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BEILAGE

Vorwärts

Heinrich Brauns   Leben

Zu einem Buch von Julie Braun- Vogelstein  

Aus der Geschichte der deutschen   und der deutsch­österreichischen Sozialdemokratie sind die Familien Adler und Braun nicht wegzudenken. Ein­zelne ihrer Mitglieder haben eine bedeutende ge= schichtliche Rolle gespielt für die Familien selbst aber ist fennzeichnend, daß Durchschnitts­menschen in ihnen so gut wie gar nicht zu finden find. Es sind mindestens in einer Beziehung, aber meist in mehr als einer, ungewöhnliche Erschei­nungen; fie tragen in ihrer Begabung, ihrem Charakter, ihrem Schidjal Kennzeichen des Außer­ordentlichen an sich.

Heinrich Braun   war durch seine Schwester Emma ein Schwager Viktors und Onkel Frizz Adlers, er war ein Bruder Adolf Brauns, der Mann der Lily Braun  , Tochter des Generals von Kretschman, der Vater des genialen jung gefallenen Otto Braun  . Er war in diesem Kreise der am seltensten Genannte, sicherlich aber stand er an geistiger Bedeutung hinter feinem anderen zurück. Nach einem stürmi­schen Leben und nach dem Tode seiner Frau Lily und seines Sohnes Otto fand er in einer legten Ehe mit der Kunstschriftstellerin Julie Vogelstein  , einer langjährigen Freundin der Familie, einen in Ruhe und Werken der Nächsten­liebe verklärten Lebensabend. Nun hat ihm die überlebende Gefährtin ein literarisches Denkmal errichtet in dem Buch Ein Menschenleben. Heinrich Braun   und sein Schicksal", das vor einigen Wochen im Verlag von Rainer Wunderlich in Tübingen   erschienen ist.

Es ist ein leidenschaftliches Buch über einen leidenschaftlichen Menschen, glänzend geschrieben und in der Verarbeitung eines ungeheuren Ma­terials bewundernswert. Es ist aber auch ein un­gerechtes Buch in der Art, wie es allemal für feinen Helden und gegen dessen Gegner Partei ergreift. Am allerwenigsten wird es als ein ob= jektiver Beitrag zur Geschichte der deutschen So­zialdemokratie gelten können, zu der Heinrich in einem ganz merkwürdigen Verhältnis der Ha= liebe stand die Leidenschaftlichkeit seines sozia­listischen Bekenntnisses gab ihm gewissermaßen ein Recht, ungerecht zu sein. Dieses Recht nimmt die Verfasserin als sein Erbe nun auch für sich in Anspruch.

In der Sozialdemokratischen Partei haben zu Heinrich Brauns   Zeiten zahlreiche Persönlich­teiten an hervorragender Stelle gewirkt, die sich an Weite der Bildung und Tiefe des Denfens mit ihm in feiner Weise messen fonnten. Das ist gewiß gewiß richtig. Es ist ebenso richtig, daß die Partei oft nicht verstan­den hat, die ihr zur Verfügung stehenden Kräfte ihrer Begabung entsprechend anzusetzen. Aber man

wird dem Wesen Heinrich Brauns   nicht gerecht, wenn man den Anschein erweckt, als sei ihm die ihm zukommende Stellung in der Bewegung durch irgendwelche feindliche Mächte verweigert worden. Das Gegenteil ist richtig. An Versuchen, ihm einen Platz in den Führerkreisen der Partei zu verschaf fen, hat es nicht gefehlt sie sind an seiner eige= nen Eigenart gescheitert: an seinem Uebermaß von Selbstkritik, seiner Scheu vor öffentlichem Her­vortreten, Eigenschaften, die Julie Braun- Vogel­ stein   selber ganz richtig schildert. Sie scheint nur zu übersehen, daß sie damit ein gut Teil ihrer An­griffe auf die Partei selbst widerlegt. Hätte Hein­ rich Braun   soviel geschrieben und gesprochen wie sein ihm an Selbstlosigkeit ähnlicher, aber im Par­teidienst unermüdlicher Bruder Adolf- niemand hätte ihn daran gehindert, er wäre dann eben nur nicht Heinrich Braun   gewesen!

Heinrichs Leidenschaft war, andere Menschen, an deren Fähigkeiten er glaubte, anzuregen, zu fördern, geistig zu beeinflussen. Als Redakteur im Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, im Ge spräch von Mensch zu Mensch, im engen Kreis des Studienzimmers entwickelte er ungewöhnliche Kräfte, die in der Breite gedruckter Spalten und in der Weite der Versammlung nicht mit gleicher

Wirkung zur Geltung famen. Ihm fehlte voll­ständig der Wille und darum auch die Kraft, sich selber durchzusetzen; mit desto stärkerer Energie setzte er sich für andere ein, von denen er eine Förderung der Sache erwartete, und wenn dabei Freundschaft, ja Liebe mitsprachen, dann konnte er geradezu Riesenkräfte entwickeln.

um

Mit solchen Kräften setzte er sich für Lily ein. Sein Zusammenstoß mit Bebel und Kautsky  im Jahre 1903 hätte niemals diese ungeheure Schärfe angenommen, hätte es sich nur Meinungsverschiedenheiten über die Politik der Partei gehandelt und hätte nicht Franz Meh= ring den Richtungsstreit auf das persönliche Gebiet geschoben. Hier hatte er sich auch gegen Lily   gewandt und war dabei sofort auf Heinrich Braun   gestoßen. Ein Kampf auf Leben und Tod war die Folge. Hier kämpfte nicht nur der Ritter für seine Dame, sondern auch der Schöpfer für sein Geschöpf.

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Heinrich Braun   hatte wie in viel früheren Jahren auch den hervorragenden Publizisten Franz Mehring   die schriftstellerisch und red­nerisch glänzend befähigte Generalstochter für den Sozialismus gewonnen. Er hatte in beiden Fällen seinen sicheren Blick für Begabungen be=

DONNERSTAG, 29. DEZ. 1932

wiesen. Daß er in der Beurteilung von Charakt teren meniger sicher war, beweist die Tatsache, daß er glüdlicherweise vergeblich! auch Marimilian Harden für die Partei zu ge= winnen versucht hatte. So hatte er sich auch in Mehring getäuscht, aus dieser Enttäuschung floß ein Teil seiner Erbitterung. Und Lily?

Lily Brauns strahlendes Talent fand allge= meine Anerkennung. Ihre Eignung zur Führerin der sozialistischen   Frauenbewegung wurde aus Gründen menschlich persönlichen

start bestritten. Julie Braun- Vogelstein   stellt sich ganz auf die Seite des Ehepaares Heinrich und Lily  , liefert aber doch unabsichtlich für den Stand­punkt jener Genossinnen, die Lily Braun   als Führerin ablehnten, recht massive Stüßen.

Hier ist es auch, wo sich dieses philosophisch­politische Buch zur Tragödie emporsteigert, un schließlich in einer Apotheose auszuflingen. Es rundet sich das Bild eines fanatischen Altruisten, der bereit war, für andere alles aufs Spiel zu setzen, ja selbst Bedenkliches zu wagen, der aber darauf verzichtete, für sich selber auch nur das Erlaubte und Natürliche zu tun. Dieser Sozialist, der alles andere war als ein Philister und Anstandsbürger, der in der Leiden­jdjaft manche Grenze überschritt, jenem Holze, aus dem die Apostel und die Heiligen der Vergangenheit geschnigt waren.

war

aus

Verstehende Liebe hat ihm ein Denkmal ge­setzt, das durchaus kein Muster leidenschaftsloser historischer Objektivität, wohl aber ein in Leiden­schaft geformtes Kunstwert ist. Friedrich Stampfer  .

Vom Bürgertum zum Proletarial

Erinnerungen eines allen Parteigenossen

Einer nach dem anderen steigen unsere großen Alten, zu denen wir als Schüler aufgeschaut haben, ins Grab. Und unversehens gehört man selbst schon zu den Alten und sieht das gleiche Ziel vor Augen. Da schweifen die Blicke zurück auf die Zeit des eigenen Werdens. Und manches, sei es auch an sich unscheinbar, mag denen, die heute jung sind, einen kleinen Beitrag geben zum Verständnis der Gewordenen, das wieder den planvollen Weg in die Zukunft erleichtert.

Zum ersten Male hörte ich das Wort Sozia list" als sechsjähriger Knabe. Jemand sprach ab­schäzig von einer Tanzstunde. Dahin gehen nur Dienstmädchen und nichts Ordentliches." Können Dienstmädchen nicht auch ordentlich sein?" fragte ich, worauf mein Vater sagte: Das ist der richtige Sozialist!" Es war im Jahre 1874, in der ersten Blüte des vom Bürgertum umjubelten preu=

Mit Brockhaus bis Ostvald

Bis zu Wilhelm Ostwald  , dem Chemiker und Physiker, ganz genau gesagt, bis zu dem Ostwald­schen Verdünnungsgesetz, von dem ich vorher ab= solut nichts gewußt habe, reicht der 13. Band des Großen Brockhaus. Der Aufbau des repräsen­tativen deutschen   Nachkriegslerifons ist also weit über die Mitte der Bandreihe und über die Mitte des Alphabets gediehen. Die oft anerkannte politische Neutralität des Brockhaus ist in diesem Bande schwer zu erproben, weil in die Buchstaben­folge Mue- Ost" gar zu wenige zeitgenössische Politiker fallen, Mussolini   ist sachlich dar­gestellt, die Gegenliteratur fönnte etwas voll­ständiger sein, wenn zur faschistenfreundlichen Literatur fogar

ein Buch von Rumpel­stilzchen gerechnet wird, dessen Verfasser meder zur Literatur noch zur Nichtliteratur, sondern zur Goffe gehört. Interessant ist dagegen die Dar­stellung Napoleons I  . Zum ersten Male finde ich hier in einem Werk, das peinlich vermeidet, Anstoß zu geben, eine friegsgeschichtliche Dar­stellung, die Napoleon   in allen entscheidenden Kriegen als den Angegriffenen zeigt. Sonder­barerweise zieht der Verfasser dieses Abschnitts dann in dem Kapitel, das Napoleon   geschichtlich zusammenfaßt, Schlüsse, die sich aus der eigenen Darstellung des Verfassers nicht ohne weiteres er­geben, und sich also wieder der Antinapoleonlegende nähern. Immerhin ist der Fortschritt unverkenn bar. In der Bibliographie fehlt das aufschluß­reiche Buch von Kurt Eisner  , das mit der landläufigen Darstellung Napoleons   gebrochen hat.

Jm 13. Brockhausband dominieren in der Geographie und Menschheitsgeschichte Nieder­ lande  , Nordamerika  , Nordpol  , Norwegen   und Desterreich. Besonders Desterreich ist in außer­ordentlicher Weise bedacht, nicht nur das neue Desterreich, sondern auch die alte Monarchie. In der Monographie über Nordamerika   ist der ganze Kulturteil auffällig gut Da er meist fehlt, ist das ein Vorteil mehr. Durch den Zufall des Alphabets nimmt aber in dem Band in vielen zerstreuten Abhandlungen der Mensch eine überragende Stellung ein. Da sind drei Gebiete, die der neuen Körper und Gesundheitspflege entsprechend be= dacht sind. Die überraschend reichen Darstellungen

der Nerven, die Sonderkapitel über Nasen und Ohren, die Darstellung der Mustelwelt sind, rein als Lektüre betrachtet, fesselnd und lehrreich. Ganz besondere Aufmerksamkeit findet aber das Gebiet der Ernährung. Abgesehen von allen Untertiteln, erhält man in zwei Tafeln über Nahrungsmittel ein Bild von dem Wert aller wichtigen Nahrungsmittel, ihren Aufbau nach Ei­weiß, Fett, Kohlehydraten, ihre Gliederung nach Kalorien, ihren Vitaminwert. Das ist auf die ver­schiedensten Verhältnisse zugeschnitten, umgerechnet, aufgebaut.

Ein anderes Gebiet, das hier herrscht, ist die Musik. Die große Gesamtdarstellung ist eine durch Dekonomie und Zusammenfassung alles Wichtigen gleich wertvolle Arbeit. Von ihr führen nun hunderte Kanäle durch das ganze Lexikon, so daß man sich immer wieder wie in einem Zirkel befindet, in dem unvermutet alles mit allem verbunden und verwachsen ist. Die Tabelle über Noten, die zwar nicht zur Musik gehörige aber wieder dahin führende Zusammenfassung aller Nationalhymnen mit Notenzitierung der Nationalhymnen, das Kapitel über Orgelbau schließlich die große historische Gesamttabelle der Musik enthalten für den Kenner wie für den Laien Anregungen weitreichender Art. Etwas merkwürdig ist das Urteil über den großen Kom­ponisten Mussorgskij aber es ist kein Grund Alarm zu schlagen.

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Sehr hübsch ist wieder die Popularität der Titel. Die alte Sorge, wo man denn überhaupt das Gesuchte findet, löst Brockhaus durch die natürlichste Ordnung. So gibt es ein Stichwort neue Sachlichkeit, Neujahrsblätter. Maßstab, Non possumus, wie überhaupt Zitate, geflügelte Worte. Sprüche reichlich wiedergegeben, erklärt, hergeleitet sind. Ueberall ist also das Bolts= tümliche bedacht. Und wenn es trotzdem viele Kapitel gibt, die nur der Fachmann versteht, so fann sich auch der Laie diese Abschnitte erarbeiten, indem er jedes Wort, das er im Brockhaus nicht versteht, im Brockhaus selbst nachschlägt! Nach meiner Erfahrung lernt man dadurch am aller­meisten. Felix Stößinger  .

Bisch- deutschen Kaiserreichs, das uns durch patriotische Schulfeiern, Freudenfeuer in der Nähe unseres Hauses( an der Schönen Aussicht", wir wohnten auf dem Seltersberg"), Bilder und Schriften in den Geschäften, Kinderlieder mit Spottversen auf die Franzosen und vieles mehr immer von neuem nahegebracht wurde. Im Elternhause, bei wohlhabenden, jüdisch- freidenken­den Kaufleuten, stand man dem schon kritisch gegenüber. Meine Mutter, deren ältester Bruder schon 1848 auf den Frankfurter   Barrika­den gestanden und dann den Weg nach Amerika  gefunden hatte, war in der Kriegszeit einmal am Bahnhof, als ein Gefangenentransport durchkam. Als sie sah, wie man die Begleitmannschaften mit Speise und Trank überfütterte, die Gefangenen aber schmachten ließ, bestellte sie gerade für diese zu essen und trinken. Das rief entrüsteten Wider­spruch der Mitbürger hervor, dem sie entgegnete: ,, Das sind auch Menschen!"

Auch sonst war bei uns nicht alles wie bei den anderen. Von unseren beiden Fahnen, wie man sie damals oft auszuhängen pflegte, war die eine schwarzrotgold; damals wohl die einzige in der alten Demagogenstadt, in der vierzig Jahre zuvor die Brüder Follen, der rote Becker" und Georg Büchner   zersetzend" gewirkt hatten, die im Jahre 1848 den Demokraten und Materialisten Karl Vogt   in die Frankfurter National­ versammlung   entsandte. Damals war alles " patriotisch" im Bismard- Sinn. Mein Vater mit einem Freund war wohl der einzige Bürger, der zum Protest, ohne Sozialdemokrat zu sein, seinen Stimmzettel für unseren Wilhelm Lieb fnecht, auch einen Gießener   Landsmann, ab­gab. Ich denke noch, wie ich als Sertaner nach der Wahl von 1877 jeden Mitschüler fragte, wen sein Vater gewählt habe, und auf die einförmige Antwort: den Rabenau"( einen Baron aus der Umgebung, der zur Reichspartei, auch Freifonfer­vative genannt, der eigentlichen Leibgarde Bis­mards, zählte), mit Stolz antwortete: Meiner den Liebknecht!"

Es herrschte ein etwas heldischer Zug bei uns. An einer Wand hing ein Bild Garibaldis  , von dessen Taten wie von anderen Freiheits kämpfen mein Vater gern erzählte. Er hatte als Bursche von 16 Jahren schon tapfer gegen die kurhessischen Judenverfolgungen, mit denen dort die Revolution eingeläutet wurde, Stellung ge nommen. Später hatte er es in Gießen zu einer kleinen Holzmöbelfabrik gebracht, die eines Tages abbrannte.

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Um die Löscharbeiten zu erleichtern, war er durchs Feuer gestürzt und hatte das Ben­til der Lokomobile geöffnet. Danach lag er auf den Tod danieder und brauchte vier Monate bis zur Genesung. Ich kannte ihn das vollzog sich vor meiner Geburt nur mit roten Brand­frusten im Gesicht und auf den Händen. Sein Tod, der 22 Jahre später erfolgte, hing nach ärztlicher Aussage noch mit dieser Verbrennung zusammen. Der Stolz der Familie war die älteste meiner vier Schwestern. Damals die Erste in ihrer Schule, hat sie später als Henriette Fürth   durch ihre wissenschaftliche und sozial­politische Arbeit einen geachteten Namen ermor­ben, dabei noch acht Kinder großgezogen.

In dieser Art sind noch einige Dinge, deren ich mich erinnere. Mit zehn Jahren, beim Räuber­spiel, fragte mich der Gendarm", der mich faẞte: Sind Sie der Räuber?" Worauf ich erwiderte: ,, Nein, ein Revolutionär!" Im Sommer

1878 erlebte ich als Quartaner die Attentate und die Sozialistenheze. Ich verbrach darals, frei nach Körner, einen poetischen Aufruf an die Sozialdemokraten", von dem ich nur noch die Schlußverse im Kopfe habe:

Erhebt euch, werfet ab das Joch Der Grafen   und Barone  !

Die Nationalfofarde an den Hut gesteckt, Und fämpfet tapfer wie einst Achtundvierzig!"

Also noch ganz bürgerlich und kindlich. Auch hinderte mich das nicht, in den Ferien mit großer Begeisterung an den Herbst manövern unſe= rer Brigade als Zuschauer teilzunehmen und stolz neben meinem Klassenlehrer, der als Reserveleut­nant Der dal ei war, einherzumarschieren. ältere Sozialismus war überhaut starf Noch im miliz militärisch eingestellt. Weltkrieg brachte mich das Bekenntnis zu den Engels- Bebelschen Gedanken über militärische Jugendvorbereitung in Gegensatz zu den Ge­nossen, in deren Auftrag ich bis dahin das Jugend­heim in der Brunnenstraße geleitet hatte.

Im Städtchen gab es eine kleine Bewegung der Partei, an deren Spizze damals ein nicht gut be= leumundeter Tischlermeister stand. Mein Vater erzählte einmal von einer Versammlung, der er beigewohnt hatte, in der man ihn aufgefordert hatte, an dem Vorstandstisch zu sitzen. Er hatte das nicht getan, da er ja nicht Parteigenosse, sondern bürgerlicher Demokrat, Richtung Frank­ furter Zeitung  , war. Als 1881 die bürgerliche Opposition gegen Bismarck   wieder auffam, schloß er sich an und gehörte zu den wärmsten Ver­ehrern Eugen Richters. Ich denke noch, wie er manchmal, wenn ich von der Schule fam und ihm auf seinem Weg zu seinem nahegelegenen Holzgeschäft begegnete, mir sagte: Ich habe dir die Frankfurter   dagelassen. Der Richter hat wie­der großartig gesprochen." 1881 wurde unser der Kandidat, Rechtsanwalt hervorragende Dr. Gutfleisch, gewählt. Ich stand an der Tür, wo die Wahlnachrichten eingingen, und stürmte nachher jubelnd zu meinem in der Nähe wohnenden Onkel, wo auch meine Mutter wartete, mit den Worten: Wir haben gesiegt!"

Das war unter dem Ausnahmegesetz, wo die Partei von der Bildfläche verschwunden war. Nur durch die glänzenden Aufsätze Franz Mehrings in der Gartenlaube"( 1882), die ich immer wieder las, wurde man wieder darauf aufmerksam. Sie waren damals( Mehring   hatte der Partei angehört, war 1877 Gegner geworden und fand sich erst 1892 nach langen Kämpfen zu­rück) scharf gegen die Partei gerichtet, behandel­ten sie aber doch mit einer gewissen Sachlichkeit und ließen die Größe der Bewegung ahnen. All­mählich rückte ich weiter links, war namentlich mit der sozialpolitischen Haltung der Freisinnigen nicht einverstanden, hatte vorübergehend Neigung zum Anarchismus, auf den man damals durch einige große Strafprozesse aufmerksam wurde, nährte die Gedanken einer Erziehungsreform, be= suchte die freireligiösen Versammlungen im be­nachbarten Krofdorf  ( woher später Eduard David  zur Partei kam) usm. Mit 14 Jahren war ich, nachdem ich David Strauß  ' ,, Der alte und der neue Glaube" gelesen hatte, religiös aufgeklärt und dem Judentum abtrünnig. Dabei war ich überzeugter Republikaner und nahm die Folge­rungen, die sich daraus ergaben, auf mich. Simon Katzenstein  .