Einzelbild herunterladen
 
  

Abend-Ausgabe

Nr. 602 B 293 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammabresse: Sozialbemotrat Berlin

Jour 10 mo

DONNERSTAG

Vorwärts=

BERLINER

VOLKSBLATT

22. Dezember 1932

In Groß Berlin 10 Bf. Auswärts.... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Weihnachtsgeschenk

Die Bescherung für die Großẞagrarier

Die Rede des Generals von Schleicher im Rundfunk, die sein Programm enthalten sollte, war in den wirtschaftlichen Punkten dürftig. Sie Sie verwies auf weitere Verlautbarungen, die noch vor Weihnachten ergehen sollten. Heute sieht man deutlich, worüber Herr von Schleicher sich gegen seine sonstige Ge­wohnheit in allen Tonarten ausgeschwiegen hat! Die tollsten Punkte des Papen Brogrammes bilden das agrar- und handelspolitische Programm des Kabinetts Schleicher.

Vor der Programmrede Schleichers wurde von beslissenen Lobrednern Schleichers ver­fichert, et habe seine programmatische Rede felbft und ganz allein ausgearbeitet! Welch ein Märchen für gäubige Kinder! Das Material dazu haben ihm jene Inter effentenhaufen geliefert, die das Rück­grat des neuen wie des alten autoritären Kabinetts darstellen. Großagrarisch ist Trumpf! Der Freiherr von Braun ist obenauf, er fühlt hinter sich nur die Unter­stützung seiner Standesgenossen, sondern auch die Person des Reichspräsidenten ! Das Wort des Organs der christlichen Gewerk schaften, daß die Barone und Großagrarier den Weg zum Reichspräsidenten finden, den die Millionen von Erwerbslosen nicht gehen fönnen, ist wahr. Es ist noch nicht die ganze Wahrheit! Denn diese Interessenten finden nicht nur den Weg zum Reichspräsidenten, sondern auch sein Ohr!

Man hat den General von Schleicher als starten Mann bezeichnet. Was ist seine Stärke gegenüber den starken Männern aus dem großagrarischen Lager? Sie besteht darin, daß er unbesehen das Programm des großagrarischen Eigennuzes, das Programm der unentwegten Osthilfeempfänger über­nommen hat. Der General von Schleicher hat erklärt, daß zwischen Soldaten und Land­wirtschaft ein besonders enges Band bestehe. Er läuft jetzt Gefahr, daß ihm entgegen­gehalten wird, daß er durch die Ueber­nahme des großagrarischen Programms ein Band zwischen einer Politik der nackten Lebensmittelverteuerung und den Soldaten geschaffen habe!

Die Pläne, die bis auf technische Einzel­heiten im Reichskabinett fertiggestellt sind, bedeuten eine Verteuerung der Lebens­haltung der Massen. Das ist das Weihnachts­geschenk der Regierung an die Großagrarier! Für die Notleidenden sind nur 35 Mil­lionen Mark vorhanden!

-

Das Reich will Arbeit beschaffen

Kreditausweitung um 2,7 Milliarden für das ,, Sofortprogramm"

Der Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung, Dr. Gerefe, gab heute vor der Presse nähere Erklärungen über die Durchführung und den Inhalt des Sofortprogramms für Arbeitsbeschaffung ab.

Zunächst betonte er, daß diefes fogenannte " Sofortprogramm" sich im Rahmen der vom Reichsbankpräsidenten Luther in München zuge­standenen Kreditausweitung von ins­gesamt 2,7 milliarden Mark halte. Bei dem Sofortprogramm würden etwa 500 mil­lionen eingesetzt werden.

Die Organisation foll möglichst dezentralisiert und den Trägern der Arbeitsbeschaffung kredite unter besonders günftigen Bedingungen gegeben werden. Die Kreditvermittlungsstellen sind die Offa"( Deutsche Gesellschaft für öffentliche Ar­beiten) und die Rentenbank- redit­anft alt. Leider konnte der Reichskommissar über den wichtigsten Punkt, nämlich über die Richtlinien zur Durchführung der einzelnen Ar­beitsobjekte noch so gut wir gar nichts sagen, da heute und morgen hierüber noch verhandelt wird. Jedoch sollen diefe Richtlinien mit funlichster Be­schleunigung veröffentlicht werden.

Bisher fonnte der Reichskommissar über Einzel­heiten des Programms nur mitteilen, daß für Hausreparaturen meitere 50 Millionen Mark bereitgestellt sind. Bekanntlich waren schon im Septemberprogramm vom Reiche 50 Millionen für Reparaturarbeiten in der Form an den Haus­

besig gegeben worden, daß für alle Reparatur­arbeiten aus diesem Fonds 20 Broz. des Auf­tragswertes zugeschossen werden. Der effettive Wert der Hausreparaturen stellte sich damit auf 250 Millionen, da der Zuschußfonds des Reiches bereits vollständig in Anspruch genommen worden ist. Wenn jetzt unter den gleichen Bedingungen in Form eines zwanzigprozentigen Zuschusses wiederum 50 Millionen vom Reichskommissar

Weihnachtsmann 1932

Winterhi

Jedem das Seine!

In Freiheit gesetzt

Die Auswirkungen der Amnestie

Nachdem gestern von den Staatsanwaltschaften die Haftentlassungen angeordnet worden sind, haben die Gefängnisse heute alle Hände voll zu tun, um diesen Anordnungen nach­zukommen. Es werden auf Grund der Haft­entlassungsbefehle der politischen Staats­anwaltschaften aus den Gefängnissen entlassen bei der Staatsanwaltschaft I etwa 75 Berurteilte, bei der Staatsanwaltschaft II 60, bei der Staats­anwaltschaft III vorläufig etma 70.

Da die Staatsanwaltschaft III eine große An­zahl äußerst komplizierter Sachen zu erledigen hat, so mar sie nicht in der Lage, bis heute sämi­liche Akten zu prüfen. Es sind bis jetzt entlassen aus dem Untersuchungsgefängnis 42 Gefangene, aus dem Frauengefäng nis 4, aus dem Zellengefängnis 20, aus Plötzen­see 40, aus Tegel 44, aus dem Zuchthaus Bran­

Desterreich- Deutschland denburg ein Gefangener.

Präsident Miklas an Frankreich

Der österreichische Bundespräsident Miklas ertlärte einem Bertreter des Excelsior", daß die einzige Lösung für die Rettung Mittel- und Ost­ europas die wirtschaftliche Verständigung aller Staaten von der Nordsee bis zum Adriatischen Meer und vom Rhein bis zu den Karpathen sei. Auf die Frage des Journalisten, ob im Falle des Nichtzustandekommens dieses Planes das An­fchlußproblem wieder aufgeworfen würde, erklärte der Präsident ausweichend: Sie wollen von der Vereinigung aller deutschen Stämme in einem ein­zigen Reich sprechen. Was uns mit Deutschland , besonders mit Süddeutschland verbindet, find tausend Jahre gemeinsamer Geschichte und Bande des Blutes. Es ist selbstnerständlich, daß wir Desterreicher auch ein deutscher Stamm sind, der sich frog aller politischen Grenzen niemals von seiner Brüdern trennen laffen wird."

Bei der Entlassung sind selbstverständlich ver­schiedene Formalitäten zu erledigen,

es muß auch geprüft werden, ob den zur Entlassung kommenden nicht irgendeine Hilfe in der Form von Kleidung und dergleichen mehr gewährt werden muß.

Die Anordnungen der Staatsanwaltschaft in den Fällen, wo es sich um Delikte, aus wirtschaft­licher Not begangen, handelt, können nicht so schnell getroffen werden; es müssen gewisse Vor­aussetzungen für die Anwendung der Amnestie geprüft werden, so u. a. die Vorstrafen. Auch müssen bei Gesamtstrafen diese in ihre ursprüng­lichen Bestandteile zerlegt und dabei festgestellt werden, welcher Teil der Strafe und welches Delift bereits verbüßt ist. Unter den wegen politischer Delifte zur Ent­laffung Kommenden sind einige Angeklagte, deren Prozesse seinerzeit großes Auffehen erregt haben, besonders zu ermähnen. So 3. B Martomffi Dom SA. Sturm 331 Bei dem Zusammen­Stoß mit Rommunisten ist damals der Arbeiter

Schirmer ums Leben gekommen. Auch die an der= selben Sache beteiligten SA.- Leute Froschauer und Friz Domning fallen unter die Amnestie. Der Teil der Strafe, den Domning wegen ver. suchten Totschlags in einer anderen Sache zu verbüßen hatte, ist bereits von ihm verbüßt. Entlassen wird auch der SA- Mann Stern heuer, der wegen des Zusammenstoßes mit Kommunisten in Wilhelmsaue verurteilt wurde; desgleichen der SA.- Mann Marquardt aus dem Röntgental Prozeß. Sämtliche n dem Kurfürstendamm - Prozeß verurteilten Na tionalsozialisten werden ihre Strafe nicht zu verbüßen brauchen( im übrigen sind ja die SA.- Leute jezt auf dem Kurfürstendamm ganz friedlich geworden, die einzige Waffe, die sie hier schwingen, sind ja die Sammelbüchsen, mit denen sie auch die jüdischen Kurfürstendamm - Spazier­gänger nicht verschonen). Entlassen werden auch die Kommunisten, die im Prozeß Kolonie Grönland wegen Aufruhrs zu Zuchthausstrafen verurteilt wurden.

Was ist aber mit Rothe? Die Entscheidung über die Entlassung des Reichsbannerkameraden Rothe liegt nun in Händen der Sondergerichts­tammer. Die Staatsanwaltschaft I hat diese Entscheidung beantragt. Das Amnestiegesetz besagt nämlich, daß bei Verbrechen gegen das Leben die Amnestie nicht in Anwendung fommt, wenn der Tod oder eine Körperverlegung verursacht worden ist. Kamerad Rothe ist wegen versuchten Totschlags verurteilt worden. Die Urteilsbegrün­dung stellte ausdrücklich fest, es habe nicht nach= gewiesen werden können, daß der Tod des Nationalsozialisten von einem seiner Schüsse erfolgt sei. Der Berichterstatter im Rechtsausschuß Abg. Högner hat ble Amnestievorlage in dem hier in Frage tommenden Punkte ausdrücklich dahin

zur Verfügung gestellt werden, so erhöht sich der Gesamtwert der Hausreparaturen im Rahmen der Arbeitsbeschaffung um weitere 250 auf ins­gesamt 500 Millionen Mart. Es ist an­zunehmen, daß dieser zweite Zuschußfonds ebenso schnell in Anspruch genommen wird wie der erste Fonds.

Zum Schluß erklärte der Reichskommissar, die Sorgen vor Fehlinvestitionen im Rahmen der Arbeitsbeschaffung seien gänzlich un­begründet. Es handle sich im wesentlichen doch nicht um zusätzliche Neuarbeiten, sondern um die Vollendung liegengebliebener Ar­beiten, die in normalen Zeiten schon längst ausgeführt worden wären.

Was allein in der Reichshauptstadt schon an rückständigen Arbeiten für Straßen- und Brücken­erneuerung, sowie andere für den Verkehr lebens­michtige Bauten vorhanden sei, beweise die dringende Notwendigkeit, diesem Verfall durch öffentliche Arbeitsbeschaffung entgegenzutreten.

Im übrigen fönne die Privatwirt­schaft unbesorgt sein, daß sie durch diese öffentliche Arbeitsbeschaffung vernachlässigt würde; da diese Arbeiten nicht im Regiebetriebe durch­geführt würden, gelangten sie doch als Auf= träge an die Privatindustrie, die im Laufe der letzten beiden Jahre durch die zwangs­meise Drosselung öffentlicher Sachausgaben zur Genüge gespürt habe, wie dieses Abdrosseln öffentlicher Aufträge auf sie zurück­geschlagen sei.

verstanden haben wollen, daß von der Amnestie nur diejenigen Berbrechen gegen das Leben ausgenommen sein sollen, bei denen es nach- gewiesen werden konnte, daß der Tod oder die Verlegung von dem bretreffenden Verurteilten verursacht wurden. In dem Fall Rothe liegt das nicht vor. Man muß deshalb fordern, daß die Sondergerichtskammer unter Vorsitz des Land­gerichtsdirektors Tolf im Sinne des Reichtsaus­schusses entscheidet. Die Entscheidung dürfte erſt Die morgen fallen.

Auch die Entscheidung betr. der Reichsbanner­fameraden Teichmann und Schmidt ist noch nicht endgültig. Die schriftliche Urteilsaus­fertigung ist er st vor wenigen Tagen auf= gesetzt worden, obwohl das Urteil selbst schon vor einigen Monaten gesprochen wurde. Auch in diesem Falle wird möglicherweise die Entscheidung der Kammer angerufen werden.

Amnestie und Gefangenenfürsorge

Die Berliner Gefangenenfürsorge ist gegen den zu erwartenden Andrang der Amnestier­ten gerüstet. Es kommen selbstverständlich nur solche Entlaffene in Frage, die aus wirtschaftlicher Not geringe Strafen zu verbüßen hatten. Die Entlassenen sollen in großzügiger Weise Miet­gelder erhalten, sofern sie eine Schlafstelle ge­funden haben und auch über die Feiertage hinweg mit Efmarken und Bargeld in erforderlichem Ausmaße versorgt werden. Warme Kleidung ist leider kaum vorhanden, die Gefangenenfürsorge erwartet, daß in dieser Hinsicht die Strafanstalten selbst ihre Schuldigkeit fun.

Auf Anregung der Gefangenenfürsorge hat sich bereits ein Teil der Bezirksämter damit einver­standen erklärt, daß am Sonnabend und am Dienstag besondere Sprechstunden für die Straf. entlaffenen eingelegt werden. Heute hat man allerdings bei der Gefangenenfürsorge von der Amnestie noch nichts verspürt. Erst heute nach­mittag und besonders morgen früh dürfte der erfte Unfturm beginnen.