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Lehrfreiheit 1932 alch

Dr. Anna Siemsen darf in Jena nicht lesen

Angeflagter, wie heißen Sie?" Ich heiße Cohn."

,, Sechs Monate Gefängnis. Nächste Sache." ( Gerichtsszene aus dem Dritten Reich.)

Der Professor Cohn wird von der Breslauer Universität vergrault, aus dem einzigen Grunde, meil er Cohn heißt. Wäre er so vorsichtig ge­mejen wie ein Berliner Landgerichts= präsident, der seinen jüdischen Namen Seligsohn in Sölling umgewandelt hat, fein Naziſtudent hätte ihm ein Härchen gekrümmt. Der Breslauer Universitätssenat hat nur einen Scheinverfu ch gemacht, die Lehrfreiheit zu schüßen. Nachdem er glaubte, das Gesicht gewahrt zu haben, ließ der Senat mitten im Kampfe den von der gesamten Fakultät an die Universität berufenen Professor schmählich im Stich. Daß Herr Cohn gewagt hatte, sich auf eine Rundfrage über eine Aufenthaltsbewegung für Trogki öffent­lich zu äußern übrigens unter Vermeidung einer flaren Stellungnahme zu der Frage, das wurde ihm als Verbrechen angekreidet. Es ge­nügte, daß Cohn die Frage als eine sorgfältig zu überlegende bezeichnete, um ihn als Protektor eines viehischen Meuchelmörders und Massen­schlächters" über die Klinge springen zu lassen.­,, Gib mir drei Zeilen eines anständigen Mannes, und ich werde ihn an den Galgen bringen" hat einst ein Franzose gesagt!

Von genau der gleichen Art- aber noch viel skandalöser als der Fall Cohn, ist eine neue Tat, die aus Nazi- Thüringen berichtet wird. Frau Dr. Anna Siemsen, Oberschulrätin und mehrere Jahre hindurch sozialdemokratische Landtagsabgeordnete( jetzt SAP.), ist von der thüringischen Naziregierung das Recht entzogen worden, an der Landesuniversität Jena Vor­lesungen zu halten, das ihr im Oktober 1923 von der damaligen Linksregierung verliehen worden war. Es handelt sich um eine glatte poli­tische Maßregelung, weil Frau Siemſen Sozialistin ist. Haarsträubender aber als die Tat­sache ist der fadenscheinige Vorwand, mit dem die thüringische Regierung die Maß­regelungen begründet. Laut amtlicher thüringi scher Meldung ift nämlich der Grund für die Entziehung des Lehrauftrages der,

daß Frau Siemjen als einzige Persönlichkeit, die zur Landesuniversität Jena in Beziehung stehe, die von einer Reihe deutscher Professoren ver­öffentlichte Erklärung für den in Heidelberg ge­maßregelten Dr. Gumbel unterschrieben habe.

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Dies perkündet bas thüringische Boltsbildungs­ministerium", ohne sich zu schämen. Es ist eine herrliche Maßregelungsfette: Dr. Gumbel mird in Heidelberg wegen seiner pazifistischen Anschau­ungen gemaßregelt. Frau Dr. Siemsen wird in Jena gemaßregelt, weil sie gegen die Maßregelung Gumbels protestiert. Als nächster darf nunmehr derjenige linksstehende Professor fliegen, der gegen die Maßregelung der Frau Dr. Siemsen protestiert, und so tann dieses Ge= ichäft bis in die Unendlich feit fortgesett werden oder vielmehr bis zu dem Punkt, wo der legte links stehende Dozent den muffigen Staub deutscher Geisteslehrstätten von seinen Füßen geschüttelt hat. Wer protestiert, der fliegt! Alles im Namen der akademischen Lehrfreiheit".

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Die Nazis haben eine Zeitlang mit Vorliebe in ihrer Agitation den Namen ,, Metternich" ge­braucht. Sie behaupteten, daß sie nach den vor= märzlichen Methoden des Fürsten Metternich, des Lenters der Heiligen Allianz von 1815, gefnebelt würden. Nun, sie selber stellen jeden Metternich in den Schatten. Zu Metternichs Zeiten war eins der Ereignisse, das am meisten die Gemüter er­regte, der hinauswurf der Göttinger Sieben". Sieben Göttinger Universitätsprofesso­ren, unter ihnen die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm , wurden im Jahre 1837 ihres Amtes enthoben und davongejagt, meil fie gegen Gewaltmaßnahmen des Hannoverschen Königs Georg öffentlich protestiert hatten. Heute wie vor hundert Jahren! Heute ist jeder Nazi­minister ein Metternich im fleinen, heute wie damals genügt ein Protest gegen Ge= walt und Willkür, um einem oppofitionellen Universitätsdozenten das Genick zu brechen. Aber während vor hundert Jahren der Fall der Göt­tinger Sieben einen Sturm der Entrüstung ent­fachte, schweigt heute der weitaus größte Teil der Professoren feige zu jeder Gewalttat gegen

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die Lehrfreiheit. Dieser Teil der akademischen Lehrerschaft scheint mirklich für sich das frivole Wort rechtfertigen zu wollen, das im Fall der Göttinger Sieben der hannoversche König Georg gesprochen hat:, uren, Seil­tänzer und Professoren tann man zu allem gebrauchen."

Ein Silvesterult?

Aber kein schöner!

Die Verordnung über den Beimischungszwang onn Butter in Margarine ist im Reichsgefegblatt Deröffentlicht worden. Diese Verordnung ist ein grotestes Stück agrarischer Gesetzesmacherei. Das tollste daran aber ist der§ 9. Dieser Paragraph lautet:

1. Es ist verboten, im Verkehr mit Margarine und Kunstspeisefett durch Um­hüllungen, Bezettelungen, öffentliche Bekannt­machungen oder Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, in Wort oder Bild auf Milch, Butter, andere Milcherzeugnisse oder Schweineschmalz oder auf deren Gewinnung hinzuweisen.

2. Wer vorsätzlich dem Verbote des Abs. 1 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ist die Zu­widerhandlung fahrlässig begangen, so tritt Geldstrafe bis zu 150 M. oder Haft ein.

3. Die Vorschriften im Absatz 1 und 2 treten am 1. April 1933 in Kraft.

Da wird durch Notverordnung die Beimischung von Butter zur Margarine verfügt. Alle offiziellen und offiziösen Organe schreiben sich die Finger wund, um zu beweisen, welche Segnungen über die Verbraucher kommen sollen. Die Qualität der Margarine, so wird amtlich und halbamtlich be­teuert, werde zugunsten der Verbraucher er= heblich verbessert werden!

Dann aber wird verboten, im Handel auf die Verbesserung durch Butterzusaz hinzuweisen! Wer es magt, auf dem Umschlagpapier zu ver­merken, daß die gefeßlich vorgeschriebene Butter­menge in der Margarine enthalten sei- erhält sechs Monate Gefängnis!

Wer zum Zeichen, daß die Margarine Milch oder Butter enthält, eine Kuh aufs Umschlag­papier oder auf ein Reflameplafat brudt, mird mit sechs Monaten Gefängnis bedroht! Was geschieht, wenn ein Margarinefabrikant

Gemiedliche Sachsen

,, Gugge mal an, hier wohnt Ihr Gom­blietze? Da dunsn gleich abholn, awr vergriemln Se sich nich, mei Wärtstr! Ich geh drweile mal seechn."

auf das Umschlagpapier drucken läßt: hergestellt nach den Vorschriften der Notverordnung vom 23. Dezember?" Er muß in sinngemäßer An­wendung des Paragraphen 9 bestraft werden! Auch der Name ,, Schleicher Margarine" wird unter diesen Paragraphen fallen.

Nach dem Nahrungsmittelgeje müssen alle Zu­fäße, Farbstoffe, Konservierungsstoffe usw. aufs genaueste dem Verbraucher mitgeteilt werden. Hier wird im Gegensatz dazu eine Schweige pflicht über einen wichtigen und hochwertigen Bestandteil festgesetzt und unter Androhung von Gefängnisstrafe erzwungen!

Es soll nicht nur verschmiegen werden, was tatsächlich ist, sondern dazu noch obendrein gegen den Willen der Hersteller erzwungen worden ist! Ein solcher Zwang verstößt ganz offenfundig gegen die guten Sitten!

An diesem Baragraphen 9 enthüllt sich die Un haltbarkeit dieser dilettantischen agrarischen Inter­effentenhaufengejegesmecherei. Man fönnte diesen Baragraphen, der ausgerechnet om 1. 2 prilin Kraft treten soll, für einen Silvesterult halten,

Der deutsch - französische Vertrag

Ein Sieg des Protektionismus

Das Zusagabtommen zum deutsch - französischen Handelsvertrag von 1927, über dessen Abschluß mir bereits im gestrigen Morgenblatt eingehend berichtet haben, ist jetzt im Wortlaut veröffentlicht worden. Das neue Abkommen tritt am 1. Februar 1933 in Kraft.

Die im deutsch - französischen Handelsvertrag ver­anterte allgemeine Meistbegünstigung

bleibt auch in dem neuen Abkommen bestehen. Nur für einzelne Pofitionen, die für Deutschlands Export bedeutungslos sind, wird sie aufgehoben. Die Meistbegünstigung fommt nur dann in Fort­fall, wenn in einem der beiden vertragschließenden Länder eine Entwertung der Währung von mehr als 10 Proz. eintritt.

Das Kernstück des neuen Abkommens stellt der Artikel 5 dar, der die Lösung von den bestehenden Zolltarifbindungen vorsieht.

Das Hauptziel der französischen Unterhändler bei der Einleitung der Verhandlungen war, eine all­gemeine Lösung dieser gebundenen Zölle zu erreichen, die schon seit langem von sehr starten protettionistischen Interessentengruppen im fran­ zösischen Parlament gefordert wurde. Bei diesem wichtigsten Berhandlungspunkt ist eine Lösung derart erfolgt, daß zunächst die Bindungen bis zum 1. Februar 1933, dem Tage des Infraft­tretens des Zusagabkommens, unverändert bleiben und daß von diesem Termin an die gebundenen Zölle einzeln mit einer Frist von nur 14 Tagen gekündigt werden können. Nach der Kündigung gelten für die betreffenden Tarif­positionen dann die autonomen Zölle. Ueber die Gegenmaßnahmen des Vertragspartners will man sich dann durch sofortige Aufnahme von Verhand­lungen verständigen.

Einen sehr gefährlichen Punkt dieser Ab­machungen bildet die Bestimmung, daß bei einer innerhalb von 10 Tagen nicht zustande­gekommenen Einigung der Vertragspartner auf dem ganzen Gebiete der Zollbindungen entsprechende Zollerhöhungen vornehmen kann.

Hier ist also für eine hemmungslose Zollpolitik Tür und Tor geöffnet.

Die französischen Rontingente, die seit

dem Sommer 1931 für eine große Anzahl wich­tiger Industrie und Agrarprodukte eingeführt wurden, bleiben von dem Vertrag unberührt; man ..hofft" auf deutscher Seite, daß Frankreich die Kontingente von sich aus mildern wird, wenn es nach der Lösung von Tarifbindungen die Zölle heraufgesetzt hat.

Das Abkommen über den Devisen und Reiseverkehr entspricht den Verträgen, die auf diesem Gebiete bereits mit Schweden und Italien und lehthin auch mit der Schweiz ab­geschlossen wurden

Dieser Vertrag ist ein Kind des Pro­teftionismus. Mag auch in den Kreisen der deutschen Unterhändler die Befriedigung darüber vorherrschen, daß der alte Handelsvertrag von 1927 in seinem Rahmen aufrecht erhalten und auch die Meistbegünstigung in Geltung bleiben Ponnte, so ändert das doch darin nichts, daß in diesem deutsch - französischen Zusagabkommen alle Möglichkeiten für eine verschärfte Absperrungs­politik enthalten sind. Die Lösung der Tarif­bindungen oder, wie es von deutscher Seite so schön heißt, die elastische Gestaltung der Tarif­bindungen", gibt unter Anwendung der überaus kurz bemessenen Kündigungsfristen beiden Teilen für eine Reihe wichtiger Positionen jederzeit die zollpolitische Ellenbogenfreiheit. Was bei

dem handelspolitischen Ungeist,

der gegenwärtig unter dem Druck mächtiger Inter­essentengruppen in beiden Ländern alles andere überwuchert, dabei herauskommen wird, liegt ganz bestimmt nicht auf der Linie der internationalen Handelsfreiheit, sondern auf der Linie schärfter Absperrung.

per­

So geschehen, ist das deutsch - französische Zu­fagablommen ein neues Hindernis für die Befreiung des internationalen Warenverkehrs aus seiner zollpolitischen Verkrampfung und eine weitere Hemmung für die leberwindung der Krise.

DE

,, Gottverdammich, nu hats'ch das dicksche Luder wärklich vergriemld! Un ch'habs'n doch egalweg verbodn!"

menn er nicht bezeichnend wäre für den agrarischen Uebermut, der feine Grenzen fennt. Dieser Art von Gesezesmacherei muz der Reichstag ein Ende machen!

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Im übrigen zeigt ein weiterer Punkt der Ver. ordnung das schlechte Gewissen ihrer Väter. Sie ist datiert vom 23. Dezember zwei Tage 1 vor Weihnachten . Man hat nicht gewagt, diese unglaubliche Verordnung dem Volte zu Weih­nachten zu bescheren!

Sie schreien schon!

Weil die Butterbeimischung nichts nützt

Die Tinte auf dem Papier der famosen Ber­ordnung über die Butterbeimischung ist faum troden geworden. Schon aber hat der geschäfts­führende Präsident des Reichslandbundes Graf von Kaldreuth ein Telegramm an den Reichskanzler gerichtet, in dem die völlige Sperre jeglicher Butter einfuhr ge­fordert wird. Wir haben gestern geschrieben, daß der Reichslandbund schon das nötige Geschrei erheben wird, wenn, wie zu erwarten ist, die Butterbeimischung nicht zu der gewollten Er­höhung der Butterpreise führen wird. Graf Kaldreuth hat nicht einmal geglaubt, den Eintritt des Mißerfolgs abwarten zu dürfen. Er schreit schon jetzt!

Daß dem Grafen von Kaldreuth vollständig gleichgültig ist, wenn mit einem Buttereinfuhrver­bot die letzten Säulen des deutschen Exports voll­ständig zerbrochen werden, versteht sich ja für alle Eingeweihten.

Ein Vorstoß gegen Hindenburg

Das Organ der christlichen Gewerkschaften, der ,, Deutsche ", schrieb gestern abend:

,, Es ist zuzugeben, daß die Ausschaltung des Reichstages zeitweise nicht zu vermeiden war. Aber der Mißbrauch des Artikels 48 zum Erlaß von Verordnungen, die auf gute Be= ziehungen von Interessenten zum Reichspräsidenten zurüdzuführen sind, steht nicht nur mit der Verfassung im Widerspruch, sondern zwingt auch dazu, den Reichspräsidenten als den verant wortlichen Gefeßgeber in den Be­reich der Kritif einzubeziehen.

Es ist ja auf die Dauer unvermeidlich, daß es zu einem Kampfe zwischen dem groß. agrarischen Klüngel, dessen Einfluß auf den Reichspräsidenten bei jeder Gelegenheit sichtbar wird, und der Parla= ments mehrheit fommt. Der Zustand, daß eine neue Regierung durch den Reichspräsidenten von vornherein mit agrarpolitischen Bindungen belastet wird. ist auf die Dauer nicht erträglich." Auf diesen festen Borstoß antwortet die folgende amtliche Verlautbarung:

,, Die Behauptung eines Berliner Abendblattes, daß der Herr Reichspräsident besonderen Einfluß auf den Erlaß der Verordnung zur Neuregelung der Fettwirtschaft genommen habe, stellt sich nicht nur als eine in Form und Inhalt bedauerliche Entgleisung dar, sondern entspricht auch in tat­sächlicher Beziehung in feiner Weise der Wahrheit. Die fragliche Verordnung ist von den zuständigen Ministern einzig und allein auf Grund des vor­liegenden sachlichen Materials ausgearbeitet und auf Grund einmütigen Kabinettsbeschlusses vom Reichskanzler dem Herrn Reichspräsidenten vor. gelegt worden.