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Morgen- Ausgabe

Nr.616 A303 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Donhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

31. Dezember 1932

Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß bes redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Auch Reventlow rebelliert

Mit Stöhr auf Gregor Straßers Spuren

Eine der letzten Rummern der illustrierten Nazi- Wochenschrift mußte eingeftampft werden, meil fie eine Verherrlichung Gregor Straßers enthielt. Jetzt überrascht der stets eigenwillige Graf Reventlow die Lefer seines Reichs­wart" mit einer Verherrlichung Gre gor Straßers, die zugleich eine eindeutige Berurteilung der bisherigen offiziellen Politik der Hitlerpartei in sich einschließt.

In einem Leitauffag ,, Die Frage an 1932 und 1933" fezt Reventlom auseinander, daß diejenigen unrecht gehabt hätten, die mit einer Bernichtung - der bürgerlichen Parteien rechneten. Bei den No­Dember wahlen sei ein Teil des bürgerlichen Zuwachses der NSDAP. wieder dahin zurüd­geflossen, woher er gekommen fei. Dann heißt es wörtlich weiter:

Das Frühjahr brachte im Reichstag ein Er­eignis, dessen innere Bedeutung wohl meist nicht voll gewürdigt worden ist: die große Rede programmatische Gregor Straßers. Straßer entwickelte mit ebensoviel Kühnheit wie Besonnenheit den nationalsozia­listischen Standpunkt zur Frage der Arbeits­beschaffung und richtete im Anschluß daran die Aufforderung an die mit Arbeiterorganisationen verbundenen Parteien zu einer vorurteilslosen fachlichen Zusammenarbeit, damit möglichst schnell dem Erwerbslosenelend erfolgreich ent­gegengetreten werden könne. Bekanntlich fand dieses Anerbieten keinen Widerhall. Man hat sich weiter auf Reden und Schreiben und Kritik zurückgezogen.

Biel hätte aber in dem seitdem vergangenen halben Jahre schon praftisch für die Behebung der Arbeitslosigkeit getan werden können, wenn der Parteistandpunkt überwunden

morden märe!

Offenbar ist diese Ueberwindung des Partei­standpunktes" der NSDAP . auch nicht ganz ge­lungen. Darum läßt der frondierende Graf noch weitere verherrlichende Ausführungen über Gregor Straßer folgen, die mit der Erklärung schließen, der Gedanke der Einigung aller Arbeit­nehmer werde nicht wieder verschwinden, und die Arbeiterfrage werde alles überschatten.

In einem anderen Aufsatz desselben Blattes macht der Reichstagsabgeordnete Stöhr auf ein neu erschienenes Buch Reventlows neugierig, das den Titel führt Nationaler Sozialismus im neuen Deutschland " und das angeblich ,, mit je der

Art von Herrentum und Führeranspruch unerbittlich zu Gericht geht". Das stimmt recht gut zu dem Bericht Otto Straßers, nach dem sich Reventlow in der sogenannten ,, Hündchenszene" an den byzantinischen Huldi­gungen für Hitler demonstrativ nicht beteiligt haben soll.

Indes, wer noch immer nicht bemerken will, daß zwischen Reventlom und der NSDAP . etwas nicht stimmt, dem muß folgende Antwort auf mehrere Anfragen", die in derselben Nummer des ,, Reichsmart" enthalten ist, die Augen öffnen:

Sie fragen mich, warum das Nationalsozia­listische Jahrbuch für 1933 in dem Abschnitt: Die Preise der NSDAP ." und auch sonst den Reichswart" nicht nennt, auch in der Aufzählung nationalsozialistischen Schrift­tums teine meiner Schriften an­führt. Zu meinem aufrichtigen Bedauern fann ich Ihnen den Grund nicht angeben, obgleich ja nach dem Gesetz der Kausalität ein Grund, richtiger: eine Ursache vorhanden sein muß.

Reventlow steht also auch schon auf dem Inder des Braunen Hauses. Wenn die letzte Nummer feines Reichswart" nicht eingestampft worden ist, so wohl nur deshalb, weil Hitlers Arm foweit nicht reicht.

Die Bersetzung

Eigene Berichte des Vorwärts"

Kiel , 30. Dezember. Das Jahr 1932 geht in Schleswig- Hol stein für Hitler und seine Partei unter den denkbar ungünstigsten Aussichten zu Ende. Es fracht und bricht in allen Orts= gruppen. In Kiel , Flensburg , Neumünster , Schleswig , Husum , Izehoe , Elmshorn , in jedem Ort, in dem die Nazipartei auch nur geringen Ein­fluß besaß, ist es zur offenen Rebellion der SA. und SS. gekommen. Zudem stinkt es überall nach Korruption. Die Berichte über Unterschlagungen und Betrügereien der Naziführung nehmen kein Ende.

Im Gegensatz zu den Nazis entwickelt die So­ zialdemokratische Partei eine Akti vität. Eine kurz vor Weihnachten abgeschlossene erste Werbeaktion brachte ihr nicht unbeträchtlichen

Bombenverschwörung in Barcelona

Riesenlager entdeckt

- Anarchistische Umsturzpläne

Barcelona , 30. Dezember. Durch die zufällige Auffindung eines großen Bombenlagers ist man einem anarchi­stischen komplott auf die Spur gekommen. Wie man hört, sind Dokumente gefunden worden, die darauf hindeuten, daß geplant war, den seinerzeitigen Eisenbahnerstreit zu einer großen politischen Aktion auszunuzen. In diesen Doku­menten sollen auch 54 Mitverschwörer namentlich aufgeführt sein. Die Polizei hat bereits drei Per­fonen festgenommen, und man erwartet noch weitere Berhaftungen.

Uebrigens hat sich gestern abend in einem großen Möbellager ein eigenartiger Borfall abgespielt, dessen Hintergründe noch nicht aufge­klärt werden konnten. Fünfzehn be­waffnete Männer drangen in den Laden ein, und zerstörten, während komplicen von ihnen auf der Straße Wache hielten, das gesamte In­ventar. Der Schaden wird auf 300 000 Peseten geschätzt.

Anarchistisch- militaristische Bundesbrüderschaft

Wie ergänzend zu den Bombenfunden in Barcelona befannt wird, handelt es sich um ein

Bombenlager der Syndikalisten, das neben über 1000 schweren Bomben auch 2000 Zünder, 50 Kilogramm Dynamit, zahlreiche Pistolen und Gewehre enthielt.

Der Umsturzversuch sollte zusammen mit den Offizieren und Soldaten verschiedener Garnisonen in den nächsten Tagen vor sich gehen. Pläne von Kasernen sowie Aufstellungen über die Wohnungen von Truppenfommandeuren und Polizeioffizieren, die von den Syndikalisten ver­haftet bzw getötet werden sollten, wurden eben­falls von der Polizei ans Tageslicht befördert.

,, Selbständigkeit

Oesterreich am Gängelband Paris , 30. Dezember. Kammer und Senat sind in Ferien gegangen, nach dem auch der Senat die österreichische Anleihe mit 144 gegen 68 Stimmen gebilligt hatte.

Die Berichterstatter machten Borbehalte, mit denen sich die Regierung einverstanden er­flärte. Der Auswärtige Ausschuß ließ zum Aus­brud bringen, daß

Mitgliedergeminn. In Kiel allein konnte die Sozialdemokratische Partei die Zahl ihrer Mit­glieder um 500 vermehren.

Halle, 30. Dezember.

Die Zersegung der Hitler Jugend in Halle schreitet fort. Vor einigen Tagen trat ein Kommissar aus München an die Stelle des bis­herigen Jugendführers. Die Folge ist, daß sich die Hitler- Jugend in zwei Lager gespalten hat, die sich gegenseitig bekämpfen und schlagen. Da auch die SS., die früher derartige Meinungsäußerungen ,, schlichtete", nicht mehr ganz zuverlässig ist, lief der Jugendbonze zur Kriminalpolizei.

Frankfurt a. M., 30. Dezember. Etwa zwanzig Nazis drangen in Frankfurt in eine Anstalt für Fürsorgezöglinge, drehten das Licht ab, überfielen einen Erzieher, schlugen ihn

nieder und demolierten die Einrichtung. Als der Direktor des Heimes erschien, floh die Nazimeute. Gegen verschiedene Teilnehmer des Ueberfalls konnte Anzeige erstattet werden.

Am gleichen Tage holte dieselbe Gruppe von Nazis zwei Fürsorgezöglinge aus der Straßenbahn, die von ihrem Begleiter in eine Erziehungsanstalt außerhalb Frankfurts ge­bracht werden sollten. Die beiden befreiten Fürforgezöglinge gehören der Hit­lerpartei an. Gegen ihre Ueberführung in eine außerhalb Frankfurts gelegene Anstalt hatte vorher der Scharführer der Hitler- Jugend pro­testiert.

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Don

Harburg, 30. Dezember. Auch in Niedersachsen hat die Nazi dämmerung begonnen. In Harburg­Garnitur Wilhelmsburg ist eine Führern" still und leise in der Versenkung ver­schwunden. Unwidersprochen fonnte das fozial­demokratische ,, Boltsblatt" feststellen, daß kassen­differenzen die Ursache sind. In Lüne burg und Stade haben zahlreiche alte und bekannte Anhänger der NSDAP . die Partei ver­laffen.

Neustrelitz i. Medl., 30. Dezember. Der nationalsozialistische Landtagsabge ordnete Scheibner, der kürzlich unter dem Drud der nationalsozialistischen Parteileitung sein Mandat niederlegen mußte, hat seinen Austritt aus der NSDAP . erklärt und sich Otto Straßers Schwarzer Front" angeschlossen.

"

in den Donaustaaten nichts Ernsthaftes und Solides ohne eine endgültige Bereinbarung mit den zwei Großmächten geschaffen werden könne, die ebenso wie Frankreich dort interessiert sind. Unter diesen Vorbehalten, die zugleich auf die Einhaltung der bestehen den Berträge und die Vorbereitung einer den Notwendigkeiten der Entwicklung angepaßten Neuordnung hinzielen, schlage die Kom­mission vor, den Gesezentwurf zu billigen. Der Finanzausschuß stellte die doppelte Bedingung, daß der Ertrag der französischen Anleihe nicht zur Rückzahlung des Kredites der Bank Don England diene und die neuen Titel nur an der Pariser Börse zugelassen werden, menn die Modalitäten der Anleiheausgabe nicht im Widerspruch zu den in Frankreich üblichen Be­stimmungen stehen.

Auf Grund der beruhigenden Erklärungen von Paul Boncour und Chéron nahm der Senat den Gesetzentwurf an.

Die ordentliche Parlamentstagung beginnt am 10. Januar. Die Verfassung schreibt den Zu­sammentritt des Parlaments am zweiten Dienstag des Januar vor.

Präsident Majaryf ist leicht an Grippe erkrankt. Der Präsident steht zwar im 82. Lebensjahre, ist aber gesunder und widerstandsfähiger Konstitution.

Abschied von 1932

Ein Leidensjahr der Frauen

Von Luise Schroeder

Oft hörten wir vor einem Jahr die Prophezeiung: das Jahr 1932 soll ein be­sonders schweres werden. Und wir müssen eingestehen: selten ist eine Voraussage ein­getroffen wie diese. Schwer im persönlichen wie im allgemeinen, schwer in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht war dieses Jahr, zu vergleichen in seinen Opfern lediglich den Kriegsjahren! Wie aber alles Leid am härtesten die Frau trifft, weil sie als Haus­frau und Mutter mit dem Manne und den Kindern leidet, oder weil sie als Allein­stehende die Einsamkeit in der Not doppelt spürt, so hat auch dieses Jahr die Frauen doppelt hart und doppelt schwer belastet. Für sie war Arbeitslosigkeit, Vergehen der zweiflung des Mannes, die Gefahr der Ver­Existenz nicht nur materielle Not; die Ver­wahrlosung arbeitsloser heranwachsender Kinder, die Vernichtung des mühsam aufge­bauten Heims alles traf die Frau seelisch fast noch schwerer. Wie in Kriegs- und In­flationsjahren unzählige Frauen zusammen­brachen, so auch jetzt unter der Not der Gegenwart.

Und doch: wir blicken mit Stolz zurück auf dieses Jahr! Denn welche ungeahnten Kräfte hat der Kampf gegen wirtschaftlichen Wahn­sinn und politische Reaktion auch in den Frauen gezeitigt!

Am Anfang dieses Jahres stand die Gründung der Eisernen Front. Wir hatten erkannt: der Feind steht vor den Toren, Reaktion, Konterrevolution, Faschismus und Feudalherrschertum, zusammengeschlossen in der Harzburger Front, wollen die demo­kratische Republik zerstören. Da standen die Männer auf und schmiedeten den eisernen Block der sozialistisch, gewerkschaftlich, welt­anschaulich verbundenen Arbeiterschaft gegen­über dem Mißgebilde einer Front von fapi­talistischen Egoisten und sich sozialistisch"

nennenden Anbetern der Diktatur. Aber mit den Männern tamen die Frauen, verspottet deswegen zunächst von politischen Gegnern. Doch es dauerte nicht lange, bis dieser Spott versiegte. Auch der Gegner mußte bald erkennen, daß es sich bei der Tätigkeit der Frauen in der Eisernen Front nicht handelte um Spielerei beschäftigungs­loser und unbefriedigter Frauen, wie bei so manchen Hakenkreuzbegeisterten.

Wir dürfen es heute ruhig aussprechen: Wenn trotz Millionennot, troh unerhörter Verhegung, trotz Terrors der Hitler­Gläubigen, trok Verfolgung der Papen­Regierung die sozialistische Arbeiterschaft in ihrem Ringen um die demokratische Republik feinen Augenblick gewankt hat, so nicht zum mindesten infolge der treuen Kameradschaft der Frauen.

Einerlei, ob die Frau durch Aufklärung von Frau zu Frau den Samen des Sozia­lismus säte, ob sie gerade in den vom Terror der Nationalsozialisten am schwersten ge­fährdeten Gebieten die unter dem Kleide ver­borgenen Flugblätter von Haus zu Haus trug, ob sie persönliche Opfer von unge­heurer Schwere auf sich nahm, weil der Mann, der Sohn sein Leben, seine Gesund­heit, seine Freiheit im politischen Ringen aufs Spiel setzte- immer sahen wir sie tapfer der Idee einer glücklicheren Zukunft dienen!

In diesem Augenblick des Abschieds vom Kampf- und Leidensjahr, aber auch vom Heroenjahr 1932 wollen wir in erster Linie jener gedenken, die so tapfer die schwersten Leiden auf sich nahmen: der alten Land­arbeitermutter auf dem flachen auf dem Lande Schleswig- Holsteins , der man den