Morgen- Ausgabe
Nr. 589 A 289 49. Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DONNERSTAG
15. Dezember 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 93f. Bezu sberingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß bes redaktionellen Teils
Wie der Barlamentsdienst der Telegraphen Union von deutschnationaler Seite hört, find die deutschnationalen Abgeordneten Dr. von Winterfeld und Bord vom Landtagspräsidenten Kerri zu einer Besprechung eingeladen worben, in der die deutschnationalen Abgeordneten von dem Wunsche der nationalsozialisti. schen Parteiführung unterrichtet wurden, die Deutschnationalen in eine in Preußen zu bildende Regierung einzubeziehen. Die deutsch nationalen Abgeordneten haben DON diesem Wunsche Kenntnis genommen. Im übrigen wird der Verlauf der Besprechungen vertraulich behandelt.
Zentrum sagt: neue Situation
Die Zentrumsfraktion des Preußischen Landtags trat am Mittwoch zusammen und nahm, wie von der Fraktion mitgeteilt wird zunächst die Berichte ihre Unterhändler über die in letzter Zeit mit verschiedenen Stellen über die Frage der Regie rungsbildung in Preußen geführten Besprechungen entgegen. Im Anschluß daran fand eine mehrstündige Aussprache statt. Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Das Zentrum martet das Ergebnis der
Berhandlungen ab die die Nationalsozialisten auf Wunsch Adolf Hitlers mit den Deutschnationalen eingeleitet und die eine neue Situation geschaffen hätten.
Die Abgesandten Hitlers haben sich zu den Deutschnationalen begeben Sie haben um die Gunst Hugenbergs gebeten und thin den Wunsch übermittelt, die Deutschnationalen in die preußische Regierung einzubeziehen. Ein richtiggehender Bürgerblod vom Zentrum bis zu den Deutschnationalen ist das Ziel. Alle Agitations reden der Nationalsozialisten gegen die Reaktion enden mit einer Berbeugung Dor Hugenberg.
Hugenberg soll helfen Er soll mit deutschnationalen Ministern die Berbindung zwifchen Breußentabinett und Reichskabinett herstellen. und damit die Nationalsozialisten vor dem direkten Eintritt in die Schleicher- Regierung bewahren Es ist selbst verständlich, daß in diesem Falle die Nationalsozialisten ein Tolerierungsversprechen im Reiche abgeben müßten. Es gäbe dann einen offenen Bürgerblod in Preußen und einen leicht verhüllten Bürgerblod im Reich.
Die Deutschnationalen legen fich run den Natio
Neue Verordnungen!
Winterhilfe
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Arbeitsbeschaffung- Republikschutz
Die mehrstündige Kabinettsfihung vom Mittwoch brachte als wichtigstes Ergebnis den Beschluß der Reichsregierung, die Tarifloderungsverordnung vom 5. September 1932 außer Kraft zu setzen. Damit ist den Wünschen des Reichsfages Rechnung getragen. In der Frage der Steuergutscheine sind irgendwelche weiteren Maßnahmen der Reichsregierung nicht be. absichtigt Die Winterhilfe wurde eingehend behandelt, aber die Beratungen noch nicht zu Ende geführt. Hier werden die zu
Die nächste Kabinettssitzung am Sonnabend wird sich in der Hauptsache mit der Winterhilfe befassen und mit einer Verordnung des Reichs präsidenten , die an Stelle des Republikschuhgesetes trift, das mit dem 31. Dezember abläuft sowie auch an die Stelle aller politischen Notverordnungen, seit dem 14 Juni 1932, die durch diese neue Berordnung erfjetzt werden sollen.
nalsozialisten gegenüber aufs hohe Pferd, und das ist begreiflich! Wenn Hitler thre Einbeziehung in eine preußische Regierung wünscht, so tönnen fie sagen: aber bitte, mir regieren doch in Preußen, mehr fönnen wir niemals erhoffen, als mir jetzt erhalten!
Herr Kerr ist zu den feinen Leuten" gegangen. Noch gestern höhnte die nationalfozialistische Provinzpresse in Wort und Karikatur über den Kuchenzwerg" und die deutschnationalen Reaktionäre. Das wird so schnell verstummen wie seinerzeit das Geschret gegen die romhörigen schwarzen Separatisten und Landesverräter".
Wo bleibt das Rettungsprogramm" Hitlers, wo sein Borschlag an den Reichspräsidenten , den der Angriff" täglich bis zum Erbrechen seinen Lesern vorsezt? Wie wäre es, wenn Herr Goeb. bels statt dessen fünftig die untertänigen Vorschläge Hitlers an Hugenberg veröffentlichen würde?
Eine ganz gewöhnliche Bürgerblodpartei, die einen Kuhhandel mit den schlimmsten Reaktio= nären im Hugenberglager anfängt das ist die NSDAP.! Was bleibt da von den geschwollenen Phrasen übrig?
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nächsten
eine zweite Befung a m Dienstag statt. Das Amnestiegesez tann deshalb in der Vollfizung am heutigen Donnerstag nom Reichsrat noch nicht verabschiedet werden. Eine neue Bollfigung, dann voraussichtlich die legte vor Weihnachten, ist für diesen Zmed für Dienstag abend in Aussicht genommen. Im Reichsrat besteht jedoch die feste Absicht, no ch rechtzeitig por Weihnachten die Entscheidung über die Amnestie herbeizuführen.
Der bayerische Ministerrat hat beschloffen, gegen das vom Reichstag angenommene Amnestiegesetz im Reichsrat Einspruch zu erheben. Um das zu verhindern, haben die Natio
ſtändigen Stellen für die nächste Kabinettsitzung Amnestie und Reichsrat nalsozialisten ihren schon vor Monaten im Land
am Sonnabend eine Verordnung ausarbeiten, die dann vermutlich sofort in Kraft gefeht wird.
Weiter wurde der Bericht des Reichsaußenministers über die Genfer Verhandlungen entgegengenommen und vom Kabinett gebilligt.
Eingehend erörtert wurde die organisatorische Gestaltung der Arbeitsbeschaffung. Der Aufgabenkreis des Reichskommissars für Arbeitsbes haffung wurde genau festgelegt. Er wird durch eine Berordnung des Reichsprasidenten in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Für die Arbeitsbeschaffung stehen 640 Millionen aus nicht begebenen Steuergutsteinen und 350 Millionen aus dem alten Arbeitsbeschaffungsplan der Regierung zur Verfügung. Zu dieser Milliarde soll noch eine weitere halbe Milliarde erst beschafft werden. Innerhalb des Reichs kabinetts foll ein Ausschuß für Arbeitsbeschaffung gebildet werden, dem der Reichskommissar Dr. Gereke seine Anregungen gibt. Ein weiterer Ausschuß im Kabinett wird sich im besonderen mit der Siedlung und der Osthilfe befassen. Er soll unter Leitung des Reichsernährungsministers stehen.
Die Einführung des Werkjahres für Studenten zum 1. April 1933 wurde abgelehnt, da die technischen Borbereitungen dafür noch nicht gegeben sind Man will versuchen, die Studenten nach Möglichkeit in den freiwilligen Arbeitsdienst einzugliedern.
Entscheidung auf Dienstag vertagt
Die Reichsrats- Ausschüsse berieten am Mittwoch unter Borfiz des Reichsjustizministers Dr. Gürtner das vom Reichstag mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossene Amnestie gesez. Eine endgültige Entscheidung fonnten die Ausschüsse jedoch noch nicht fällen, es findet vielmehr
tag eingebrachten, bisher aber noch nicht erledigten Amnestieantrag für das Gebiet des Freistaates Bayern wieder aufgenommen. Der Landtag wird diesen Antrag am Donnerstag mit den Stimmen der Sozialdemokraten, Rommunisten und Nationalfozialisten annehmen und der Geschäftsregie rung Held damit das Recht absprechen, im Reichsrat gegen das Amnestiegesez Einspruch zu er heben
Die chinesische Delegation beim Bölkerbund gibt bekannt, daß in der Mandschurei vom 18. September 1931 bis zum 5. Dezember 1932 von den Japanern 12 026 3ivilpersonen, 20 214 Soldaten, 390 Polizisten und 25 618 Freiwillige getötet worden find, insgesamt 58 248 chinesische Staatsbürger.
Japanische Hetze gegen Rußland Tofio, 14. Dezember.
Bei einer Pressebesprechung äußerte ein Vertreter des japanischen Außenministeriums, daß die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen
zwischen Rußland und China die japanische Deffentlichkeit befremde. Die Bereitwilligkeit Chinas , seine diplomatischen Beziehungen mit Rußland wiederherzustellen, sei geradezu unver ständlich und werde China noch teuer zu stehen tommen. China habe damit eine große Chance aus der Hand gegeben, die zu einer Aenderung der Haltung der Großmächte(!) Der gegenüber China hätte führen fönnen. Redner kritisierte in scharfen Worten die Er flärung Litwinoms zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und betonte, daß Japan sich dadurch bedroht fühle.
Das japanische Kabinett beschloß die russisch japanischen Richtangriffsverhandlun= japanischen nichtangriffsverhandlun gen auf unbestimmte Zeit zu vertagen.
Schule in Gefahr!
Soll das Aufbauwerk zerstört werden?
In Berlin gehen täglich über 360000 Jungen und Mädchen in die städtischen Schulen. Eltern und Lehrer dieser jungen Menschen sind in den letzten Tagen in höchstem Maße neu beunruhigt worden durch Nachrichten, nach denen die zuständigen staatlichen Stellen einen neuen Anschlag auf das Berliner Schulmesen planen. Man befürchtet allgemein eine neue Herauffezung der Klassenfrequenz und damit einen neuen Massenabbau des Lehrpersonals.
Mit allem Nachdrud wollen wir deshalb schon jetzt, wo das Machtwort der preußischen Kommissare noch nicht gesprochen ist, auf die schweren Gefahren hinweisen, die dem Berliner Schulwesen aus den geplanten staatlichen Anordnungen erwachsen. Ein Stellenabbau von 1100 Lehrkräften war der Stadt Berlin schon früher auferlegt worden. Es war daher in den letzten zwei Jahren unmöglich geworden, jungen Lehrern, die schon sechs bis zwölf Jahre im Dienste der Stadt stehen, zur Anstellung zu verhelfen. Dieser rigorose Lehrerabbau wird mit Ablauf des Etatjahres durchgeführt sein.
Aber schon erwächst der Schule die neue Gefahr, daß vom grünen Tisch aus eine weitere Erhöhung der Klassenfrequenz verfügt wird. Es muß anerkannt werden, daß die Reichshauptstadt in dem Bemühen, die Klaffenfrequenz niedrig zu halten, vorbildliche Arbeit geleistet hat. Doch bereits die Notzeit der letzten Jahre zwang dazu, die Durchschnittszahl der Schüler in den einzelnen Klassen zwischen 34 und 38 zu halten. Kaum eine andere Stadt in Preußen dürfte auch in so hohem Maße Junglehrer einberufen haben wie Berlin . Trotzdem warten hier noch immer 900 Junglehrer auf Einstellung. Der Staat sollte endlich diese Arbeitskräfte der Allgemeinheit dadurch dienstbar machen, daß er ihnen in der Provinz die Möglichkeit praktischer Betätigung gibt.
Das hervorstechendste Merkmal des Ber liner Schulwesens ist der dauernd anhaltende Rückgang der Schülerzahl. Die Gründe dieser Entwicklung liegen in dem Geburtenrückgang und in der Rückwanderung von Berlin in die Provinz. Nun ergibt sich schon bei einer feststehenden Frequenz von 40 die Unmöglichkeit, neue Lehrkräfte einzustellen. Es soll ruhig zugegeben werden, daß selbst eine Durchschnittsbelegung der Klassen mit 40 Schülern unter dem Landesdurch
schnitt bleiben würde. Berlin nimmt aber auch im Schulwesen eine ganz besondere Stellung ein. Der kinderarmen City steht die große Zahl der eingemeindeten Vororte gegenüber, die zum Teil noch ländlichen Charakter tragen Weiter macht es die Trennung in evangelische, fatholische und weltliche Schulen unmöglich, die Klassenfrequenz Schematisch auf 40 hinaufzuschrauben. Praktisch würde die Festsetzung einer Durchschnittsfrequenzzahl von 40 bedeuten, daß in sehr vielen Klassen 42 bis 45 Schüler vorhanden wären. Es würden sich auch technische Schwierigkeiten einstellen, da viele alte Schulgebäude viel zu kleine Klassenzimmer aufweisen.
es
Alle Gegenwartssorgen dürfen nicht vergeffen lassen, daß das neue Berlin auch im Schulwesen Außerordentliches geleistet hat: wurden dreißig neue Schulgebäude errichtet und mehrere Schulen durch Umbauten vergrößert und moderner gestaltet. Wer in Berlin weiß auch, daß es gelang, 110 neue Turnhallen zu schaffen? Die Behauptung fommunalfeindlicher Kreise, daß hier Lurus getrieben worden sei, ist durch die Untersuchung objet