Morgen- Ausgabe
Nr.614 A302 49. Jahrg.
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3
Ferntprecher 7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
FREITAG
30. Dezember 1932
Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreffe fiehe am Schluß des redaktionellen Seils
Adolf Hitler foll flagen!
Wir wünschen nicht die Amnestie, sondern den Prozeß!
Durch die politische Amnestie ist unter anderem ein Strafantrag hinfällig ge= morden, den Adolf Hitler gegen Den verantwortlichen Redakteur des Borwärts", Victor Schiff vor mehreren Monaten gestellt hat. Es handelte sich um die Enthüllungen, die der preußische Ministerpräsident Otto Braun in einer Rundgebung im Berliner Sportpalast am 11. April 1932 gemacht hatte. Sie bezogen sich auf
in einer Rede, die dieser wenige Tage zuvor in Lauenburg in Pommern gehalten hatte. Wegen der Kennzeichnung dieser Rede Hitlers im ,, Vorwärts" vom 12. April hatte der Führer der NSDAP. gegen unseren verantwortlichen Redakteur Strafantrag gestellt, zugleich auch wegen der Ausführungen Otto Brauns ebenfalls gegen diesen. Der Preußische Landtag hat es im vergangenen Gommer abgelehnt, die Immunität Otto Brauns Hitler zuliebe aufzuheben, dagegen lief die Klage gegen Schiff weiter. Sie wäre ohne die Amnestie in kürzester Frist vor dem Münchener Gericht zum Austrag gelangt. Termin war bereits auf den 13. Januar 1933 angelegt worden.
An uns hat es nicht gelegen, daß die Gerichtsverhandlung nicht schon längst stattgefunden hat. Bielmehr trägt Adolf Hitler selbst die Verantwortung für diese Verzögerung, da er den Strafantrag zwar unmittelbar nach Erscheinen des ,, Borwärts"-Berichts hinausposaunen ließ, aber erst am 20. Juni die Klage tatsächlich einreichte. Der Grund dieser Verzögerung läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit erklären: Im Anschluß an das Verbot der SA , das die Reichsregierung Brüning- Groener auf Grund von Material erlaffen hatte, das der Regierung Braun- Severing bei Haussuchungen in Hinterpommern in die Hände gefallen mar, hatte der Oberreichsanwalt ein Ermittlungsverfahren megen Hoch- und Landesverrats gegen die beteiligten Kreise der NSDAP . und der S2. eingeleitet. Nun bewegten fich die Ausführungen, die Adolf Hitler in Lauen burg
gemacht hatte, durchaus im Rahmen jener beschlagnahmten Dokumente, die Gegenstand der Ermittlungen des Oberreichsanwalts maren Anscheinend wollte Hitler das Ergebnis dieser Ermittlungen abwarten, bevor er seine Strafantragsdrohung verwirklichte. Jedenfalls gelangte fein Strafantrag in die Hände unseres verantwortlichen Redatteurs erst unmittelbar nach dem aus Leipzig durchgefickert war, daß der Oberreichsanwalt das Vorliegen strafbarer Handlungen verneint hatte.
Diese Entscheidung des Oberreichsanwalts war für niemand eine Ueberraschung. Von demselben Oberreichsanwalt, der seinerzeit mit auffallender Eile im Falle der Borheimer Dokumente seine für die Nationalsozialisten günstige Rechtsauffassung bekanntgegeben hatte, war eine andere Stellungnahme kaum zu erwarten: Nach dem Buchstaben des Gesezes liegt nämlich Landesverrat nur dann vor, wenn der offene Kriegszu stand zwischen Deutschland und einer fremden Macht bereits besteht. Aus den beschlagnahmten Dokumenten ebenso wie aus der Rede Hitlers
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in Lauenburg - ging zwar eindeutig hervor, daß Hitler und die SA. im Falle eines ausgebrochenen deutsch - polnischen Krieges
erst das System" niederzuringen entschlossen waren, bis dahin aber den Schuh der deutschen Grenze ablehnen würden;
aber zum vollendeten Landesverrat fehlte die Voraussetzung des bereits ausgebrochenen Krieges. Dies wurde ausdrücklich in dem Einstellungsbeschluß des Oberreichsanwalts Werner festgestellt.
Dem gegenüber hat seinerzeit der frühere Reichswehrminister Groener öffentlich ertlärt:
,, Die Tatsache, daß eine solche Handlung strafrechtlich nicht zu erfassen ist, ändert jedoch an der Beurteilung der Handlungsweise der Täter nichts."
Das eben wäre der hauptsächliche Gegenstand
Die Säuberung" der preußischen Schulverwaltung von Republikanern hat am Donnerstag begonnen. Allein vom Provinzialschulkollegium Berlin Brandenburg wurden nicht weniger als 13 höhere Beamte auf die Straße gefeht. Bis auf einen find alle Gemaßregelten entschiedene Republifaner. Der Nichtrepublikaner zählt zur Boltspartei. Seine Umtsenthebung war schon seit Monaten wegen Krankheit geplant.
Ueber die Maßregelungen in den übrigen Schulverwaltungen ist bisher näheres nicht bekannt. Aber die Art, wie die schwarzweißroten Preußenkommissare in Berlin gespart" haben, läßt über den Sinn ihrer neuesten„ Sparaffion" nicht mehr den geringsten Zweifel. Sie sparen", um jetzt auch die preußische Schulverwaltung reaktionären Kräften auszuliefern. 3hr Sparjamfeitsdrang ist nur die Etikette für einen von langer Hand vorbereiteten Rachefeldzug gegen alle freiheitlich gesinnten Kräfte der preußischen Schule.
Von den 13 Beamten, die allein in Berlin in die Wüste geschidt werden, gehört weit über die Hälfte der Sozialdemokratie an, einige find Demofraten, einer gilt als linfsstehender Zentrums
mann.
Alle rechtsstehenden und zum rechten Zentrum zählenden Beamten des Provinzialfchulfollegiums Berlin- Brandenburg bleiben unbehelligt, so daß die Schule im roten Berlin in Zukunft Leuten ausgeliefert ist. die gesinnungsmäßig im fchroffften Gegensatz zu dem übrigen Teil der Berliner Bevölkerung stehen. In ähnlicher Weise wird im übrigen Preußen gejpart" werden. Die Entlaffungsschreiben find
Donnerstag abgegangen. Sie sind in der Hauptfache an Sozialdemokraten gerichtet.
Jn Berlin find folgende Sozialdemokraten des Amtes enthoben: Bizepräsident König, Frau Dr. Wegscheider, Oberschulrat Umpfen, Oberstudienrat& nolle, Oberstudienrat Hommes, Regierungsdirektor Kummerow.
Die Auswirkung der schwarzweißroten„ Sparaffion" in der preußischen Schulverwaltung wird jich im einzelnen frühestens am Freitag genau übersehen lassen. Aber darüber, daß sie sich ausschließlich gegen Sozialdemokraten und Republifaner richtet, daß kaum rechtsstehende oder deutschnationale Beamte von ihr betroffen werden, ist schon heute kein Zweifel mehr möglich.
Nazipanama Wien
Parole bloẞ raus!
Wien , 29. Dezember. Der frühere Oberfte Gauschazmeister der österreichischen Nazipartei, Walter Turek, verschickt ein Rundschreiben, in dem er die übelsten Kor= ruptions affären aus dem Braunen Haus in Wien schildert.
Turet berichtet, wie die Naziangehörigen mit allen erdenklichen Mitteln zu Spenden ge= preßt werden, um damit die vielen Schulden
des Beleidigungsprozesses gewesen, der durch die Amnestie inzwischen hinfällig geworden ist. In dessen soll es nicht an uns liegen, daß über diesen wichtigen Punkt der jüngsten deutschen Geschichte feine gerichtliche Klarheit geschaffen wird.
Wir geben Herrn Adolf Hitler hiermit Gelegenheit, abermals, Strafantrag gegen unseren verantwortlichen Redakteur zu stellen, indem wir in aller Form folgendes öffentlich wiederholen:
Adolf Hitler hat Anfang April 1932 in Lauenburg eine Rede gehalten, in der er es ablehnte, seine SA. - Mannschaften im Falle eines polnischen Einbruchs zum Schuße der Grenzen zur Verfügung zu stellen, solange das System" nicht beseitigt wäre.
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Diese Rede bedeutete inhaltlich eine Bestätigung gewisser landesver räterischer Befehle, die zur selben Zeit von den maßgebenden Stellen der SA. im deutsch - polnischen Grenzgebiet herausgegeben worden waren.
Mag auch das formaljuristische Merkmal des vollendeten Landesverrats in der
Rede Hitlers und in den beschlagnahmten
SA. - Dokumenten gefehlt haben, weil kein Kriegszustand zwischen Deutschland und Bolen bestand, an der Beurteilung der Handlungsweise der Täter wird dadurch nichts geändert: moralisch hat Hitler Landesverrat begangen, und dies wird hiermit öffentlich wiederholt, damit er seinen Strafantrag erneuere.
Wir erwarten, daß der Führer der NSDAP., dem diese Nummer des Vorwärts" durch eingeschriebenen Brief zugeht, sich schneller als das leztemal dazu entschließen wird, Strafantrag zu stellen. Wir hoffen, daß auch das Münchener Strafgericht, dem die Akten, Schriftsäge usw. vorliegen, die für die Hauptverhandlung vom 13. Januar bestimmt waren, unmittelbar nach Empfang des neuen Hitlerschen Strafantrages eine neue Hauptverhandlung auf einen möglichst nahen Termin festsezen wird.
der Partei zu decken. In der gleichen Zeit raufen aber die obersten Naziführer Frauen feld und Profsch ums Geldverdienen an den Partei Unternehmungen. Das Rundschreiben schließt mit der
Aufforderung: die Hillerpartei zu verlassen, für die der Sozialismus nur ein Aushängeschild fei.
In Haft figen sieben Hakenkreuzler, die unter dem Verdacht stehen, an dem letzten Tränen= gasattentat auf das Warenhaus Gerngroß beteiligt gewesen zu sein. Jetzt hat die Polizei erfahren, daß im Braunen Haus ein Femegericht eingesetzt wurde, das die sieben verhafteten Hafenkreuzler zur Verantwortung ziehen will, weil sie angeblich das Attentat ge= standen und die Zusammenhänge zwischen dem Tränengasattentat und dem Braunen Haus aufgedeckt hätten.
Das Wiener Antimarristenblatt ,, Neues Wiener Journal", Hauptinsertionsorgan für Massage" usw., steht, wie schon gemeldet, zum Verkauf. Sein Gründer und Herausgeber Lippo wizz ist bereits als Gesellschafter gelöscht und nur mehr mit 5000 Schilling beteiligt, ebenso sein Fattotum Oskar Löwenstein. Sie haften bloß noch mit Dieser für sie geringen Summe. Sie mögen hoffen, durch ihr scheinbares Ausscheiden das Verkaufsgeschäft zu fördern.
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Bon einer geplanten Unterredung Schleicher- Paul Boncour
, über die vom Daily Telegraph " be= richtet wurde, ist an zuständiger deutscher Stelle nichts bekannt.
Die Neubildung der bulgarischen Regierung hat der zurückgetretene Ministerpräsident Muscha noff übernommen.
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Die Regierung von Peru teilt mit, sie habe ernste Bersuche unternommen, um eine friedliche Lösung des Konflikts mit Kolumbien herbeizu führen.
Theatersfandal
Deutsches Theater geschlossen!
Bislang bestand der Theaterſkandal, der sich gestern und vorgestern im Deutschen Theater þei der Aufführung des Schauspiels ,, Gott, Kaiser und Bauer" abspielte, nur darin, daß aufgeputschte und abkommandierte Leute von der Galerie aus die Aufführung zu stören versuchten, obgleich sie in einer verschwindenden Minderheit waren. Jetzt ist ein viel größerer Skandal daraus geworden, das Stück ist abgesetzt worden, die Skandalmacher haben also Recht behalten. Lakonisch berichtet eine Lokalforrespondenz darüber:
,, Wegen des Borfalls im Deutschen Theater anläßlich der Aufführung des Schauspiels ,, Gott, Kaiser und Bauer" fand heute im Polizeipräsidium eine Besprechung statt. Bei dieser Gelegenheit wurde von der Direktion des Deutschen Theaters die Erklärung abgegeben, daß sie auf die weitere Aufführung des Stückes verzichtet."
Die Direktion des Deutschen Theaters bestätigt diese Nachricht und fügt hinzu, daß schon Donnerstag keine Aufführung mehr angesetzt werde.
Die nationalsozialistische wie die Zentrumspreise in Berlin wetteiferten in der Begeiferung des Stückes von Julius hay , das in derber Realistik mittelalterliches Papsttum wie Kaisertum aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts in ihrer Verlodderung zeigt.
Die kritische Besprechung der ,, Germa nia " forderte gleich nach der Premiere das Verbot des Stüdes, meil es wesentliche Be lange der Katholiken verlege. Durch diesen Protest angeregt, erschienen im Theater etliche Gruppen von Mitgliedern des Ratholischen Gesellenvereins, die durch laute Diskussionen ihr Mißfallen zum Ausdruc brachten. Ein bedenkliches Ausmaß hatten diese Demonstrationen nicht, zumal die Polizei das Erforderliche veranlaßte.
Das Zentrumsblatt sieht mehr als ein Drittel des deutschen Volkes in seinem Glauben und in seiner religiösen Gesinnung beleidigt. Sie spricht von Geschichtsfälschung und übelster politischer Tendenz- und Verhegungsdramatik. Aus dieser Einstellung heraus ist es denn kein Wunder, daß das Blatt in aller Entschiedenheit an alle maßgebenden Stellen die Forderung stellt, das Stück umgehend vom Spielplan verschwinden zu lassen.
Der ,, Angriff" führte noch stärkeres Geschüß auf. Er glaubt, an den RemarqueStandal erinnern zu müssen und unterstreicht die angeblich rein politische Bedeutung der Affäre. Handelt es sich nicht bei dem Autor, so fragt er, um einen Ungarn und bei seinem Stüd um eine unerhört zotige Schmiererei? Ist nicht für die Hauptrolle der Jude Kortner Cohn verschrieben worden? Und so geht es in der lieblichen Tonart dieses Blattes weiter. Es ist die Rede von einer unappetitlichen Sudelei und einem ,, Hurenboc", der Kortner anscheinend besonders liegt.
,, Unter dem Regime Severing- GrzesinskiWeiß waren wir daran gewöhnt, daß die Berliner Polizei jüdische Sudeleien und freche jüdische Lüftlinge schüßen mußte", ruft pathetisch dieses deutsche Kulturorgan. Natürlich findet der ,, Angriff" es unverständlich von Herrn Bracht, daß eine solche Schweinerei auf dem Theater nicht nur aufgeführt werden darf, sondern vor dem berechtigten unwillen des Volkes auch noch durch die Polizei geschützt wird Es wird kategorisch die Unterfagung weiterer Aufführungen oder jedenfalls die Zurückziehung des polizeilichen Schuzes verlangt.
Nach diesem ebenso verlogenen wie aufreizenden Artikel sammelten sich in den Zugangsstraßen zum Deutschen Theater während