Einzelbild herunterladen
 
  

Morgen- Ausgabe

Nr.612 A301 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amr Donhoff 292 bis 297 Telegrammabresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DONNERSTAG

29. Dezember 1932

Jn Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Eine Anfrage zum SA  - Fememord Bangende Mütter

Die sozialdemokratische Fraktion im Sachsen- Landtag   fordert Rechenschaft

Dresden  , 28. Dezember.

Die sozialdemokratische Fraktion hat im Sächsischen   Landtag zu dem Fememord an dem SA. Mann Henksch folgen­den Antrag eingebracht:

,, Der Nationalsozialist Henksch ist einem Fememord zum Opfer gefallen. In bestialischer Weise haben die nationalsozialistischen Mörder ihr Opfer angeschossen, den wahr­scheinlich noch lebenden Kameraden in Säde gewickelt, mit Steinen belastet und - dann in die eisigen Wassermassen der Tal­sperre Malter geworfen. Die Befürchtun gen der sozialdemokratischen Landtags­fraktion sind durch die entsetzliche Tat bet weitem übertroffen worden.( Wir haben. seinerzeit die betreffende Anfrage ber­öffentlicht. Die Red.) Die grenzenlose ,, Harmlosigkeit" der untersuchenden Poli­zeibeamten wird durch den grausigen Fund in ein äußerst merkwürdiges Licht gerückt Das unerhörte Verhalten der in Frage kommenden Beamten hat nicht nur die Flucht der Mörder be günstigt, sondern auch die recht zeitige Aufdeckung des gemeinen Kame­radenmordes verhindert.

Der Landtag wolle deshalb beschließen, die Regierung zu ersuchen: 1. diejenigen Beamten, die durch ihre unverständliche Haltung die Mörder begünstigt haben, zur Rechenschaft zu ziehen; 2. dafür zu sorgen, daß keiner dieser Beamten an dem weiteren Ermittelungsverfahren beteiligt wird; 3. die Mörder energisch zu ver­folgen und 4. auch die intellektuellen Ur­heber, die in den Kreisen der Dresdener  Partei und Standartenführer NSDAP  . zu suchen sein dürften, ohne Ansehen der Person zur Verantwortung zu ziehen."

der

Kählers Vertrauensmann Die deutschnationale Parteibuch­

wirtschaft

Dieser Tage hat der deutsch nationale Kommissar des Herrn Schleicher im preußischen Bolksbildungsministerium durch Erlaß die Ver­jetzung des des pommerschen Landlehrers und deutsch   nationalen Landtagsabge= ordneten Kidhöffel nach Berlin   ange­ordnet.

Wes Geistes Kind dieser Kick höffel ist, er­gibt sich aus einem Schreiben, das er fürzlich als Mitglied der deutschnationalen Landtagsfraktion an das Volksbildungsministerium gerichtet hat. Er führt darin Beschwerde über die Behandlung einer deutschnationalen Lehrerin und denunziert dann die Schulbehörden in Berlin   und Branden­ burg   in folgender Weise:

,, In Berlin   und in der Provinz Brandenburg  versucht man in legter Zeit planmäßig, die nationalen Lehrer in immer stärkerem Maße zurückzusetzen, von der Beförderung auszu­schließen, durch Versetzungen zu schifanieren. Die nationalen und christlichen Junglehrer und -lehrerinnen werden möglichst aus Berlin   hin­ausgeschoben, um hier zu einem einheitlich links gerichteten Lehrförper zu kommen."

Das behauptet Richöffel, ohne seiner Denunzia­tion auch nur einen einzigen Beweis betzufügen. Trogdem hat die vorgesetzte Behörde seine Be schwerde geprüft und festgestellt, daß sie völlig

Die Mörder in Italien  ?

Die Kommunisten haben im Landtag zum Fall Henksch einen Antrag eingebracht, in dem die Regierung aufgefordert wird, sofort eine strenge Untersuchung gegen die Leitung der Dresdener   Polizei und insbesondere gegen den kriminalrat Bogel   wegen des dringenden Verdachts der Begünstigung bei der Untersuchung des Fememordes einzuleiten und Bogel   bis zum Abschluß des Verfahrens vom Dienst zu fuspendieren.

Auch die Dresdener Neuesten Nachrichten" wenden sich am Mittwoch gegen die Polizei und betonen, daß in der mangelnden Ueberwachung des Bormannschen Grundstüdes in Tharandt   und der dadurch ermöglichten Flucht des Haupttäfers Schenk der nicht zu rechtfertigende Fehler der betreffenden Kriminalbeamten" liege.

Alles deutet übrigens darauf hin, daß die Mörder in Mussolinis Reich geflüchtet sind.

Amtliche Beschwichtigungsversuche

Die Auffindung der Leiche des ermordeten SA.­Mannes Hentsch und die Enthüllungen über die standalöse Haltung der Dresdener   Polizei haben in Dresden   große Erregung hervorgerufen. Die amtlichen Stellen bemühen sich, die Erregung zu besänftigen. Am Dienstag hatten Landtags­abgeordnete verschiedener politischer Parteien in der Angelegenheit des ermordeten SA  .- Mannes Hentsch beim Justizminister Dr. Mannsfeld. und beim Innenminister Richter vorgesprochen. Beide Minister sicherten den Abgeordneten strengste und beschleunigte Durchführung der Untersuchung zu.

Der Polizeipräsident versucht das Ber­halten der Polizei mit Gründen zu entschuldigen, die niemanden zu überzeugen vermögen. Die Staatsanwaltschaft teilt mit:

,, Die Staatsanwaltschaft hat unmittelbar, nachdem ihr die Akten zugegangen

unberechtigt ist: die Denunziation wurde deshalb in gebührender Form zurüd= gewiesen. Was Herrn Kähler, den deutsch­nationalen Kommissar im Volksbildungsministe­rium, aber nicht hinderte, die Versetzung des deutschnationalen Bienenzüchters Ridhöffel nach Berlin   dennoch anzuordnen!!

Der Fall Kickhöffel zeigt, von welchem Gesichts­punkt aus der deutschnationale Professor Kähler den reaktionären Butsch in der preußischen Schul­verwaltung betreibt. Kähler und Kickhöffel das ist der neue Geist!

waren, mit Nachdruck die Ermittlungen be­trieben, Haftbefehl gegen die mut­maßlichen Täter ermirkt und Sted= briefe erlassen. Sie hat in Erfahrung ge­bracht, daß die Beschuldigten bald nach der Tat ins Ausland geflüchtet waren, und weiß feit längerer Zeit, wo diese sich jetzt im Ausland aufhalten. Seit der Auffindung der Leiche ist außer dem Beschuldigten Bormann noch ein Bruder der Braut des flüchtigen Schenk, der 21 Jahre alte Maschinenschlosser Eugen Beyer in Coß mannsdorf, festgenommen worden. Die Sektion der Leiche findet heute statt."

An dieser Erklärung ist manches merkwürdig! Wenn die Staatsanwaltschaft seit längerer Zeit den Aufenthalt der Mörder kennt, warum ist ihre Verhaftung und Auslieferung nicht ver­anlaßt worden? Warum ist solange Stillschweigen über die der NSDAP  . fatale Tatsache beobachtet worden, daß ein scheußlicher Fememord vorliegt?

Beschuldigungen gegen Naziführer

Im Zusammenhang mit dem Mord werden schwere Beschuldigungen gegen den Nazilandtags abgeordneten Dr. Brennecke erhoben, den Leiter des SA  .- Spizeldienstes, zu dem Hentsch früher gehört hatte.

Der SA.- Führer im Gau Sachsen   der NSDAP  ., der berüchtigte Rillinger, ist übrigens in der Zeit zwischen dem Mord und seiner Auf­deckung von Hitler   nach Bommern   versetzt worden.

Keine Belohnung ausgesetzt!

Dresden  , 28. Dezember.

Die Staatsanwaltschaft Dresden   hat bisher auf die Ergreifung der Mörder des Na= tionalsozialisten Henzsch keine Be

lohnung ausgesezt.

Landtagswahl in Lippe  

am

Die erste Wahl im neuen Jahre wird die Land­tagswahl in Lippe- Detmold sein, die 15. Januar stattfindet. Für diese Wahl sind insgesamt neun Wahlvorschläge eingereicht worden, die folgendermaßen lauten: Sozialdemokratische Partei  , Deutsche Volkspartei  , Deutschnationale Volkspartei  , Landvolkpartei  , Kommunistische Par­ tei  , Staatspartei, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei  , Katholische Volksvertretung und Evangelischer Volksdienst Lippe.

Um den Korridor

Französischer Milderungsvorschlag

Eigener Bericht des, Vormärts"

Paris  , 28. Dezember.

Der Kongreß der französischen   Liga für Men schenrechte wurde mit der Annahme einer langen der Entschließung beendet, die Abänderung Friedensverträge und des Völkerbundspaktes, moralische, wirtschaftliche und materielle Ab= rüftung, als einzige Sicherheit für die Herstellung des endgültigen Friedens, Rückgabe der früheren deutschen Kolonien in Form von Mandatsgebieten, Selbstbestimmungs­recht Desterreichs und Regelung des deutsch  - polnischen Korridor kon= flikts fordert. Ueber diesen letzten Punkt heißt es in der Entichließung:

,, Eine vollkommene Lösung ist nicht möglich, so= lange das Dogma von der absoluten Souveränität der Staaten besteht. Nur die Entwertung" der Grenzen im Rahmen einer europäischen  Föderation könnte den Streitfall regeln oder genauer gesagt wertlos machen. Im gegenwärtigen Zustand Europas   kann man die Konflikte nur durch Behelfsmittel abschwächen, nämlich durch lokale Grenzberichtigungen durch Abschaj­fung aller Erschwerungen für den Ber sonen- und Güterverkehr, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit Deutschlands   und Polens  , durch eine Internationalisierung der Wasserstraßen und Schienenwege und durch gegenseitige Neu­tralisation der Grenzzonen."

Der Kameraden- Mord

Die deutschen   Schulbehörden verbieten ihren Zöglingen mit Recht die Zehnpfennig hefte der Nic- Carter und Schauerromane. ,, Die blutige Hand an der Kirchhofsmauer", im Film dargestellt, wird von der Zensur für Jugendliche verboten. Wer rettet aber diese Jugend vor der Schundliteratur der Braunen Häuser, vor dem Blutdurst ihrer Presse und ihrer Agitatoren, vor ,, der Nacht der langen Messer", vor einem Goebbels, der in Bremen   öffentlich verkündet: ,, gehängt wird doch!"; vor einem Hitler, der als Zeuge vor dem höchsten deutschen   Gericht ungestraft ausrufen konnte: Köpfe müssen rollen!"

Das ist die durch jahrelange Agitation ge­schaffene Atmosphäre, in der der Mord am politischen Gegner die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Von dem Mord am politischen Gegner als nationale Heldentat bis zum Fememord am eigenen Kameraden, es ist nur ein einziger Schritt und es hemmt kein Gefühl und fein Erbarmen mit der Kreatur vor diesem grauenhaftesten aller Verbrechen.

In Dresden   haben, wieder einmal, drei Hitler- Leute einen SA.- Kameraden ,, um­gelegt". Im Preußischen Landtag existiert ein von der Nazifraktion geschaffener Unter­suchungsausschuß gegen die Polizei, dem Nazi- Goebbels den Namen Chikago- Aus= schuß" gegeben hatte. Der Fememord in Dresden   und das am zweiten Weihnachts­tage verübte Feme  - Sprengstoffattentat in Stolberg   beweisen, daß die Braunen Häuser die Konkurrenz mit den Verbrecherhöhlen und mit der Unterwelt Chikagos aushalten. Ja mehr! Die Verbrecher Chikagos fizen nicht im Schuße einer Presse, nicht im Schatten von Landtagsfraktionen und zwei­hundert Reichstagsabgeordneten, die Amnestien gegen politische Zugeständnisse er­kaufen. Die Gangsters von Chikago, die Komitatschis von Mazedonien   und die Blut­ rächer   in Sizilien  , Korsika oder Albanien  nennen wenigstens Mord einen Mord, ge­stehen ihn, riskieren ihr Leben und büßen es ein, und es ist niemand, dem es einfiele, den Mord oder die Blutrache als ,, nationale Tat" zu preisen und zu verherrlichen.

Diese Sitte ist erst in Deutschland   im zwanzigsten Jahrhundert durch die Braunen Häuser eingeführt worden. Den gemeinen Meuchelmördern von Potempa, die nachts einen schlafenden Menschen aus dem Bett holen und zu Tode trampeln, diesen Bestien hat dieser Hitler am Tage nach ihrer Verurteilung ein Telegramm geschickt: ,, Meine Kameraden! Eure Freiheit ist von heute an die Ehre der Partei."

Diese Führer, das sind die intellektuellen Urheber dieser politischen Morde. Diese Nazi­partei, diese Braunen Häuser, ihre Presse und die SA  .- Rafernen, dort ist der Geist ent­standen, der zum politischen Mord und zum Fememord geführt hat Fememörder Heines, Fememörder Schulz, beide wegen Mord nach der Inflation zum Tode verurteilt, beide bekleiden heute hohe Aemter in der Nazipartei, beide sind heute Reichs­tags und Landtagsabgeordnete der NSDAP  . Gregor Straßer   wurde von Hitler   hinausgejagt, weil er sich erlaubte, eine andere politische Taktik zu empfehlen. Wer aber fuscht und Herrchen die Hand leckt", der ist Freund und Kamerad und Würdenträger mag er sich mit dem Blut des politischen Gegners oder gar dem des eigenen SA-Mannes besudelt haben.

=

In Potempa haben Nationalsozialisten der Mutter den Sohn vor den Augen er­mordet und den zerfetzten Leichnam vor die Füße geworfen. In Dresden   wartete eine Mutter drei lange bange Wochen, Tag