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Abend-Ausgabe

Nr. 613 B298 49. Jahrg.

1100

Vorwärts

DONNERSTAG

29. Dezember 1932

Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin

BERLINER

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fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Ein Mörderparadies Organisierte Mörderbegünstigung

Die Mörder des SA. - Mannes Hentsch fizzen in Italien . Sie sind mit Parteiauf­trägen" versehen dienstlich" von ihren Or­ganisationen nach Italien abgeschoben wor­den. Inzwischen bemüht sich die offizielle nationalsozialistische Presse, nach Leibes­fräften zu verdunkeln und zu vertuschen. Das Kölner Organ der NSDAP . besitzt die Un­verfrorenheit, den Mord den- Marristen zuzuschieben:

,, Parteigenosse Hentsch war seinerzeit unter aufsehenerregenden Umständen vermißt worden. Der jezige Fund seiner Leiche dürfte zur Auf­deckung eines der schauerlichsten margi stischen Verbrechen des letzten Jahres führen!"

Die frechste Lüge soll die Verantwortlich­keit der NSDAP . für einen schauerlichen Fememord decken!

Die Mörder sizen in Italien , die Verant­wortlichen sißen im Braunen Haus in München ! Es ist System in der Flucht nationalsozialistischer Verbrecher nach Italien .

Bald jährt sich zum zweiten Male der Mord an unseren Genossen in der Hufeland­straße. Die Mörder wurden auf der Flucht nach Italien ergriffen. Es er­gaben sich Einblicke in eine regelrechte Fluchtorganisation, in organisierte Mörder­begünstigung. Die Behandlung der Mörder wie der Begünstiger durch die Justiz waren ein einziger Skandal.

Der Bombenverbrecher und Standarten­führer Eide aus Ludwigshafen , zu mehr­jähriger Zuchthausstrafe verurteilt, flüchtete nach Italien . Die Justiz hat ihm dazu Gelegenheit gegeben, sie hat ihm einen mehr­monatlichen Krantenurlaub nach dem Urteil zugestanden. Dieser Eicke ist der Chef der SA. - Truppe von Bozen , die mit den Fa­schisten vor dem Siegerdenkmal" in Bozen paradierte und den Faschisten die besonderen Grüße Hitlers aussprach. Es steht einwand­frei fest, daß der nach Italien geflüchtete Bombenverbrecher Eicke vom Braunen Haus offizielle Aufträge erhalten hat.

Die Mörder von Dresden , Schenk, Fränkel und Woicik, sind sämtlich nach Italien geflüchtet, versehen mit offiziellen Partei­aufträgen. Sie sind von der Organisation der Mordbegünstigung fortgebracht worden.

Die Verantwortlichkeit des Braunen Hauses läßt sich nicht verdecken. Alle Justiz­funststücke können nicht verhindern, daß das Volt mit Fingern auf Hitler und seine Leute zeigt, wenn die Frage nach der intellektuellen Verantwortung gestellt wird!

Hitler mußte den Fall Hentsch kennen. Er hat einen eindringlichen Brief der Mutter des Opfers erhalten. Er hätte Berichte ein­fordern können, er hätte von diesem Ver­brechen abrücken fönnen. Statt dessen wer­den die Mörder begünstigt! Die Verlogen­heit und Doppelzüngigkeit des Braunen Hauses tritt auch hier zutage! Im Fall Eicke wurde erklärt, daß Eicke aus der Partei ausgeschlossen worden sei. In Südtirol tauchte er wieder auf als SA. ­Führer mit Aufträgen vom Braunen Haus!

Die Solidarität mit Verbrechern geht dem Braunen Haus über die Achtung vor dem Gesetz!

Sachsen verlangt Auslieferung Eigener Bericht des ,, Vorwärts" Dresden , 29. Dezember. Die fächsische Regierung wird heute oder morgen bei der Reichsregierung den Antrag stellen, Italien um Auslieferung der drei Mörder des Hentsch zu ersuchen. Die Regierung wird in Uebereinstimmung mit Polizei und Staatsanwaltschaft die Anschauung vertreten,

Massenausweisungen

Ausländische Kommunisten sollen Deutschland verlassen

Eine größere Anzahl von ausländischen kommunisten, die seit mehreren Jahren in Berlin leben und bürgerlichen Berufen nachgehen, haben vom Polizeipräsidium die Mitteilung von ihrer in Aussicht genommenen Ausweisung er­halten. Da diese Ausweisung in der aller­nächsten Zeit bevorstehe, sollen sie sich im Laufe von acht Tagen dazu äußern. In einem Falle wurde bei einer persönlichen Rückfrage dem Betreffenden erklärt, daß eine Beschwerde seiner­seits feine aufschiebende Wirkung haben würde, da die Politische Polizei seine schleunige Aus­weisung verlange. Als Grund der Ausweifung wurde ihm seine staatsfeindliche Tätigkeit ange­geben, die u. a. auch darin bestanden haben soll, daß er für den Wahlfonds der KPD. gesammelt habe. Unter den zur Ausweisung Borgesehenen befinden sich nicht nur Staatsangehörige der Tschechoslowakei , deren Muttersprache und Kultur­freis deutsch ist, sondern auch mehrere öster­reichische Staatsangehörige. Ausgewiesen soll auch ein Türke werden.

Die in Aussicht genommenen Maßnahmen entsprechen dem scharfen Kurs gegen die KPD ., den Herr von Schleicher in seiner Rundfunk­rede angekündigt hat. Die Deutsche Republik hatte bisher und das war eine Folge des früheren fozialdemokratischen Einflusses- den Ausländern

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Der Buttermixer

Margarine

W

Dies die drei Hauptpunkte meines Pro­gramms: Heer, Marine und Mar­garine.

daß der politische Charakter des Mordes bisher nicht erwiesen sei und daher die Aus­lieferung erfolgen müsse.

Der Mörder Schenk war früher Oberjäger bei der Reichswehr . Er ist erst vor einem Jahre wegen nationalsozialistischer Umtriebe ent­lassen worden. Schon damals verkehrte er in SA .- Kasernen.

Dreiste Erklärung der Mörderfreunde Dresden , 29. Dezember. . Der nationalsozialistische Freiheitstampf" gibt folgende Erklärung der SA .- Untergruppe Dresden bekannt:

Die margistische" Dresdener Volkszeitung" weiß zu berichten, daß die Mutter des ermordeten Truppführers Henzsch der Leitung der NSDAP . mitgeteilt hat, daß sie bei der Beerdigung ihres Sohnes weder ein Mitglied der Partei noch der

ein weitgehendes Asylrecht und mit ihm auch Möglichkeiten politischer Betätigung offengehalten. Man ging dabei von der Erwägung aus, daß der Kommunismus für den Bestand der Republik keine ernste Bedrohung darstelle. Daneben sprach, soweit es sich um Ausländer deutscher Mutter­sprache handelte, der Gedanke mit, daß Deutsche in Deutschland nicht vergebens eine Heimstatt suchen sollten.

Die geplanten Ausweisungen sind nicht geeignet, ten Kommunismus wirksam zu bekämpfen, noch das Ansehen Deutschlands in der Welt zu erhöhen. Mit Recht wird man fragen, wieso ein Mann wie Hitler in Deutschland bleiben und sogar ,, Regierungsrat" werden durfte, während Leute, die viel geringeren Schaden angerichtet haben, jezt aus dem Lande gejagt werden sollen.

Nochmals Anschlußverbot!

Bedingung für Frankreichs Darlehen

Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Paris , 29. Dezember.

Der Auswärtige Ausschuß des Senats hat nach langer Aussprache beschlossen, dem Gesetzentwurf über die österreichische Anleihe nur unter gewiffen politischen und diplomatischen Vorbehalten hinsichtlich der Anschlußfrage dem Plenum zur Annahme vorzuschlagen. Der Vor­fitzende Senator Berenger ist beauftragt worden, als Berichterstatter dies auseinanderzusetzen.

Wie verlautet, soll die Regierung angesichts der ablehnenden Haltung eines großen Teils der Kammer und des Senats gegen die Anleihe be­fchloffen haben, nicht die Vertrauensfrage für die Annahme des Gefehentwurfes zu stellen. Unter diesen Umständen ist es durchaus unsicher, ob der Gesetzentwurf von beiden Häusern gebilligt wird. Die Ausschußdebatte im Senat Im Auswärtigen Ausschuß des Senats haben, mie Havas berichtet, alle Redner betont, wie notwendig es für Frankreich sei, über die Politik Deutschlands und Italiens in der Anschluß­frage genau unterrichtet zu sein und daß man Desterreich neue finanzielle Garantien nur be= milligen könne, wenn man dafür entschei= dende politische Garantien von Defter­reich eintausche.

Senator Barthou forderte, daß man von Desterreich die Bestätigung seiner Verpflich= tungen erhalte, die es im Protokoll von 1922 übernommen hat und die sich auf den Anschluß und die Aufrechterhaltung seiner politischen Selbständigkeit beziehen. Senator Laval äußerte den dringenden Wunsch, man solle von der österreichischen Regierung einen feier lichen Verzicht auf den Anschluß zu erlangen suchen.

Ministerpräsident Paul- Boncour erwiderte, das politische Interesse an der geplanten Anleihe be­stehe ja gerade in der neuerlichen Bestätigung des Protokolls von 1922 durch Oesterreich .

SA . oder eine Kranzspende von dieser Seite zu sehen wünsche. Die Untergruppe Dresden stellt demgegenüber fest, daß bis zur Stunde keine der­artige Erklärung vorliegt. Die Untergruppe artige Erklärung vorliegt. Dresden hat sich aber im Gegenteil bereits gestern vormittag dazu veranlaßt gesehen, der SA . der Standarte Dresden jegliche offizielle Beteiligung an der Beisetzung zu verbieten!

Die Begründung dieses scheinbar harten Be­fehls ist darin zu finden, daß die Angehöri gen des Truppführers Henzsch dessen tragi sches Schicksal dazu benutzen, um die national­sozialistische Bewegung, für die Henzsch seit län= gerer Zeit gefämpft hat, durch Veröffentlichungen in der Presse unserer ärgsten Gegner zu diffamie­ren, obwohl die Schuldfrage bis zur Stunde in feiner Weise geklärt ist. Aus der Einstellung der Angehörigen ergibt sich auch logischerweise, von welcher Warte aus man die bisher in der margistischen Presse erfolgten Veröffentlichungen zu betrachten hat."

Senat schränkt Notbudget ein

Der Finanzausschuß des Senats hat zum pro­visorischen Budget für Januar einen Beschluß ge= faßt, der der Regierung einige Schwierig= feiten bereiten kann. Mit 13 gegen 9 Stimmen wurde beschlossen, der Regierung statt der vor­gesehenen fünf Milliarden Franken nur die Er­mächtigung zur Ausgabe von drei Milliarden Franken neuer Schaganweisungen zu erteilen. Es wird behauptet, daß der Ausschuß damit nur den Wunsch des Senats betonen wollte, so schnell wie möglich die notwendigen Budget- und Finanz­reformen zur Beseitigung des Defizits fest­gelegt und verabschiedet zu sehen. Der Finanz­minister ist aber entschlossen, für die Bewilligung der von der Regierung geforderten fünf Milliarden die Vertrauensfrage zu stellen.

Befristetes Botschafteramt

Die Regierung hat beschlossen, den Senator de Jouvenel an Stelle des verstorbenen Bot­schafters Beaumarchais nach Rom zu ent­senden. Da Parlamentarier nur vorübergehend mit Auslandsmissionen betreut werden dürfen, wird die Ernennung de Jouvenels vorläufig nur für sechs Monate erfolgen.

Kommiffarpreußen!

Sabotage der Selbstverwaltung

Die Stadtverordnetenversammlung in Eis. leben hat bereits vor vielen Monaten zum zweiten Male den Rechtsanwalt Dr. Appell­Eisenach einen Staatsparteiler

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zum Bürger­meister gewählt, nachdem die preußische Kommis­farsregierung Mitte des Jahres die Bestäti­gung der ersten Wahl wegen ganz unerheb­licher Formmängel verweigert hatte. Obwohl Dr. Appell bei der zweiten Wahl aber­

Bezüglich der beiden im Falle Hentzsch vor­genommenen Verhaftungen scheine es sich, so schreibt der Freiheitskampf", um eine über= eilte topflose Maßnahme der zustän­digen Stellen zu handeln; denn es liege feinerlei Verdacht für die Mittäter- und Mitwisserschaft der beiden SA .- Leute vor, so daß man nur wünschen könne, daß sie bald wieder frei und gerecht­fertigt in der Mitte der SA. erscheinen könnten. Anscheinend wolle man durch übereilte Festnahmen der Deffentlichkeit gegenüber den Eindruck ent­stehen lassen, als habe man forsch zugepackt".

Die Verlogenheit dieser Erklärung, die Krokodils­tränen um das ,, tragische Schicksal des Trupp­führers Henzsch" ist geboren aus dem Bewußtsein, daß die Mörder in Sicherheit in Italien sind. Die Frechheit aber findet ihre Erklärung darin, daß sie sich auf die nationalsozialistische Verseuchung der Dresdener Polizei zu verlassen scheinen!