ERSTE BEILAGE
Vormärts
HOFFNUNG
DER
ENTTAUSCHTEN
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elmert
Es ist ein Tag vor Silvester und allerorten die stillste Zeit im Jahr, aber in der Gemeinnützigen. Auswandererberatungsstelle in der Linkstraße 15 steht die Tür nicht still. Rund 6000 Männer und Frauen kommen in jedem Jahr allein in diese Beratungsstelle Berlin hat noch eine zweite am Monbijou platz 10- und fragen, ob denn das Auswandern nicht doch noch einige Hoffnung biete. Es sind fast allemal von ihrer Heimat irgendwie und irgendwann enttäuschte Menschen, die im Vorzimmer der Beratungsstelle den kurzen Fragebogen über woher und wohin ausfüllen und bei manchen geht die schwere Enttäuschung schon mehr in eine leise Verzweiflung über. Dann sagen die Auswanderungslustigen nicht mehr Ach bitte, kann ich Auskunft über Uruguay bekommen!" sondern kurz und bündig: ,, Sagen Sie nur, wo kann ich hin, nur raus hier aus dem Elend!" Und auf die Rückfrage des auskunft gebenden Beamten: Ja, rohin, nach Kapstadt oder nach Kiautschou oder nach Montevideo ?" antworten diese Männer meist nur:„ Das ist mir ja so egal!"
In der Beratungsstelle Bereits die Borzimmerluft der Gemeinnüßigen Auswandererberatungsstelle ist geeignet, die Banderlust gehörig abzufühlen. Auf den Tischen liegen die Fahrpreishefte der großen Dampferfinien und man braucht nur das erste Beste aufzuschlagen, um mit einem gelinden Schrecken zu sehen, daß eine Reise 3. Klasse nach Südamerika rund 430 M., nach Mittelamerita rund 450 M., nach Nordamerifa 500 02 und nach Südafrika fogar rund 600 m. pro Raje toftet. Wobei immer hinzukommt, daß kein Land der weiten Welt gegenwärtig einen fremden Auswanderer zu sehen münscht, weil sie alle selber genug Arbeitslose haben und daß fast jedes Land, wenn es schon Gäste über die Grenze läßt, erst einmal die Geldtasche des Einwanderers unter die Lupe nimmt. Und da wären die 430 M. für die Zwischenfahrt nach Südamerika hinausgeworfenes Geld, wenn der Ankommende in Brasilien beispielsweise nicht die vorgeschriebenen 1000 m. vorweisen könnte; hätte er sie nicht, dann fäme er in Rio de Janeiro erst gar nicht an Land. Dann tlappen die erwerbslosen Auswanderungsluftigen mit einem leichten Seufzer die Fahrpreishefte wieder zu und fragen dafür den Berater: ,, Kann man sich auf dem Schiff nicht hinüberarbeiten?" Ach du lieber Gott ! Halb Hamburg sigt voller arbeitsuchender Seeleute und wenn die Schiffahrtsgesellschaften das hinüberarbeiten" gestatten würden, dann hätten sie wiederum nicht genügend Besagung für die Rückreise. Aber was reden wir vom Hinüberarbeiten", wenn der Erwerbslose doch nicht den Tausendmarkschein in Rio vorzeigen kann, Jas er, nebenbei gefagt, ohne die Erlaubnis der Berliner Stelle für Devisenbewirtschaftung am Lützowufer gar nicht darf. Doch gesetzt den Fall, er hätte den Tausender und nun tommt der Mann zum Lützowufer und sagt: Ich bin der Erwerbslose Mar Schmidt aus der Bellermannstraße, ich möchte mit einem Tausender nach Brasilien ", dann liegt es erheblich im Bereich der Möglichkeit, daß der Prüfer dort entweder vom Stuhl fällt oder den Erwerbslosen fragt: Bas
FÜR DEN
mollen Sie nn nur in Brafilien? Wollen Sie dort die Affe aus dem. Tabak jagen?" Um noch ein Beispiel zu geben: wer in Kapstadt ( Süd afrikanische Union ) an Land will, muß 100 engfische Pfund vorzeigen können.
In dem Vorzimmer ist aber noch mehr: da hängen Bilder an der Wand, photos aus dem Inneren Südamerikas , auf denen deutlich genug 311 sehen ist, wie die Auswanderer die erste Zeit unter nackten Palmblättern hausen, nach ein paar Jahren erst langt es zu einem bescheidenen Block haus und so manche Frau, die voller Hoffnung die Beratungsstelle in der Linkstraße beffat, rief beim Anblick dieser Photos erschreckt aus: ,, um Gotteswillen!" So geht es denn meist mit ge= dämpftem Trommelflang in das Zimmer des Beraters.
noch
Das heißt, man foll die Auswanderungsfrage nicht schief sehen. Die Erwerbslosen stellen nämlich weder das Hauptfontingent der Auswanderer woher sollen fie auch das Geld haben der Ausmanderungsluftigen. Die Mehrheit der jenigen, die die 25 über die Deutsche Republik verteilten Auswanderungsberatungsstellen auffuchen, hat vielmehr Geld. Wie ja in die Berafungszimmer auch so gut wie alle Berufe fommen, Bankdirektoren und Hausdiener. Uebrigens unterstellen alle 25 Nebenstellen der Reichsstelle für das Auswanderungswesen, die im alten Generalftabsgebäude in der Molfestraße 5 untergebracht ist. Was hier an Material über das Aussehen der Welt zusammengetragen wird, ist einfach erstaunlich. Fortgesezt melden die deutschen Bot schaften, Gesandtschaften und Konsulate alles nur irgendwie Wissenswerte für die Beratung der Auswanderer und das jetzt Folgende ist nun nicht etwa ein Wig: Jemand fragt den Berater, was in Salonifi( Griechenland ) die Butter loftet. Antwort: 75 bis 95 Drachmen je 1 Ota. Ein Ota sind 1200 Gramm und 100 Drachmen 2,31 Mart. Also kostet ein Pfund Kuhbutter in
Inventurverkauf
MARK
Salonifi etwa 1 Mart. Die Auskunft stammt vom 7. November 1932." Oder jemand fragt, mas foftet eine lebernachtung in Dublin ( Irland ). Antwort: Ohne Berpflegung 4 bis 7 Schilling, mit Verpflegung 10 bis 14 Schilling, ein möbliertes Zimmer etwa 3 Pfund im Monat. Die Unterlagen stammen von Ende September 1932. Oder ein Dritter fragt, was tostet eine Flasche Bier in Teheran ( Berfien). Moment- sagt der Berater, schlägt nach und hier haben mir es ja: 30 Rials 4,50 Mart." Gute Nacht! Es müssen also schon ganz tolle Fragen sein, auf die die deutschen Auswandererberatungsstellen feine Auskunft geben könnten.
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Wie nötig Geld für jedwede Auswanderung ist, erfieht man aus den Landpreisen in Uebersee . Die Zeiten von Buffalo Bill und Old Wawerly sind vorbet. Nirgends kann sich mehr der Auswanderer ein Stüd herrenlofes Cand aneignen; nicht ein Staat der Welf gibt mehr Freiland. Unter unfäglichen Entbehrungen könnte ein deutcher bäuerlicher Siedler in den Südstaaten von Brasilien ( Rio Grande do Sul , Sania Catharina, Peraná) mit etwa 3000 m. anfangen. Es sind schen Deutsche dort, das Klima geht, aber nur fehr träftige Ceule tönnen die Arbeit bewältigen. In den Ostprovinzen Kanadas ( Neu- Braunschweig und Neu- Schottland ) ist ein Anfang mit etma 5000 m. möglich, aber es set nun niemand angereizt, unter Berufung auf den Vorwärts" nach Kanada abzudampfen. Als der Herr A. E. Johann sein hübsches Buch geschrieben hatte Mit 20 Dollar in den wilden Westen", da wisten sich an manchen Tagen die Beratungssteller Kanadapilgern faum zu retten. Dann steigen die Landpreise immens: in Merifo find schon 15 000 Mart erforderlich, in Südafrika 20 000 bis 40 000 Mart, im ehemaligen Deutsch- Südwest sogar teilweise 50 000 m., und wer nach dem ehemaligen Deutsch- Ost will und hat nicht mindestens 40 000 Mart, der bleibe lieber in Deutschland . Denn", jagte der Berater ,,, ein Plantagenbetrieb ist heute eine technische Sache mit einem Maschinenpart. Allein für Kaffee oder für Sisal sind riesige Auf
por
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SONNTAG, 1. JAN. 1933
bereitungsmaschinen nötig, die enorme Kapitalien erfordern."
Dennoch wird ausgewandert. Hier sind die neuesten Ziffern vom dritten Quartal 1932: Danach wanderten in den Monaten Juli, August und September 1932 insgesamt 4628 Deutsche aus. Und jetzt kommt vielleicht das Kurioseste der ganzen Auswanderung: davon waren nicht weniger als 2910 Personen weiblichen Geschlechts! Fast alle Berufsgruppen sind unter diesen 4628 Deutschen , die ihre Heimat verließen: zum Beispiel 239 Landwirte( immer mit Angehörigen ge rechnet), 1100 Industriearbeiter, davon 29 Selbständige, von den Landwirten waren übrigens nur neun selbständig, 704 Personen aus Hande! und Verkehr, 149 aus dem Gesundheitswesen und 783 Hausangestellte.
Das große Ziel sind immer noch die Ver= einigten Staaten von Nordamerika , dort hin fahren trotz aller Einreisebeschränkungen 3891 Deutsche . Dann folgt in weitem Abstand Argentinien mit 351 Deutschen , Bra filien mit 152, Kanada mit 73, übriges Südamerika mit 57( außer Chile ); nach Merito fuhren 27 Deutsche , und so geht es die Tabelle hinunter bis zu den fünf Australien , den vier Asien - und den vier Afrikafahrern.
Inzwischen liegen ganz neue Ziffern vor vom Ottober 1932. In diesem Monat verließen 1524 Deutsche ihre Heimat, 735 über Hamburg und 789 über Bremen.( Im Oktober 1931 manderten 1540 Personen aus.) Diese 1524 Auswanderer sind aufgeteilt nach Landsleuten: vorn weg marschieren 710 Preußen, dann 244 Bayern , 139 Württemberger, 110 Hamburger(!), 107 Sachsen und 102 Badenjer. Von den preußischen Provinzen hatten die stärkste Auswanderung Rheinland und Hannover mit je 143 Personen, dann folgt Berlin mit 84 Personen, die im Ottober 1932 unserem Spreeathen vorläufig auf Nimmerwiedersehen untreu wurden.
Feuer im Warenhaus
Jm 6. Stod des Karstadt - Hochhauses am Hermannplatz entstand in der Nacht in der großen Kantinenküche des Kaufhauses ein Feuer, das durch Ueberfochen eines Fett. tessels für die Zubereitung von Silvesterpfann fuchen verursacht wurde. Da bei einem Feuer in einem Warenhaus sofort dritter Alarm gegeben wird, rückten drei Züge zur Brandstelle, von denen jedoch nur einer in 2ftion zu treten brauchte Die Feuerwehrleute mußten, da dichte Fettdämpfe fich entwidelt hatten und unter derartigen Umständen erhebliche Explosionsgefahr besteht, mit größter Borsicht zu Werke gehen. Das in dem Kessel befindliche Fett wurde mit Schaum hebeckt, um durch Abschneiden der Sauerstoffzufuhr die Flammen zu ersticken. Eine weitere Ausdehnung des Feuers auf die Einrichtungsgegenstände konnte vermieden werbe Der Betrieb erleidet feine Einschränkung.
Ein alter„ Borwärts"-Leser, Gustav Hensch, Berlin , Beteranenstr. 25, begeht am Montag 2. Januar, feinen 85. Geburtstag in geistiger, und törperlicher Frische. Hensch, ist alter Abonnent bes ,, Borwärts" und war schon Leser des ,, Bolfsblati", Sozialdemokrat" usm. Der madere Alte lebt in bedürftigen Berhältnissen.
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