und der D i k ta t u r, die später entstand, und sie blieb damit die wirklich marxistische Partei, denn ein marxistisches Dogma ist ein Widerspruch in sich selbst. Im Jahre 19l)1 hatte eine Amnestie— eine Seltenheit in jener Zeit— den Einundfünfzig- jährigen in sein Vaterland zurückgebracht, das er als Achtundzwanzigjähriger verlassen hatte. Ed. Bernstein ist aber aus England zu uns ge- kommen, nicht um sanftere Mechoden des Kampses zu predigen. Eher könnte man das Gegenteil behaupten. In einer Zeit nämlich, in der in der Partei die Erinnerung an das Sozialistengesetz noch stark nachwirkte, und noch die Parole galt: Genossen, laßt euch nicht pro- pozieren! Die Reaktion will schießenl in jener Zeit rief er zu Straßendemonstrationen für das gleiche Wahlrecht in Preußen auf. Jetzt war die Partei wirklich zur Massenbewegung geworden, ihre Stimmenziffern stiegen von Wahl zu Wahl, unerschüttert aber standen die Wälle der Reaktion— da kam der Krieg! Nach dem deutsch -französischen Krieg hatte den Einundzwanzigjährigen sein Gefühl für Gerechtig- keit zu den Cisenachern geführt. Mußte ihn nicht jetzt seine eigene Lehre vom Verhältnis der Arbeiterklasse zum Staat diesmal auf die andere Seite führen; auf die Seite derer, di« die Kredite bewilligten? Wie auf jeden von uns stürmten auch auf ihn die einander widersprechendsten Gedanken. Ge- fühle und Vorstellungen ein. Auch er sah die Gefahr, in der Deutschland schwebte, aber er sah auch die widerlichen Exzesse eines aufgepeitschten Nationalismus. Er sah den bar- barischen Uebermut voreiliger Siegeszuversicht, gegen den sich alles in ihm empörte. Als der Internationalste von uns allen empfand er noch stärker als wir andern den Weltkrieg als einen echten Bruderkrieg. Und so ward aus dem Weltkrieg dann auch ein Bruder- krieg zwischen deutschen Sozialisten und Proletariern, und dieser Bruderkrieg ging un- glücklicherweise weiter, auch nachdem die Mächte längst Frieden geschlossen hatten. Eduard Bernstein , der den Streit zwischen Cisenachern und Lassalleanern und dann die Einigung in Gotha miterlebt hatte, fand als einer der ersten den Weg zur Einheit zurück, um dann als Patriarch der wiedergeeinten Partei die Liebe und Verehrung aller zu genießen. Mit welcher Freuds empfing die Redaktion des„Vorwärts"' ihren alten Mitarbeiter; mit welchem Stolz sah die geeinte Reichstags- fraktion, die Berliner Stadtverordnetenfraktion ihn in ihrer Mitte! Und so blieb er alsParlamen- tarier, als Journalist, als Redner rüstig schaffend im Dienste des Sozialismus und des Proletariats, bis ihm die wachsende Last des Wers die nie erstrebte Ruhe auszwang. Und dann ist er ganz still von uns gegangen! Eduard Bernstein lebt njcht mehr! Es ist seine rührende Greisengestalt, die dieser Sarg umschließt; ein zu Ende gelebtes Leben, das sich tm Dienste einer großen Sache restlos erschöpft hat. Ach, wie wenig ist der Flamme geblieben, und wie viel bleibt uns! Flamme empor! Herzen empor! Genossen! Laßt uns noch einmal zeugen für diesen Mann, der einer der opfermutigsten, selbst- losesten Kämpfer für die Sache des Proletariats und des Sozialismus gewesen ist; für diesen Mann, der das Rüstzeug unserer geistigen Kämpfe geschmiedet hat, für diesen großen Vor- kämpfer eines neuen Zeitalters und einer neuen Menschheit. Wer gelebt hat, wie dieser, stirbt niemals ganz! Sein Werk wirkt in weltgeschichtliche Weiten. Sein Geist ist lebendig überall, wo die arbeitende Menschheit kämpft gegen das Elends- joch des Kapitalismus, gegen geistige Unfreiheit. Er ist lebendig überall, wo Jugend unker roken Fahnen marschiert. Eduard Bernstein , du guter Führer und Kamerad, zieh hin! Dein sei der Frieden! Unser aber— in deinem Geist«— der Kamps! Genosse Vliegen: „Im Namen der Sozialistischen Ar- beiter-Jnternationale bin ich gekom- men, um zu Ehren unseres toten Freundes Eduard Bernstein einige einfache Worte des Abschieds zu sprechen. Cr ist einer der wenigen Pioniere, die uns noch aus der Heldenzeit des Sozialismus ge- blieben waren. Er hat die ganz schweren Zeiten durchgemacht, und gerade in diesen Zeiten wurde er emporgehoben zu einem Kämpfer der lebte und wirkte, um den Sozialismus gegen alle Gefahren zu schützen. Wahrlich, als Mensch hatte er nicht dos Aussehen eines Kämpfers, und man kann sich ihn nicht mit der Waffe in der Hand vorstellen. Und doch war er ein Kämpfer! Er verachtete die Waffen der Barbaren, denn sein Schwert war der Geist. Durch diesen Geist aber hat er Un- endliches zur Schulung der Arbeiter aller Länder beitgetragen. Sein Einfluß war nicht auf Deutschland be- schränkt, er ergoß sich über die ganze Welt. Seine Schriften sind in viele Sprachen über- seht worden und für das. was er uns gab. danken wir alle aus allen sozialistischen Parteien der Welt unserem Eduard Bernstein . Der sogenannte Revisionismus war kein Vor- stoß gegen den revolutionären Kampswillen des Sozialismus. Nein, er schlug die Brücke zwischen diesem Kampswillen und der Notwendigkeit demo-
Boncoms RegiemngskrWmng krampt um den Etatausgleich— Regelung der Kriegsschulden und Abrüstung
Eigener Bericht des„Vorwärts" Paris , 22. Dezember. Das Kabinett Paul Loncour stellte sich am Donnerstagnachmittag dem Parlament vor. In der Kammer verlas der Minister- Präsident die Regierungserklärung, deren wort- laut in einem am vormittag stattgefundenen Ministerrat festgelegt worden war. Die Abgeordnetenbänke und Tribünen waren stark beseht. Die wichtigsten Stellen der ziemlich umfang- reichen Regierungserklärung lauten:„Die Regie- rung verhehlt sich keineswegs die Schwierigkeilen, unter denen sie zu kämpfen haben wird. Unter außerordentlich heiklen Umständen war eine Ministerkrise ausgebrochen. Weder das Prestige des gestürzten Ministerpräsidenten noch die Poli- tik, die er vertrat, sind in irgendeiner Weise be- rührt worden.(Beifall links.) Ein vielleicht übertriebener, aber sehr ehrenwerter Gewissens- Zweifel ließ es dem Ministerpräsidenten jedoch als unmöglich erscheinen, dem Wunsche aller derer nachzukommen, die ihn wieder in der Leitung der Staatsgeschäfte sehen wollten Wie der Präsident der Republik sind der neue Regierungschef und seine Mitarbeiter der Meinung gewesen, daß über eine ernste, aber vorübergehende Meinungsoer- schiedenheit hinweg die aus den Wahlen hervor- gegangene Mehrheit die Pflicht hätte, dem die Stirn zu bieten, was das Interesse des Landes verlangt.(Beifall links.) Die Zusammensetzung unseres Ministeriums legt Zeugnis von unserem Willen nach Kontinuität ab. Diese Kontinuität ist nicht nur eine berechtigte und herzliche Hui- digung für das Werk des Ministerpräsidenten Herriot ; sie erscheint uns auch als notwendig, um die Autorität der Minister über die Dienst- stellen, die sie zu verwalten haben, aufrechtzu- erhalten. Die Wiederherstellung der Staatsautorität in einer Demokratie, die der Ausdruck des Volks- willens ist, wird eine unserer Richtlinien, der erste und wesentlichste Artikel unseres pro- gramms sein. (Beifall auf allen Bänken.) Wir werden, wenn uns Zeit gelassen wird und trotz aller Kämpfe, die wir bestehen müssen, die kühnen Reformen durchführen, für die uns die Wähler gewählt haben.(Großer Beifall links.) Zunächst müssen die Finanzen saniert, muß das Defizit beseitigt und der durch das Mißverhältnis zwischen öffentlichen Ausgaben und den Erträgen der Unternehmungen
in Bruch gegangene Ausgleich des Budgets wieder hergestellt werden. Energische Einsparungen sind notwendig und unvermeidlich. Alle Länder, die leben wollen. haben sie durchgeführt. Die Methode und die Höhe dieser Einsparungen werden wir später bekanntgeben. Für dieses Werk werden wir getreu unseren Grundsätzen an die Mitarbeit der Parlaments- ausschüsse und auch an die betreffenden Personen selbst, d. h. an die Beamten und Kriegsteilnehmer apvellieren. Denn wir erklären sofort, daß wir außer gemeinsamen Opfern, die alle Bürger bringen müssen, ständige Ersparnisse nur in der Reorganisation der Verwaltung, in der Ab- schaffung der unnützen Beamtenstellen und in der Vereinfachung des Mechanismus finden. Für den Augenblick werden wir nur ein provisorisches Bud- get für den Monat Januar verlangen. Die zweite unserer wesentlichen Ausgaben ist die Regelung der Kriegsschulden. Mit derselben Ossenheit sind wir der Ansicht, daß die Umstände und die Kompliziertheit der gegen- wärligen politischen Lage in Amerika uns be- stimmen, die Verhandlungen mit einer äußersten Vorsicht zu führen. Ihre Richtung wird durch das Votum der Kammer vom 12. Dezember angegeben. Seit diesem Votum, das sofort der amerikanischen Re- gierung mitgeteilt worden ist, ist glücklicherweise ein Kontakt mit Amerika aufrechterhalten worden, und wir sind dankbar dafür, daß in Washington ernschafte Anstrengungen unternommen worden sind, um die Schwierigkeiten beizulegen. Wir werden die Verhandlungen mit dem festen Willen führen, eine Gesamtlösüng vorzubereiten, die der Unordnung ein Ende macht, d>e die Lasten der Regierungsschulden für die allgemeine Wirtschaft- liche Gesundung nach sich zieht. Die Krise ist nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch psychologischer Art, und sie ist auf die internationale Beunruhi- gung, auf die M-ßverständnisse und Rivalitäten zwischen den Völkern zurückzuführen. Die vorige Regierung hat sich mit Erfolg darum bemüht, die Abrüstungskonferenz von der Ungewißheit und der Langsamkeit zu befreien, an denen sie zu scheitern drohte, wir werden diese Arbeit fortsehen. Ein konstruktiver Plan, der m präziser Form die notwendige Verbindung zwischen Ab- riistung und Sicherheit herstellt und sich nicht eines dieser Ausdrücke bedient, um den anderen zu be- seitigen oder auf die lange Bank zu schieben, ist
eingebracht worden. Wir werden ihn verteidigen. Ein wichtiges Ergebnis ist bereits erzielt: die Rückkehr eines großen Staates zur Konferenz, dessen Gegenwart notwendig rst, um, den zu vereinbarenden Abkommen, den Garantien und der Kontrolle, die seine Folge sein müssen, ihre volle Wirksamkeit zu geben. Wir werden darüber wachen, daß man nicht aus der loyalen Anerkennung einer Gleichberechtigung in der Gleichheit der Pflichten und in einer posit ven Organisation der internationalen, zum mindesten europäifchen Sicherheit Folgerungen zieht, d-e auf eine mit den Zielen der Konferenz und den ,zne- densverträgen nicht zu vereinbarend« Wieder- aufrüstung gerichtet sein würden."(Großer Beifall links.) lieber die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit heißt es in der Regierungserklärung:„Wir werden das von dem Arbeitsminister schon vollbrachte Werk weiter ausbauen, um in wirksamster Weise die unschuldigen Opfer zu unterstützen, die das Recht hatten, von ihrer Arbeit zu leben, und die infolgedessen auch das Recht haben, an die Solidarität der Nation zu appellieren. Zu gleicher Zeit werden wir uns um die Prüfung der Mittel kümmern, die eine bessere Verteilung der Arbeit erlauben und die Wirkun- gen einer Krise abschwächen, die die Entwicklung des Maschinismus zu verlängern droht, wenn die Organisation der Arbeit nicht der Technik der Produktion angepaßt wird. Dlese Mittel müssen nach unserer Ansicht auf internationalem Gebist gesucht werden. Wir werden der vorbereitenden Konferenz, die im Januar in Genf stattfindet, unsere kräftige Mitarbeit gewähren. Wir sind andererseits davon überzeugt, daß es für die Organisation und Rationalisierung der Produk- tion unter Achtung der Rechte aller dringend notwendig ist, Kollektivverträge auszuarbeiten, die geeignet sind, den allgemeinen Interessen zu dienen, und dem Landeswirtschastsrat den Platz einzuräumen, den er in der Wirtschaft haben muß. wir werden natürlich an keines der Gesehe rühren, die der Well der Arbeil eine größere Unabhöngigkeil, Gerechliakeil und Sicherhell verschaffen. Ebenso werden wir sorlsahren, durch eine Gleichberechtigung beim Unterricht allen Kindern des Volkes die unbegrenzten Möglichkeiten des Wissens zu eröffnen. Dieses sind unsere unmittelbaren Ziele, wir bitten heute um ihr Vertrauen. Die Regierungserklärung wurde bei den Radi- kalen und Sozialisten mit Beifall aufgenommen. Di« Kammer trat sofort in die Debatte ein.
krätischer Taktik. Er brachte den Sieg der demo- kratischen Methoden, die nachher von allen Län- dern fast eingeschlagen wurden. Bernsteins Ver- dienst ist es, daß diese Brücke geschlagen wurde, ohne daß große Spaltungen eintraten. Sie wur- den erst durch den Krieg und seine Folgen ge- bracht. Seinen Gedanken bleibt die Zukunft, und im Namen der Internationale danke ich Eduard Bernstein für sein Leben, in dem Kampf und Ar- beit früh einsetzten und spät endeten. Wir haben viel von ihm gelernt, und auf immer ist ihm die Dankbarkeit der Internationale sicher." Vliegen schloß seine Rede mit einem besonderen Gruß der Partei seiner Heimat, der niederländi- schen sozialistsschen Arbeiterpartei, auf die Bern - steins Wirken einen großen Einfluß ausgeübt hat. Im Namen der„Sozialistischen Monatshefte" widmet ?eul Kempkkme�er dem taten Freunde herzliche, tiefgründige Wort« des Abschieds. Im Namen der Soziali st ifchen Partei Frankreichs nimmt Genosse Grinnbedb das Wort. Er rühmt den Lehrer, der sein persön- licher Freund war und dem er tiefste Be- wunderung und ehrlichste Dankbarkeit zollt. „Wäre", so ruft er aus,„unser großer Jaurzs nicht 1914 von uns genommen, er stände heute hier, um dem toten Eduard Bernstein zu huldigen und seinen Mut, seine Kühnheit und seine Klug- heit zu rühmen." Grumbach weist dann darauf hin, wie notwendig und aktuell es fei, sich in die Werke eines Bernstein und Kautsky zu»ertiefen, und schildert dann den Menschen Bernstein, der von tiefster innerlicher Heiterkeit erfüllt war. Das war er, wie IaurKs ja auch gesagt, daß die Menschen Freude brauchen. Grumbach würdigt dann die Arbeit Bernsteins, dem der Krieg schmerzlichstes Erlebnis war, für eine Verständigung zwischen dem deutschen und dem französischen Volke, die eine der wichtigsten Vorbedingungen für den Frieden und den Sozialismus ist, und schließt mit den Worten:„Es war ein Leben, wert, gelebt zu werden." Unsere Arbeitersänger lassen das Lied„Ein Sohn des Volkes" erklingen. Die„Litanei" von Schubert folgt. Die Hunderte haben sich erhoben. Die Kampffahnen neigen sich, und der Sarg ver- sinkt... Ireuerknnllgelzitngen Der Parteivorstand hat weiter folgende Tele- gramme erhalten: Wir trauern mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands um das Ableben Eduard Bernsteins , des unermüdlichen Vorkämpfers des Sozialismus. Sein Name ist für immer mit der Geschichte der Arbeiterbewegung verbunden, seine Arbeit diente in ihren letzten Zielen den G e»
werkschaften ebenso wie der Polftik; deshalb wird auch die freie Angestelltenbewegüng immer feiner gedenken. Berlin . A f A- B u n d, * Die tschechoslowakische Sozialdemokratische Ar- beiterpartei bedauert herb den schweren Verlust, den die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und das große internationale Proletariat durch den Tod eines der größten Führer der internatio- nalen Sozialdemokratie, des Genossen Eduard Bernstein , erlitten hat. Prag . Hampl. Dundr. * Die Exekutive der La b o u r Party betrauert mit euch den Verlust ihres lieben Freundes und Genossen Eduard Bernstein . Immer haben wir ihn als einen der unseren betrachtet, er selbst war
ein Verbindungsglied zwischen der deutschen und der britischen Sozialdemokratie. London . Henderson, Parteisekretär. * Mit tiefem Bedauern höre ich von dem Heim» gang des Genossen Eduard Bernstein . Im Namen des Generalrats des Gewerk- schaftskongresses bitte ich, diesen Ausdruck unserer ernsten Sympathie an den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei weiterzuleiten. Bern- stein,— der wegen seines Wirkens für die Partei aus seinem eigenen Vaterlande verbannt war— hat eine lange Zeit in England gelebt. Dies und die Tatsache, daß sein Leben ein langer Kampf für Frieden und Freiheit gewesen ist, wird sein Gedenken auch bei der organisierten Bewegung unseres Landes allzeit wach erhalten. London . Walter M. Citrine, Generalsekretär.
Die Amnestie in Kraft
Weitere Haftentlassungen
Nachdem die politischen Staatsanwaltschaften die Haftsachen erledigt und auch die Strafvoll- streckung in den Fällen inhibiert haben, in denen die Verurteilten die Strafe noch nicht angetreten haben, befaßten sie sich gestern mit der Ein- stellung der noch schwebenden Ver- fahren, darunter auch solcher, in denen bereits der Eräffnungsbeschluß ergangen ist. Die nicht politischen Sachen werden von den Staatsanwalt- schaften noch eifrig bearbeitet. Die kleinen De- likte, deren Verursachung durch wirtschaftliche Not klar auf der Hand liegt, machen im großen und ganzen keine Schwierigkeiten; anders dagegen die sogenannten Wirtschaftsverbrechen. Hier muß festgestellt werden, ob die wirtschaftliche Not das Primäre war und die strafbaren Handlungen nur deren Folge, oder ob die wirffchaftliche Not bloß durch das strafbare und kaufmännisch unkorrekte Verhalten des Geschäftsmannes herbeigeführt worden ist. Die Entlassungen aus den Gesäng- nissen dauern indessen an. So wurden gestern der zu 114 Jahren Gefängnis verurteilte Reichs- bannerkamerad Be s ch(Nauener Landfriedens- bruch) aus dem Gefängnis entlassen. Der zu einem Jahr Zuchthaus wegen Körperverletzung aus politischen Mottven verurteilte Reichsbanner- mann Stock— er soll einem Nazi ein« Pistole abgenommen haben—, hatte seine Strafe zum Glück noch nicht angetreten. Vor mehreren Tagen bereits wurden ganz unerwartet die 17 Königs- wusterhausener Reichsbannertameraden aus
der Untersuchungshaft entlassen, anscheinend gleich- falls angesichts der bevorstehenden Amnestie und der damals ,ju erwartenden Aufhebung der Anti- Terrornowerordnung. Der Freiheit wiedergegeben wurde gestern auf telegraphische Anweisung des Oberreichsanwalts der zu 18 Monaten Gefängnis wegen Verrats militärischer Geheimnisse verurteilt« Herausgeber der„Weltbühne", Karl von O s s i e tz k y; er hat von seiner Strafe bereits 714 Monate verbüßt. lieber das Schicksal der Reichsbannerkameraden Rothe, Teichmann und Schmidt wird, wi« bereits berichtet wurde, erst heute entschieden werden. Im Falle R o t h e hat die Staatsanwaltschaft aus eigener Inittatioe die Strafkammer zur Entscheidung angerufen; es ist zu erwarten, daß diese zugunsten Rothes ausfällt, um so mehr als in verschiedenen gleichliegenden Fällen die an- deren Staatsanwaltschaften für die Verurteilten günstige Entscheidungen berits getroffen haben. Bei den Reichsbannerleuten T e i ch m a n n und Schmidt ist die Haftentlassung von der Staats- anwaltfchaft abgelehnt worden: der Vertei- diger Rechtsanwall Joachim hat deshalb von sich aus richterliche Entscheidung beantragt.