ZWEITE BEILAGE
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Zwei Lebende
Vorwärts
Toter
und an
Der Junge beugte sich vor, bohrte den Kopf zwischen Vaters Hals und Schulter und preßte mit seinen Aermchen die beiden Gesichter dicht und dichter zusammen. ,, Ja, Bati", sagte er ,,, ja.
In diesem Augenblid erfaßte Berger, welch grenzenloses Glück ihm widerfah
ren war.
Die Mutter fam erst nach Hause, als die Uhr schon neun geschlagen hatte. Da hatten Berger und der Junge schon zu Abend ge= geffen. Dann war der fleine Kerl zu Bett gegangen und Berger hatte sich in nervöser Unruhe umhergetrieben. Ein übers andere Mal hatte er nach der Uhr gesehen. Und als es endlich flingelte ging er in einer fast unerträglichen Sparnung hin, um aufzu machen.
Sie war es. Ihr Gesicht war blaß, aber an den roten Rändern um die Augen konnte er sehen, daß sie geweint hatte. Sie sagte fein Wort. Sie sah ihn nur lange und fragend an. Dann ging sie ihm voran in die Diele.
Dort wartete er beflommen, während sie Hut und Mantel abnahm. Er half ihr dabei und hängte die Sachen weg. Immer noch sprach sie kein Wort, atmete nur schwer, faſt stöhnend. Dann bückte sie sich, um die Gummischuhe auszuziehen, während er noch immer hilflos dabeistand.
Als sie endlich fertig war, richtete sie sich auf, und nun standen sie da in der halbdunklen Diele und sahen einander an. ,, Hast du auf mich gewartet?" ,, Nein. Oder doch das heißt- Er zögerte, aber seine Lippen zitterten etwas zu sehr.
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Ich konnte nicht früher weg. Ich wollte bleiben, bis sie vom Krankenhaus zurückkam."
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Da wurde fein Blick gespannter. Sie war dort? Was haben sie gefagt?. gefagt? Lebt er noch?" Das legte tam mit leiser, scheuer Stimme
,, Ja. Aber sie ist nicht zurückgekommen. Sie darf die Nacht dort bleiben."
,, Und Georg?"
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,, Esthers Mutter ist gekommen. Sie bleibt die Nacht bei dem Kinde. Der arme, arme fleine Rerl." Und ganz hingenommen preßte sie ihr Gesicht in die Hände und weinte.
Berger stand da, völlig vernichtet, ohne zu wissen, was anfangen. Er ranq nervös die feuchten Hände und sah seine Frau immerfort an, während es in ihm fämpfte. Auf einmal aber glitt alles von ihm ab. All die Unruhe und die Not, die Angst und die Spannung, und er streichelte ihr fanft übers Haar. Dann sagte er leise: ,, Mich hätte es auch treffen fönnen."
Noch ein paarmal streichelte er sie und es war ganz stille um sie. Dann hob sie das Gesicht zu ihm auf und sagte mit einer schmerzlichen Innigkeit, die ihn erschütterte: ,, Meinst du, ich hätte daran nicht auch gedacht?"
Da fragte er fast gierig: ,, Hast du?" Und er hielt ihr nasses Gesicht mit heftigem Griff zwischen seinen schweren, zitternden Händen, bog es zu sich empor und sah es an, fragend, als ainge es ums Leben.
,, Ja, Erik!- Ja!- Du magst es glauben oder nicht, aber ich habe Gott gedankt, daß du's nicht warst! Du mußt das verstehn.- Mein Gott wenn du's gewesen wärst! Dent doch nur, ich und der Junge."
Da war es als ob etwas in ihm erlosch, und er schluq die Augen nieder. Eine bittere Scheu flog über sein Gesicht.
,, Und ich?" jagte er leise Dann erschauerte er wie im Frost, wandte sich ab und ging hinein.
Etwas Armieliges lag über ihm, das sich ihr ins Gewissen bohrte. Heute heftiger als sonst. Und sie ging ihm nach, schmiegte sich von hinten an ihn und schlang ihren Arm um seinen gesenkten, enttäuschten Nacken.
,, So habe ich es doch nicht gemeint", sagte sie. Daß du tot wärst, das wäre ja das aller-, allerfurchtbarste. Das kannst du dir wohl denken."
Etwas später erzählte Berger mit wenigen Worten, was geschehen war. Helene hörte ihm bleich und mit großen Augen zu. Als er fertig war, ging sie ins Schlafzimmer und füßte das Kind zur guten Nacht. Das tat fie mit einer so brennenden, angstvollen Hef= tigkeit, daß der Kleine fast davon aufge= macht wäre. Er grunzte im Schlaf, knirschte
ein bißchen mit den Zähnen und drehte sich energisch nach der Wand.
Ein paar Minuten stand sie so mit nassen Augen und sah ihn an, voller Grauen, voller Mitleid mit einem andern fleinen Jungen, und voll schmerzlichen, dankbaren Glüdsgefühls, weil Gott ihren eignen verschont hatte.
Dann ging sie zurück ins Eßzimmer, wo Berger sich noch immer rastlos umhertrieb, noch völlig außer Fassung. Sie fauerte sich auf das Sofa, warf sich einen Schal über und machte sich so klein wie möglich, während sie fröstelnd dem langsamen Hin und Hergehen des Mannes von Stube zu Stube folgte.
Sie war bei Frau Quisthus gewesen, als die Botschaft gekommen war. So war sie die erschütterte Augen- und Ohrenzeugin der
Paul F. Schmidt:
Zu seinem 200. Geburtstag
Carl Gotthard Langhans d. Ae. wurde am 15. Dezember 1732 in Landeshut in Schlesien geboren und hat bis 1788 in Schlesien als Architeft, seit 1775 als preußischer Kriegs- und Oberbaurat gewirkt. Er gehört zu den Baumeistern, die den Klassizismus im Kampf gegen barocke Formbewegtheit zum Sieg führten, als Ausdrud einer durchaus bürgerlichen Gesinnung, die das feudal eingestellte Barockwesen abgelöst hat. Seinen Charakter als Bahnbrecher erkennt man flar schon an seinem ersten Monumentalbau, dem Hazfeld- Palais in Breslau , das er 1766 bis 1773 erneuerte. Gegenüber der sehr bewegten und pomphaften Fassade des ursprünglichen Baues bedeutet die seine eine grundsätzliche Umkehr zu horizontal gelagerten und in der Fläche beharrenden Ruhe der architektonischen Gliederung, die in jener Zeit wie ein revolutionäres Programm wirkte. Noch viel stärker trat sein Modernismus bei der ehemaligen Zuckersiederei, dem jezigen Proviantamt in Breslau ( 1771) zutage. Die absolute und schmucklose Zweckdienlichkeit dieses tubischen Riefenbaus scheint an Probleme unserer Gegenwart unmittelbar zu rühren.
Vielleicht aber war Langhans zu früh geboren: Seine Sehnsucht galt einer Zukunft von reinster Formklarheit im bürgerlichen Zweckfinn; in ihrem Geist hatte er 1771 die Zuckerfabrik er richtet. Zugleich aber blieb er doch ein Sohn des 18. Jahrhunderts und seiner durchaus noch aristokratischen Schmuckfreudigkeit. So ist es nicht verwunderlich, daß er nicht nur bei den Adelsfizen und Theatern seiner Frühzeit, sondern auch nach seiner Berufung als Oberhofbaurat nach Berlin 1788 in einem Zwischenstadium beharrte, das mit dem Streben nach klassizistischer Einfachheit der Form, nach glatten Mauern, griechischer Klarheit und Ebenmäßigkeit des Raumgefühls einen Reichtum dekorativer Formen verband, der in seinem Wesen noch den Geist des Rofofo atmete. Solcher Art sind namentlich das Belvedere im Charlottenburger Schloßpart und die Inneneinrichtung des Marmorpalais in Potsdam . So wird man seine beiden in Berlin an hervorragender Stelle stehenden Werke. auch aus dem geistigen Konflikt eines Bahnbrechers und Uebergangskünstlers zu beurteilen haben, den Marienturm und das Brandenburger Tor . Grundgesetz des deutschen Schaffens in den Jahrzehnten um 1800 ist die 3wiespältigkeit der Romantik, die Erfüllung ihrer revolutionären Zu funftsträume im Anschluß an vergangene Lebens formen suchte. Langhans folgte nur dieser zwingenden geistigen Haltung, wenn er den Ausbau des Marienkirchturm's( 1787) in einer so wunderlichen wie geistvollen Verquidung klassischer und gotizistischer Formen durchführte: die schönste und originellste Ergänzung eines mittelalterlichen Baues, die es gibt, durchaus im Sinne schöpferischer Weiterbildung und darum genial zu nennen.
Nicht anders ist sein Hauptwerf zu beurteilen, das 1789 bis 1794 erbaute Brandenburger Tor mit der herrlichen Quadriga und den andern viel zu wenig bekannten Nischenfiguren und Reliefs von Gottfried Schadow . Das Vorbild dieses Meisterwerfs sind eingestandenermaßen die Propyläen der Akropolis zu Athen . Aber
Wirkung gewesen. Erst jezt, eine halbe Stunde später, als sie wieder etwas im Gleichgewicht war, konnte sie erzählen.
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Berger hatte sich zu ihr gesetzt. Er saß rittlings auf einem Eßzimmerstuhl und packte die Stuhllehne fest mit beiden Händen. Und doch ergriff ihre Erzählung ihn nicht so, wie er geglaubt hatte. Wohl machte es Eindruck selbstverständlich machte es Eindruck von den verzweifelten und trauernden Hinterbliebenen zu hören. Aber er selber hatte Schlimmeres erlebt. Einen viel heftigeren Eindruck. Er hatte den armen ver= stümmelten, sterbenden Quisthus gesehen- mit dem Gesicht am Boden und das Blut, das durch das hellblonde Haar sickerte und wie sie ihn dann umdrehten die halbzerschmetterte Stirn.
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Herr des Himmels war es denn nicht Quisthus, der sterben sollte? Er, ganz allein nur er war wichtig. Wenigstens heute. Später würden wohl auch die anderen dafür bluten müssen. Sie aber lebten! Wenn sie auch litten. Und ihr Leid würde die Zeit schon lindern. Aber Quisthus der mußte sterben!
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Er war aufgeftanden und balancierte mit dem Stuhl Sein Gesicht war vor Erregung weiß, die grauen Augen quollen ein wenig hervor und das glatte dunkle Haar war durch die unruhigen Handstriche in Unordnung geraten.
Helene sah ihn an, bang und ein wenig erstaunt. Was fehlt dir? Ist dir nicht wohl?
"
Langhans hat das große Vorbild in einem volltommen romantischen und also neuzeitlichen Sinne umgestaltet. Es ist zugleich Blickpunkt der großen Achse der Linden, die vom Schloß ausgeht, und Abschluß der Stadt gegen das Land( in Gestalt des Tiergartens); zugleich Hauptakzent des foftbaren Vierecks des Pariser Platzes und Symbol
Herbert Leftiboudois:
DONNERSTAG, 15. DEZ. 1932
Du solltest dich hinlegen. Du kannst die Gemütsbewegung nicht vertragen."
Er schüttelte energisch abweisend das bleiche, verzerrte Gesicht. Mir fehlt nichts, mir geht's bloß nach, daß für dich die Hauptsache ist, was trop allem nur Nebensache ist. Quisthus ist der Betroffene- er ist es, der heute nacht sterben muß Ja, vielleicht ist er schon tot. Er ist hin Wir andern alle, wir leben. Er aber ist nicht mehr. Das ist es, was mich erregt. Heute nachmittag war er noch. Wir lachten und schwazten miteinander. Jetzt aber ist er nicht mehr. Ist ganz einfach nicht mehr!"
Sie verstand ihn, aber sie widerstrebte im Namen der andern. ,, Und die andern?" sagte fie, sind die denn gar nichts? Denk dran, was die durchmachen müssen. Kannst du dich denn gar nicht in die hineindenken? Der arme, arme Quisthus! Aber der stirbt ja doch, der hat nur noch diese eine Nacht zu leiden. Aber die, die zurückbleiben, was werden die nicht zu erleiden haben. Kannst du das denn nicht fassen?"
,, Doch", antwortete er heiser. ,, Doch.- Aber ich weiß auch, daß der Schmerz sich gibt, daß er wenigstens leiser wird. Ich weiß, daß sie noch Jahr um Jahre. Tag um Tage vor sich haben. Daß sie noch Freuden und Beglückungen zugute haben. Daß sie Stunden erleben werden, wo sie lachen und scherzen werden, ohne daß ein einziger leiser Gedanke an den Toten ihnen das Lachen trübt."
( Fortsegung folgt.)
der Reichshauptstadt, Meisterstüd einer schöpferischen Stadtbauphantasie. In dem strengen und edlen Klassizismus seiner Säulen und Attika birgt sich die romantische Hochspannung einer Zeit, die es verstand in Nachahmung antifer Formen ihr eigenes Gegenwartsgefühl finnvoll, plastisch und symbolisch auszudrücken.
Die phantastische Elendsstadt
Zehntausend Lichter erzeugen taghellen Glanz. Zehntausend Freuden vollführen phantastischen Tanz. Und Hamburgs nächtlicher Himmel strahlt magischen Schein
bald leuchtend wie Phosphor, bald schimmernd wie blutroter Wein. Gerüste ragen seltsam gespenstisch empor.
Zehntausend Geräusche rasen und hämmern ins Ohr. Zehntausend
Menschen kommen und gehen im rastlosen Strom-: das ist der Hamburger Dom !
Das ist der Hamburger Dom , wie die lüsterne Weit
ihn wünscht und ihn sehen will für eine Tasche voll Silbergeld, das sie hingibt an Glücksräder, Zauberbuden, Achtbahn und Karussell. Leben will sie und Lachen, das brausend und hell sich über romantisch geputzte Domgassen schwingt und von schlafenden Häusern Im Hintergrund widerklingt. Das ist, was die Welt für ihr Geld verlangt
einen Dom, der wie sie in Betrunkenheit schwankt!
Und er tut es gefällig wie eine Dirne, dieser jährliche Dom-: er taumelt betrunken wie der betrunkene Menschenstrom. Gewährt, was er kann und ,, was euch gefällt"... für die mit den Taschen voll Silbergeld.
Eine scheußliche Lache ist Nacht für Nacht sein Gesicht, das er aus Geschäftsgründen macht.
Die Not der Zeit läßt ihn den Harlekin der Weltstadt sein; denn davon lebt er allein!
Zehntausend Lichter täuschen taghellen Glanz.
Verhungerte Elendsgestalten tanzen phantastischen Tanz. Elendsgestalten unten im Publikum und oben im Schaustellerhaus. Not, Kohldampf und Gier sieht ihnen zum Knopfloch heraus. Die einen, auf hölzerner Bühne, müssen sich grinsend prostituieren, und gegen Eintritt falsche Erotik, verlogenen Kitsch produzieren; die andern, unten im Publikum, frierend und ohne Geld,
die stehen und warten darauf, daß eine Bratwurst vom Budentisch fällt...
Aber nur selten rollt eine Bratwurst einer lungernden Elendsgestalt in den Schoß. Und die Mädchen und Männer auf hölzerner Bühne markieren Erotik bloß, weil sie davon leben. Im Herzen sind sie längst abgestorben und tot. Was hinter Seidenflittern und Purpurmänteln schreit, ist nackteste Sorge um Fressen Amüsier dich, entfesselter Bürger, amüsier dich am laufenden Band! Für dich bleibt der Dom ein phantastisches Zauberland, das dir dient, dich vergnügt, dein Gemüt unterhält für eine Tasche voll Silbergeld.
Es ist gut, daß du nur die Fassade siehst,
und dein Geld ohne Hemmung in die Kassen der Schausteller fließt, und aus der Schaustellerkasse in die Angestelltenhand, und aus der Angestelltenhand hinter die Magenwand. Das alles ist qut. Denn der Dom lebt von dir allein. Durch deine Freude am Prostituiertendasein
[ und Brot.
wird manche ,, Schönheit des Orients", mancher ,, Kraftmensch" und manche ,, Königin für einige Wochen über den lausigsten Hunger hinweggebracht.
Zehntausend Lichter täuschen taghellen Glanz. Zehntausend Freuden tanzen phantastischen Tanz.
Und Pamburas nächtlicher Himmel strahlt manischen Schein bald leuchtend wie Phosphor, bald schimmernd wie blutroter Wein. Das ist der Hamburger Dom , wie die lüsterne Welt
ihn wünscht und ihn sehen will für eine Tasche voll Silbergeld. Das ist, was der entfesselte Bürger fürs Geld verlangt einen Dom, der wie er in Besoffenheit schwankt!
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[ der Nacht"