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Abend- Ausgabe

Nr. 592 B 288 49. Jahrg.

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BERLINER

VOLKSBLATT

FREITAG

16. Dezember 1932

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Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Winterhilfe

Schleicher und die Erwerbslosen

Die Erwerbslosen haben gestern mit Span­nung erwartet, was der neue Reichskanzler über die Winterhilfe sagen werde. Wie würde er sich zu den Beschlüssen des Reichstagsausschusses stellen? Die Rede Schleichers hat ihnen eine gewaltige Enttäuschung gebracht. Sie haben un= bestimmte Versprechungen gehört, die weit hinter dem zurückbleiben, was sie er­hofft haben, weit hinter den Beschlüssen des Haushaltsausschusses, noch weiter hinter den berechtigten Forderungen der Sozialdemo­Pratie.

Im Haushaltsausschuß des Reichstags ließ die Reichsregierung durch ihren Finanz­minister v. Krosigk erklären, sie wolle das Fleisch verbilligen, und im übrigen bemühe sie sich, die Kohlen­syndikate, die Reichsbahn und den Groß­und Kleinhandel, überhaupt alle, die guten Willens seien, dabei zu fördern.

Wie steht es nun aber wirklich mit der Winterhilfe? Wie stand es im Vorjahre?

Die Sozialdemokratie setzte damals auf Grund ihrer Anträge durch, daß der hilfsbe­dürftigen Bevölkerung zuerst für zehn Wochen, und dann weiter bis Ende April, also praktisch für den ganzen Winter der Bezug frischen Rind- und Schweine­fleisches zu einem verbilligten Preis gewähr­leistet war. Alle Hauptunterſtügungsemp­fänger der Arbeitslosenversicherung und der. Krisenfürsorge, soweit Familienzuschläge gezahlt wurden, alle Hauptunterstützten in offener Fürsorge mit eigenem Haushalt sowie die Empfänger von Zusazrenten erhielten wöchentlich ein Pfund verbillig­ten Fleische s. Der Preis mußte 30 Bf. unter dem Tagespreis liegen. Köpfereiche Familien erhielten zwei Pfund verbilligten Fleisches. Für die Verbilligung von Frisch­fleisch wurden insgesamt 18 999 000 Mart ausgegeben.

Damals wurde aber auch in Durchführung einer dem Haushaltsausschuß des Reichs­tages gegebenen Zusage zur Linderung der Not der hilfsbedürftigen Bevölkerung ein weiterer Betrag von 7 072 000 m. zur Ver­billigung von Kohle ausgegeben. Durch jene Mittel ist damals der hilfsbedürf­tigen Bevölkerung für drei Monate der Be­zug von Kohle zu einem verbilligten Preise ermöglicht worden. Jeder Berechtigte erhielt monatlich zwei Zentner verbilligte Kohle. Der verbilligte Preis mußte 30 Pf. unter dem Tagespreis sein. Soweit durch Brei- nach­lässe der Syndikate und des Handels sowie der Eisenbahn diese Preisverbilligung schon erzielt war, fand eine zusätzliche Verbilligung von 30 Pf. statt

Man muß sich jenen Tatsachen gegenüber­halten, wie die derzeitige Reichsregierung sich den Aermsten der Armen gegenüber be­nimmt. Die Reichsregierung läßt auf sich warten, und ihre Minister werden untereinander nicht einig. Sie teilen dem Haushaltsausschuß mit, daß sie, wenn es irgend gehe, alle 14 Tage den Notleiden­den ein Pfund Fleisch um 20 Pf. Derbilligen wollen, aber sie erklären zu­gleich, daß sie nicht wissen, wieviel Geld sie zu jenem Zweck zur Verfügung haben.

Von guten Worten und freundlichen Be­merkungen wird niemand satt. Wenn der Reichsfinanzminister in der Hochschule für Politik und vor dem Reichsverband der Deutschen Industrie über die Finanzlage des Reichs optimistisch redet, dann muß er auch für die Winterhilfe fich materiell einsetzen!

Alles schleichert!

Unternehmer und Bürgertum sind mit dem General zufrieden

Schleichers Programmrede stößt bis jetzt nur bei den Sozialdemokraten und Kommu= nisten auf scharfe Kritik. In der bürgerlichen Presse findet die Rede im allgemeinen eine wohlwollende Aufnahme.

Alles schleichert- von Mosse über UIIst ein bis zu Hugenberg! Der Gesamt­eindruck, der sich aus der bürgerlichen Presse er­gibt, ist, daß die Entschlossenheit, mit der Schleicher an dem kapitalistischen Programm Papens festhält, bei den Unternehmern wie im Bürgertum guten Eindruck gemacht hat. Allein die Deutsche 3eitung" steht abseits. Sie vermißt gegen revolutionäre Ent­schiedenheit und weissagt Schleicher düster baldiges Scheitern.

Das Berliner Tageblatt" betont, das Programm selbst bringe keine Ueber­

raschung, weder nach der guten noch nach der böjen Seite.

"

Die Germania " schreibt, die Kanzlerrede sei von der Deffentlichkeit mit Spannung erwartet worden, weil sie endlich Klarheit darüber bringen sollte, ob tatsächlich an der neuen Spize ein neuer Geist in die Reichspolitik eingezogen sei. Bei Be­antwortung dieser Frage müsse man unwillkürlich Vergleiche mit dem anstellen, was zurückliege, und da sei festzustellen: die Rede scheine in all ihren Teilen zu bestätigen, daß dieser Kanzler die Klugheit als seines Amtes besseren und wich­tigeren Teil von vornherein erkannt habe.

Die Deutsche Allgemeine 3eitung", also ein Organ der Schwerindustrie, unterstreicht in ihrer Würdigung vor allem die Stellungnahine Schleichers zu den wirtschaftlichen Fragen. Das Blatt betont: man wird nicht behaupten können,

Sechs Schuldner zahlen

Frankreich ist nicht darunter

Washington, 16. Dezember. Jm ganzen find sechs Staaten ihren Verpflich tungen aus den Kriegsschulden nachgekommen, nämlich Großbritannien , Italien , die Tschecho­flowakei, Finnland , Lettland und Litauen mit ins­gesamt 125 Millionen Dollar. Fünf Staaten, und zwar Frankreich , Belgien , Polen , Estland und Ungarn , haben die fälligen Raten im ungefähren Gesamtbetrage von 25 Millionen Dollar nicht erlegt. Die Zahlung Englands beträgt 95% Mil­lionen Dollar.

Der französische Botschafter Claudel über­reichte Staatssekretär Stimson eine Note zu der Schuldenfrage. Der belgische und der polnische Botschafter teilten mit, daß ihre Staaten die Schuldenrate nicht zahlen können. Der tschechoslowakische Gesandte gab den Entschluß seiner Regierung, zu zahlen, bekannt, wies aber darauf hin, daß dies ein außerordentlich schweres Opfer für die Tschechoslowakei be deute. Er hoffe, es werden bald Verhandlungen über die Revision beginnen, bei denen, was ja auch die britische Regierung vorgeschlagen hat, die heute fällige Rate auf den künftigen Neubetrag angerechnet werden möge.

Als Rußland nicht zahlte

Washington , 16. Dezember.

Die Nichterfüllung einer Vertragsschuld durch eine durchaus zahlungsfähige Nation( Frankreich ) wird als historisches Ereignis größter Tragweite betrachtet.

Hoover beabsichtigt nicht, irgendwelche Schritte zu unternehmen, und Stimson erflärte, im Verkehr zwischen Regierungen sende man feinen Gerichtsvollzieher, wenn der Schuldner

nicht zahle.

Allein im Kongreß ist die Empörung start und meitverbreitet. Es wurden Resolutionen einge­bracht, die den Verkauf französischer Wert­papiere in Amerika sowie Anzeigen dar­über in amerikanischen Zeitungen verbieten wollen; ferner werden Repressalien mit Hilfe des Zolltarifgefeges ermogen, Zuschlagsschutzölle auf französische Parfüms und andere Luguswaren. Jedoch rechnen manche immer noch damit, daß Frankreich , wenn auch verspätet, zu der Ein= sicht gelangen werde, welch ungünstigen Einfluß diese Nichterfüllung auf alle seine fünftigen Be= ziehungen zu Amerika haben muß. Unter den gegenwärtigen Umständen hält man den Abschluß des Handelsvertrages zwischen beiden Staaten für unmöglich, und die Hearstblätter zitieren aus

den kürzlich veröffentlichten Aften des Staats­departements aus dem Jahre 1918 über die Be= ziehungen zu Rußland den Band 3, der dar­ſtellt,

wie Frankreich sich gebärdete, als es in der umgelehrten Situation war und Sowjetruß­land sich weigerte, die zarischen Schulden an Frankreich zu zahlen.

Darin heißt es: Am 14. Februar 1918 unter­breitete der französische Finanzminister Kloß dem interalliierten Rat eine Resolution folgenden In­halts: Rußland kann seine Verpflichtungen nicht ablehnen, ohne das Völkerrecht bis in seine Grundpfeiler zu erschüttern. Es gäbe dann feine Sicherheit mehr im Verkehr zwischen den Staaten, und es wäre unmöglich, langfristige Berträge einzugehen, wegen der Gefahr, daß diese Berträge später ignoriert werden."

Griechische

Krise wegen Devisenzahlung

Athen , 16. Dezember.

Weil der Ministerrat beschlossen hatte, für die Kupons der griechischen Auslandsanleihen 30 Prozent in fremdem Geld zu zahlen, ist der Finanzminister zurückgetreten. Diese Zahlung

daß seine wirtschaftlichen Ideen sozialistisch seien. Immerhin war es nicht überflüssig, daß er auch seinerseits mit der Autorität des Regierungschefs wiederholte, was am Tage zuvor bereits Reichs= wirtschaftsminister Warmbold vor der deutschen Industrie betont hatte, daß nämlich die Grundzüge des Papenschen Wirt schaftsprogramms weitergeführt werden sollen.

In den Blättern Hugenbergs fällt in der Be­urteilung der Kanzlerrede eine starke kritische Re­serve gegenüber den öffentlichen Arbeitsbe­schaffungsplänen der Regierung auf.

Die kommunistische Presse charakterisiert Schleichers Rundfunkrede als ,, das alte Papen Programm mit sozialen Floskeln". Die Rote Fahne " spricht von einem drohenden Ausnahmegesetz gegen die Kom= munistische Partei.

gefährde sowohl den Haushalt als auch die De visenlage. Der Finanzminister hofft, mit seinem Rücktrittsgesuch den Ministerrat noch um= stimmen zu können, um so mehr, als zwei weitere Minister seine Ansicht teilen. Uebrigens wird der Beschluß des Ministerrats auf den Drud der Gesandten der Gläubigerländer zurückgeführt, die für den Fall der Nichtzahlung mit dem Ausschluß der griechischen Erzeugnisse gedroht haben.

Nach 15 monatiger Pause ist heute die Börse wieder eröffnet worden.

Chautemps oder Paul Boncour Pariser Kabinettssuche Eigener Bericht des Vorwärts"

Paris , 16. Dezember. Die Bemühungen des Innenministers Chau temps sind darauf gerichtet, in der Schulden­frage eine Formel zu finden, die Herriot gestattet, Außenminister zu bleiben. Chautemps hatte auch eine Unterredung mit Léon Blum . Sie bezog sich nicht auf eine eventuelle Beteiligung der Sozialisten an dem neuen Kabinett, sondern lediglich auf die Schuldenfrage.

Die Morgenblätter betonen, daß die Bemühun­gen Chautemps' große Aussichten auf Erfolg nicht haben und der Präsident der Republik , falls Chautemps scheitere, Paul Boncour mit der Kabinettbildung beauftragen werde.

Die Mameluckenpartei

Die Aengste des Parteidiktators- Kapitalistischer Kurs

Hitler baut in der NSDAP . eine organisato rische Sicherung nach der anderen auf, um seine Führerstellung zu sichern. Seine letzten Anord­nungen lassen erkennen, daß er nach dem Krach mit Gregor Straßer die Schilderhebung eines Gegenkönigs in der NSDAP . fürchtet. Er will fich dagegen decken, indem er auch organisatorisch alle anderen Leute neben ihm zu seinen Mame= lucken macht.

Zu diesem Zwed hat er eine sogenannte poli= tische Zentralfommission gebildet. Deren Aufgaben sollen sein:

,, I. Beratung aller Parteiinstanzen auf den durch die politische Zentralfommission vertretenen Gebieten.

II. Ueberprüfung aller für die Deffent­lichkeit bestimmten parteiamtlichen Berlautbarungen der NSDAP. , die grundsägliche Fragen berühren und damit grundsäglichen Charakter befizen.

III. Ueberprüfung aller Anträge von grundsätzlichem Charakter der national­sozialistischen Vertretungen in den Länder= parlamenten und Kommunen. Dem Ersten Borsitzenden der Zentralfommission steht von jetzt ab gegenüber solchen Veröffentlichun gen und solchen Anträgen ein Einspruchs­recht zu, das ihre Verkündung bzw. ihre An­tragstellung so lange sperrt, bis nicht entweder in gegenseitigem Benehmen eine Verständigung erzielt wurde oder ich selbst als letzte Instanz meine Entscheidung getraffen habe. Ausgenom men von dieser Arbeit ist die Arbeit der preu­ßischen und bayerischen Landtags= fraftion, deren Vorsitzende an sich von mir eingefeßt und damit ähnlich dem Borfizenden der der Reichstagsfraktion mir direkt verantwortlich sind. Jedoch müssen auch diese beiden Fraktionen ihre An­träge als Material der Generalfommission zu= meisen.

IV. Der Zentralfommission untersteht von