BEILAGE
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FREITAG, 16. DEZ. 1932
Wilhelm Gielgens:
$>fe großen 3>rei
' Aus bem Geben der Menschen sind die drei Zroßen Bestimmungskräste Erde, Wirtschaft rmd Staat nicht wegzudenken. Wir alle sind auf die Erdoberfläche gestellt, leben von den Kräften der Erde und können ihr nicht entfliehe» Jede Form der gesellschaftlichen Bedrüfnisbefrie- digung ist, wie immer sie auch aussehen mag, eine Form der Wirtschaft. Das gilt für die primitive Nahrungssuche der Sammler und Jäger wie für den komplizierten Mechanismus des chochtapitallsmus, für die Vergangenheit wie für die Gegenwart und Zukunft. Und schließlich fordert die Tatsache, daß die Menschen in Massen zusammenleben, immer eine irgendwie gestaltet« öffentliche Ordnung und Organisation, die be- stimmend die gemeinsamen Angelegenheiten der Gruppen und der Völker regeln. Ob wir diese Ordnung nun mit Staat oder Gesellschaft oder mit einem anderen Ausdruck bezeichnen, bleibt letzten Endes gleichgültig. Entscheidend aber ist, daß immer eine Ordnung des öffentlichen Lebens, eine politische Gestaltung vorhanden fein muß. Diese drei großen Bestimmungselemente mensch- lichen Lebens stehen nun nicht zusammen- h a n g l o s nebeneinander, sondern sie wirken sehr stark dialektisch miteinander und aufeinander. Was mit der zwingenden Unabweisbarkeit der Ursache auftritt, unterliegt sosort wieder den Gestaltungskrästen anderer Ur- fachen, die ihrerseits gleichen Veränderungen aus- gesetzt find. Die Vodenbeschafsenheit der Erdoberfläche z. B. stellt dem Menschen gewisse Schranken für die Landwirtschast, die Siedlung, die Wirtschast schlechthin. Andererseits kann der Mensch, dank der Entwicklung der Technik, den Böden verbessern oder gar völlig verändern, wo- durch neue Wirtschaftsmöglichkeiten hervorgerusen werden. Die Gesetze und Notwendigkeiten des Wirtschaftslebens haben eine Fülle von politi- schen Organisationen und Formen hervorgerusen. genau so wie die polstische Eigengesetzlichkeit auf die Wirtschaft gestaltend einwirkt. So ergeben sich unzählige Wechselbeziehungen, Ab- hängigkeiten und Auswirkungen, die in ihrer Gesamtheit erst die Geschichte der Menschen darstellen. Die Entwicklung der Ge- sellschaft ist«in dialektischer Prozeß, und nur. wenn man die Wechselwirkungen der drei großen Grundfaktoren Erde . Wirtschaft, Staat berück- -kieistigt- und g l e i che-rmn ßem in Mchmmo stellt, ist es möglich, die menschliche Gesellschast entscheidend zu verändern. Für das bisher tragische Verhältnis zwischen Erde und Mensch, das wir mit dem Wille» zur Veränderung betrachten, bringt diese Erkenntnis eine Reihe wichtiger Entscheidungen. Wir sehen, daß wir nicht auf die Erdabersläche ganz oll- gemein gestellt sind, sortdern aus einen bestimmten, staatlich abgegrenzten Raum der Erdoberfläche, der immer noch in seiner Ab- grenzung politisch und wirtschafllich wirksam ist. In diesem Staatsraum ist daher zuerst und vor allem unser politisches und wirtschaftliches Wir- kungsfeld, auch wenn wir in planetarischem Denken eine allumspannende Gesellschaftsordnung, einen weltenweiten Sozialismus aufbauen wollen. Das Mitgefühl mit den unterdrückten Indern. der Abscheu gegen den Imperialismus Japans , das Interesse an den Versuchen in Rußland , sie find wirkungslose Gefühlsduseleien, wenn wir nicht aus diesen Regungen zu gestaltender Arbeit in unserem Lande, in unserem Raum« kam- men. Es ist allzu oft verkannt worden, daß Karl Marx im klaren Bewußtsein dieser Raumgebundenheit den Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst als einen natio» nalen Kampf der Form nach ausfaßte.«Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zu- erst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig wer- den/ lKommunistisches Manisest.) Unsere Wanderung über die Länder der Erde - führt uns also nach unserem eigenen Wohn- und Lebensraum zurück und stellt uns vor die Auf- gäbe, innerhalb der deutschen Wirtschast und innerhalb des deutschen Staates unser heißes Wollen in die Tat umzusetzen. Das scheint einfach zu sein, denn an der Spitze unserer Reichsverfasiung, unseres Staatsgrundgesetzes. steht der Satz:„Die Staatsgewalt geht vom Volke aus/ Geht die Staatsgewalt aber wirklich vom Volke aus? Man braucht nicht einmal auf die Diktatur- gewalt der Papen-Regierung und ihrer wenig oeränderten Nachfolgerin zu verweisen, um daran zu zweiseln. Die Staatsgewalt ist nicht allein das parlamentarische Wahlrechr und die feierliche Erklärung der Versasiung, sondern die Staatsge- walt sind die tatsächlichen Machtverhältnisse in Staat und Wirtschaft und der Wille und die Fähigkeit, diese Macht zu nützen Der Besitz an Grund und Boden, die Verfügungsgewalt über die Kom- mando stellen der Wirtschaft— dos ist auch ein Teil der Staatsgewalt! Die Abschaffung der politischen Vorrangstellung der Großgrundbesitzer durch die Auflösung der Guts- bezirke in Preußen war zweifelsohne ein wichtiger staatspolitischer Borgang, ist dadurch doch der un- t�ltoofle Einfluß de« ostelbtschen Junters auf
Politik und Verwaltung stark zurückgedrängt worden. Weil aber an der w i r t s ch a j t l i ch e n Vormachtstellung des Großgrundbesitzes nichts geändert wurde(hat doch das Reich sogar Millionen und Millionen an Subventionen den leistnngs- unsähigen Großlandwirteri zugeführt, ohne daß da- mit ein Zwang zu planvoller Wirtschaftsführung im Jnterefie der Gesamtheit auferlegt wurdest, blieb die Umlogerung der Machtverhöltniise im Staat durch den Umbau der Verfassung ein Torso
Das gleiche gilt entsprechend jür die Industrie. Und auch das sind tatsächliche Machtverhältnisse, wirkliche Staatsgewalten: die Verfügung über die Armee, die Handlung der Justiz, das Monopol über die Bildung, die Beherrschung(und die Verwirrung) der öffentlichen Meinung. Ihr zielbe- wüßtes Einsetzen für das Privateigentum gegen den Sozialismus, für das Kapital, gegen das Proletariat zeigt, wie stark die reaktionären Kräfte immer noch verankert sind, wie wenig das
Volk trotz der Verfassung den Staat gefial- tet. Das aber ist unsere Aufgab«: eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, in der das von uns bewohnte Land zum Vortell des eigenen Volkes und der gesamten Menschheit bebaut und genützt werden kann, einen Staat aufzubauen, dessen politische Ordnung dem Wohle des eigenen Volkes und der gesamten Nienschheit dient. Wir sind das B a u v o l k der kommenden Welt, in der die Menschen nicht mehr durch Privatwirtschaft und Klassenstaat ausgebeutet werden, sondern in der planvolle Gemein- wirtschost und g e s e l l s cherf tl i ch e Staatsordnung die Menschen auf freier und blühender Erde vereint.
d.
mayer: tPrOlelmitd Mild
Als Karl Marx in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Grundlagen seiner Weltanschauung ausarbeitete, einer Weltanschauung. die seitdem zu einer weltgeschichtlich be- deutsamen Massenbewegung wurde, stand die hoch- kapitalistische Entwicklung erst in ihre» Ansänge». lim so erstaunlicher wirk» heute die Sicherbeit, mit der er dem Proletariat von damals seine weit- geschichtliche Rolle auf den Leib schrieb. Nicht auf sozialem Mitgefühl wurde der marxistische Sozialismus aufgebaut: gewiß kannte und erlebte Marx die elende Lage des Frühproletariats: was er nicht selbst schon als junger Redakteur der „Rheinischen Zeitung " bei der Aussprache über das Holzdieb st ahlgesetz erfahren hatte, zeigten ihm in lebendiger Anschauung die Pariser Elendsviertel. Marx gab dem Proletariat seinen Ort im fortschreitenden Prozeß von einem philosophischen Gesamtverständnis der Geschichte her. Diese philosophische Deutung des weltge-
fchichtlichen Ablaufs gab er aber nicht in der Absicht eines beschaulichen Zuschauers, vielmehr gab er der Philosophie einen praktischen Sinn. Ihre Erkenntnis muh zur Tat wer- den. In den„Deutsch-Französischen Jahrbüchern " sormuliert Marx seine neuen Erkenntnisse noch in der Begrifsssprachc des Jung- Hegelianismus: „Wenn das Proletariat die Auflösung der bis- herigen Weltordnung verkündet, so spricht es nur das Geheimnis feines eigenen Daseins aus, denn es ist die s a k t i s ch e Auflösung dieser Weltordnung. Wenn das Proletariat die Negation des Privateigentums verlangt, so erhebt es nur zum Prinzip der Gesellschaft, was die Gesellschaft zu seinem Prinzip erhoben hat, was in ihm als negatives Resultat der Gesellschaft schon ohne sein Zutun verkörpert ist... Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen
AUred Fhrenlreich:
ffiiMuttgspmlelarml!
Für die junge Lehrerschast hat die Sporpolitik aus dem Gebiete der Verwaltung und des Bearmen apparate? verheerend gewirkt. Seit 1931 ist kein neuer Anwärter aus die Liste gesetzt worden. Neuanstellungen sind so lange nicht möglich, als dos Auflösungserbe von ein- gegangenen Schulen und pädagogischen Akademien seine Verwendungsansprüche stellt. Vor z w a n- z i g Jahren frühestens kann kein Assessor des jüngeren Nachwuchses mehr auf normale An- stellung rechnen. Unsere Schulen überaltern allmählich aus diese Weise, und wenn Neu- anstellungen einmal verwirklicht werden, ist der Nachwuchs ebenfalls bereits in vorgerückten Iahren. Welche Gefahren von hier aus der Schulreform drohen trotz jeder noch so moderne» Ausbildung der Junglehrer, muß dem ernsten Betrachter einleuchten. Vielleicht ist der immer häusiger werdende Ruf nach neuer„Autorität" in der Schule bereits ein Anzeichen gewisser Alters- Müdigkeit: denn wahre Autorität ist immer die Funktion sruchtbarer Gespanntheit und innerer Auseinandersetzung zwischen Lehrer und Schüler. Wie sieht es nun bei den Betroffenen selbst aus? Jeder, der mit der Ausbildung und den persönlichen Verhältnisien der jungen Lehrer zu tun hat, kennt ihre schwere geistige und materielle Not. Neben uns wächst ein Proletariat heran, das durch seine geistigen Spannungen sein Schicksal doppelt schwer empfinden muß und sozial selbst nicht dem Arbeiter gleichgestellt ist: n i eh t einmal Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung ist vorhanden, lediglich die Wohlfahrt ist zuständig. Keineswegs kommt die Mehrzahl dieser akademisch Gebildeten aus sehr bemittelten Kreisen, die meisten sind aus ihre Selbsterhaltung angewiesen oder haben Angehörige noch zu unterstützen. Behördliche Beihilfen sind nur gering. Aus der einen Seite erhöht der Staat infolge der großen Auswahl dauernd die Leistungssorderungen: eine Prüfung mit„ge- nügend" ist für den jungen Lehrer fast wertlos geworden, solange noch Bewerber mit dem Zeug- nis„sehr gut" und„gut" hungern müsien. Andererseits muß der Kandidat neben erhöhten Ausbildungssorderungen dem kümmerlichen Lebensverdienst in Nachhilfestunden. kleinen Aufträgen und Botendiensten nachgehen. Die Kommissionen stellen vielfach einen Rückgang der Prüfungsleistungen fest; im vorigen Herbst bestanden in einer Prüfungsgruppe von rund 35 Teilnehmern etwa nur vier mit„gut". Mau oergißt aber leicht dabei, welchem seelischen Druck diese jungen Menschen neben gewisien Zufällig- keiten der Prüfungsregelung ausgesetzt sind. Einem sonst tüchtigen Bewerber z. B. versagten in der Prüfungszeit wiederholt die Nerven, da er in den letzten Monaten, z. T. durch Nacht- arbeit, Schreibmaschinenkopien, die vorgeschrie- benen Prüfungsgebühren von 80 M. verdienen mußte, die leider noch heute mit ganz geringen Ausnahmen gefordert werden. Der Staat hat dem jungen Lehrernachwuchs mehrjach Abhilfe zugesichert, praktisch vermochte
er nur sehr wenig zu tun. Er konnte gewisse Stellen, wie Privat-, Polizei- und Heeresfach-. schulen und Dolkshochjchulkurse anregen, den Assessoren an erster Stelle Aufrahme zu gewähren. Die Frühpensionieriing dagegen schuf kaum Er- leichterung oder kommt erst einer kommenden Generation zugute. Am ehesten hatten solche Arbeitsämter Erfolg, wie sie etwa der Philologenverband eingerichtet hat, wenn auch ein Leben, das sein Dasein aus den Willkürlich- keiten und der Kurzfristigkeit der Privatstunden in den verschiedensten Stadtteilen fristet, nicht gerade beneidenswert ist. Die gegebene Lösung der Krise würde auszu- gehen haben von zwei Tatsachen: unsere Schul- klaffen sind heute fast durchweg überfüllt, die sogenannten Frequenzen viel zu hoch(in den Sexten bis zu 55 Schülern!): die Pflichtstunde»- zahl der Philologen(25 Wochenstunden) ist an- gesichts der Anforderungen der neuen Schule ebenfalls überhöht(die Pflichtarbeit eines Lehrers ist ja mit der Schulstünde keineswegs erledigt). Beide Wege könnten bei sinngemäßer Regelung zu einer erheblichen Neueinstellung führen, wenn nicht die Staatsfinanzen das verwehrten. Zu dem sehr radikalen Ausweg einer Berufssperre für mehrere Jahre scheint sich der Staat nicht entschließen zu wollen. Alle anderen Vorschläge sind nur kleine Abhilfen: etwa die Einführung eines„Studienjahres" im Abstand von zehn Iahren für alle Angestellten(nach ameri- kanischem Muster), das für den Berufsroutinier eine ausgezeichnete Ergänzung seiner Wissenschaft- lichen Ausbildung bringen könnte und bei ge- ringen Gehaltsabzügen einige Möglichkeiten jür bezahlte Neueinstellungen böte. Man könnte auch denken an die Gewährung freiwilliger Eni- lastungen bei geringen Abzügen, die manchem Lehrer erwünschten Raum für wissenschaftliche Arbeiten schassen und einem Affessor Unterschlupf bieten könnte. Hatte man doch im letzten Jahre auch eine freiwillige Pensionierung angeboten. Denn es kommt ja nicht nur darauf an, daß die ausgebildeten Junglehrer mit der Schule in tätiger Verbindung bleiben— das gewährleisten die unbezahlten fünf Unterrichtsstunden dem Assessor an jeder Schule— es handelt sich darum, daß er leben und verdienen muß! Schließlich sollten die Verleger und Herausgeber der Schulleltüren mehr als je auf die„klingenden Namen" bewährter Bearbeiter verzichten und den wissenschaftlich oft besonders ausgeschloffenen Nachwuchs mitheranziehen Das gleiche gilt für die Mitwirkung an pädagogischen und Fachzeitschriften. Aber alles das, die restlose Mobilisierung der privatesten Ve- schäsiigungsmöglichkeit, schafft die Notlage nicht aus der Welt, daß seit Jahren zunehmend ein Bildungsproletariot der Lehrerschaft— Jung- lehrer, Studienreferendare und-assessoren— herangezüchtet und ausgesiebt wird, das letzter- dings nur auf die Straße verwiesen wird und mit der Zeit auch politisch immer stärker sich verirren muß in seiner Skepsis gegenüber dem Staate, der ihm nicht helfen kann.
Waffen, und sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven Volksboden singe- schlagen ist, wird sich die Emanzipation(Befreiung) der Deutschen zu Menschen vollziehen... Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat. Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht ausheben ohne die Verwirklichung der Philosophie." Im Grunde enthalten diese, in der glänzenden antithetischen Sprache des jungen Meisters ver- faßten Sätze schon alle Einsichten, die das spätere Werk mit anschaulicherem Jtchakt zu füllen hatte. Das vier Jahre später geschriebene ,L: o m m u- n i st i s ch e M a n i f e st" saßt die geschichtliche Rolle des Proletariats nicht mehr abstrakt: seine weltgeschichtlühe Funktion wird aus der geschichi- lichen Bewegung als solcher abgeleitet.„Alle früheren Klassen, die sich die Herrschast eiPberten, suchten ihre schon erworbene Lebensstelluqg zu sichern, indem sie die ganze Gesellschaft den Be- dingungen ihres Erwerbs unterwarfen.... Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten(Minderheiten) oder im Interesse von Minoritäten. Die proletarische Bewe- gung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Jnter- esse der ungeheuren Mehrzahl." Was ist der S>nn dieser Sätze? Erinnern wir kurz an die große Französische Revolution. Ms 1789 der dritte Stand gegen die absolutisti - schen Gewalten kämpfte, waren die Parolen dieses Kampfes: Freiheit. Gleichheit, Brüderlichkeit— für alle: sobvkd jedoch das Pariser Prole- t a r i a t unter der Fichrung von Grachus Bo- boeuf in diese„alle" einbezogen sein wollte, wurde die Gouillotine in Bewegung gesetzt. Freiheit. Gleichheit, Brüderlichkeit galt eben nur für die Bourgeoisie— das Proletariat blieb aus- geschlossen. Müßte der französische dritte Stand schon 1789 seine Klasseninteressen als das ver- in e i n t l i ch e Recht aller erscheinen lassen, so wurde diese Tendenz in der späteren Geschichte Frankreichs wie auch anderer Länder immer deut- licher: 1848 erhob sich das Pariser Proletariat Seite an Seite mit dem Mittel- und Kleinbürger- tum. um das Geldsackwahlrecht der Juli-Monarchie abzuschaffen. Nachdem dieses Ziel erreicht war, wurden die Arbeitervertreter aus dem zunächst gebildeten Koalitionsministerium herausgeworfen: am Ende dieser„republikanischen" Epoche stand nach der Niedermetzelung der Pariser Arbeiter im Juni 1848 das Kaisertum Napoleons III.! Erst mit der proletarische» Bewegung tritt die- jenige geschichtliche Bewegung in das Licht der Geschichte, die nicht mehr vorgibt, daß ihr Interesse das Interesse aller ist, sondern die pro- letarische Bewegung ist und vertritt in der Tat das Interesse aller, weil es die„ungeheure Mehrzahl" des Volkes darstellt. Hier kommt die Geschichte gleichsam in ihr Ziel. Dennoch klingt dieser Sachverhalt einfacher, als er in der Wirk- lichtest ist. Unsere ungeheure Mehrzahl findet sich leider nicht in schöner Selbstverständlichkeit zu- sammen: diesen Gefallen tut uns die geschichtliche Entwicklung nicht. Die politische Einheit der ausgebeuteten Mehrzahl des Volkes ist kein sich automatisch vollziehender Ablauf. Aber ohne die politische Einheit der Volksmehrheit gibt es keinen Sozialismus, gibt es keine Ueberwindung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine sozio- listische Ordnung. Ohne Zweifel hat Marx den Proletarisierungs- prozeh mit besonderer Ausrichtung auf die Jndustriearbeiterschast gesehen. Mit zunehmender Rationalisierung des Kapstalismus ist aber ein Disserenzierungsprozeß des Proletariats akut geworden, der erst heute in weiteren Kreisen beachtet wird und weder 1847 noch in den sechziger Jahren des vorigen Jahr- Hunderts, als Marx - das„5? a p i t a l" abschloß, vorausgesehen werden konnte. Damit und mit der Proletarisierung der Mittel- schichten treten an den Marxismus neue Auf- gaben, die in ihrer vollen konkreten Wucht neu durchdacht werden müssen. Wie immer auch diese Ueberprüsung der gegen- wärtigen proletarischen Schichtung aussallen mag. an den marxistischen Grundlagen braucht nicht gerührt zu werden: Das Proletariat ist der geschichlliche Träger einer Bewegung, die den Kapitalismus aufheben wird.