Abend- Ausgabe
Nr. 10 B5 50. Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
FREITAG
6. Januar 1933
I
Sie haben alle Angst vor dem Reichstag - sowohl Herr Schleicher als auch Hitler , nur läßt sich Hitler die Angst anmerken. Während aus der Angst heraus seine Propagandisten laut schreien müssen, sucht Hitler ängstlich die Hintertreppe, die ihn zur Macht führen soll
Protest gegen Reichskommissar
Heute mittag hat eine Unterredung zwischen dem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun und dem Reichsfanzler von Schleicher stattgefunden. Die Unterredung war gegen 1 Uhr
beendet. Ein wenig Kaiserhof= theater und ein wenig Herrentlub= intrige das sind seine letzten Ausfluchtsmittel.
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Der Mittelsmann, bei dem Herr Hitler sich mit Papen getroffen hat, ist der Vertrauensmann Heinrich von Gleichens für die Her= rengesellschaften in Rheinland und Westfalen , ein waschechter HerrenKlubmann! Hitler sucht die Vermittlung und die Bundesgenossenschaft des Herrenklubs, aus der lauten Gegnerschaft gegen die feinen Leute in der Oeffentlichkeit ist ein Techtelmechtel hinter den Kulissen geworden.
Es nimmt nicht weiter wunder, daß sich der ,, Völkische Beobachter" lebhaft bemüht, die Initiative zu dem Techtelmechtel HitlerPapen Herrn von Papen zuzuschieben. Aus der Beflissenheit, mit der behauptet wird, daß die Einladung nicht von Hitler aus gegangen sei, leuchtet die Berlegenheit hervor. Die andere Seite jedoch gibt deutlich zu ver stehen, daß nicht Papen, sondern Hitler die Aussprache gewünscht habe, und daß dieser Wunsch nicht einmal, sondern mehr mals an Bapen herangetragen worden sei. Nachdem beide bei ihrem Techtelmechtel in flagranti ertappt worden sind, beginnen sie zu streiten, wer angefangen hat.
Diese Unterredung sollte geheim bleiben. Herr von Papen, der angeblich in derselben Richtung wie Herr von Schleicher wirken will, hat die Reichskanzlei nicht vorher unterrichtet, und Hitler hat noch vor zwei Tagen erklären lassen, daß Nachrichten über eine bevorstehende Unterredung mit Papen ,, den Stempel der Unwahrhaftigkeit auf der Stirne trügen". Diese feierliche Erklärung war erlogen. Es mag dahingestellt bleiben, wer von der Enthüllung der Kölner Besprechung unangenehmer überrascht worden ist- Herr von Schleicher oder die harmlosen Anhänger Hitlers .
Vielleicht hätte man auch nach dieser Unterredung vom Braunen Haufe die Erklärung gehört, daß alles nicht wahr sei- zum großen Leidwesen der Beteiligten jedoch ist ihre Ankunft vor der Wohnung Schroeders photographiert worden. So kam die Deffentlichkeit zur Kenntnis der Tatsachen und Herr von Schleicher schließlich noch zu einer Benachrichtigung durch Herrn von Papen.
Die lange vereinbarte Unterredung hat feineswegs einen besonderen sensati nellen Charakter, sondern dient, wie auch die erste im Dezember stattgefundene Unterredung zwischen Braun und Schleicher , lediglich der Klärung über die zwischen der Reichsregierung und der preußischen Staatsregierung bestehenden Diffe. renzen über die Ausübung der der preußischen Staatsregierung nach der Entscheidung des Leipziger Staatsgerichtshofs verbliebenen Befugnisse. Ministerpräsident Braun steht, wie die übrige preußische Staatsregierung, selbstverständlich nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die Einsetzung eines Reichskommissars vom 20. Juli 1932 von falschen Voraussetzungen ausging, daß daher an fich die völlige Zurüdnahme diefer Maßnahme nötig und möglich sei. Da aber die Reichsregierung sich zu einem solchen Vorgehen nicht entschließen wird, wie aus den verschiedenen Mitteilungen auch des Reichskanzlers von Schleicher zu erkennen ist, besteht die preußische Staatsregierung wenigstens darauf, daß die Kon=
Herr von Schleicher ist freilich auch nicht müßig. Er hat seinen Straßer im Hintergrunde, er will, wie die Kölnische Zeitung " behauptet, mit ihm ein wenig Treviranus spielen, wenn Hitler sich nicht zur Tolerierung verstehen sollte. Herr von Schleicher hat außerdem noch vor Weihnachten Unterredungen mit Röhm und Gottfried Feder gehabt. Gehören Röhm und Feder auch zu den Konjunkturrittern" in der NSDAP. , wie die neueste Bezeichnung für Gregor Straßer in der NSDAP . lautet? Diese Kulissenspiele sind sind die Begleiterscheinung zu der Ausschaltung des Reichstags. Die Methoden der Politik ohne Parlament entsprechen den Erbärmlichfeiten, die dabei herauskommen. In den notwendigen Dingen, so vor allem in ernsthafter Wirtschaftspolitik und Arbeitsbeschaffung geschieht nichts. In Intrigen groß in der Leistung minderwertig, das ist noch immer das Kennzeichen der Reaktionäre und ber Parlamentsfeinde gewesen.
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Das Reich muß das Urteil des Staatsgerichtshofes respektieren
sequenzen aus der Entscheidung des Staatsgerichtshofs auch von der Reichsregierung gezogen werden, mas bisher nach Ansicht der preußischen Staatsregierung feinesfalls geschehen ist.
Die Aussprache zwischen Schleicher und Braun foll daher der klärung dieser Fragen dienen. Man will versuchen, eine Einigung zu erzielen. Zu den strittigen Fragen gehört u. a. die vom Staatsrat und dem Landtag gewünschte Borlegung eines Haushaltsentwurfs. Selbstverständlich kann die preußische Staatsregierung einen Haushaltsentwurf nur vorlegen, den sie selbst für richtig hält und dem Landtag gegenüber vertreten fann.
Um einen solchen Haushalt aufzustellen, muß natürlich die Staatsregierung die Richtlinien des Haushalts bestim= men und bei michtigen Einzelpoft en vorher die Entscheidung treffen. Dazu ist notwendig, daß sie sich der Beamten der einzelnen Refforts bedient, mas thr aber vorläufig von den Kommissaren verweigert wird. Außerdem ge= nügt nach Meinung der preußischen Staatsregierung die bisherige Zusammenarbeit zwischen den Kommissaren des Reiches und der Staatsregierung auch den bescheidensten Anforderungen nicht. Die Bertretung ber Interessen
Es geht schnell mit den deutschen Wirtschaftsführern. Vor wenigen Tagen ist Cuno, der elegante Wirtschaftsführer ohne Berdienste und der kostspieligste Kanzler des Deutschen Reiches, gestorben. Jegt ist Ernst von Borsig , die typische Gestalt des deutschen Kapitalismus, einer Herzlähmung erlegen.
Ernst von Borsig ist 63 Jahre alt geworden. Er ist auf seinem Landgut gestorben. Alle großen reaktionären Wirtschaftsführer Deutschlands sterben auf ihren Landgütern; denn es ist fennzeichnend für das Scharfmachertum, daß sie sich innerlich verbunden fühlen mit dem Geist des Agrariertums, für den das Bolf eine reaktionäre Masse ist, das man zwar ausbeutet, von dem man sich aber fernhält.
Ernst von Borsig war ein Unternehmer älteren Schlages und er war ein schlechter Unternehmer. In der Reihe derer von Borsig bildete er mit seinem Bruder Konrad die dritte Generation. Er hatte ein großes Erbe übernommen, und er war, wie man das so oft bei den späteren Generationen erfolgreicher Unternehmerpioniere erlebt, ein schlechter Berwalter dieses Erbes. Man weiß noch, wie der Bankrott der Firma Borsig im vorigen Jahre wie eine Bombe einschlug. Di Zahlungsunfähigkeit der Familie Borsig war mehr als ein wirtschaftlicher Unglücksfall, sie war ein, Symptom für die Lebensunfähigkeit eines Unternehmertums, wie es von den Borsigs repräsentiert wurde.
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Der Borsig- Geist war nämlich ein sonderer Geist. Wie die Borsig- Unternehmungen Familienbesig waren, so glaubten die Borsigs auch an die Ewigkeit des patriarchalischen Unternehmertums. Die Borsig- Betriebe blieben hinter den Erfordernissen ihrer Zeit zurüd, aber es fiel den Borsigs nie ein, an eigene Schuld und Verantwortlichkeit dafür zu denken. Sie machten den neuen organisatorischen Geist dafür verantwortlich und wollten zurüd zu einem Patriarchentum, deren Form die Werksgemeinschaft sein sollte. Die organisierte Masse war ihnen ein Schredbild, obwohl sie selbst mit der tapitalistischen Expansion diese Masse, die hilflos war, wenn fie fich nicht orga nisierte, erzeugten.
Dieser Borsig- Geist wurde bestimmend für hte Sozialpolitif der Unternehmer in Deutschland ; denn Ernst von Borfig war führend im Verein Berliner Metallindustrieller, und er
war viele Jahre lang der erfte Präsident der Bereinigung der Arbeitgeberner. bände. Es war dieser Geist, der die deutschen Unternehmer auf Adolf Hitler schwören und auf die Nazis hoffen ließ, und Ernst von Borsig war ja auch einer der ersten, der mit den Nazis die Berbindung aufnahm.
Der Borsig Geist im deutschen Unternehmertum wird mit dem Hinscheiden Ernst von Borsigs noch nicht tot sein. Die Hoffnung auf seine Renaissance durch die von den Nazis erwartete Herbeiführung des Faschismus hat seit der Verkündung der antikapitalistischen Sehnsucht durch die Nazis einen ernsten Knag bekommen.
Preußens im Reichsrat fann natürlich nur dann einigermaßen geschehen, wenn die Rechtsauffassung der preußischen Regierung auch durch die stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat gewährt wird. Auch hier mangelt es noch durchaus an der nötigen, vom Staatsgerichtshof als selbstverständlich vorausgesetzten Bereitmilligkeit, der preußischen Staatsregierung in Rahmen der ihr verbleibenden Rechte entgegenzukommen.
Da der Reichsrat nach der Weimarer Ver fassung bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches mitwirken muß, müssen natürlich die preußischen Staatsminister über den Gang der Geschäfte in Preußen unterrichtet sein. Heute ist die Verbindung mit den preußischen Ministerien so gut wie abgebrochen. Die preußische Staatsregierung versucht daher im Interesse des Landes Preußen und im Interesse des Reiches die loyale Ausführung der Entscheidung des Leipziger Staatsgerichtshofs vom Oktober 1932 zu erreichen, was ihr unter der Reichskanzlerschaft von Papen dank dem Widerstand der Kommissare in Preußen, der Herren Bracht und Ge nossen, nicht gelungen ist. Ob ihr Bemühen beim Reichskanzler von Schleicher mehr Erfolg haben wird, muß die Zukunft lehren!
Die organisierte Arbeiterschaft Deutschlands ist auf dem Bege, die Hoffnungen der Unternehmer auf den deutschen Faschismus vollends zu zerstören. Sie wird in unentmegtem scharfen Kampfe für Volksfreiheit und eine neue Gesellschaftsordnung dem Borsig- Geist in ganz Deutschland ein hoffentlich baldiges Ende bereiten.
Die Gläubiger
Nazi- Schulden beim Herrenklubisten Köln, 6. Januar.
Die„ Rheinische Zeitung " teilt heute mit, daß der Baron von Schröder, in dessen Wohnung am Mittwoch die Zusammenkunft zroijchen Hitler und Papen stattfand, von dem Nachfolger Straßers im Braunen Haus,£ en, nicht weniger als 140000 Mart zu erhalten hat. Bon diefen 140 000 mark sind 80 000 Mark durch die Pfändung einer Leibrente des Prinzen zu Schaum-burg- Lippe gesichert, während die restlichen
,, Deutsche Rrrevolution" Schulben in Höhe von 60 000 Mart nach wie vor
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Reichstagspräsident Göring:„ Ich melde mich d. u., und jetzt kommt erst die richtige nationale Revolution in Schlafrock, Filzpantoffeln und mit doppelter Aufwandsentschädigung."
auf das Konto des Herrn Len fallen.
Die Gefolgschaft Hitlers in Chemnitz hat mit ihrer Unterstützung der Kommunisten bei der Wahl des Präsidiums der Stadtverordnetenversammlung geglaubt, einen besonders schlauen Trid gegen die Sozialdemokratie zu vollführen. In Wirklichkeit hat sie nur aufs neue die Brüchigkeit aller ihrer Theorien demonstriert.
Die Sozialdemokraten haben mit 17 Sitzen ( nicht 10, wie infolge eines telephonischen Uebermittlungsfehlers in der Morgenausgabe zu lesen war) in der vorhandenen Linksmehrheit die erste Stelle. Ihnen standen 14 Kommunisten gegen über. Beide Parteien gemeinsam bilden gegen den Bürgerblock die Mehrheitsfront. Um aber zu ver hindern, daß die Sozialdemokratie in die Stich wahl und dann, nach der Vereinbarung mit den Kommunisten, zum Siege gelange, stimmten fünf Nationalsozialisten auftrags. gemäß für den Kommunisten, so daß biese in die Stichwahl mit dem Nazikandidaten tam. Die Rechnung war darauf abgestellt, daß