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Morgen- Ausgabe

Nr. 610 A300 49. Jahrg.

Redaktion und Berlagi Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher 7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

28. Dezember 1932

In Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Ranzige Margarine fürs Bolf!

Der Landbund befiehlt

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das Schleicherkabinett gehorcht

Aus den übereinstimmenden Meldungen der Preise die Regierungsstellen hüllen sich nach wie vor in Schweigen- muß man jetzt den Schluß ziehen, daß die Beröffentlichung der famosen Butter- Margarine- Berordnung unmittelbar

bevorsteht.

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Die einhelligen Proteste der gesamten Ber­braucherschaft und der Gewerkschaften haben nichts genuht. Es hat bei der Reichsregie­rung auch feinen Eindruck gemacht, daß selbst weite Kreise der Bauernschaft Bauernvereine des Südens und Westens und die Molkereigenoffen­schaften deutlich haben erkennen lassen, daß sie sich von einem Butterbeimischungszwang zur Margarine für die Besserung der Butterpreise nichts versprechen. Aber die Großagrarier und Hugenberg , in ihrem Auftrage der Reichs­ernährungsminister Freiherr von Braun, bestehen auf ihrem Schein. Herr von Schleicher, der Reichskanzler, hat zu diesem volkswirtschaft­lichen Unfug, durch den man allein die Deutsch­nationalen glaubt an der Stange halten zu können, feine Zustimmung gegeben. Und so wird der Unfug einfach verordnet!

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Die Regierung Schleicher mußte, um sich ein­führen zu können, die größten politischen und jozialen Torheiten des Papen- Kabinetts reparieren. Der Butterbeimischungszwang ist die erste Aeuße rung einer selbständigen Politik des Schleicher­Kabinetts. Aber dieser erste Akt selbständiger Politik

wird als neuer wirtschaftspolitischer Standal in die Geschichte eingehen!

Wie wir erfahren, wird es sich bei der Butter­beimischungsverordnung um eine einfache Ermächtigung des Reichsernährungs­ministers handeln, die Butterbeimischung anzu­ordnen. Die Feststellung der beizumischenden Mengen und der zur Beimischung bestimmten Margarinequalitäten werden wahrscheinlich Durchführungsbestimmungen überlassen bleiben. Das entspringt aber nicht etwa höherer Einsicht oder flarer Erkenntnis dessen, was man will. Klar ist nur, daß man den großagrarischen Kreisen und Hugenberg aus politischen Gründen ein Inter­essentenhaufen- Geschenk machen muß. Untlar da­gegen und völlig unbedacht ist alles, was technisch und wirtschaftlich zur Durchführung des Projektes gehört. Es kann nicht mehr als die allgemeine Ermächtigung des Reichsernährungsministers ver­ordnet werden, weil man keine Ahnung hat, mie diese Butterbeimischung zur Margarine auszusehen hat, damit sie zu einem Erfolge führt!

In Holland ein Miẞerfolg Der Hinweis auf das gelungene holländische Beispiel ist auf Dummenfang berechnet. In Holland war die Sache so, daß man plöglich die überschüssige Butter im Auslande nicht mehr unterbringen konnte, weil der Exportmarkt zu schlecht wurde. Deshalb versuchte man die Butter­beimischung zur Margarine, die im übrigen auch ein Mißerfolg wurde Sie wurde ein Miß­erfolg, obwohl Holland fast nur Marfenbutter, also die allerbeste Butter, beimischte und obwohl der Umschlag dieser hochwertigen Buttermargarine nur etwa 12 Tage beansprucht.

Ranzige Margarine fürs Volk!

Im Gegensatz zu Holland ist Deutschland ein Buttereinfuhrland. Ueberschüssige Butter gibt es in Deutschland nicht, die beizumengen wäre. Darüber hinaus aber sind von den rund 300 000 Tonnen Butter, die Deutschland erzeugt, nur etwa 40 000 Tonnen Marfenbutter.

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Der Rest ist sogenannte Bauernbutter. Bauern­butter tann bestenfalls 12 Tage lang gehalten werden.

Mit Margarine vermischt macht die Bauern­butter die Margarine nach 12 Tagen ranzig. Der. durchschnittliche Umschlag der in Deutschland erzeugten Margarine beansprucht aber 50 bis 60 Tage!

Es ist aber den Herren im Reichsernährungs­ministerium feinen Augenblid eingefallen, sich ernsthaft um diese technischen Fragen zu kümmern. Denn hätte man es getan, dann hätte das ganze Butterbeimischungsprojekt überhaupt nicht zur Dis­tuffion gestellt werden können.

Auch noch Schluderarbeit!

Bollständig offen sind auch andere Fragen. So die Frage der Kontrolle. Wir haben an sechs Duzend Margarinefabriken in Deutschland . Soll die Butterbeimischung in der Praxis wirklich ers

die Notverordnung kommt!

folgen, dann genügt es nicht, daß man die Ab­nahme der Butter durch die Margarinefabriten fontrolliert, sondern man muß auch in jeder Kiste die tatsächlich erfolgte Beimischung kontrollieren, weil die Margarinefabriken unter Umständen besser dabei fahren könnten, die ihnen aufgezwungenen Buttermengen einfach wieder auf dem Markt zu verkaufen! Daß man im Reichs. ernährungsministerium bewußt davor die Augen geschlossen hat, daß eine Butterbeimischung zu den teuren Margarinesorten diese so verteuert, daß nur noch die geringerwertigen Margarineforten getauft werden, der Butterabjag auf die Dauer weiter sinken und schließlich auch die leicht ranzig werdende Bauern butter nicht mehr getauft wird, das haben wir hier so oft gefagt, daß wir es nicht mehr zu wiederholen brauchen.

Es ist selbstverständlich, daß die organisierte Arbeiterschaft durch diese unsinnige und verteuernde Maßnahme nur zur Verschärfung ihres Wider­standes gegen das Kabinett Schleicher ermahnt wird.

Die GA- Feme in Dresden

Ein SA.- Mann wegen Begünstigung verhaftet

Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Dresden , 27. Dezember. In Freital bei Dresden wurde bei einem Nazi­konzert der S- Mann Bormann aus Tharandt verhaftet. Bormann wird be­schuldigt, den SA. - Mann Schenk, den ver­mutlichen Mörder des Nationalsozialisten Hentsch, zur Flucht verholfen zu haben. Schenk hatte Hentsch am 4. November spät abends an eine bestimmte Stelle beordert, um ihm angeblich einen Sonderauftrag zu erteilen. Bormann war einer der Kronzeugen der Staatsanwaltschaft in einem Prozeß gegen acht Reichsbannerleute, der dieser Tage zur Verhandlung kommen sollte, aber auf Grund der Reichsamnestie abgesetzt wurde.

Die Mutter des ermordeten SA. - Mannes Hentsch hat der Parteileitung der NSDAP . mit­geteilt, daß sie bei der Beerdigung ihres Sohnes weder ein Mitglied der Partei oder der SA. noch irgendeine Kranzspende von dieser Seite zu sehen wünsche.

Hitler und die Mutter des Ermordeten

Jezt wird ein Brief der Mutter des ermordeten hengsch bekannt, die in ihrer Sorge am 8. Dezember, also fieben Wochen, nach­dem ihr Sohn verschwunden war, von Dresden aus an Hitler und Röhm nach München geschrieben hat. Die Mutter bezeichnet das Verschwinden ihres Sohnes als rätselhaft, bittet Hitler und Röhm flehentlich, ihr doch ein Wort des Trostes zu sagen, und spricht ihre Enttäuschung darüber aus, daß bisher noch kein Borgesetzter ihres Sohnes, der stets als Nationalsozialist seine Pflicht getan habe, zu ihr gekommen sei, um sie zu beruhigen. Sie habe gemeint, in der Partei Hitlers bestehe Kameradschaft Der Verhalten der Dresdener Ortsgruppenleitung sei ganz unmöglich. Wörtlich schreibt dann die Mutter an Hitler und Röhm:

Hier in Dresden funktioniert der NSDAP. ­Apparat irgendwie nicht richtig. Wie kann eine Mutter so im Stich gelassen werden von der Partei, für die der Sohn alles eingesetzt hat, vielleicht sogar das Leben?"

Die Mutter schreibt weiter, es sei doch das Allergeringste gewesen, daß man ihr eine Nachricht hätte zukommen lassen. Mit dem Verschwinden ihres Sohnes sei ihr auch ihre einzige wirtschaft­liche Stüge genommen worden. Zum Schluß bittet die Mutter Hitler und Röhm um Be= nachrichtigung, ob sie nicht von der Partei,

Der Schulputsch

Der Kurs vom 20. Juli geht weiter

Der Schul putsch in Preußen ist die konsequente Fortsetzung des reaktionären Anschlags vom 20. Juli. Als Herr von Schleicher an der Schwelle des Reichs­fanzleramtes stand, versicherte er, daß er den 20. Juli ebenso bedauere, wie die Art und Weise, in der Otto Braun und Carl Severing behandelt worden seien. Dieser deutlichen Distanzierung in Worten vom Papen - Kurs in Preußen stand schon damals die Tatsache gegenüber, daß der 20. Juli unter aftiver Mitwirkung der Reichswehr erfolgt ist und daß die Reichswehr benugt worden ist, um eine Politik der Durchsetzung der preu­ßischen Verwaltung mit Monarchisten und Stockreaktionären, mit deutschnationalen Parteibuchbeamten und Junkersprößlingen durchzuführen. Seitdem nun Herr von Schleicher Reichskanzler ist, hat sich in Preußen nicht das geringste geändert. Ganz im Gegenteil: die reak­tionäre Papen- Politik, die Politik der Pro­vokation der Republikaner wird unentwegt fortgesezt. Wo noch Lücken geblieben sind in der deutschnationalen Parteibuch­beamtenpolitik, werden sie jetzt geschlossen!

Seit dem 20. Juli regiert deutsch­nationale Parteibuch politik die Stunde in Preußen. Die gesamte Ver­waltung und die Personalpolitik ist einer fleinen, aber stockreaktionären Partei aus­geliefert, die feinerlei Rückhalt im Bolle hat und allgemein verhaßt ist, als der Hort der frechsten, dümmsten und provo­Auf diesen Brief haben Hitler und Röhm über- katorischsten Reaktion. haupt nicht geantwortet!

bei der ihr Sohn doch auch versichert sei, eine fleine Beihilfe bekomme fönne.

Am 15. Dezember schrieb im Auftrage des ,, Chefs des Stabes", Röhm, der Oberführer Seydel an die bekümmerte Mutter Henzsch. Der Brief ist sehr kurz und lautet in seinem Hauptteil: Zu meinem Bedauern muß ich Ihnen mitteilen, daß der Obersten SA .- Führung sowohl der Name Ihres Sohnes Herbert Henzsch wie auch sein plötzliches Verschwinden gänzlich unbekannt

waren.

Bei einer Organisation von 100 000 iſt das wohl begreiflich. Heil Hitler!"

Wieder Nazi- Bombenanschlag!

Stolberg ( kr. Landsberg ), 27. Dezember. In der vergangenen Nacht wurde vor dem Hause des ehemaligen Anstaltsbeamten Bernebee- Jan ein Bombenattentat verübt. Die Bombe explodierte unter dem Raum, den die Eheleute Bernebee- Jay noch vor einigen Tagen als Schlaf­zimmer gebraucht hatten. Die Fenster wurden vollständig zertrümmert. Berletzt wurde niemand. Bisher wurden in dieser Angelegenheit drei Mitglieder der NSDAP . verhört.

Reichstag Mitte Januar

Entscheidende Sitzungen

Nachdem Herr Göring die nächste Sigung

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des Aeltestenrates erst auf Mittag, den 4. Januar, angesetzt hat, wird die erste Sigung des Reichs­tags nicht vor dem 10. Januar, vielleicht gar noch eine Woche später stattfinden, da die Natio­nalsozialisten immer wieder Zeit zu gewinnen suchen bald verschiebt ihr Präsident, bald ver­schieben sie selber. Am Beginn der Tagung wird die Regie­rungserklärung, die politische Aussprache und die Abstimmung über Mißtrauensvoten und Notverordnungen stehen, die diesmal zusammen ziemlich eine Woche in Anspruch nehmen dürften. Dabet entscheidet sich das Schicksal der Regierung Schleicher und des Reichstags falls bis dahin die Nationalsozialisten nicht erneut umgefallen find. Eine Gewißheit über ihre Haltung besteht auch heute noch nicht.

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Am 20. Juli haben Papen und seine Freunde ihren Streich in Preußen vollführt unter dem Vorwand, daß Ruhe und Ordnung gestört seien. Es war der ekla­tanteste Mißbrauch der einschlägigen Ver­fassungsbestimmungen, der sich denken läßt. Sie haben sofort den Belagerungszustand verhängt, um unter seinem Schutze erprobte republikanische Beamte von hoher Qualifi­kation aus den Aemtern zu entfernen und deutsch nationale Parteibuchbeamte an ihre Stelle zu sehen. Von Ruhe und Ordnung war so wenig weiter die Rede, daß nach dem Vorgehen in Preußen der unge­heure Anstieg der Terrorwelle und nach ihm die Verordnung über die Sondergerichte er­folgte! Wie sehr durch den 20. Juli Ruhe und Ordnung gefördert worden sind, das haben Papen und seine Freunde selbst er­fahren, als sie nach der letzten Reichstags= wahl durch einen Sturm der Entrüstung und Empörung aus dem Amte verjagt wurden. Der 20. Juli hat in Wahrheit Ruhe und Ordnung gestört, denn wer glaubt, daß die fortgesetzten reaktionären Provokationen in Preußen nicht geeignet seien, die Erbitterung und den Zorn der republikanischen Bevölke­rung zu verstärken, der ist in einem funda­mentalen Irrtum befangen!

Empörend ist nicht nur die Tatsache der Auslieferung der preußischen Verwaltung an die Reaktion schlechthin, empörend ist noch viel stärker die Unehrlichkeit der Ausreden, die die Parteibuchbeamten­Politik nur notdürftig verdecken. Erst hat man von der Notwendigkeit des Schutzes von Ruhe und Ordnung gesprochen. Eine zweite Belle des Beamtenschubs ging unter dem Schlagwort der Verwal= tungsreform, eine dritte unter dem Vorwand der Sparmaßnahmen. Um wahre Verwaltungsreform und Sparmaß­nahmen hat es sich dabei so wenig gehan­delt, daß inzwischen die meisten Stellen der von ihren Aemtern entfernten republikani­schen Beamten wieder befeßt worden sind! Unter diesen nichtigen Borwänden ist der