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Abend- Ausgabe

Nr. 2

B1 50. Jahrg.

Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

Ferniprecher? Amt Donhoff 292 bis 297

Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MONTAG

2. Januar 1933

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Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise

fiehe Morgenausgabe

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Silvester- Mordnacht

Drei Tote und die Verantwortung

Aehnlich wie vor zwei Jahren, als unsere Reichsbannerfameraden Schneider und Graf der braunen Mordpest Hitlers zum Opfer fielen, ist auch die vergangene Silvesternacht eine Nacht der blutigen politischen Ausschrei­tungen gewesen. Drei Todesopfer sind, während man auf den Straßen feierte und harmlose Böllerschüsse abfeuerte, unter ernsthaft gemeinten Kugeln politischer Geg­ner dahingesunken. Weit größer noch ist die Zahl der Berlegten. Unter ihnen be­finden sich wiederum eine Anzahl Reichs­bannerkameraden, die ahnungslos und allein­gehend von gegnerischer Uebermacht über­fallen und niedergeschlagen wurden. Wir sprechen den Opfern unsere Sympathie, den feigen Tätern unsere Verachtung aus.

Die Toten gehören diesmal einer den Kommunisten, einer den Hitler Leuten an. Am tragischsten ist wohl der Fall jener 36jährigen Schneiderin in der Aderstraße, einer un politischen Frau, die, im Geplauder mit Bekannten auf der Straße stehend, plöglich von einem vorüber­fausenden Radfahrer unter dem Rufe ,, Heil Hitler !" mit einem Pistolenschuß fot niedergestreckt wurde. Symbol für eine wahnsinnig gewordene Zeit und für die Bewegung, die man als die typischste Zeiterscheinung betrachten kann!

Die Bezeichnung Mord" ist heute in der Politik abgebraucht. Die Bluttaten der Neu­jahrsnacht sind keine Morde im technischen Sinne wie die Beseitigung des SA -Mannes Hentsch, die nach einem genau vor= bedachten Plane mit faltblütiger Ueberlegung geschah. Die alkoholische Erregung und die Atmosphäre der Neujahrsnacht haben wahr­scheinlich in der Mehrzahl der Fälle auf die Täter eingewirkt.

Damit aber darf man sich feineswegs be­ruhigen, sondern das plögliche Wiederauf­flammen der politischen Angriffslust nach einer Zeit verhältnismäßiger Ruhe gibt allerhand zu denken. Man muß nach der Berantwortung fragen. Diese Erscheinungen dauern an, weil man ihre Ursache nicht beseitigt hat, nämlich die Zulassung einer auf Gewalttat dressierten Privatarmee!

Wir verweisen auf den Lichtenrader Fall. Dort hat die fasernierte SA im Ver­lauf mehrerer Nachtstunden erst einen Reichs­bannermann schwer verletzt, dann einen Kommunisten getötet. Schon seit Monaten beschwert sich die durch dauernde Drohungen dieser Bande terrorisierte Bevölkerung Lich­ tenrades vergeblich über das Treiben. Die amtlichen Stellen verweigern jede Abhilfe. Von der Polizei ergeht immer die gleiche Antwort: Das sind gänzlich harmlose Leute."

In der Neujahrsnacht durchziehen nun diese harmlosen Leute" geschlossen den Ort. Ein Reichsbannerkamerad, der eine Familie nach Hause gebracht hat und selber auf dem Heimweg ist, läuft den braunen Raufbolden in die Hände und wird kurzerhand nieder­geschlagen. Kein Grund für die Po­lizei, irgend etwas zu unter nehmen. So kann der Trupp noch st un denland den Ort durchtoben, immer lauter grölend, immer stärker seinen Blutrausch steigernd, bis schließlich in der sechsten Morgenstunde ein junger Kommunist mit schwerem Stich in die Herzgegend als Todesopfer dahinsinkt. Nun endlich schreitet auch die Polizei ein und. hebt die Kaserne aus. Den Mörder fennt niemand..

Solange die Regierung ein fajerniertes Bandentum duldet, solange werden diese Er­scheinungen nicht aufhören.

Neue Provokationen in Preußen

Restlose Auskämmung aller Sozialdemokraten und Republikaner

Der Putsch der fommissarischen Regierung in Preußen gegen die Teilnahme der Linken an der Verwaltung geht weiter. Jetzt sind die Provinzial­schulkollegien von Republikanern und Sozial­demokraten ausgefämmt worden, nun sollen alle Mittelbehörden nachfolgen, und ebenso will man in den Städten und Gemeinden vorgehen!

Eine neue Verordnung, angeblich zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung liegt im Entwurf bereits vor. Diese Verordnung umfaßt einige hundert Paragraphen, die gesamte preußische Landesverwaltung wird da von berührt.

Es sollen die Zuständigkeiten der Instanzen neu gefaßt werden, die Stadt-, Kreis- und Gemeinde­ordnungen sollen einschneidende Veränderungen erfahren. Ebenso soll der Zug der Berwaltungs­gerichtsbarkeit neu geordnet werden.

Die neue Verordnung soll noch im Laufe des Januar veröffentlicht werden. Hinter dem Bor­wand der Vereinfachung und Berbilligung der Verwaltung verbirgt sich natürlich die Absicht, nun auch in den Oberpräsidien und Re­gierungen alle fozialdemokratischen und republikanischen Beamten ab zubauen. In den Städten und Gemein­den ist der Anfang mit der Verweigerung der Bestätigung sozialdemokratischer und ftaalsparteilicher Bürgermeister bereits gemacht.

Das alles hat mit verfaffungsmäßigen Rechten auch nicht das geringste mehr zu tun! Es ist eine endlose Belte von Provokationen gegen die Ver­tretung der Arbeiterschaft, die von der Verwaltung ausgeschloffen wird.

Der Staat und seine Verwaltung soll wieder die Angelegenheit der Herren werden, die Arbeiter sollen zurück­gestoßen werden in die Staatsferne!

Diese politische Entrechtung ohne Rechtsgrund­lage, dieser Herrenputsch wird die Erbitterung über das reaktionäre Regime nur noch vergrößern! Der Reichskanzler von Schleicher setzt die provo­fatorische Politik des 20. Juli ohne jede Ein­schränkung fort!

Beziehungen hätten sich günstiger gestaltet, da die Reparationsfrage endlich ihrer Lösung zugeführt worden set und Deutschland in der Abrüstungsfrage die Gleichberechtigung erhalten habe. Die Wirtschaft beschreite den Weg lang­samer Erholung, und auch die innere Lage zeige ,, schüchterne Anfänge einer Entspannung". Die Arbeitsbeschaffung müsse gelingen, gestüßt auf die entschlossene und wertvolle Arbeit der Regie­in der Nation zu gemeinsamem Schicksal ver­bunden.

Die Neujahrsempfängerung Bape n". Arbeitende und Arbeitsloſe ſeien

Ansprachen des Reichspräsidenten

Am gestrigen Neujahrstag fanden in der Reichs­fanzlei, wo der Reichspräsident zur Zeit Wohnung hat, die üblichen Neujahrsempfänge statt. Sie begannen mit der Auffahrt des diploma= tischen Korps, für das der apostolische Nuntius Orsenigo eine Ansprache hielt. Er sprach von der großen Wirtschaftsnot und sagte, wo ein Schiff in Not sei, hätten die Echwächsten den ersten Anspruch auf Rettung. So sei heute das Problem der Arbeitslosigkeit dasjenige, das zuerst gelöst werden müsse. Der Reichspräsident sagte in seiner Antwort, die Weltkrise lasse sich von der wirtschaftlichen Seite allein nicht lösen. Es bedürfe dazu der Wiederherstellung des gegen­seitigen Bertrauens in den Bölferbeziehungen.

Dann tam die Reichsregierung. Reichs­fanzler von Schleicher sagte, seinen beiden Vorgängern sei es gelungen, Deutschland von der Last der Reparationen zu befreien. In der Abrüstungsfrage sei der Grundsatz der Gleich­berechtigung anerkannt. Er solle jetzt von der Abrüstungskonferenz vermirflicht werden. Wenn es gelinge,

der deutschen Jugend im Rahmen der Miliz das Recht zu wehrhaftem Staatsdienst wiederzugeben, so werde zugleich ein großer Schritt zum Ausgleich der inneren Gegenfäße und zum inneren Frieden getan sein. Der Reichs= präsident antwortete, die internationalen

Eine blutige Silvesternacht

Schießereien

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Drei Tote, viele Verletzte

So friedlich, wie der Silvestertag begonnen hat, ist er leider nicht abgelaufen. Bei politischen Streitigkeiten sind drei Personen getötet und mehrere- zum Teil schwer verletzt worden. Zahlreiche Perfonen haben sich in der Nacht zu Neujahr das Leben genommen oder ver­fucht, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Dabei mußten in vielen Fällen Samariter der Feuerwehr Hilfe bringen. Auch sonst wurde die Feuerwehr. im Gegensatz zum vorigen Jahre start in Anspruch genommen. Weihnachtsbaum- und Gar­dinenbrände wurden besonders oft gemeldet. Ihre aufopferungsvolle Arbeit wurde der Feuerwehr noch durch ein Duhend böcwill ger Alarmierungen erschwert. Auch eine erhebliche Zahl von Un­fällen hat Polizei, Feuerwehr und Rettungs­stellen ständig in Atem gehalten, so daß man gegen­über der vorjährigen Silvesternacht von einem sehr lebhaften Jahresbeginn sprechen muß.

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Ueber eine schwere Bluttat der Nazis in Lich­ tenrade , der ein junger Kommunist zum Opfer fiel, berichten wir an anderer Stelle.

Gegen 7 Uhr vorm flags wurde die 37 Jahre alte Martha Künstler, Ackerstr. 89, wohn­haft, vor dem Hause Akerstr. 106 durch eine noch unbekannte Person überfallen und durch einen Schuß, der sie in die Herzgegend trai, getötet. Der Grund zur Tat ist noch un­bekannt. Die Leiche wurde beschlagnahmt und dem Lazarus- Krankenhaus zugeführt.

Nach der Meldung eines Augenzeugen foll sich der Borfall folgendermaßen abgespielt haben:

Vor einem Haus begrüßten etwa 10 junge Leute die Frau mit dem Ruf" Prost Neujahr!" Im gleichen Augenblick kam ein Radfahrer ange­fahren, dessen Rad unbeleuchtet war. Kaum war er an der kleinen Gruppe vorüber, als er sich plöŋz­lich umdrehte, die rechte Hand, in der er einen Revolver hielt, erhob und mit dem Rufe Heil Hitler" auf die vor der Tür stehenden Leute schoß. Mit einem Schuß in der Herzgegend brach die Frau tödlich getroffen zusammen. Alle Versuche, den Mordnazi zu fassen, blieben erfolglos.

Der 16 Jahre alte Hitler - Junge Walter Magnik, der in der Liebenwalder Straße 24 wohnt, wurde heute morgen gegen Uhr von unbekannten Tätern in der Utrechter Straße durch einen Mefferstich in die Bauchgegend lebensgefährlich ver­leht. Magnih wurde dem Birchow- Krankenhaus zugeführt, wo er verstarb. Im Anschluß an diesen Borfall erfolgte durch Polizeibeamte die Durchsuchung einiger politischer Lokale. Im Jm NSDAP. - Lokal in der Utrechter Straße 24 wurde ein Revolver ohne Munition gefunden. In dem Parteilokal in der Utrechter Straße 29 leisteten zwei Nationalsozialisten den Anordnungen der Polizeibeamten Widerstand und wurden darauf­hin zwang gestellt und der politischen Polizei zu­geführt. Sodann wurden noch die kommunistischen Lokale in der Ordenarder Straße 26 und Lieben­walder Straße 41 durchsucht, in denen die Beamten jedoch nichts ermitteln konnten.

Gegen 7 Uhr früh wurde in der Potsdamer Straße vor dem Hause Nr. 62 der Polizei.

Die Glückwünsche des Reichstags über­brachte der Vizepräsident Löbe, da der Reichs­tagspräsident Göring verreist iſt.

Beim Empfang des Reichsrats sprach Ministe­rialdirektor Coßmann die Hoffnung aus, daß es im neuen Jahre gelingen werde, die

Schwierigkeiten zwischen Reich und Ländern,

die sich im vergangenen Jahr ergeben hätten, zu beseitigen. Diese Anspielung auf den 20. Juli und die mit ihm zusammenhängenden Ereignisse entspricht den Wünschen füddeutscher Regierungen, die, wie es heißt, ursprünglich sogar eine schärfere Fassung vorgezogen hätten.

Wo ist Göring ?

In Regierungsfreisen erklärt man, daß das Fernbleiben des Reichstagspräsidenten Göring vom Neujahrsempfang teine besondere Bedeutung habe. Zwischen Göring und dem Reichspräsidenten habe ein Briefwechsel stattgefunden. Das Schreiben Görings sei in einer verbindlichen und ehr­erbietigen Form gehalten. Es trage allerdings das Datum des 1. Januar aus Berlin , und merkwürdig bleibe die Tatsache, daß Herr Göring in seinem Schreiben für das gesamte angeblich Don Berlin abwesende Reichstagspräsidium auf schriftlichem Wege den Glückwunsch aussprach, mährend Löbe es im Gegenfaz zu Herrn Göring ermöglichen fonnte, persönlich zu erscheinen.

oberwachtmeister Wollmichrath, der sich außer Dienst befand, mit einer schweren Kopfverlegung aufgefunden. Bon der Ret­tungsstelle wurde der Schwerverletzte dem Staats­frankenhaus zugeführt. Die Täter sind nicht be­kannt, und die Ermittlungen nach ihnen waren bisher erfolglos.

Gegen 2 Uhr wurde in einem NSDAP.- Cotal in der Otawi straße im Verlaufe einer Streifig­feit der SA.- Mann Hans Gundermann, Togoftraße 20 wohnhaft, von dem SA. - Angehöri­gen Richard Schipansti, der in Halensee , Ring­ftraße 5, wohnt, durch einen Schuß aus einer Scheintodpistole verletzt. 3m Paul- Gerhardt­Stift, wohin der Verletzte gebracht werden mußte, stellte der untersuchende Arzt eine Bindehautent­zündung an beiden Augen fest.- Kurz vor Mitter­nacht wurde die 13 Jahre alte Schülerin Hilde­gard Noelle aus Staaten, Spandauer Str. 50, durch einen Schuß an der linken Brustseite ver­leht. Der Täter, ein 28jähriger Arbeiter Richard Steffen, der in Staaten, Neue Straße 4, wohnt, will lediglich mit einer Schredschußpistole geschoffen haben. Das verletzte Kind mußte in das Span­ dauer Krankenhaus gebracht werden.

Kommunisten schwer verletzt Trier , 2. Januar. In der Neujahrsnacht kam es in Ehrang bei Trier zu Auseinandersetzungen zwischen Nazis und Kommunisten, in deren Verlauf der Führer der Kom= munisten vier bis fünf Schüsse in den Leib erhielt. Er liegt hoffnungs los darnieder. Zwei weitere Kommunisten wurden durch Schüsse in die Beine schwer, ein Nazi durch Steinwurf am Kopf leicht verletzt.