Morgen- Ausgabe
Nr. 3 A 2 50. Jahrg.
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialbemotrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DIENSTAG
3. Januar 1933
In Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf.
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise. fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands
3m neuen Jahr ist es in München bereits zu zahlreichen blutigen Schlägereien 3 wifchen Nazileuten verschiedener Richtungen gekommen.
In einem Na zicafé wurde der Streit mit Stuhlbeinen ausgetragen. Die nazigäste schlugen sich einander die Köpfe blutig, drei Mann wurden mit schweren Kopfverlegungen vom Plate getragen.
In einem Weinhaus geriefen sich ein SA. und ein S S.- Mann in die Haare. Der SA.Mann wurde von seinem braunen Bruder auf die Straße abgedrängt und niedergeschlagen. Er mußte in das Krankenhaus gebracht werden.
In einem Bierlotal im Stadtzentrum kam es zwischen SA .- Leuten zu einer blutigen Meinungsverschiedenheit über Sinn und Form der Ehrenbezeugungen.
Mangelnde Ehrenbezeugung war auch der Anlaß zu einer anderen blutigen Szene, der ein 56jähriger Gärthereibefizer Josef Mayr zum Opfer fiel, Mayr starb an den Folgen eines von einem Parteigenossen erhallenen Kopfhiebes mit einem Bierglas. Mayr, ein fanafischer Nazimann, hatte bei einer Festlichkeit feiner Parteisektion dem Sturmführer bei dessen Eintritt teine Ehrenbezeugung erwiesen. Er war nicht aufgestanden, weil es seine Kriegsverletzung nicht erlaubte. Dafür warf ihm ein kamerad ein Bierglas mit voller Wucht an den Kopf. Der verhaftete Täter redet sich mit hakenkreuzlerischer Feigheit auf Notwehr heraus.
SA.- Mann schießt auf Naziredakteur Eigener Bericht des„, Vorwärts" Magdeburg , 2. Januar.
3m Schloßcafé in Magdeburg feierten viele uniformierte Nazis Silvester. Ein uniformierter SA.- Mann fuchtelte mit dem Revolver herum und feuerte nach dem Vorbild seines Ojaf zwei Schüffe in die Dede ab.
Gegen 7 Uhr morgens am Neujahrstage fuchte der Redakteur Bartholdy vom Magde burger Naziblatt, der im Schloßcafé mitgezecht hatte, ein weiteres Cofal auf. 3 wei uniformierte SA- Ceute, darunter der Mann mit der Pistole, folgten ihm. Auf dem Breiten Weg schoß der bewaffnete SA.- Mann dem Naziredakteur eine Kugel in den Rücken. Bartholdy wurde fchwerverletzt ins Krankenhaus gebracht.
Benneckes Immunität
Naziabgeordneter als Fememord- Begünstiger Dresden
, 2. Januar. In der Mordsache Hentsch hat der Generalstaatsanwalt Schlegel beim Landtag die Aufhebung der Immunität des nationalsozialisti. ichen Abgeordneten Dr. Bennede wegen Begünstigung der Täter beantragt. Der Antrag wird angenommen werden.
Mörderzentralen und dem Berhalten der verantwortlichen Polizeiführer Stellung nimmt.
Die Dresdener Nazipartei hatte für Diensfag, den 3. Januar, eine Demonstration angesetzt. Durch die Erregung über den Fememord gezwungen, hat das Braune Haus am Montag die geplante Demonftration absagen müssen.
Auslieferung der Hentsch- Mörder verlangt
Eigener Bericht des„, Vorwärts" Dresden , 2. Januar. Dem deutschen Botschafter in Rom ist am Montag der Ausliefe: rungsantrag wegen der Mörder des SA. Mannes Hentsch zugestellt worden. Unabhängig davon hat die sächsische Regierung an den deutschen Generalkonsul in Mailand das Ersuchen gerichtet, bei den zuständigen Polizeibehörden die Festnahme der Verdächtigten, die noch in Bozen weilen sollen, zu beantragen.
, 2. Januar.
Das sozialdemokratische Boltsblatt" in Kassel ist in der Lage, die von der Nazipartei offiziell als Lüge bezeichnete Meuterei der Kasseler SA. dokumentarisch zu be= weisen. Das ,, Volksblatt" veröffentlicht einen Befehl des Sturmbann II/ 83 Kassel- Land" vom 17. Dezember 1932. Darin verfügt die Untergruppe Hessen- Nassau- Nord:
"
,, 1. Auf Grund der neueren Vorkommnisse wird Sturmbannführer I/ 83, Langenau , bis zur Entscheidung seiner Dienststelle enthoben. 2. Die Stürme 1/83 und V/ 83 werden wegen Meuterei aufgelöst."
Gleichzeitig werden in diesem Befehl zwei Sturmführer und ein Gruppenführer wegen Meuterei ausgeschlossen; außerdem wird die Neuorganisation eines Sturmbannes 1/83 ange= ordnet. Die Lüge der Nazipartei in Kassel sei
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alles in Butter hatte kurze Beine. Es bleibt dabei, daß 600 S2. Leute wegen Meuterei ausgeschlossen werden mußten. Japans
neuer Krieg
Schanhaikwan besetzt
Vor wenigen Tagen hat das japanische Außenministerium in einer Pressekonfe renz zu Tokio scharfe Drohungen gegen ,, chinesisches Vorgehen" ausgesprochen. Kurz darauf gingen japanische Kriegsschiffe nach Tsingtau in See, sozusagen in die Flanke Nordchinas. Schon ist auch die Stadt Schanhaifwan, wichtiger Knotenpunkt auf dem Wege nach Peiping ( früher Peking ), beschossen und besetzt worden. Der Raubzug auf die Hauptstadt Nordchinas hat blutig begonnen!
Der Kampf um Schanhaikwan
Schanghai, 2. Januar.
Zu einem Feuergefecht zwischen Japanern und Chinesen tam es nach Berichten aus Tientsin und Beting nachts in der am Golf von Liau- tung gelegenen Stadt Schanhaitwan. Die Schießerei jezte sich bis in die Morgenstunden fort. Nach chinesischer Darstellung eröffneten die Japaner aus unbekannten Gründen das Feuer, das die Chinesen erwiderten, um ihre Stellung halten zu tönnen. In Tientsin läuft das Gerücht um, man habe in der Nähe des Bahnhofs, der von ja panischer Gendarmerie besetzt ist, zwei Bomben gefunden. Eine Abteilung japanischer Truppen wurde nach Schanhaitwan geschickt, um die dort ansässigen Japaner zu schützen. Die Stadttore sind geschlossen, die Telephonverbindung ist unterbrochen. Es besteht noch keine Klarheit darüber, ob es sich um eine japanische Aktion handelt, die im Zusammenhang mit dem Jehol- Konflikt steht, oder um ein Mißver= ständnis.( Diese Arglosigkeit dürfte unhaltbar sein. Red.)
Später wird gemeldet: Die japanischen Truppen Sozialdemokratie fordert Landtags- sind durch das Haupttor in das befestigte
einberufung
des Das
Die sozialdemokratische Landtagsfrattion hat die Einberufung Landtags zum 10. Januar beantragt. Parlament sollte ursprünglich am 19. Januar zusammentreten. Es entspricht jedoch der Stimmung der Bevölkerung, daß der Landtag unverzüglich zu dem Mord an Hentsch, zu den braunen
Schanhaitwan eingedrungen, wo sich am Montagabend blutige Straßengefechte ab= spielten. Die Zahl der Toten und Verwundeten ist noch nicht bekannt.
Wie die neuen Feindseligkeiten zum Ausbruch gekommen sind, steht noch nicht fest. Nach einem Bericht des ja panischen Hauptquartiers feien die militärischen Maßnahmen der japanischen Truppen darauf zurückzuführen, daß am Montag
morgen drei japanische Soldaten und ein Offizier von Chinesen getötet worden seien; auch wird behauptet, chinesische Truppen hätten eine Eisenbahnbrüde in der Nähe Schanhaitwans gesprengt.
Die Japaner haben ein Bombengeschwa= der nach Schanhaitwan entsandt.
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Nach Mitteilung des Sowjetrundfunks find in und bei Schanhaitwan weit über 100 Chinesen von japanischen Artilleriegeschoffen getötet worden.
Der Sowjetrundfunt berichtete am Montag abend in langen Meldungen aus Schanghai und Charbin über den japanischen Angriff. Dabei war man gegenüber Japan außerordent lich zurückhaltend. Zwar sagte man, daß durch diesen Schritt die Katastrophe im Fernen Osten außerordentlich viel nähergerückt ist, aber mit den scharfen Angriffen auf Japan ist
es vorbei.
ift.
Der Sowjetrundfunk teilte mit, daß
die Erregung in ganz China bis zum Siedepunkt gestiegen
Die chinesischen Blätter aller Richtungen fordern sofortige militärische Gegenmaßnahmen und greifen die Nanfingregierung an, weil sie nicht schon von vornherein genügend Kräfte be= reitgestellt habe.
Schanghaier Blätter fordern ein Eingreifen der mit europäischer Hilfe neu gefchaffenen chinesischen Luftflotte.
Wie der Sowjetsprecher weiter mitteilt, ist die Eisenbahnverbindung mit Charbin, die in letzter Zeit wieder funktionierte, augenblicklich vollfommen gestört, ebenso das Telephon mit mandschurischen und chinesischen Orten; schärfer als je überwache die Militärzensur alle Leitungen. In Charbin find übrigens nach Meldungen des Sowjetrundfunks gerade in den letzten Tagen zahlreiche Verhaftungen vorgenommen worden. Die ,, mandschurische" Geheimpolizei glaubte einen Putsch gegen die Regierung entdeckt zu haben. Unter den Verhafteten ist auch ein hoher mandschurischer Polizeibeamter, der Propaganda für China gemacht haben soll. Belgrad
Es
Frankreich ist eine Demokratie. Der Volkswille ist dort, soweit es sich mit. der tapitalistischen Gesellschaftsordnung überhaupt verträgt, die Quelle aller politischen Macht. Seit Jahrzehnten stellt die parlamentarische Republik die weder im Frieden noch im Krieg erschütternde Staatsform dar. Aber wenn Gambetta einmal sagte, der Antiklerikalismus sei fe in Exportarti fel, gilt das auch für das demokra tische Glaubensbekenntnis. ist schon sehr lange her und dauerte auch nur eine kurze Weile, daß der Krieg, durch den sich die Große Revolution des Ansturms des feudal- absolutistischen Europas erwehrte, als Propagandakrieg geführt wurde, der die Grundsäge der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf den Spizen der Bajonette zu den von ihren einheimischen Tyrannen unterdrückten Völkern tragen sollte, und unter der dritten Republik jedenfalls fah die Politik des Quai d'Orsay weit mehr darauf, daß die Bundesgenossen, deren man sich versicherte, militärisch Murr in den Knochen hatten, als daß sie über eine demokratische Inneneinrichtung verfügten. Das am meisten zum Himmel schreiende Beispiel vor 1914 war die Freundschaft Frankreichs mit dem Zarismus. Mit Milliardenanleihen pumpte die Republik diesem von Blut und Schmuh triefenden, barbarischen Despotismus immer wieder frische Lebenskraft ein fruchtlos erhoben stets aufs neue die Sozialisten, am unerbittlichsten und leidenschaftlichsten Jaurès selber, vor dem Lande ihre empörte Stimme gegen diese Schmach.
In dieser Hinsicht hat sich im NachkriegsFrankreich nicht gerade viel geändert. Daß in den Staaten des europäischen Ost en s und Südostens, die der französischen Politik als Flankendeckung dienen, von der Tschechoslowakei abgesehen, alles andere zu Hause ist als die reine Demokratie, daß in Polen und Jugoslawien sogar eine handfeste Diktatur ohne Scham und Scheu wütet, hat den maßgebenden maßgebenden Herren am Quai d'Orsay noch keine Viertelstunde den Schlummer geraubt. Soweit es Jug p slawien angeht, brachte der in Paris als Emigrant lebende frühere Minister Swatofar Bribitschewitsch in einem Vortrag, den er unlängst vor den Mitgliedern des Kammerausschusses für auswärtige Angelegenheiten hielt, den Franzosen diese blamable Tatsache mit aller Deutlichkeit zu Bewußtsein. Was dieser Politiker, der sein Leben lang ein hingebender Vorfämpfer der füdslawischen Idee war und als einer der wesentlichen Gründer des jugoslawischen Staates gelten darf, über die Lage in seinem unglücklichen Vaterlande zu sagen, zu klagen hatte, wird hoffentlich manchen der gespannt lauschenden Abgeordneten für längere Zeit mit Stoff zum Nachdenken versorgt haben.
Bielleicht klang es etwas mißtrauisch, wenn Pribitschewitsch den Zustand, wie er heute herrscht, als Hegemonie der Serben aus dem früheren Königreich Serbien über die anderen Teile des Volkes brandmarkte. Denn in Wahrheit handelt es sich um die dürftig verlarvte Diktatur eines ganz winzigen Bruchteils, einer aus der Dynastie, ein par Generälen und Bürokraten bestehenden hauchdünnen Schicht" dieser Serben, denen sich Ueberläufer aus dem froatischen und slowenischen Lager angeschlossen haben, über die breiten Massen, über mehr als 99 Proz. des Volkes, ganz gleich, ob sich diese Serben, Kroaten oder Slowenen oder wie immer nennen. Wie die oftropierte Berfassung vom 3. September 1931 ein Blendwerk war, so stellte die Wahl vor einem Jahr eine Farce