild geworden wegen des Spiels der Göring und Rosenberg, die ihn betseite drücken wollten. Aber so einfach scheint fagte Hitler ins Gesicht, er sehnt den Augenblick es nicht zu gehen. denn Pg. Bückner in Breslau herbei, wo Straßer wieder in die Reihen zurück­tehrt. Inzwischen haben die Prügeleien zwischen Hitler Leuten und Straßer- Leuten begonnen, tein Trost hilf tarüber hinweg, daß die Zersegung mi! jebem Tage fortschreitet- troß aller neuen Treue bekenntnisse der doch schon immer Getreuen".

Nicoles Immunität aufgehoben hat der Bürger­blod im Schweizer Nationalrat mit 121 gegen 47 fozialistische und tommunistische Stimmen.

Ehrlofe Sumpen" in der NSDAP .

Ein Dokument deutscher Treue

In Sachsen gibt es bei den Nazis einen Spezialfrach Einer ihrer Landtagsabgeord Spezialfrach Einer ihrer Landtagsabgeord neten, ein Herr Fischer, hat sich mit einem. Stahlhelmer zusammengetan und und einen neuen Laden aufgemacht. Infolge­dessen veröffentlicht jetzt die Nazipresse ein Dokument, das die nationalsozialistischen Kandidaten in Sachsen vor der Aufstellung ihrer Kandidatur unterzeichnen mußten. Das Dotument hat diesen Wortlaut:

Ich verpflichte mich als Abgeordneter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei im Sächsischen Landtag jederzeit die Interessen der Bartei wahrzunehmen, die 25 Programmpuntte

grundsäglich anzuerkennen und mich der ordnungs­mäßigen Parteileitung und deren Anordnungen zu unterstellen.

Sollte ich dies mit meiner Ueberzeugung nicht mehr in Einklang zu bringen vermögen, fo per­fichere ich hiermit, als Ehrenmann mit meinem Worte, daß ich mich dann keiner anderen Partei anschließen oder fraktionslos erklären werde, sondern daß ich in einem folchen Falle auf An forderungen der Parteileitung mein Mandat niederlegen und in die Hände des jeweiligen Gau­leiters des Gauperbandes Sachsen der NSDAP . zurückgeben werde.

Ich versichere weiter, daß ich jeden Abgeordneten, der einer solchen ehrenwörtlichen Verpflichtung auf Niederlegung seines Mandats im Falle der Forde rung der Parteileitung unter irgendwelchen Aus­flüchten usw. nicht nachfommt, als einen

ehrlosen Lumpen

betrachte, der damit nur beweist, daß er sein Mandat entgegen allen Vorwänden nur zum per­fönlichen Eigennuß erschlichen hat und infolge­dessen als

Betrüger an den Wählern

heute Dienstag, den 13. Dezember, handelte, die ihm sein Mandat gaben. abends pünktlich 19% Uhr,

in den Kammersälen, Teltower Str. 1/4. Parteimitgliedsbuch mit gleichlauten­der Funktionärkarte und das Ein­ladungsschreiben sind am Saaleingang zur Kontrolle vorzuzeigen. Der Bezirks­vorstand.

Ich erkläre mich schon jetzt als bindend damit einverstanden, daß diese meine Ueberzeugung gegebenenfalls veröffentlicht wird.

Von den nationalsozialistischen Abgeprd­neten ist also vor ihrer Wahl die Erklärung verlangt worden, daß sie unter Umständen als ,, ehrlose Lumpen" und Betrüger an den

Wählern" zu betrachten seien. Das läßt weitgehende Schlüsse zu auf den moralischen Zustand des Menschenmaterials, aus dem die NSDAP . ihre Volksvertreter" formt!

Und noch etwas verrät dies Kulturdoku­trauen", das die Nationalsozialistische ment. Es zeigt das überwältigende ,, Ber­Partei ihren eigenen Abgeordneten ent­gegenbringt. Die Dokumente, deren Aus­steller sich selber für gewisse Fälle im voraus moralisch badpfeifen, haben eine verzweifelte Aehnlichkeit mit den Blanko= wechseln, die gewisse Unternehmerorga­nisationen ihren Mitgliedern abverlangen, um sie im Falle des Ungehorsams hoch aus­gefüllt zu präsentieren. Das schwaßt nun dauernd in Versammlungen von deutscher Treue" und deutschem Manneswort". Dabei steht im Lager der Nazis die Treue so tief im Kurs, daß man nicht anders als durch Methoden, die schon bedenklich nach Erpressung riechen, sich gegen Treu­losigkeit sichern zu tönnen glaubt.

Ein SA.- Offizier

Einen armen Invaliden betrogen

Meineid geschworen

Das Schwurgericht Darmstadt verurteilte ben Nazisturmbannführer Valentin Krug aus Stockstadt wegen Anstiftung zum Meineid zu 2 Jahren Zuchthaus.

Krug hatte an Stelle seines erfrankten Vaters, eines Rechtskonsulenten, beim Arbeitsamt für einen alten Invaliden einen Rechtsanspruch vertreten, den armen Mann dann aber um die ausgezahlte Summe betrogen. Als der Inpa­libe Anzeige erstattete, veranlaßte Krug einen geistig nicht sehr regen Verwandten, den mitan­getlagten Schloffer Baul Zimmermann aus Biebesheim , unter Eid auszusagen, er sei zugegen gewesen, als er, Krug, dem Inpaliden das Geld ausgezahlt habe. Später geftand Zimmermann den Meineid ein, für den er jeẞt ebenfalls ein Jahr Zuchthaus erhielt.

Der Gesamtvorstand des Reichs­bundes deutscher Mieter meist in einer Eingabe an die Reichsregierung darauf hin, daß auf dem Gebiete der Wohnungswirtschaft unbe dingt etwas geschehen muß, wenn die Ver zweiflungsstimmung weiter Kreise nicht zur Entladung tommen soll. Eine Entschließung des Reichsverbandes enthält folgende Forde­rungen, die im wesentlichen die Reichstags= anträge ber Sozialdemokratie unter­ſtügen:

In erster Linie ist eine fofortige weitere Senfung ber mieten, insbesondere der Neubaumieten, zunächst auf die Höhe der Friedensmieten unbedingt notwendig. Ebenjo dringlich ist die schleunige Schaffung eines wirf samen Bollstreckungsschutes für die= jenigen Mieter, die infolge ihrer wirtschaftlichen Notlage die Miete nicht mehr in vollem Maße aufbringen fönnen.

Die Mieterschaft fordert ferner ben alsbaldigen Erlaß einer Notverordnung, durch welche das Reichsmieten gesez bas Mieterschutz­gesez und das Wohnungsmangelgefes infolge der andauernd steigenden Wohnungsnot über den 1. April 1933 hinaus verlängert werden. Der Zustand, daß vielen Mietern von den Haus­besizern unter Hinweis auf die kurz bevor stehende Beendigung des Mieterschutzes, uner. trägliche Bertragsbedingungen aufgezwungen werden, darf nicht länger

andauern.

Auch die Schaffung eines sozialen Miet- und Wohnrecht als Dauerrecht ist unauf­schiebbar geworden, weil die Mieter freigegebener Räume eines ermeiterten Mieterschuzes gleichfalls dringend bedürfen.

Schärfsten Brotest erhebt der Gesamtvor­stand des Reichsbundes deutscher Mieter noch­mals gegen die dem Hausbefiß gegenüber geübte Liebesgabenpolitit. Jetzt verlangt der Hausbesiz neue Millionengeschenke für Instand­ſchungen und die Ausdehnung des Steuergut­scheinsverfahrens auf die Hauszinssteuer. Dem gegenüber fordert die organisierte Mieterschaft die Einstellung der Liebesgabenpolitik und eine reichsgefeßliche Vorschrift dahingehend, daß die den Hausbesizern gegebenen Steuergut scheine den Mietern auf ihre Miet­zahlung angerechnet werden.

Eine entschiedene Förderung des Klein. wohnungsbaus ist zur Minderung der Ar­beitslosigkeit und zur Linderung der Wohnungs­not unerläßlich Dem Verfall der Häuser und der Wohnräume muß dadurch begegnet werden, daß der Hausbesiz durch wirksame reichsgejekliche Borschriften gezwungen wird, den in der Miete enthaltenen Anteil für Inst andlegungs. arbeiten mit jährlich rund 1 Milliarde Mart auch für diesen 3wed restlos zu verwenden.

Der Abbau der Hauszinssteuer zum alleinigen Nugen des Hausbesizes muß wieder beseitigt und der Entschuldungsgewinn des Hausbefizes restlos für die Swede ber Wohnungswirtschaft erfaßt werden. Liebesgaben an die Befizenden sind besonders unerträglich in einer Zeit, in welcher weite Kreise der besiglosen Bevölkerung nicht einmal das Notwendigste zum Leben haben.

Chefredakteur Kodelforn t. Der Chefredakteur der volksparteilichen Bachenschrift Erneuerung", langjähriger Herausgeber der Nationalliberalen Korrespondenz und vertrauter Mitarbeiter Streſse­manns, Gottfried H Kodeltorn, ist im Alter von 55 Jahren an Herzschlag gestorben.