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ERSTE BEILAGE

Vorwärts

FREITAG, 16. DEZ. 1932

Tumultszenen im Stadtparlament

Eine kommunistische Aktion: Frauen stürmen in den Sitzungssaal

In der Berliner Stadtverordnetenver­sammlung, die eine nur knappe Tages­ordnung zu erledigen hatte, kam es gestern zu Tumultszenen, wie man sie selbst im Berliner Rathaus noch nicht erlebt hat. Während der Beratungen drang plötzlich eine Anzahl Frauen in den Sigungssaal. Die Frauen stürmten gegen das Rednerpult vor und begannen An­sprachen zu halten. Soviel man in dem allgemeinen Lärm, der alsbald entstand, bernehmen konnte, handelte es sich um Frauen, die sich unter der tatkräftigen Mithilfe kommunistischer Stadtverordnes ter zu Sprecherinnen der Erwerbslosen gemacht hatten. Sie verlangten die Liefe­rung von Kartoffeln, Kohlen und warmer Kleidung. Der Vorsteher war gezwungen, die Situng zu unterbrechen.

Geraume Zeit vorher hatte man schon kommu­nistische Stadtverordnete mit den sich anmeldenden Besuchern verhandeln und debattieren sehen. Die ganze Aktion war bestellte Arbeit, so wie die Stadtverordnetenversammlung schon öfter solche Demonstrationen über sich hat ergehen lassen müssen. Kommunistische Stadtverordnete unterstützten die Demonstranten dadurch, daß sie fie auf die sozialdemokratischen Magistratsmit­glieder besonders aufmerksam machten mit dem Hinweis darauf ,,, daß es der Kämmerer Asch und der Bürgermeister Lange wären", die für die Not der Erwerbslosen verantwortlich zu machen seien.

Die Schredensanträge

Staatsanwalt im Felseneck- Prozeß

Die ungeheuerlichen Strafanträge im Felsened prozeß fönnen nicht stillschweigend hingenommen werden; sie waren nur möglich, weil der Staatsanwalt in seinem Anklagepathos im Falle Felsened jeden Wirklichkeitsjinn verloren hat. 90 Jahre Zuchthaus; davon allein 68 Jahre Zucht­haus für den erstochenen Nationalsozialisten Schwarz! Rufen wir uns deshalb die Ereignisse jener blutigen Nacht in aller Kürze ins Ge dächtnis zurüd.

Nach Beendigung einer Versammlung marschiert

Daß aber die Notverordnungen der deutschnatio­nalen Regierung Papen den Erwerbslosen die schon geringen Unterstützungen noch unerhört ver= türzt haben, das übersahen die Demonstranten sowohl wie die kommunistischen Stadtverordneten mit Fleiß. Schließlich gelang es dem Vor­steher a ß, die Eindringlinge durch gutes 311­reden zum Verlassen des Saales zu bewegen. Später empfing dann Bürgermeister Lange eine Abordnung, die ihm ihre Wünsche vortrug.

In einer Ausschußsizung war gestern darüber verhandelt worden, wie man den Erwerbslosen billige Kartoffeln zukommen lassen kann. Von den Stadtgütern stehen einige hundert­tausend Zentner Kartoffeln zur Verfügung, die aber der Magistrat bei der unerhört angespannten Finanzlage nicht fostenlos abgeben kann. Die fozialdemokratischen Mitglieder des Ausschusses beantragten daher, daß der Magistrat prüfen solle, ob er diese Kartoffeln nicht zum Selbst­kostenpreis an die Erwerbslosen abgeben kann. Der Magistrat wird diesem Verlangen sicher nach­kommen, so daß in türzester Zeit die Erwerbslosen zu billigen Kartoffeln tommen werden.

Daß es den Kommunisten mit der Not der Erwerbslosen nicht ernst ist, daß sie im Gegen­teil mit der ungeheuren Not nur eine billige Agi­tation betreiben, beweist ihr Verhalten bei dem dann verhandelten Tagesordnungspunkte. Es handelte sich um die Zustimmung zum Verkauf von Bauland in Steglig. Hier sollten nach den Dispositionen des vorberaterden Ausschusses so­fort 240 Wohnungen gebaut werden, die etwa 500 Bauarbeitern einschließlich der dabei notmen­

deshalb Zuchthausstrafen beantragt und so den ungeheuerlichen Strafantrag zustande gebracht. Diese juristische Konstruktion, mag sie formell richtig sein, ist psychologisch eine pure Unmöglich­feit. Wie sollte nachgewiesen werden, daß sämtliche elf Angeklagten den Borsaz gehabt haben, Schwarz zu töten? Das Gericht wird den Anträgen des Staatsanwalts nicht stattgeben, es wird unter feinen Umständen elf Angeklagte auf

viele Jahre ins Zuchthaus schiden fönnen. Es wäre aber besser, wenn diese ungeheuren Straf anträge unterblieben wären.

die SA. in Stärke von etwa 150 Mann unter Verfahren gegen Dr. Huth

Polizeibegleitung nach Hause. Sie macht dabei den durchaus unnötigen Umweg über die fom­munistische Kolonie Felfened. Die Kommunisten haben am fraglichen Abend die Nachricht erhalten, daß gegen die Kolonie etwas geplant sei. Die Kolonisten werden aus dem Schlaf geläutet, es tommt zu Zusammenstößen. Als erster fällt, von einem Schuß getroffen, der Kom= munist Klemke. Bald darauf liegt auch der Nationalsozialist Schwarz mit tötlichen Stichen da. Es werden mehr Kommunisten als National­fozialisten verhaftet. Während der Verhandlung läßt der Staatsanwalt gegen die National­sozialisten die Anklage wegen Totschlags fallen, hält sie gegen die Kommunisten aufrecht. Wer der Messerstecher war, konnte nicht festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb elf Kom­munisten, die am Raushandel beteiligt waren, die Schuld an dem Tod des von einem einzigen Täter Erstochenen zugeschoben, gegen alle elf

Seine Komplizin flüchtig

Im Zusammenhang mit dem im März d. J. er= folgten Konkurs der Firma ,, Signalba u- Huth" ist von der Staatsanwaltschaft I gegen Dr. Erich Franz Huth, gegen die gleichfalls an dem Unternehmen beteiligte Frau Erika Neuner und gegen einen weiteren Mitarbeiter der Firma ein Verfahren wegen Untreue und Kontursvergehens eingeleitet worden.

Huth soll der mit ihm befreundeten Frau Neuner aus Betriebsgeldern die runde Summe von 1 Million Mart verschafft haben, mit der Frau Neuner nach der Schweiz geflohen ist. Wegen dieser Angelegenheit ist gegen sie Stedbrief erlassen worden, ohne daß bisher ihr Aufenthalts­ort ermittelt werden konnte. Dr. Huth liegt augenblicklich infolge eines Nervenzusammenbruchs im Krankenhaus.

digen Nebenberufe für die Saison Arbeit gegeben hätten. Alle Fraktionen der Versammlung waren sich in der Bewilligung des Verkaufs einig. Nur die kommunistische Fraktion erhob gegen die fo= fortige Berabschiedung der Vorlage Einspruch. Es ist also festzustellen, daß dieselben kom­munisten, die vorher von den Erwerbslosen die Demonstration aufführen ließen, die so­fortige Beschäftigung von 500 Bauarbeitern verhinderten!

Ehe die abschließende Beratung stattfinden kann, werden sechs bis acht Wochen ins Land gehen. Stadtverordneter Loewy( Soz.) hielt den Rom­munisten vor, daß sie zwar schlechte Theatervor­stellungen arrangieren könnten, daß sie aber nicht in der Lage sind, Arbeit für die Erwerbslosen zu schaffen. Die Kommunisten haben sich das gleiche Verbrechen an den Erwerbslosen schon einmal im Sommer vergangenen Jahres gestattet. Damals handelte es sich um die Fortsegung des Baues des Arbeitsamts Südost in Neukölln, wobei sie die Bewilligung der Mittel für den Weiterbau in der Stadtverordnetenversammlung verhin derten. So sieht die Hilfe der Kommunisten für die Erwerbslosen in der Pragis aus.

Die Vorlage des Magistrats wegen der Sen­fung der Standmieten in den Zentralmarkt­hallen wurde angenommen, ebenso auch die be= kannte Vorlage, die den Oberbürgermeister er= mächtigt, mit dem Magistrat und den zuständigen Deputationen Berhandlungen zur Serbei­führung einer Prolongation früher aufgenommener Anleihen zu führen. Schluß der Sitzung gegen 20% Uhr.

Mit Salmiak geblendet

Portier Schulze gegen alle

In einem Hause im Norden Berlins tobte er= bitterter Kampf zwischen dem Portier Schulze und seinen Mietern. In gänzlicher Berkennung seiner. Pflichten und seiner eigenen Interessen bedrohte Schulze die Mieter und wurde jogar tätlich; auch seine Kinder mischten sich in den Streit. Besonders schlimm ging es zwischen dem Portier und dem Mieter Klein zu.

Den Anlaß zu dieser erbitterten Feindschaft bot eine Beschwerde beim Hauswirt: Der Trocken­boden möge endlich einmal tüchtig gesäubert werden. Wat, den Trockenboden soll id reene machen? Seit 25 Jahren is da nich uffjeräumt worden!" Frau Klein erhielt von Frau Schulze einen Stoß, daß sie zu Boden stürzte. Als Herr Klein in seiner Speisekammer war, warfen Schulzes Kinder einen Stein durchs offene Fenster. Frau Portier Schulze stand breitbeinig da und lachte. Immer wieder flingelt es an der Tür der Kleinschen Wohnung. Wenn man nachschaute, war niemand da. Hin und wieder klebte an der Tür ein Zettel unflätigen Inhalts, befestigt mit einem unaussprechbaren Klebestoff. Auch sonst klebte bald dies, bald jenes an Mieter Kleins Tür, das eigent­lich an eine ganz andere Dertlichkeit gehört.

Silvester brachte die Katastrophe. Frau Klein erhielt eine Karte, deren Inhalt sie als Beleidi­gung empfand. Der Schreiber fonnte niemand anders als der Portier sein. Sie schickte die Karte zurück; fie landete wieder bei ihr. Sie schickte sie zum zweitenmal zurüd. Zwischendurch scheuerte

fie die Wohnungstür tüchtig mit Salmiak. Da machte sich schon wieder jemand am Schliz zu schaffen. Frau Klein füllte eine Tasse mit Salmiat und goß den gefährlichen Inhalt durch den Briefschlitz. Im selben Augenblid ertönte ein Aufschrei, Frau Schulze hatte die ganze Flüssigkeit ins Gesicht bekommen. Sie büßte das eine Auge ein. Frau Klein mußte aber vors Geficht wegen gefährlicher Körperverlegung.

So gab es vor der Strafkammer des Land­ gerichts III eine endgültige Abrechnung zwischen Mieter und Portier. Man kann wohl sagen: Alle Mieter gegen Portier Schulze. Frau Schulze behauptete aber, die Neujahrskarte sei von Frau Klein gewesen, sie habe ihr die Karte zurückgeschickt, sie wiederbekommen, und, als sie gerade dabei war, die Karte zum zweitenma! in den Kleinschen Briefschlitz zu stecken, sei sie von der äzenden Flüssigkeit getroffen worden. Frau Klein erhielt 5 Monate Gefängnis. Nach Ver= büßung von drei Monaten, soll ihr auf den Rest eine Bewährungsfrist zugebilligt werden.

Denkschriftohne Antwort

Kritik an der Tiefbauverwaltung

Einige technische und wirtschaftliche Sachverstän­dige hatten auf Wunsch des Oberbürgermeisters vor einem halben Jahr ein Gutachten über die Stadtentwässerung in Berlin ausge­arbeitet. Seltsamerweise hat die Verwaltung dieses Gutachten der Oeffentlichkeit bisher vorenthalten. Es scheint jetzt, als ob die Geheimhaltung ihren besonderen Grund darin hat, daß in der Denk­schrift schwere Angriffe gegen die Tiefbau­verwaltung enthalten find.

In dem Gutachten wird Kritik sowohl an der Personalpolitik wie auch an den Auf­wendungen der Tiefbauverwaltung geübt. Nach Ansicht der Sachverständigen ist die Tiefbau­verwaltung im Berliner Magistrat personell über­besetzt. Es wird weiter in zahlreichen Fällen die Aufstellung von Rechnungen bemängelt und fest­gestellt, daß am Tage der Prüfung rund 40 Bau­stellen aus dem Jahre 1929 noch nicht endgültig abgerechnet waren. Auch die Verbuchungen der Kosten größerer Bauvorhaben, so besonders der Kläranlage Stahnsdorf, sollen nicht forrekt vor­genommen worden sein. Schließlich wird bei einer Prüfung der Denkschriften des Stadtbaurats Hahn aus dem Jahre 1928 festgestellt, daß nach Ansicht Stadtentwäfferung für notwendig erklärt werden, der Sachverständigen die Summen, die in der weit geringer zu veranschlagen find.

Die Deffentlichkeit darf verlangen, daß die Ber­ liner Stadtverwaltung umgehend die Einzelheiten des Gutachtens befanntgibt.

100 000 Mark gezogen

Am Donnerstagnachmittag wurde in der dritten Klasse der Preußisch- Süddeutschen Klassenlotterie der 100 000- Mart- Gewinn gezogen. Er fiel auf das Los Nr. 135 845.

Dienstjubiläum im Rathaus. Bürodirektor Paul Hesse, der Dienststellenleiter der zentralen Hauptverwaltung der Stadt Berlin, feiert am Freitag, dem 16. Dezember 1932, sein vierzig­jähriges Dienstjubiläum. Direktor Hesse ist bereits seit 30 Jahren in der Hauptverwaltung ( früher Generalbüro) tätig; er steht im 65. Lebensjahr.

Herr Emil Gebauer, Jasmunder Str. 3, der feit dem Jahre 1889 ununterbrochen die sozialdemo fratische Parteipresse bzw. den Vorwärts" liest, feiert heute am 16. Dezember feinen 70. Geburtstag.

HEMEN

Josetti

JUNO

o/ M.rund

Weihnachten rückt näher! Denken Sie an

Juno

wenn Raucherwünsche zu erfüllen sind!

JUNO

620

KON

LINON