Einzelbild herunterladen
 

BEILAGE

VII.

nedol Vorwärts gereisdA DONNERSTAG, 2 DEZ

Nach Sibirien

Ein Kinderschicksal Von Grigory Ofcheroff

Bir fahren schon den ganzen Tag. Die Räder quietschen in den Achsen und ihre Speichen Elappern. Wir kommen in ein Dorf mit weißen Lehmhäuschen um einen Ziehbrunnen mit langer Stange. Im Dorfe ist niemand; nur ein alter, tauber Bauer hockt im Pelz auf der Bank vor seinem Häuschen in der prallen Sonne, und ein Hund tläfft heiser unter einem Tor hervor. Bir tränken die Pferde und fahren meiter. Weit draußen in der Steppe friechen winzig weiße Pünktchen eine Schafherbe. Ein Bagen tommt uns entgegen, biegt aus; ein verbranntes Gesicht wird sichtbar im Staub; eine Stimme fragt: Wohin?" He, weit", antwortet Pjotor. Nach Bolyn."

P

-

Es ist ganz finster geworden; wir übernachten in der Steppe. Die Pferde werden ausgespannt, und man läßt sie frei grasen. Piotor und ſein Junge entfachen ein Feuerchen, und die Mutter tocht Abendbrot. Am Himmet glimmen Sterne auf; ich liege auf dem Wagen und fann nicht einschlafen. Das Feuer erlischt, und nur ein paar Kohlen glimmen noch unter der Asche; irgendwo miehern die Pferde, und unter dem Bagen schnarcht Pjotor.

Hoch und schwarz ist der Himmel, piele Sterne glitzern daran und zittern, sie werden größer und dann wieder ganz winzig lein; sie sehen auf mich herab und ziehen mich zu sich hinan. Es ist mir, als läge ich gar nicht auf dem Wagen und als hätte in weder Bater noch Mutter. Das Städtchen ist vergessen und der Cheder, das Mirele und die Großeltern. Der Wagen ist ver schwunden, die Pferde, Pjotor und sein Sohn- niemand ist mehr da. Eine neue Welt tut sich auf, unendlich und ewig... und mir ist, als sei auch ich fo... und:

Ja, ja", sagen die Sterne, es ist so, wir sind alle da, mir leuchten, und unser Glanz ist bläulich, und du mußt dir bewußt sein, daß mir es missen, daß du uns siehst, und mir sehen dich; wir kennen uns, und es wird niemals aufhören, so zu sein."

VIII.

Als ich aufmache, steht die Sonne schon hoch am Himmel. Wir fahren weiter, vorbei an Dörfern und Flecken, vorbei an Quellen mit Kreuzen darüber; Bäuerinnen stehen mit hochgesteckten Röcken und ihre Schlägel flatschen auf die Wäsche­stücke. Knaben und Mädchen baben, indem sie sich mit den Händen am Stege halten und mit den Beinen im Wasser strampeln. Das Pferdchen hebt die Beine, eins nach dem anderen, und während es schreitet, schieben sich seine Sinoden unter der Haut hin und her. Mit dem Schwanz schlägt es nach den Fliegen unter seinem Bauch, aber die Fliegen fommen wieder und fahren mit uns die ganze Zeit seit Anbeginn. Wie fich einmal, in sengender Somme, der Weg gabelt und Bjotor nach links abbiegt, scheint es mir, als ob mir schon hier waren und bald wieder daheim sind in unserem Städtchen. Mir wird heiß bei dem Gedanken, immer heißer, dann wieder friert mich. Der Atem stodt mir, ich habe Durst, ich will nach der Wasserflasche greifen, aber meine Hände gehören mir nicht mehr, ich kann gar nicht erfennen, wo sie sind leise beginne ich zu mimmern.

Ich erwache, weil mir die Mutter das Gesicht mit faltem Wasser wäscht. Ich blide in ihre Augen, die sich tief in die meinen fenfen. Sie Püßt mich, fie tröstet mich: bald merden wir beim Bater sein, und der Bater wird sein Söhnchen loben; sie wird ihm erzählen, wie folgsam ich war, und der Bater wird sich sehr freuen. Sie baut mir ein Schutzdach aus Zweigen und Blättern und gibt mir Himbeeren mit Zuder. Ich schlafe wieder ein.

Als ich bei Bewußtsein bin, fahren wir nicht mehr auf dem Wagen, sondern in einer Stube, fange, sehr lange, und schnell, sehr schnell. Am Fenster vorbei laufen Pfähle mit Drähten, Felder drehen sich, und unter dem Boden flappert es unaufhörlich. Türen gehen auf und viele Menschen kommen herein, und oft sehe ich durchs Fenster Häuser auf Rädern vorbeifahren. Manchmal geht die Tür auf, zwei Männer mit Laternen in den Händen fommen herein, nehmen Papiere von ter Mutter und betrachten sie.

Zum Schluß aber sizzen wir doch wieder auf einem hohen, breiten Wagen, zusammen mit Frauen und einer schrecklichen alten Zigeunerin. Der Wagen rüttelt über die Steine holpriger Straßen und dann über einen weiten, runden Play. Ich blicke: da schreiten vor uns her viele Füße vieler Männer, und im Dröhnen ihrer Schritte ist ein fortwährendes Klirren: Ketten...!

IX.

In einer großen Kammer, die weiße Wände und eisernvergitterte Fenster hat. liege ich auf einer breiten Pritsche mit Berefsche und Estherle neben der Mutter. Ebensolche Pritschen befinden fich an allen vier Wänden, überall liegen Frauen und Kinder und schlafen. Es ist noch dunkel; in einer Ede der Kammer brennt por einem Heiligenbild ein kleines Lämpchen und umgibt zmei dunkle Köpfe mit einem Kranz von Strahlen. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich hierher­gelommen bin.

..Mutti, wo find wir denn?"

Mutter macht auf; sie umarmt mich weinend, sie tüßt mich und flüstert froh: ,, Allmächtiger, sei gelobt! Kindchen mein, Trost mein, hab' feine Angst, deine Muter ist doch bei dir! Söhnchen mein, wie viel Angst habe ich gehabt beinetwegen, wieviel Qualen! Sag', was hat dir gefehlt, mein Kind? Aber nun wird dich mir niemand weg­nehmen. Ai , Vater im Himmel, wie groß ist dies dein Wunder!" Sie füßt mich nochmals, drückt mich an sich, meint..

,, Wer liegt da, Mamme, und wo sind wir nur?" Inzwischen ist es hell geworden, und bald darauf wird es laut: Frauen fleiden fich an, maschen sich, befreuzigen sich, zanfen sich, laufen nach heißem Teewasser. Eine alte Zigeunerin liest Ungeziefer aus ihrem Hemd und zerbeißt es mit den Zähnen. Die Mutter bereitet Tee, und wir trinken auf unserer Pritsche. Ich will auf­stehen, aber die Mutter läßt es nicht zu; ich soll auf den Arzt warten. So bleibe ich liegen und ergöze midh am Geraufe der Schlozzimlech. Frauen setzen fich zu mir. Schwatzen über mich

und lachen mich aus: so ein Schwächling fei ich und gar kein Sibirianer. Mir wird so wohl, ich betrachte alles um mich her genau.

Jemand zupft mich an der Hand. Ich wende mich um: neben mir liegt ein fleines, nadtes Zigeunermädchen. Es sieht mich aus großen, Schwarzen, sonderbaren Augen an Ich erwiderte den Blick.

,, Willst du Konfekt?"

Sie gibt mir teine Antwort. Ich lege ein paar Süßigkeiten neben sie. Die alte Zigeunerin kleidet sie an, schmiert ihre Haare und Nägel mit einer Salbe ein, und ich verfolge das alles interessiert. Dann tommt der Arzt mit mehreren Damen; er lacht und sagt: ich dürfe schon morgen in den Hof und spielen. Den ganzen Tag liege ich nun neben der Mutter auf der Pritsche; in der Kammer ist niemand außer uns und der alten Zigeunerin. Die Mutetr schläft, sie ist müde; aber immer mieder macht sie auf, sieht mir lange ins Gesicht und verscheucht die Fliegen. Ich liege ganz ermatiet. Ich will mich an etwas erinnern und fann es nicht. Immer wieder frage ich die

"... zu verkaufen"

Aushang kleiner Schicksale/ Von K. R. Neubert

Immer stehen die Leute vor dem Aushang am Zaun der Kohlenhandlung: ein fleines Wirt­schaftsbarometer dieser Zeit! Gastwirtschaften, Papierläden, Schneiderstuben machen in diesem Stadtteil Pleite, Fünfzimmerwohnungen stehen emig leer, Arbeitslose werden ermittiert, nur ein Geschäft blüht, vergrößert sich: dieser Aushang, in dem möblierte Zimmer, guterhaltene Kleider­fchränke, Klaviere und Radioapparate angeboten werden. Vor zwei Jahren war jemand auf die Idee gekommen, hier einen Kasten anzubringen, fozusagen ein fliegendes Vermittlungsbüro zu er­öffnen. Heute hat der Unternehmer" bereits den vierten grüngestrichenen Rasten anbringen fönnen. Immer mehr Bitmen, von gekürzten Pensionen lebende Steuerfefretärsgattinnen, abgebaute Fa milienväter rennen zu dem Mann, dem der Aus hang gehört und lassen in einem der vier grün­gestrichenen Räften einen Zettel anbringen: Gut­möbliertes Zimmer zu vermieten!

Ich bleibe manchmal vor dem Aushang stehen, ohne daß ich die Absicht habe, mir ein möbliertes Zimmer zu suchen oder einen Kleiderschrank zu faufen. Ich will nur rasch mal sehen, ob irgend­eine Frau Müller in irgendeiner Straße endlich ihr Balfonzimmer mit Klavierbenugung" ver mietet hat. Wie die Fiqur eines Romans inter­essiert mich diese Frau Müller und alle anderen, deren Schicksal ich hinter furzen Andeutungen ahnen kann. Gleicht dieser Aushang mit den vielen fleinen Zetteln nicht einem spannenden, fchicfalsbewegten Buch, das der Zufall geschrie­ben und zusammengeheftet? Ich lese in diesem Buche. Fremde Menschen und Schidsale treten mir entgegen, sprechen zu mir, laufen hinter mir her, beschäftigen mich, nur in einem Satz manch­mal: ,, Ein Klavier ist billig zu verkaufen". Klub­feffel, wie neu, spottbillig abzugeben." Das sind die Ueberschriften mancher Kapitel in diesem Buche. Kapitel heimlicher Tragödien, alltäglicher Kämpfe, zermürbender Begebenheiten. Die zittrige, ungelente Schrift einer Frau, die schon lange ein ., Leerzimmer mit Separateingang" zu vermieten sucht, zeugt von Not, Einsamkeit und skeptischer Weltbetrachtung. Unwillkürlich stellt man sich dieses Gesicht vor, ein Käte Kollmitz- Gesicht.

Von diesen kleinen Zetteln im Aushang führen Wege über Höfe in Hinterhäuser, drei, vier Trep­pen hoch, durch Gerüche von Kohl und Wäsche, in dunkle, muffige Stuben, wo ein Grammophon zu kaufen ist oder ein ,, nur wenig getragener Gehrod".

Diese fleinen Zettel im Aushang sind nur die Stichwörter sozialer Not. Hinter herunter­gelassenen Jalousien, verriegelten Türen ent­spinnen sich die Dialoge über Gasrechnungen, Mietrückstände, werden die Kämpfe ausgefochten, von denen man im Aushang nur flüchtig liest, daß ein Zimmer zu vermieten, ein Schrank zu ver laufen ist. Dder eine Klubgarnitur.

Ja, heute hat der Mann den vierten Kasten angebracht, es flattern so viele fleine Zettel zu ihm. Ein Kinderwagen ist zu verkaufen, ein Radioapparat. Eine Waschmaschine. Den Kinder­magen wird sich eine junge Frau holen, deren Mann arbeitslos ist. Den Radioapparat mird

DONNERSTAG, 22. DEZ. 1932

Mutter, mo mir sind. Jetzt mußt du schlafen; morgen erzähle ich dir alles."

,, Mamma, was sind das für Geräusche hinter den Fenstern, und warum sind sie mit Eisengittern Dermauert?"

Immer die gleiche ausweichende Antwort... und endlich schlafe ich ein.

Als ich erwache, liege ich eine ganze Weile mit halbgeschlossenen Augen; so sehe ich die kleine Zigeunerin, die in der Tür steht Nun tritt sie behutsam ein und setzt sich neben mich auf die Pritsche. Ich betrachte ihr Gesichtchen, und es iſt alles so gut. Allmählich wird es durfel in der Rammer. Hinter den Gitterfenstern, flammen rote und blaue Lichter auf. Die kleine Zigeunerin beugt sich über mich und streichelt mir die Hand, ihre Haare fizeln mir die Backen Die Frauen kommen, es wird unruhig und geräuschvoll in der Barade. Sie richten ihre Strohsäcke, schütteln die Decken und zanken Die Jungens johlen und bewerfen sich mit den Kissen. Langsam wird es ruhiger, die meisten schlafen ein. nur einige Frauen sizen noch, trinken Tee, flechten ihre 3öpfe; ein paar ziehen ihre Hemden aus und suchen aufmerksam drin herum.

Bor dem Heiligenbild kniet eine alte Frau; sie betet und betreuzigt sich fortwährend, und ihr riefiger Schatten läuft über die Wand, als wolle er mich fangen. ( Fortsetzung folgt.)

ein Junggeselle erstehen, der an eine Besserung des Funkprogramms glaubt. Für den Erlös der Waschmaschine wird Frau Uhlig ihren Kindern etwas zu Weihnachten besorgen. Und das ,, kleine Zimmer mit Küchenbenuzung" notiert sich eben ein junger Mann, der mir bekannt vorkommt. Ich habe ihn schon öfter hier gesehen. Alle zwei, drei Monate scheint er ein neues Zimmer zu suchen. Im Anfang legte er noch Wert auf Tele­phon und Warmbad. Dann wurde er wohl stel­lungslos..

Ich gehe immer nachdenklich von diesem Aus­hang am Zaun der Kohlenhandlung. Ich habe ein sehr ernstes Buch dieser Zeit gelesen. Ein Buch ohne rechten Abschluß. Man weiß nicht, mas mit den Menschen noch geschehen wird. Wenn man die Leute auf den Straßen, im Treppenflur flagen hört, muß man fürchten, daß zu den vier grüngestrichenen Aushangfästen eines Tages noch ein fünfter hinzukommt. Wie schön wäre es aber, wenn ich eines Tages an der Kohlenhandlung vorbeikomme und von den vier Kästen ist nur noch einer dort? Frau Müller darf selber in ihrem Balfonzimmer fizen, Herr Gürtler darf sein Klavier behalten und Frau Koch kann in ihr Leer­zimmer eine Klubgarnitur stellen. Leider ist vor­läufig wenig Hoffnung vorhanden.

Grimmers Waffelbäckerei

Eine nelle Weihnachtsbescherung/ Von Alice Ekert- Rothholz

Die Weihnachtszeit ist bekanntlich die Zeit der Geldausgaben und der rührenden und optimisti schen Weihnachtsgeschichten. Ueberall fieberhafte Geschäftstüchtigkeit der Weihnachtsengel und der Festschriftsteller. Mit Recht. Jeder Deutsche soll, menn schon teine Gans, so doch wenigstens seine fröhliche Weihnachtsgeschichte im Topf haben.

Ich will euch ebenfalls eine Weihnachtsgeschichte erzählen. Daß meine Geschichte weder gnaden­bringend noch tomettaglizernd ist, ist diesmal be­stimmt nicht meine Schuld. Beklagt euch deswegen beim Leben selber. Die Geschichte vom Glanz und Elend eines Waffelbäckers ist eine böse, böse Be= scherung. Sie hat aber dafür den Vorzug, tatsäch­lich passiert zu sein.

Nelly Wolffheim : Sanatorium nachtsdom. Sicher hatt ihr schon öfter von diesem

Sie leben ihren Leiden und essen streng diät,

Nur davon wird gesprochen Von früh bis spät

-

Sie züchten ihre Krankheit, sonst gibt es kein Problem,

So fliehen sie das Leben-

Das ist bequem.

Und draußen sind die andem und tragen wahre Not,

Sie können sich nicht pflegen und Krankheit ist hier Tod.

Die drinnen müssen essen, es ist die reine Mast,

Und das, was sie nicht schaffen,

Das ist verpraßt.

Man wirft es in den Abfall, zuviel auch für den Hund,

Was schadet die Vergeudung,

Wird man nur seibst gesund.

Weit draußen stehn die andern und blicken hungrig drein.

Sie sind's, die wirklich leiden, sie kennen wahre Pein.

Unser Held und Waffelbäcker befindet sich daher auch nicht im 66. Märchenbande aus Tausend und einer Nacht, sondern auf dem Hamburger Weih­Jahrmarkt an der Waterkant gehört. Tolle, bunte Spielbuden, Lichterorgien, viel zu große Zwerge, Reflamationen des aufgebrachten Publikums wegen der viel zu großen Zwerge( Ich hab schon mal einen kleineren Zwerg gesehen!"), Schieß­budenfiguren im Publikum, Rarusselli etriebe ( Modell aus dem Jahre 12651) und natürlich Waffel äckereien. Seligkeit!

Knusperige, fchmalzgetränkte

Der Waffelbäder Otto Grimmer zum Beispie! hat ununterbrochen zu tun. Wenn die ollen, ehr­lichen(?) Dombummler die Wahl haben zwischen der Dame ohne Unterleib und Grimmers Schmalz= waffeln, dann fiegt allemal das Verlangen des Magens über das Bedürfnis nach geistiger An­regung.

Grimmer backt und zaubert die Waffeln vor den Augen der Konsumenten. Alles ist eite! Schmalz und Seligkeit. Das Geschäft blüht und Grimmers Lächeln blüht. Wir werden einen feinen Weihnachten haben! Drinnen im Wohn­wagen. Mit eigenem Bäumchen und eigenen Waffeln, die so erstklassig sind, daß sogar Grimmer mit seiner fünftöpfigen Familie sie ißt. Someit wäre das eine erstklassige Weihnachts­geschichte. Nun mischt sich aber leider das Schick> fat in Grimmers Beihnachtsangelegenheiten ein,

Und das ist oberfaul. Bor einigen Tagen brach ein fleines Feuerchen auf dem Rummelplag aus. Man muß anerkennen: das Feuer benahm sich sehr fulant. Es bemächtigte sich einiger Buden, nachem die letzten Bergnügungsreisenden bas Domterrain verlassen hatten. So wurden die treuen Hamburger Dombesucher nicht erschrect und die weihnachtliche Stimmung blieb bewahrt. Mehr kann man von einem Zufallsfeuer nicht verlangen. Den Schreck und die Kosten trägt einzig und allein ein kleiner Waffelbäcker, ge­nannt Grimmer. Wer ist schon Otto Grimmer. Wer ist schon Otto Grimmer? Eine Null, die heißes, süßes Gebäck fabriziert. Wir werden eben morgen Schulzes Waffeln essen.

Grimmers Waffelbäckerei bot ein bedeutendes Naturschauspiel. Die Flammen, angeregt durch die Schmalzberge, tobten in großer Fahrt zum Nachthimmel empor. Selbst Kaiser Nero, der lediglich aus ästhetischen Rücksichten eine Stadt namens Rom in Brand setzen ließ, wäre beim Brand von Grimmers Schmalzbude nicht unzu­frieden gewesen. Dies Feuer konnte sich sehen lassen.

Auch eine nachbarliche Schießbude mit dem be­schwörenden Schild Der Weg zu Glück und Reich­tum ist den Flammentod gestorben. Nur das Schild wurde von der zartfühlenden Feuerwehr gerettet und wieder aufgestellt.

Grimmer hat in menigen Minuten alles ver­loren. Geblieben ist ihm nur ein verbundener und zentnerschwerer Kopf, sein Wohnwagen, ſein Bertrauen in die Zukunft und seine fünfköpfige Familie. Ferner die Ueberreste seiner in jahre­langer Arbeit geschaffenen Waffelbäckerei: Lein­wandfeßen und verkohlte Holzstücke. Sie haben außer Erinnerungswert nicht den geringsten Wert. Der Waffelbäcker sieht einem traurigen Feste entgegen. Zwei Tage später versuchte er in einer geliehenen Bude Wiener Mandeln zu verkaufen. Es fauften wenige Leute... Kein Mensch kann dafür, daß Schulzes heiße knusprige Waffeln beffer schmecken als die falten, harten Manteln eines Bechvogels. Die Mandeln erinnern offen. bar zu sehr an das Leben. Oder an eine pora zeitig abgebrannte Weihnachtsfreude....